Chapter 1: Prolog: Das Ritual
Chapter Text
Hogsmeade war nicht wiederzuerkennen. Dichter, schwarzer Qualm lag in der Luft, brannte in Augen und Lunge und stank erbärmlich nach verbranntem Fleisch, Blut und schwelendem Holz. Die Hitze der brennenden Häuser leckte über ihr Gesicht und Ruß legte sich in so dicken Schichten auf ihre Haut, dass es sich anfühlte, als würde er von Zeit zu Zeit abbröckeln.
Stolpernd kämpfte Hermine sich vorwärts und hoffte, dass sie in die richtige Richtung lief – zum Schloss Hogwarts, das bis vor etwa zwei Stunden noch deutlich in der Ferne zu sehen gewesen war. Mittlerweile hatten Voldemort und seine Anhänger nicht nur das Dorf in Schutt und Asche gelegt; auch die Sonne war untergegangen und die Nacht hüllte den Kriegsschauplatz in diffuses Dämmerlicht, aus dem die Schatten der halb zerstörten Häuser aufstiegen wie schwarze Geister.
Etwa zwei Stunden war es auch her, dass Hermine Harry und Ron das letzte Mal gesehen hatte. Die Angst um ihre beiden besten Freunde lag wie ein enger Gürtel um ihren Brustkorb und das, obwohl sie durch die beiden verzauberten Steine in ihrer Tasche wusste, dass es den beiden gut ging. Sie fühlte sich, als würde sie unter Wasser treiben, alle Geräusche drangen nur gedämpft und verzerrt an ihre Ohren. Sie war niemals zuvor ohnmächtig geworden, doch gerade jetzt befürchtete sie, diese Erfahrung bald nachzuholen – und ein Teil von ihr hoffte sogar darauf.
Der andere Teil hielt sie in Bewegung, denn auch wenn sie das letzte Schuljahr über nicht einen Fuß ins Schloss gesetzt hatte, so wusste sie doch eines mit Sicherheit: viele Schüler waren noch dort und den Todessern hilflos ausgeliefert, wenn nicht ein Wunder geschah. Die Lehrer hatten hier mit ihnen gekämpft, in der Hoffnung, einen Angriff auf das Schloss verhindern zu können. Ohne Erfolg. Die Prozession um den Dunklen Lord bewegte sich zwar langsam, doch scheinbar unaufhaltsam auf Hogwarts zu.
Keuchend blieb Hermine stehen und wischte sich über die tränenden Augen. Die Straße vor ihr versank im Qualm. Sie wusste, dass sie einen Abhang hinunter führte und sich durch die schottische Berglandschaft bis vor die eisernen Tore der Schule schlängelte. Die ganze Strecke war etwa einen Kilometer lang. Wie viel davon Voldemort schon zurückgelegt hatte, konnte sie nur vermuten.
Ihr einziger Vorteil bestand darin, dass die Todesser diesen Weg zu Fuß zurücklegen würden. Sie genossen es viel zu sehr, einige Hexen und Zauberer mit sich zu zerren und zu quälen, als dass sie Zeit durchs Apparieren sparen würden.
Ohne einen genauen Plan im Kopf machte Hermine sich also bereit, selbst genau das zu tun: vor die Tore der Schule apparieren. Sie schloss ihre Augen und konzentrierte sich über das Brüllen des Feuers hinweg auf ihr Ziel. Vor ihrem geistigen Auge tauchten der Zaun und der schmale Sandweg auf, der zu den großen Flügeltüren führte. Das zerstörte Hogsmeade versank immer mehr in dem schnellen, aber gleichmäßigen Schlagen ihres Herzens und den gequälten Atemzügen, die viel zu heiße Luft aspirierten. Mehr denn je schienen ihre Füße sich mit der verbrannten Erde zu verbinden, bis sie bereit war, sie auf einen anderen Untergrund zu stellen. Die Masse ihres Körpers schien auf ein absolutes Minimum zu schrumpfen und die Magie schwoll an wie Milch in einem Topf, wenn die Temperatur sich dem Siedepunkt nähert.
Und dann griff plötzlich etwas nach ihrem Fuß.
Hermine schrie und machte einen großen Satz nach hinten. Dabei geriet sie auf einem verkohlten Balken ins Straucheln und fiel hin. Einzig ihre Reflexe verhinderten es, dass sie sich den Kopf auf dem verstreut liegenden Schutt aufschlug.
Mit rasendem Herzschlag setzte sie sich auf und überblickte hastig den Boden. Der stechende Geruch verbrannten Fleisches stieg ihr in die Nase, intensiver als zuvor. Nachdem sie sich ein weiteres Mal die Tränen aus den Augen gewischt hatte, konnte sie einen in schwarzen Stoff gehüllten Haufen am Boden erkennen, aus dem eine sehnige, mit Blut und Ruß verschmierte Hand herausragte. Die dünnen Finger tasteten sich über den Boden wie die Beine einer Spinne und alles in Hermine sträubte sich dagegen, sitzen zu bleiben.
Doch sie hatte die Hand erkannt. Sechs Jahre lang hatte sie sie dabei beobachtet, wie sie Zutaten zerkleinert, schlechte Noten verteilt und böse Worte mit präzisen Gesten unterstrichen hatte. Die Hände Severus Snapes hätte sie wohl unter Hunderten erkannt.
Also schluckte sie ihre Panik und krabbelte über Steine und Holzbalken hinweg zu ihrem ehemaligen Lehrer. Er lag auf dem Bauch, allerdings in einer so verkrümmten Haltung, dass Hermine auch ohne medizinische Kenntnisse wusste, dass er schwer verletzt sein musste. Warum hatten die Todesser ihn zurückgelassen? Er war doch einer von ihnen.
Oder?
Mit zitternden Händen tastete sie nach seinen Schultern und drehte ihn herum, damit sie ihm ins Gesicht sehen konnte. Er stieß einen markerschütternden Schrei aus.
Dann fiel flackerndes Licht auf sein Gesicht und Hermines Magen zog sich zusammen. Es war kaum mehr als solches zu erkennen. Das rechte Auge war zugeschwollen, die Lippen aufgesprungen und dick. Dann wurde ihr bewusst, dass seine ganze rechte Gesichtshälfte nicht etwa im Schatten lag, sondern von Blutergüssen schwarz verfärbt war. Das strähnige Haar klebte an seinen Schläfen und der Stirn und die ohnehin schiefe Nase sah aus, als wäre sie ein weiteres Mal gebrochen worden.
Snape hob seinen linken Arm und griff nach Hermines Schulter. So nahe er dem Tod auch sein mochte, er war alles andere als schwach. Sie hatte keine andere Wahl, als sich seinem Griff zu beugen und sich hinab zu lehnen in den durchdringenden Gestank, den seine Verbrennungen verströmten. Hermine würgte unwillkürlich und schmeckte sauren Magensaft auf ihrer Zunge.
„Miss Granger …“, begann der Mann, den sie sieben Jahre lang mit Leidenschaft gehasst und dennoch aus Respekt immer verteidigt hatte. „Hören Sie … mir zu!“
Sie hatte schon an ihren besten Tagen nicht genug Mut gehabt, sich ihm zu widersetzen, sie würde jetzt nicht damit anfangen. „Ich höre Ihnen zu“, wimmerte sie deswegen. Gleichzeitig hoffte sie, dass er schon zu schwach war, um ihr irgendetwas anzutun.
