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Fandom:
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Characters:
Additional Tags:
Language:
Deutsch
Stats:
Published:
2021-05-25
Completed:
2021-06-18
Words:
8,264
Chapters:
2/2
Comments:
10
Kudos:
82
Bookmarks:
9
Hits:
1,171

Zustand

Summary:

Tennstedt braucht eine Weile, um's zu kapieren.

Notes:

(See the end of the work for notes.)

Chapter Text

Tennstedt ertappte sich dabei, wie er das Wort, das Hoffmann ihm zugeraunt hatte, lautlos wiederholte. Subordination. Tennstedt lag in seiner Koje, die Augen halb geöffnet, das grüne Licht des Vorhangs bleischwer auf den Gliedern. Er sollte schlafen oder es zumindest versuchen. Tennstedt fühlte den Druck seiner Kauleiste. Er rieb die Backenzähne zwei-, dreimal hin und her, genoss den Schmerz, der die Schläfe hinauflief. Subordination. Sub-OR-dination. Sub-or-di-na-tion. So lange bis alle Silben so auseinander gepflückt waren, dass ihr Sinn entstellt war. Ein Ding der Unmöglichkeit bei so einem Kaleun. Der war ja noch grün hinter der Ohren, hatte doch noch keinen Respekt verdient, den er Tennstedt abverlangte. Ein 1-WO war dazu da, die Befehle des Kommandanten auszuführen. Beflissenheit gehörte zu seinen herausragenden Eigenschaften. Aber was hatte Hoffmann auf dieser Fahrt zustande gebracht? Ein abgebrochener Angriff und Drills mit der Stoppuhr in der Hand. Das war alles, was der konnte.

Er hatte den Smut sagen hören, dass er und Hoffmann sich doch ähneln würden. „Tennstedt und Hoffmann? Die passen doch wie'n Arsch auf'n Eimer“, hatte der Mann verkündet und Gelächter seiner Zuhörer geerntet. Tennstedt hatte einen Moment hinter dem Schott innegehalten, bevor er sich durch und an dem Smut und den Matrosen vorbei gezwängt hatte. Man hätte ihm die Wut angesehen, wenn er nicht ohnehin stets verkrampft und mit schweißbedeckter Stirn anzutreffen wäre.

Er hatte nichts mit diesem Emporkömmling, dem Spross der besten Familie zu tun. Nichts. Höchstens, dass sie beide groß und schlank waren. Hoffmann musste genauso aufpassen, dass er sich nicht an niedrig verlegten Rohren und Türen stieß wie er selbst. Sie konnten sich auf Augenhöhe begegnen. Wenn er es gewollt hätte. Den Fehler hatte er nur ein einziges Mal gemacht. Am ersten Abend, als Hoffmann ihm einlud, mit ihm zu trinken.


Er gab diesem Hirngespinst nicht oft nach. Nur wenn die Amphetamine und der Schlafmangel sein Hirn überreizten und er trotz Freiwache keine Ruhe fand. So wie jetzt. Er ließ das Ganze wie einen Kinofilm vor dem inneren Auge abspielen.
Erste Einstellung. Hoffmanns Hand, die zum Sessel zeigte. Der Mund in Nahaufnahme, der Ton verzögert: „Nehmen Sie Platz, Tennstedt.“


Im echten Leben trank er ungern und war nie jovial, nicht der, der seinem Kameraden auf die Schulter klopfte. Eher einer, der aufstehen würde, wenn der eigene Kaleun auf der Armlehne des eigenen Sessels Platz nahm und fragte: „Fehlt ihnen etwas?“
Aber genau das war passiert und Tennstedt war nicht aufgestanden. Was für einen Anblick hatte er Hoffmann in dem Moment geboten, dass dieser ihm so auf die Pelle rückte?


Tennstedt sah die Lippen, die sich bewegten, darauf warteten, dass er antwortete. In seiner Fantasie umging er diese lästigen wie-wann-warum Fragen. Schneller Szenenwechsel. Plötzlich war Hoffmann nackt. Unwichtig wo sie waren. Im Schiff vielleicht. Ohne Mannschaft. Mit lärmenden Maschinen, AK-Fahrt. Scheiß auf den Dieselverbrauch. Er musste sich nicht erklären bei dem ohrenbetäubenden Lärm. Hoffmann wollte es doch so, er hatte es doch heraufbeschworen mit seinem weichen Ausdruck und den schönen Händen und diesem stillen Lächeln.