„Sie müssen ins Schloss gehen. Ins Büro des Schulleiters, Affodill. Neben dem Schreibtisch … gibt es einen kleinen Schrank … Illusionszauber … verborgen. Fünfte Schublade von … von …“ Er hustete und ein schwarzes Rinnsal lief aus seinem Mundwinkel und sickerte in seine Haare. „Fünfte Schublade von unten, Eremesticus. Es steht … alles … alles auf den … Pergamenten.“
Noch während er die Worte herauszwang, tastete er mit der freien Hand unter seinen Umhang und zog etwas hervor, das im Licht des Feuers golden glänzte. Er hielt es ihr hin und als sie den Gegenstand ergriff, erkannte sie es als den Goldring, von dem Harry ihr erzählt hatte. Jener Ring, in dessen gespaltenen schwarzen Stein das Peverell-Wappen eingraviert war. Es war der Horkrux, der Professor Dumbledore die Hand gekostet hatte.
„Sie werden ihn brauchen“, röchelte Snape und seine Stimme wurde merklich dünner.
Hermine nickte, während ihre Gedanken rasten. Nach allem, was sie im letzten Jahr über Snape gehört hatte – seinen Aufstieg zum Schulleiter, der gebilligte Einzug der Carrow-Geschwister ins Lehrerkollegium, seine offensichtliche Loyalität gegenüber dem Dunklen Lord – kam es ihr vor wie ein schlechter Scherz, dass ausrechnet er ihr anscheinend Anweisungen gab, die … was? Zum Ende des Krieges führen könnten? War das möglich? Konnte sie ihm vertrauen?
Hermine schluckte. Konnten sie es sich leisten, ihm nicht zu vertrauen? Nein. Nein, das konnten sie nicht.
Nichtsdestotrotz empfand sie für ihn nicht mehr als Abscheu und so versuchte sie sich aus seinem klammernden Griff zu befreien, um zum Schloss zu apparieren. Sie musste es wenigstens versuchen.
Das einzige, das sie daran hinderte, war der nach wie vor feste Griff, mit dem Snape ihre Schulter festhielt. „Sie müssen mich loslassen, Sir“, sagte Hermine deswegen und zerrte an den dünnen Fingern des sterbenden Mannes.
„Nein, eines noch. Miss Granger … nach dem Krieg …“
Doch er kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden. Ein grüner Blitz schoss irregeleitet durch die Dunkelheit und traf Snape direkt in den Kopf. Hermine erschrak heftig und wich zurück. Für einen kurzen Moment konnte sie noch die starren, schwarzen Augen des Tränkemeisters erkennen. Die riesigen Pupillen und den dunkelbraunen, schmalen Rand der Iris.
Dann disapparierte sie, bevor derjenige, der Severus Snape getötet hatte, auf sie aufmerksam werden konnte.
Sie landete mit dem Gesicht im feuchten Gras und sog den frischen Geruch dankbar in ihre geschundenen Lungen. Einige Sekunden erlaubte sie es sich, liegen zu bleiben und sich der wunderbaren Illusion von Frieden hinzugeben. Dann ertönte ein markerschütternder Knall hinter ihr, ein lauter Schrei folgte. Hermine setzte sich auf.
Die Luft war klarer hier. In der Ferne konnte sie Fackeln erkennen, die langsam den gewundenen Pfad entlang tanzten. Dahinter – wie eine Kulisse aus einem alten Kriegsfilm – die viel größeren Flammen, die das gefallene Dorf zerfraßen.
Hermine stemmte sich auf die Beine und für einen Moment tauchte das Bild ihres verstorbenen Lehrers vor ihr auf. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle; nicht, weil sie Severus Snapes Tod bedauerte, sondern weil sie es nicht tat, obwohl er es möglicherweise verdient hätte.
Sie blinzelte und sowohl das Bild, als auch ihre Gedanken verschwanden. Schwankend kam sie auf die Beine und lief an der äußeren Grenze des Schlossgrunds entlang. Vor einigen Monaten hatte Ginny ihr eine Eule geschickt. Bei ihrem letzten Treffen hatte Hermine ihr aufgetragen, eine Möglichkeit zu finden, ein Schlupfloch in die Banne zu bauen, die Hogwarts schützen sollten. Es war ihr gelungen, auch wenn sie nicht geschrieben hatte wie. Doch dieses Detail interessierte Hermine nur zweitrangig.
Jetzt musste sie das Schlupfloch finden, ohne zu viel Zeit zu verlieren. Mehr stolpernd als laufend schlug sie sich durch die Büsche und das hohe Gras, gab sich Mühe, dabei so viele Alarme wie möglich zu aktivieren. Sie stieß einen erleichterten Laut aus, als sie endlich fündig wurde.
Mit einem letzten Blick zurück zur Prozession der Todesser schlüpfte sie durch das Loch im Zaun und verschloss es nach kurzem Zögern, einem bangen Gedanken an Harry und Ron, hinter sich. „Tut mir leid, Jungs.“
Nun, da sie wieder festen und vor allem ebenen Boden unter den Füßen hatte, kam sie besser voran. Am Rand des Weges entlang bewegte sie sich zielstrebig auf die großen Flügeltüren zu und musste feststellen, dass sich im Schloss nach wie vor nichts regte. Sie schluckte und zwängte sich schwer atmend durch einen schmalen Spalt in den Türen. Wie schön musste es sein, jetzt in einem der Himmelbetten zu liegen und nichtsahnend zu schlafen.
Noch ehe sie sich umdrehen und einen klaren Gedanken fassen konnte, stolperte Hermine in jemanden hinein. Jemand großen, dessen Umhang sich rau auf ihrer Wange anfühlte. Der dicke Stoff erstickte ihren Schrei und als sie zurückwich und aufsah, erkannte sie zu ihrer Erleichterung das haarige Gesicht Hagrids.
„'Ermine!“, brachte er mit schwach klingender Stimme hervor und zog sie wieder an sich.
Hagrids Umarmung war wie ein Schraubstock. Sämtliche Luft wurde aus ihren Lungen gepresst und ein weiteres Mal schmeckte sie dieses säuerliche Aroma auf ihrer Zunge. Und dennoch hätte sie sich am liebsten für immer in der verführerischen Sicherheit dieser Umarmung versteckt.
„Hagrid, du musst mir helfen!“, sagte sie, sobald sie wieder auf eigenen Beinen stand.
„Womit?“, brummte er und seine kleinen, schwarzen Augen fixierten ihr Gesicht mit einer ihr bis dato unbekannten Ernsthaftigkeit.
„Die Todesser sind auf dem Weg hierher. Du musst die ältesten und fähigsten Schüler aus allen Häusern versammeln und sie anführen.“
„Wie … anführ'n? Aber … Wo sin' Harry und Ron? Un' die Lehrer?“
„Vor den Toren des Schlosses. Sie haben es nicht geschafft, die Todesser aufzuhalten. Wir haben keine Zeit mehr! Bitte mach, was ich dir gesagt habe! Wenn alles glatt läuft, müsst ihr höchstens eine halbe Stunde durchhalten.“
„Aber …“, wollte er erneut etwas einwenden.
„Hagrid, bitte!“ Hermines Augen schwammen in Tränen, als sie zu ihm aufsah.
Das war es wohl letztendlich auch, was ihn nicken ließ. Hermine dankte ihm mit einem Lächeln und lief dann an ihm vorbei auf die große Wendeltreppe zu. „Oh, und Hagrid!“ Er sah sie an. „Pass auf, dass ihr so wenig Licht wie möglich macht. Du-weißt-schon-wer wird es sonst sehen.“ Ein weiteres Nicken, dann ging er los.
Als Hermine das Stockwerk, in dem das Schulleiterbüro lag, endlich erreicht hatte, konnte sie bereits das leise Summen von Gesprächen hören, mit denen die Gemälde im gesamten Gebäude die Neuigkeiten verbreiteten. Insgeheim hoffte sie, dass nicht nur die Mitglieder des Ordens die Schule verlassen hatten, sondern auch die Carrows.
Mit zitternden Beinen kam sie schließlich vor dem Wasserspeier zum Stehen und stützte sich hart an der Statue ab. Die Kälte des Steins fühlte sich auf ihren wunden Händen so wohltuend an wie fließend kaltes Wasser und als ihre Fingerspitzen über die raue Oberfläche strichen, wurde ihr mit der Wucht eines Stupors bewusst, dass das hier wirklich passierte.
Nach einigen Momenten war sie wieder dazu in der Lage, ein verständliches Wort zu formulieren, und benutzte das erste der beiden Passwörter, die Professor Snape ihr genannt hatte und die seitdem in ihrem Kopf rotierten: „Affodill!“
Der Wasserspeier sah sie skeptisch an und Hermine meinte sogar erkennen zu können, dass er die Augen etwas verengte. Doch dann musste er einsehen, dass sie mit dem richtigen Passwort durchaus das Recht hatte, Einlass zu fordern. Auch wenn sie nicht Severus Snape war.
Also gab er die Wendeltreppe frei, die sie hinauf ins Büro führte.
Normalerweise hätte sie angesichts der dunklen Buchenholztür gezögert, mit Sicherheit sogar angeklopft. Doch bevor der Wasserspeier wieder an seinen Platz geglitten war, hatte Hermine einige Rufe gehört, die sie nicht hatte zuordnen können. Die Zeit des Zögerns war vorbei.
Sie drückte die Klinke hinunter und die Tür schwang auf, knallte gegen die Wand. Fawkes, der vermutlich schon vorher nervös gewesen war, flatterte kreischend in die Luft und verbreitete auch im Schulleiterbüro den strengen Geruch von Verbranntem.
Hermine rümpfte die Nase. „Fawkes, bitte … beruhige dich!“, sagte sie, klang dabei jedoch ganz und gar nicht ruhig. Harsch, so hatte sie geklungen.
Doch wie schon so oft zuvor bewies der Phönix auch heute ein instinktives Gespür für die Gemütslage der Menschen in seiner Umgebung. Denn nach einer weiteren Runde unter der hohen Decke des Büros landete er wieder auf seiner Stange und stieß ein paar melodische Töne aus, die bis in Hermines Innerstes vibrierten und ihren Puls beruhigten, als würden sie die Sprache ihres Herzens sprechen.
„Danke.“ Sie lächelte wackelig, ehe sie zu dem breiten Schreibtisch ging, den sie nur zu Dumbledores Zeiten kennengelernt hatte. Damals war er von hellem Holz gewesen. Birke vielleicht. Oder Buche. Jetzt war er schwarz. Allein die ihr bekannten Schnitzereien und kunstvoll geschwungenen Beine verrieten ihr, dass es noch immer derselbe Tisch war.
Es gab allerdings noch etwas, das ihn von früher unterschied. Als Dumbledore noch Schulleiter gewesen war, war die Tischplatte überfüllt gewesen mit Pergamenten, verschiedenfarbigen Tintenfässern, Büchern und allerhand Gegenständen, die blitzten, blinkten oder surrten. Jetzt war er – abgesehen von einem halb in die Tischplatte eingelassenen Tintenfass mit Federhalter – komplett leer.
Hermine atmete durch den Mund, als sie den Tisch umrundete und sich auf den riesigen Stuhl setzte, den sie darunter hervorgezogen hatte. Sie traute sich kaum, mit ihren dreckigen Fingern die Ordnung und Sauberkeit zu berühren. Es war, als würde sie den Krieg damit auch noch in den letzten Winkel der magischen Welt bringen.
Im nächsten Moment riss Fawkes sie mit einem Pfeifen aus ihren Gedanken und Hermine blinzelte heftig. Kopfschüttelnd befreite sie sich von ihren Hemmungen und wandte sich dem Ort zu, an dem angeblich das verborgene Schränkchen stehen sollte.
Hermine ließ den Zauberstab aus ihrem Ärmel in die Hand gleiten und schwang ihn in einem Halbkreis durch die Luft. „Aparecium!“
An der Linie, die sie mit der Zauberstabspitze ins Nichts gemalt hatte, begann die Luft zu flirren wie an einem heißen Sommertag. Zuerst nur verschwommen, doch nach und nach immer deutlicher zeichneten sich die Umrisse eines Schrankes mit vielen Schubladen ab. Er war vielleicht einen Meter hoch und einen halben Meter breit, passte gerade so eben in den Raum zwischen Schreibtisch und äußerer Wand.
Allerdings musste Hermine feststellen, dass Professor Snapes Beschreibung etwas ungenau gewesen war. Es gab nämlich vier fünfte Schubladen von unten.
Wimmernd rutschte sie auf den Boden und probierte die Reihe durch in der Hoffnung, dass es genau eine gab, die sich nicht ohne Passwort öffnen ließ. Doch erneut wurde sie enttäuscht; keine einzige Schublade ließ sich ohne Passwort öffnen.
Also begann sie wieder von vorne und rüttelte an jedem der kupfernen, filigran verzierten Griffe, während sie das zweite Passwort – Eremesticus – murmelte. Natürlich war es die letzte, die darauf reagierte.
Hermine schluchzte vor Erleichterung und zerrte die teils gefalteten, teils gerollten Pergamente aus der engen Schublade, breitete sie auf der dunklen Tischplatte aus.
Es waren insgesamt drei Seiten. Eine davon bestand nur aus Zeichnungen, die offenbar den Aufbau eines Ritualtisches zeigten. Die zweite war übersät mit Notizen in Snapes schlimmster Handschrift. Er hatte ohnehin schon keine deutliche Schrift, doch bei einigen Worten auf dieser Seite war sie sich nicht einmal sicher, ob es nicht Runen waren.
Die dritte Seite hingegen war von jemand anderem verfasst worden. Die Schrift war fast genauso schwer zu entziffern, teils verblasst, aber sie schaffte es, genug davon zu verstehen. Professor Snape musste dieses Ritual erst kürzlich entdeckt haben. Denn wenn Professor Dumbledore es gekannt hätte, hätte er es sicherlich schon früher genutzt, um das größte Problem der magischen Welt zu beseitigen.
Es ermöglichte es einem, die Magie einer bestimmten Person in einen Gegenstand (anscheinend ein bestimmter, doch an der Stelle war der Text so verblichen, dass Hermine nichts entziffern konnte) zu sperren. In Voldmorts Fall musste dies bedeuten, dass er absolut ungefährlich und vielleicht sogar tot wäre – schließlich existierte er nur durch seine Magie.