Tennstedt schloss die Augen, kämpfte gegen das flaue Gefühl im Magen, das nur von Schlafmangel und den Pillen herrührte, und steckte die Hand in den offenen Schlitz seiner Unterhose. Das war alles noch normal. Er dachte an den Kaleun, der mit einem Glas auf der Sessellehne saß, nicht an den, der keine zwei Meter entfernt von ihm schlief. Das war ein Anderer. Der, der ihn verurteilte ohne Tennstedt überhaupt zu kennen. Der aus seiner Fantasie hatte nichts gegen Tennstedts Geltungssucht und pries ihn, wenn er ein Manöver ausgeführt hatte. Der Kaleun aus seiner Fantasie schloss die Augen und stöhnte und seufzte bald, dass es ihm noch keiner so gut besorgt hatte. Er wurde rot, als Tennstedt höhnisch fragte, wie viele Seemänner es ihm denn schon besorgt hätten. „Ein Dutzend, 1WO?“ Zutiefst unsicher. Und genau könne er es nicht sagen, denn er hatte vor dem Auslaufen in einer Bar einen ganzen Abend über ein Sofa gebeugt verbracht und jeden – vom Matrosen bis zum Korvettenkapitän – rangelassen. Er hatte es schon mit vielen getrieben.


Tennstedt hatte es selbst noch nie getan. Mit einer Nutte ja, aber das war doch kein Vergleich. Vorm letzten Schritt zuckte er selbst hier (in seiner eigenen Fantasie!) zurück. Es war einfacher eine Beobachterrolle einzunehmen, sich Hoffmann in kompromittierter Position im Offizierskasino vorzustellen. Ein Matrose (einer mit einem lächerlichen Tattoo von einer vollbusigen Hawaiianerin) hielt Hoffmann den Schwanz an die Lippen, während sein Kamerad ihn von hinten rannahm. Das würde ihm gefallen, dem Perversen.
Noch mehr, dass Tennstedt zusah und ihn das Treiben so aufgeilte, dass er selbst wichsen musste. Das war es, was Hoffmann wirklich wollte. Tennstedt ließ die Fantasie hier stehen. Er malte sich aus, wie Hoffmann sich rannehmen ließ und spritzte ab ohne auch nur einen Mucks zu machen. Er zog die Hand aus der Hose und blieb liegen. Seine Kopfschmerzen waren für den Moment verschwunden. Jetzt kam ihm die Fantasie schmutzig vor. Er fühlte sich vor sich selbst bloßgestellt. Sein Herz hämmerte plötzlich in seiner Brust. An Schlaf war nicht mehr zu denken.


In der O-Messe gab es später Kaffee und etwas, das sich als Rührei ausgab. Für jeden anwesenden Offizier eine frische Zitrone zum Nachtisch. Hoffmanns glattes Gymnasiastengesicht verzog sich, als er sein Glas leerte. Tennstedt biss die Zähne zusammen, sah seinen Kommandanten unverwandt an, um so die Fantasiebilder der Freiwache endgültig zu vertreiben. Hoffmann konnte vielleicht seine Verachtung von seinem Gesicht ablesen, aber nicht das.


Er hatte zwei Stunden geschlafen, fühlte sich weit weg von allem.


Hoffmann stand auf, um seinen Platz in der Zentrale wieder einzunehmen. Tennstedt zog die Schulter zurück, damit Hoffmann ihn nicht berührte, als er in den Gang trat.
Hoffmann blieb kurz stehen, sah zu ihm herunter. „Darf ich Sie kurz sprechen, Tennstedt?“


„Natürlich, Herr Kaleun.“ Er erhob sich. Ehrenberg sah ihn kurz an, schaute dann aber doch wieder ungerührt auf den Kleber aus Zitronensaft und Zucker, den er in seiner Tasse vermanschte. Alle Offiziere hatten längst gemerkt, dass Kaleun und 1-WO sich nicht grün waren.


Er folgte Hoffmann zur Kapitänskajüte, trat hinter ihm ein und schloss die Tür. Hoffmann legt kurz einen Finger an die Lippen, wartete, bis Tennstedt nickte. Er hatte verstanden. Trotz Tür würden Sie leise sprechen müssen.


„Fehlt Ihnen etwas?“, fragte Hoffmann unvermittelt.


Tennstedt hob das Kinn. „Wie meinen Sie das?“ Hatten Sie dieses Gespräch schon einmal geführt? Er hätte sich am liebsten die Hände irgendwo abgewischt, konnte immer noch den groben Wollstoff des Vorhangs an den Fingerspitzen spüren. Wie konnte Hoffmann das Ding jeden Tag anfassen ohne sich zu ekeln?