In Hermines Bauch kitzelte es und sie zog das Pergament mit den Zeichnungen hervor. Aufmerksam betrachtete sie das Bild, dann begann sie die Schubladen des Schreibtisches nach den benötigten Utensilien zu durchsuchen.
Zuerst schnappte sie sich eine Feder und verwandelte sie in ein Stück Kreide, mit dem sie einen einigermaßen runden Kreis auf die schwarze Tischplatte malte.
Hinter ihr knackte es in diversen Bilderrahmen, als die ehemaligen Schulleiter sich vorbeugten, um besser sehen zu können. Zweifellos hatte die Nachricht der sich nähernden Todesser auch sie erreicht.
Hermine malte noch einen weiteren, kleineren Kreis in den ersten hinein, so dass ein Doppelrahmen entstand. Diesen füllte sie, streng nach Zeichnung, mit Runen. Zwar hatte sie das Fach vier Jahre lang in Hogwarts belegt, doch diese hier waren so komplex, dass Hermine kaum etwas davon verstand. Magie dieser Art überstieg ihr Können bei Weitem. Aber sie hatte beschlossen, Professor Snape zu vertrauen.
Der Boden unter ihren Füßen bebte. Hermine hielt sich an der Tischplatte fest, dann malte sie schneller.
Als sie sich dem Innenleben des Ritualplatzes zuwenden wollte, stockte sie allerdings. Zu diesem Teil des Bildes gab es eine Erklärung auf dem Pergament, die sie erst lesen konnte, als sie damit zur Kerze hinüberging. Bei dem dritten, kleinsten Kreis in der Mitte handelte es sich nicht um eine gezeichnete Linie, sondern um den Platz für einen Becher, der mit einer bestimmten Lösung – der Mixtura Romatica – gefüllt sein musste.
Ernüchtert ließ Hermine das Pergament sinken und starrte blicklos auf die Tischplatte. Das war es also. Sie hatte weder den Becher, noch die Lösung. Sie hatte nicht einmal das Rezept für die Lösung! Sie schluchzte und ein paar Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie mit zitternden Händen das Pergament sinken ließ.
Ein leises Räuspern hinter ihr ließ sie zusammenfahren. Mit rasendem Herzschlag wandte sie sich um und blickte direkt in die blauen Augen Albus Dumbledores. Ein hoffnungsvoller Laut entwich ihr. Er war vermutlich hier gewesen, als Professor Snape das Ritual erforscht hatte. Vielleicht …
„Professor Dumbledore …“, sagte sie, doch der alte Mann hob seine Hand und lächelte wissend.
„Die zweite Schublade von oben, dritte Reihe, Miss Granger. Das Passwort ist Potestas.“ Er zwinkerte und lehnte sich dann wieder in seinem Sessel zurück.
Hermine wirbelte wieder zum Schränkchen herum und zählte die Schubladen ab. Dank der präzisen Anweisung Professor Dumbledores konnte sie die richtige dieses Mal sofort öffnen. Und schnappte nach Luft, als sie den Inhalt sah.
Der Becher, den das Ritual forderte, war in Wirklichkeit ein Kelch. Im ersten Moment glaubte Hermine, es wäre der Kelch von Helga Hufflepuff; sie hatte in den letzten Monaten zu viel Zeit damit verbracht, über den Kelch nachzudenken. Dieser Kelch war zwar auch golden und alt, doch seine Verzierungen waren andere. Er wies dieselben Runen auf, die sie auch auf den Schreibtisch gemalt hatte.
Daneben fand sie eine Phiole mit einer klaren Flüssigkeit. Zwar war sie nicht beschriftet, doch zur Feier des Tages wagte Hermine es, sich weit aus dem Fenster zu lehnen, und beschloss, dass es die Mixtura Romatica war.
Also stellte sie den Kelch an seinen Platz und goss die Lösung hinein.
Dann nahm sie wieder das alte Pergament mit dem Ablauf des Rituals zur Hand und kniff die Augen zusammen, um die Stelle mit dem Gegenstand, in den sie die Magie Voldemorts leiten sollte, zu entziffern.
Nach einigen Minuten und zwei vor Verzweiflung abgekauten Nägeln hatte sie herausgefunden, dass es sich um eine Kette handelte. Genauer einen Anhänger an einer Kette. Und da Professor Dumbledore sich weiterhin still verhielt, untersuchte sie die Schublade, aus der sie auch den Kelch und die Lösung gezogen hatte, noch einmal genauer.
Die Kette steckte ganz hinten, der Anhänger hatte sich verkantet. Mit einem Ruck, der den ganzen Schrank zum Wackeln brachte, zog Hermine sie hervor und betrachtete sie im Licht der Kerzen. Der Anhänger bestand aus einem weißen Stein, der in Silber gefasst war. Die Kette, an der er hing, war sehr feingliedrig. Und sie war zweifellos alt. Sehr alt.
Blinzelnd löste sie den Blick von dem Schmuckstück und las weiter. Sie schnaubte leise, als der Text ihr verriet, dass sie die Kette tragen musste, wenn sie das Ritual durchführte. Nach kurzem Zögern tat sie auch das und ihr Blick flog zum letzten Absatz der Erklärung.
Darin ging es um den Horkrux. Beziehungsweise um einen persönlichen Gegenstand der Person, dessen Magie absorbiert werden sollte. Doch Hermine war sich ziemlich sicher, dass Professor Snape ihr für diesen Zweck den ehemaligen Horkrux gegeben hatte. Sie zog ihn aus der Tasche und ließ ihn – den Anweisungen folgend – in den Kelch fallen.
Nach einem weiteren, stärkeren Beben und einem Anflug von Panik stand Hermine auf und stellte sich vor den Schreibtisch. Sie atmete mehrmals tief durch und versuchte ihre flatternden Nerven zu beruhigen. Dann hob sie das Pergament in die Luft und begann die letzten Worte darauf, die Beschwörung, laut vorzulesen. Sie war in Professor Snapes Handschrift verfasst.
„Exorcizo te, immunda magice, sub nomine obscurum principem …“
Ihr Latein war alles andere als gut, doch für das Ritual schien es zu genügen. Wind erhob sich in dem geschlossenen Raum, zuerst ganz sachte, dann immer stärker. Schon nach diesen wenigen Worten musste Hermine sich gegen die Kraft der Luft stemmen, indem sie sich nach vorn lehnte. Das Pergament in ihrer Hand flatterte und Fawkes kreischte laut, breitete die Flügel aus und flog in eine Ecke des Raumes, in der die Gefahr, versehentlich ein Feuer zu verursachen, geringer war.
„Illa potentia diabolica, illa potestas hostis infernalis, illae vires daemonicae, illa caterva, illa congeries.“
Hinter Hermine zersprangen klirrend die Fensterscheiben und während die Scherben in die Nacht hinaus flogen, duckte sie sich instinktiv und konnte nur schwer einen Schrei unterdrücken. Mit rasendem Herzschlag schüttelte sie das Pergament aus und las weiter.
„Perrumpe vallum occlumentis, relinque corpus, oboedi imperio meo, seque dictu!“
Mit dem letzten Wort der Beschwörung zog schwarzer Rauch durch die zerstörten Fenster ins Büro der Schulleiter. Die Wolke umhüllte Hermine, ohne sie zu berühren, und tauchte dann in den Kelch ein. Die zuvor klare Flüssigkeit verfärbte sich schwarz und begann zu brodeln. Ein Wirbel bildete sich an der Oberfläche, der sich immer schneller drehte, bis Hermine den Grund des Kelches erkennen konnte.
Sie wusste nicht, was es war, doch eine Kraft zog ihren Oberkörper weiter nach vorn, bis der Anhänger direkt über dem Mittelpunkt des Kelches baumelte. Schweiß brach ihr aus allen Poren, eiskalt. Sie klammerte sich an der Kante des Schreibtisches fest.
Während der heftige Wind ihre Haare zerzauste, Bücher aus den Regalen riss und sogar Fawkes' Stange umwarf, stieg die dunkel verfärbte Mixtura Romatica langsam am Rand des Kelches hinauf und legte eine immer größere Fläche des Grundes frei. Golden schimmerte der Punkt in der Mitte der Flüssigkeit.
Dann, als sie den oberen Rand erreicht hatte, formte sie einen spitz zulaufenden Kegel und näherte sich immer mehr dem Anhänger. Obwohl dieser gut zehn Zentimeter unter ihrem Gesicht hing, konnte Hermine die Hitze spüren, die von der Mixtura ausging. Und als die ersten Tropfen den Anhänger berührten, floss heißer, sengender Schmerz durch ihren gesamten Körper.
Hermine schrie. Es war, als würde man ihr heiße Messer ins Fleisch treiben. Es riss sie auseinander. Sie kniff die Augen zusammen und flehte, dass es aufhörte! Flehte, dass es sie umbrachte.
Und dann hörte es auf, kaum dass sie ihren Gedanken zu Ende geführt hatte.
Als sie erwachte, lag sie mit der Wange in einer Lache aus Wasser.
Das zumindest war ihr erster Gedanke, als sie blinzelte und die Pfütze vor sich sah. Dann erkannte sie den umgekippten Becher, der bis an den Rand des Schreibtisches gerollt, allerdings nicht hinuntergefallen war, und die Erinnerungen kehrten zurück.
Erschrocken hob Hermine den Kopf. Sie hatte auf dem Schreibtisch gelegen. Das Wasser war vermutlich die Mixtura Romatica, doch als solche benutzen konnte man sie wohl nicht mehr; die Kreide, mit der sie den Doppelkreis und die Runen auf den Tisch gemalt hatte, hatte sich teilweise darin gelöst.
Instinktiv wischte Hermine sich mit den Fingern durch die Haare und verzog das Gesicht, als ein Echo des Schmerzes durch ihre Muskeln fuhr. Ihr ganzer Körper pochte. Stöhnend stemmte sie sich auf die Tischplatte und versuchte, auf eigenen Beinen zu stehen.
Nach ein paar Herzschlägen legte sich der Schwindel und sie sah sich im Büro um – wobei ihre Augen immer größer wurden.
Als hätte eine Bombe eingeschlagen. Kein Buch stand mehr an seinem Platz. Pergamente waren quer über den gesamten Boden verstreut. Vom kaputten Fenster wehte noch immer Wind durch das Büro und trieb alles vor sich her, was leicht genug war. Der Schrank, an dem sie vorhin zwei Schubladen geöffnet hatte, war umgekippt. Und Fawkes hatte anscheinend die Flucht ergriffen. Für einen Moment fühlte sie sich, als wäre sie die einzige Überlebende des Weltunterganges.
Hastig griff sie in ihre Hosentasche und zog die beiden Steine heraus, die sie über den Gesundheitszustand von Harry und Ron informieren konnten. Hermine hatte sie vor einem halben Jahr damit versorgt und atmete nun erleichtert auf, als sie die beiden glühenden Steine sah. Rons leuchtete grün, was bedeutete, dass er sich bester Gesundheit erfreute. Harrys war gelb. Bis auf leichte Verletzungen ging es also auch ihm gut.
Sie sah an sich herab und ihr Blick fiel auf den Anhänger. Jetzt war er nicht mehr weiß, sondern pechschwarz. Und sie hätte schwören können, dass er auch an Gewicht zugelegt hatte. Er hatte seinen Zweck erfüllt.
Sie wollte die Kette abnehmen – nur um festzustellen, dass diese sich dabei immer enger zuzog.
Adrenalin rauschte durch ihren Körper, ihr Herz begann zu rasen. Wild zerrte sie an der Kette und suchte nach dem Verschluss. Nur dass die feingliedrige Silberkette keinen Verschluss hatte.
Also versuchte sie ein weiteres Mal, sie über den Kopf zu streifen, mit demselben Ergebnis wie beim ersten Mal. Sie strangulierte sich beinahe damit.
„Was ist das?“, fragte sie schließlich in den verlassenen Raum hinein und hob den Blick zu Professor Dumbledores Porträt. Es war leer.
Und nicht nur das Porträt von ihm, nein alle Porträts waren verlassen.
War sie vorher aufgeregt gewesen, so breitete sich nun nackte Panik in Hermines Körper aus. Sie drehte sich einmal um sich selbst, was ihr nicht mehr brachte als den Schwindel zurück. Dann stürzte sie zum Schreibtisch und durchwühlte die darauf liegenden Pergamente nach dem bestimmten, das ihr vielleicht eine Antwort geben könnte. Nach dem Pergament, auf dem Snape seine Notizen gemacht hatte.
Aber es war nicht da.
Das Blut rauschte laut in ihren Ohren, während sie ihre Hände auf der kühlen Tischplatte abstützte. Keines der Pergamente war mehr da. Und als ein weiterer Windstoß ins Büro zog und eines der anderen Blätter aufwirbelte, sah sie auch warum. Wie eine Feder trug der kühle Nachtwind das Pergament zum offenen Fenster hinüber, wo es bald leise flatternd in der Dunkelheit verschwand.
Hermine keuchte und stürzte zum Fenster. Sie lehnte den Oberkörper gefährlich weit hinaus, konnte jedoch nicht weit sehen. Da waren nur Baumwipfel.
Hermine wusste nicht, wohin mit sich. Gedanken flogen durch ihren Kopf wie Gewehrschüsse und das Blut kroch durch ihre Adern, als bestünde es aus Ameisen. Vorsichtig stakste sie über die am Boden liegenden Trümmer hinweg und suchte nach ihrem Zauberstab, der sich nicht mehr in ihrem Ärmel befand. Als sie ihn endlich aus einem Bücherhaufen gefischt hatte, wirbelte sie herum.
„Accio Pergament!“, seufzte sie erschöpft und deutete auf das zerborstene Fenster. Zähe Sekunden lang passierte gar nichts. Dann mischte sich ein leises Flattern unter das Ticken der Standuhr, die den Sturm überlebt hatte. Hermine streckte ihre Hand aus und fing das Pergament, das ihr den Hals retten sollte – im wahrsten Sinne des Wortes.
Doch schon als sie das Pergament berührte, spürte sie die Feuchtigkeit, die es aufgesogen hatte. „Nein nein nein“, wimmerte sie und starrte auf die leere Seite. Dann drehte sie es um. Doch außer ein paar verwischten Spuren schwarzer Tinte war nichts mehr zu erkennen. Das Pergament musste in irgendeinen Tümpel geweht worden sein.