„Sie sehen blass aus, Mann.“ Hoffmann bemühte sich um einen rauen Ton, musste selbst gemerkt haben, dass er sich zuvor vergriffen hatte. Wich aber nicht zurück, obwohl diese Besorgnis, die er hier an den Tag legte, so gar nicht zu der wachsenden Feindseligkeit zwischen ihnen passen wollte.


„Alles in bester Ordnung, Herr Kaleun“, sagte Tennstedt. Was war es? Was hatte ihn damals so aus dem Konzept gebracht? Hoffmann wie er ungeniert sagte, dass Bordellbesuche nichts für ihn seien. Dass Traditionen überbewertet waren. Das hatte Tennstedt einen Stich versetzt. Konnte alles und nichts bedeuten.


Sie waren allein, so allein wie man es auf einem U-Boot sein kann. Er hatte noch nie zum Rapport in der Kapitänskajüte antreten müssen. Wenn es jetzt eine Verständigung gäbe, die würde ihm helfen. Dachte er. Bis Hoffmann tatsächlich viel zu dicht an ihn rantrat. Was tat er denn da? Eine Hand auf seiner Schulter. Hatte er den Verstand verloren? Wenn Tennstedt ihn schon durchschaute, wie würden erst die Männer reagieren? Nicht auszudenken, wenn sich rumspräche, dass der Kaleun einer von der warmen Sorte war. Dienstrang schützte, ja. Aber nur bis zu einem gewissen Grad. Und vor allem nur, wenn man nicht so aussah wie Hoffmann. Wenn so ein Gerücht erst die Runde machte, dauerte es nicht mehr lange bis alle es für die reine Wahrheit hielten. Hoffmann mit den zarten Händen und dem Welpenblick.


„Gut, ich möchte mich auf Sie verlassen können, Tennstedt. Sie sind schließlich mein erster Wachoffizier.“


Tennstedt erwiderte mit belegter Stimme: „Sie können sich auf mich verlassen.“ Innerlich war er aufgewühlt. Sie hatten in La Rochelle noch ein paar Minuten über Belangloser geredet, Hoffmanns Vater und dessen Verdienste. Lag's daran? Wer in so einem Windschatten fuhr, der konnte sich vieles erlauben.


Arsch auf Eimer. Hatte Hoffmann in ihm den Gleichgesinnten erkannt? Man konnte Witze machen zur späten Stunde. Übers Arschficken. Über die französischen Arbeiter, die für Privilegien zu allem bereit waren. Die ganze schamlose Brut. Er beteiligte sich nicht an solchem Gerede. Und es war wohl Gerede. Aber man fragte sich schon, warum manche sich interessierten.


Hoffmann hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt und Tennstedt zurück zur Wache geschickt. Und dann hatte er es plötzlich verstanden. Der Gedanke war ihm nicht erst im Turm gekommen, obwohl die Meerluft später half, nicht komplett durchzudrehen. Nein, als er durch die Offiziersmesse in die Zentrale ging, wusste er mit einem Mal warum er Hoffmann hasste. Seine Schulter brannte, wo Hoffmann ihn berührt hatte. Sein Innerstes hatte sich zusammengezogen, aber dieser nervlichen Anspannung folgte kein Gefühl der Übelkeit sondern ein Zustand der Euphorie, den er nicht runterkämpfen konnte. Er wollte am liebsten loslachen oder sich ersatzweise auf seiner Koje zusammenrollen. Ein Sprung ins Meer hätte geholfen.


Er hatte sich in den Mann verschossen. In diesem zackigen, schlaksigen Kerl, der viel zu jung aussah und der nichts mit Tennstedt gemeinsam hatte. Scheiße.


Er hatte alles getan, was er konnte, um das zu verhindern. Hatte in Hoffmann einen Feigling ausgemacht, ihn sofort als Perversen abgestempelt und sich in der Fantasie doch dieser Perversion bedient. Tennstedt konzentrierte sich auf das Absuchen seines Sektors, als ob sein Leben davon abhinge, was es ja auch tat, aber ein Angriff der Tommys hätte ihn zumindest abgelenkt. Dieses Nachdenken über Hoffmann war nicht auszuhalten. Und mehr Pervitin ging nicht. Erstens vibrierte er fast aus der Haut, zweitens würde sein Vorrat sonst nicht für die gesamte Feindfahrt reichen.