Erschöpft sank sie zu Boden und starrte mit leerem Blick in den dunkel Nachthimmel hinaus. Minutenlang gab sie sich der absoluten Erschöpfung hin, nicht ein Gedanke schaffte den Weg von ihrem Verstand bis in ihre Glieder.
Und dann zuckte sie urplötzlich zusammen, als hätte sie einen Befehl bekommen. Sie kam stolpernd auf die Beine, griff nach ihrem davon gerollten Zauberstab und verließ fluchtartig das Büro. Schniefend wischte Hermine sich über die laufende Nase, während sie nervös darauf wartete, dass die Wendeltreppe am unteren Treppenabsatz angekommen war. Eilig quetschte sie sich durch den schmalen Spalt, den der Steinerne Wasserspeier bereits freigegeben hatte, und begann zu laufen.
Porträts und Rüstungen flogen an ihr vorbei, sie schlitterte über den glatten Boden und warf immer wieder flüchtige Blicke durch die alten Scheiben, die den Blick auf die Ländereien freigaben. Rauch stieg hier und da in die Luft auf, verwandelte den nahenden Sonnenaufgang in eine trübe Suppe aus eigentlich schönen Farben.
Als die Türen des Krankenflügels endlich in Sicht kamen, spürte Hermine ein schweres Gewicht von ihren Schultern fallen. Sie streckte die Hände nach vorne aus und stieß gegen das Holz, ohne ihr Tempo zu verringern. Schmerz zuckte ihre Arme hinauf, doch als sie in die Geschäftigkeit einer voll belegten Krankenstation tauchte, blieb sie stehen.
Die Luft um sie herum summte, war stickig und schwül. Der Geruch von Blut, Dreck und Angst schwebte um ihre Nase und ließ sie trocken würgen, bis sie es ausgeblendet hatte. Mit heftig schlagendem Herzen tastete ihr Blick die belegten Betten ab und blieb schließlich an einem hängen, in dessen weißen Laken ein zerzauster schwarzer Haarschopf lag.
„Harry!“ Mit wenigen großen Schritten war sie bei ihm und als sie um den Paravent bog, der das Bett nur halb verbarg, sah sie auch Ron, der auf einem Stuhl saß und ein vor Ruß und Dreck schwarzes Gesicht hatte.
„Mine!“, rief er erleichtert, sprang auf die Füße und umrundete das Bett, um sie zu umarmen. „Wo hast du gesteckt?“
Bevor sie antworten konnte, setzte Harry sich auf, grinste über das ganze Gesicht. „Wir haben es geschafft!“, platzte er mit glänzenden Augen hervor. „Voldemort ist tot. Es ist vorbei, Mine!“
„Jaah, aber erst nachdem er dich einmal ins Jenseits befördert hat!“, wandte Ron ein und klang schon wieder so, als hätten sie nicht mehr als ein weiteres Abenteuer überstanden. Hermine weigerte sich, genauer über die Worte nachzudenken.
Sie blinzelte heftig, als sie sich von Ron löste und auf Harry hinab sah. Die Freude über das Ende des Krieges, über den Beginn seiner Freiheit und die Erleichterung, nicht länger der Auserwählte zu sein, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
Unter ihrem Pullover jedoch lag die schwere Kette. Der Stein presste sich warm gegen ihre Haut und die Erschöpfung kam über sie, je länger sie hier stand.
Sie mussten es nicht wissen, entschied Hermine in diesem Moment. Niemand musste es wissen. Sie würde schon eine Lösung finden. Irgendwie.
Und so lächelte sie und nickte. „Ja, es ist vorbei.“
Chapter 2: Kapitel 1: Die Verfolgung – Teil 1
Chapter Text
Hermine Granger atmete erleichtert auf, als sie das Zimmer der frisch gebackenen Mutter verlassen und ihre Nase tief in die Krankenakte stecken durfte. Sie zog eine Feder aus ihrer Umhangtasche und fügte einige Notizen zu den alten hinzu.
'Postnatale Untersuchung unauffällig, Unguentum Sanatio verordnet.'
Danach schlug sie das Krankenblatt zu und schob es einer Medihexe entgegen. „Wer ist als nächstes an der Reihe?“, fragte sie und versuchte ihre Müdigkeit mit einem Lächeln zu überspielen.
„Eine Geburt in Kreißsaal 2. Ist eben reingekommen.“ Erneut wanderte eine Akte über den Tresen und Hermine nahm sie entgegen, um sich auf den Weg in den besagten Kreißsaal zu machen.
Auf der Entbindungsstation des St.-Mungo-Hospitals herrschte im Moment Hochbetrieb. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass der letzte Januar übermäßig kalt oder regnerisch gewesen war, aber die derzeitige Geburtenrate ließ etwas anderes vermuten. Sie hatte in den letzten zwei Wochen schon mehr als einen 'Unfall' entbunden. Und jeder davon hatte sie ein Stück weiter in ihre Resignation getrieben.
Überhaupt war es mit ihrer Laune nicht mehr besonders weit her, seitdem ihr gesundheitlicher Zustand sie dazu gezwungen hatte, die Abteilung zu wechseln. Bis vor einem Jahr hatte sie zwei Stockwerke tiefer gearbeitet auf der Station für magische Infektionskrankheiten. Sie hatte neben ihrer Arbeit Forschung betrieben und zusammen mit ihrem unmittelbaren Vorgesetzten zwei Heiltränke entwickelt. Sie hatte Spaß gehabt an dem, was sie getan hatte.
Und dann war sie daran erinnert worden, dass sie dem Krieg niemals vollkommen entfliehen würde.
Noch immer trug sie den pechschwarzen Anhänger um ihren Hals und egal wie oft sie versuchte ihn abzunehmen, mit welchen Zaubern oder Ritualen sie ihm begegnete – das Ergebnis war stets dasselbe wie damals im Büro der Schulleiter. Sie schien dazu verdammt zu sein, für den Rest ihres Lebens diese Kette zu tragen und wie es aussah, würde der Rest ihres Lebens nicht mehr lang sein. Die Kette, die Magie, die darin eingesperrt war, sie brachte sie langsam um.
Das hatte letztendlich bewirkt, was sechs Jahre Ignoranz und Benachteiligung nicht geschafft hatten – sie hasste Severus Snape leidenschaftlich dafür, dass er ihr dieses Schicksal aufgebürdet hatte.
Sie saß fest auf der Entbindungsstation, holte Kinder auf die Welt und stolperte dabei von einer Erkältung in die nächste, nur weil ihr Immunsystem mit der schwarzen Magie des Dunklen Lords komplett überfordert war. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie gar nicht mehr würde arbeiten können. Und von dort aus war es ein unbedeutender Schritt, bis sie Bill Weasley, Filius Flitwick und Severus 'Ich opfere alles und jeden, ohne zu zögern' Snape folgen würde. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Tod auch die Magie vernichten würde.
Ohne es zu merken, war Hermine an der Tür zum Kreißsaal 2 vorbeigelaufen und musste nun umdrehen. Um dabei nicht unnötig aufzufallen, blieb sie kurz stehen und schlug die Akte in ihrer Hand auf. Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, als sie den Namen der Patientin las.
Astoria Malfoy.
„Verdammt!“, fluchte sie leise und machte auf dem Absatz kehrt, um zum Empfang zurück zu laufen. Das letzte, was sie heute gebrauchen konnte, war eine Begegnung mit den letzten freien Todessern. Zwar gab sie sich Mühe, die Kette unter ihrer Kleidung zu verstecken, aber sie war so groß und schwer, dass sie es nicht komplett vermeiden konnte, dass jemand sie sah. So viele absurde Geschichten über ein und denselben Gegenstand hatte sie noch nie erfunden. Sie konnte es nicht riskieren, dass einer der Malfoys herausfand, was sie da um ihren Hals trug.
„Catherine!“, rief sie eine der Medihexen heran und musste sich nicht einmal anstrengen, um leidend auszusehen. „Kann sich eventuell Heiler Jacobs um die Patientin kümmern?“
„Tut mir leid, Heiler Jacobs hat das Gebäude bereits verlassen. Seine Schicht war vor einer Stunde zu Ende.“
Hermine warf einen Blick über ihre Schulter zu der großen Wanduhr, die über dem Eingang zur Entbindungsstation hing. Es war kurz nach neun. Sie steckte mitten in der Nachtschicht, in welcher grundsätzlich nur ein Heiler anwesend war. Es würde mindestens eine Stunde dauern, eine Vertretung zu erreichen und sie herzubekommen. Solange konnte sie die Malfoys nicht warten lassen – auch wenn sie es gerne getan hätte.
Sie seufzte schwer und nickte Catherine zu. Dann machte sie sich erneut auf den Weg zum Kreißsaal.
Letztendlich verlief dann doch alles problemloser, als Hermine befürchtet hatte. Zumindest was ihr kleines Geheimnis betraf.
Zwar konnte Draco seine angewiderten Blicke nicht für sich behalten (dass ausgerechnet sie diejenige sein sollte, die seinen Sohn das erste Mal berührte, schien ihm gewaltig gegen den Strich zu gehen – Hermine hingegen erlebte damit einen äußerst zufriedenstellenden Augenblick der Überlegenheit), doch Astoria selbst schien lieb zu sein. Zumindest soweit man es anhand der wenigen Fragen, die die junge Frau selbst beantworten durfte, beurteilen konnte.
Mittlerweile war es soweit, dass der jüngste Spross der Malfoy-Familie in absehbarer Zeit das Licht der Welt erblicken wollte und die Anstrengung und der Schmerz trieben die werdende Mutter immerhin soweit, dass sie sich von Draco nicht mehr bevormunden und schon gar nicht zum Schweigen bringen ließ.
„Ich schreie so viel, wie ich will, Draco Malfoy, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“, platzte sie irgendwann heraus und Hermine senkte ihren Kopf rasch zwischen ihre Beine, um ihr Grinsen zu verbergen.
„Sie haben es gleich geschafft“, informierte sie sie, nachdem sie ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte, versteifte sich jedoch instinktiv, als Draco sich vom Kopfende der Liege löste und sich neben Hermine stellte.
„Du solltest besser deine Frau unterstützen, anstatt mir bei der Arbeit über die Schulter zu schauen, Malfoy“, sagte Hermine eisig, rutschte jedoch ein kleines Stück zur Seite. Sie hatte Angst, dass er von hinten in ihre Bluse und dort den Anhänger sehen könnte. Von anderen delikaten Dingen mal abgesehen.
Doch als sie ihm einen flüchtigen Blick zuwarf, erkannte sie, dass ihre Sorge unbegründet war. Zum einen war Draco viel zu gefesselt von dem, was zwischen den Beinen seiner Frau vor sich ging, zum anderen schien ihm eben dieser Anblick nicht unbedingt zu bekommen. Er war beängstigend blass um die Nase geworden.
„Malfoy?“, fragte Hermine vorsichtig. „Draco!“ Doch er reagierte nicht. Nur schwer konnte sie sich davon abhalten, ihn als Frettchen zu betiteln. Dafür nahm sie, ohne genauer darüber nachzudenken, eine Hand unter dem Tuch hervor und schnipste vor seinem Gesicht; dass die Handschuhe, die sie trug, blutig waren, fiel ihr erst auf, als es zu spät war.
„Maggie!“, rief sie laut, damit die Medihexe, die im Nebenzimmer alles für den Säugling vorbereitete, sie über Astorias Schreien hinweg hören konnte.
„Ja?“
„Kümmer dich bitte um Mr Malfoy, bevor er mir ohnmächtig wird“, bat Hermine und wagte es dabei nicht, ihn aus den Augen zu lassen. Er hatte bereits bedenklich zu schwanken begonnen. Als würde Astoria ihn mit ihren tiefen Atemzügen umpusten.
Maggie schaffte es gerade noch rechtzeitig, Draco am Arm zu fassen und zu einem Stuhl hinüber zu geleiten. „Am besten bringst du ihn erst mal raus, damit er sich irgendwo hinlegen kann“, sagte Hermine, mittlerweile wieder völlig auf die Geburt konzentriert.
Nachdem das leise Murmeln Maggies verklungen war und die Tür sich hinter den beiden geschlossen hatte, lächelte Hermine Astoria zuversichtlich an. „So, und jetzt werden wir dieses Kind zur Welt bringen!“
Bei Merlin, wie sie es hasste.
Um zwei Uhr morgens war es dann auf der Station soweit ruhig, dass Hermine es wagen konnte, sich in den Aufenthaltsraum für Heiler zurückzuziehen. Erschöpft fiel sie auf das schmale Bett und machte sich nicht einmal die Mühe, ihren Kittel zu öffnen oder eine Kerze zu entzünden. Sie drehte sich nur noch in eine bequeme Position und war schon dabei fast eingeschlafen.
Dass sie Albträume haben würde, ahnte sie bereits, bevor der erste begann. Es war ein Instinkt, ähnlich dem von alten Menschen, die genau wussten, dass das Wetter umschlagen würde. Und auch sie zweifelte nicht eine Sekunde.
Die Albträume waren in den vergangenen acht Jahren ebenso zu ihren Begleitern geworden wie die Infektionen und die Kopfschmerzen, die nachlassende Leistungsfähigkeit und die Ausfälle ihrer magischen Kraft, wenn sie besonders erschöpft war. Sie hatte den Verdacht, dass der Anhänger nicht ganz dicht war und stetig etwas schwarze Magie absonderte, gegen die ihr Körper sich zu wehren versuchte. Doch so viel sie auch recherchierte, sie hatte bisher noch nichts gefunden, das ihr irgendwie hatte weiterhelfen können.
Abgesehen von Okklumentik. Sie hatte diese Kunst des Verstandes mittlerweile soweit perfektioniert, wie es ohne Lehrer möglich war. Aber wenn sie zu müde war, fehlte ihr auch die Kraft für Okklumentik.
Also hatte sie die Träume irgendwann akzeptiert und festgestellt, dass sie dadurch weniger anstrengend waren. Sie betrachtete die Bilder wie einen Film, der nichts mit ihr zu tun hatte. Nur einem kleinen Teil ihres Verstandes war bewusst, dass es vermutlich Erinnerungen Voldemorts waren, die sie im Schlaf heimsuchten.
Sie trug den dreckigen Bastard über ihrem Herzen und konnte ihm nicht entkommen.
So kam es, dass sie heftig aus dem Schlaf schreckte, als es an der Tür klopfte. Hermine saß senkrecht im Bett und musste einen Moment gegen den Schwindel ankämpfen, ehe sie klar sehen konnte. Deborah stand in der Tür und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Entschuldige, was hast du gesagt?“, fragte Hermine, während sie ihre Schuhe suchte und die letzten Reste des Schlafes und vor allem des Albtraumes abschüttelte. Es war irgendeine Folter gewesen.
„Die Patientin aus Zimmer 5 hört nicht auf zu bluten. Wir brauchen dich!“
Hermines Verstand begann zu arbeiten. Zimmer 5 … Das war … nein, das war nicht Astoria Malfoy. Sie atmete auf. „Ich komme.“
Nach der Morgenvisite, als draußen allmählich die Sonne aufging, vermerkte Hermine erschöpft, aber vor allem erleichtert, dass alles in Ordnung war und Astoria Malfoy im Laufe des Vormittags das Hospital verlassen durfte. Der kleine Scorpius Hyperion (und Hermine hatte sich den Namen buchstabieren lassen, um jeglichen Zweifel auszuschließen) trank gierig und auch die Mutter war dank einiger Tränke und Salben körperlich wieder hergestellt.
Wenn Hermine Geburten in der magischen Welt mit denen in der Muggelwelt verglich, überkam sie trotz ihrer Abneigungen für dieses Fachgebiet stets das Verlangen, so viele Muggelärzte, wie sie überzeugen konnte, herzuschleppen und ihnen die Möglichkeiten zu zeigen. Glücklicherweise war sie vernünftig genug, um nicht einmal einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden.
Sie sehnte erschöpft und vollkommen übermüdet ihren Feierabend herbei, als sie das Zimmer verließ. Dabei verhakte sich ihr Ärmel an der Türklinke und die Akte rutschte ihr aus den Händen, so dass die darin liegenden Pergamente sich quer über den weißen Boden verteilten.
Hermine seufzte und ging in die Hocke, um alles wieder in den Pappmantel zurückzuschieben. Als sie sich aufrichtete, stolperte sie einen Schritt nach vorne und dieser Anstoß genügte dem schweren Anhänger, um aus ihrer Bluse zu rutschen.
Mit heftig schlagendem Herzen richtete sie sich auf und hatte gerade die Kette wieder an ihren Platz getan, als sie feststellte, dass jemand direkt vor ihr zum Stehen gekommen war. Sehr langsam und mit stetig wachsender schlechter Vorahnung hob sie den Blick und fand sich schließlich dem einen Menschen gegenüber, dem sie niemals wieder persönlich hatte begegnen wollen: Lucius Malfoy.
Hermine schluckte, während er ihren Blick erwiderte. Und ein eiskaltes Gefühl lief ihr den Rücken hinunter, als seine Augen ihr Gesicht verließen und die Stelle ihrer Bluse fixierten, an der der Anhänger lag.
Einem Reflex folgend, griff sie danach und biss die Zähne fest aufeinander. Ein spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen, als er mit deutlichem Desinteresse fragte: „Ist Ihnen nicht gut?“
Der Klang seiner Stimme war es schließlich, der Hermine aus ihrer Starre riss. Sie trat einen Schritt zurück, wobei sie beinahe einen Medimagier anrempelte, der mit einem Tablett voller Phiolen von Zimmer zu Zimmer lief. Mit einer kurzen Geste entschuldigte sie sich und reckte ihr Kinn vor, ehe sie sich wieder Malfoy zuwandte: „Es ist alles in Ordnung. Ihrer Schwiegertochter geht es übrigens auch gut, Sir. Sie können Sie nachher mit nach Hause nehmen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“
Dann duckte sie sich an ihm vorbei und lief auf die Tür zum Aufenthaltsraum zu wie ein Langstreckenläufer auf die Ziellinie. Der Knall der sich schließenden Tür hallte vermutlich über das ganze Stockwerk, doch Hermine hatte keinen Gedanken dafür übrig.
Als hätte sie den Geist eines gesund geglaubten Bekannten gesehen, lief sie in dem kleinen Raum auf und ab. Dabei fuhr sie sich mit gespreizten Fingern durch die Haare und versuchte, ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen. Sie musste atmen, ehe sie noch das Bewusstsein verlor (was nicht das erste Mal wäre). Sie musste sich beruhigen!
Hatte er den Anhänger gesehen? Sicherlich. Er musste ihn gesehen haben, denn er war von vorne gekommen. Vermutlich hatte er sie die ganze Zeit beobachtet, von dem Moment an, in dem sie die Akte hatte fallen lassen. Es gab keine andere Möglichkeit. Er musste … er hatte … er würde …
Und da war sie, die Panik.
Ein paar Augenblicke später stürzte Hermine wieder auf den Flur und knallte die Tür ein zweites Mal zu. Ihre Wangen pochten und sie hätte sich am liebsten hinter ihren Locken versteckt. Stattdessen bog sie ins Pflegezimmer ab und steuerte den Tränkeschrank an.
Mit zitternden Fingern durchwühlte sie die Glasfläschchen auf der Suche nach einem Beruhigungstrank. Trunk des Friedens, Trunk des Friedens, er musste hier irgendwo sein! Sie kam sich vor wie ein Drogenjunkie, als sie endlich fündig wurde und den Inhalt der Flasche ohne abzusetzen herunterstürzte. Mit dem Trank sank ihr Puls und auch das Adrenalin verlor seine Wirkung.
Nichtsdestotrotz zitterten ihre Hände noch, als sie die leere Flasche zu den anderen, von Patientinnen geleerten Behältern stellte und einen Vermerk in der Inventarliste machte. Deswegen nahm sie sich noch ein paar Minuten, um tief durchzuatmen und ihre Gedanken zu ordnen, ehe sie zur Anmeldung ging.
„Machen Sie bitte die Entlassungspapiere für Mrs Malfoy fertig, sie kann gehen, sobald sie sich dazu in der Lage fühlt“, trat sie der Medihexe gegenüber, als ob nichts passiert wäre. „Ist Heilerin Higgins schon da?“
„Ja, sie ist gerade reingekommen.“
Hermine konnte regelrecht hören, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel. „Gut. Bitten Sie sie, meine Visite zu übernehmen. Ich hab gerade eine Eule bekommen, familiärer Notfall.“
„In Ordnung, Heilerin Granger.“ Die Medihexe – Hermine hatte nicht die geringste Ahnung, wer es war – lächelte mitfühlend. Nachdem sie sich wieder an ihre Arbeit gemacht hatte, kehrte Hermine in den Umkleideraum zurück und schälte sich aus ihrem limonengrünen Umhang. Hoffentlich kam sie bei dieser Geschichte mit dem Schrecken davon.
Sie verlor beinahe das Gleichgewicht, als sie in ihrer Wohnung aus dem Kamin trat. Sie ruderte mit den Armen und bekam gerade noch das Sims zu fassen, wobei jedoch die Schale mit dem Flohpulver über die Kante rutschte und polternd zu Boden fiel. Zwar zerbrach sie nicht, doch die grüne Staubschicht machte sich nicht besonders gut auf ihrem Teppich.
Seufzend zog Hermine ihren Zauberstab und befahl dem Pulver, wieder in die Schale zurückzuschweben. Nichts passierte.
Mit müdem Blick betrachtete Hermine den Zauberstab in ihrer Hand, als gehörte er nicht zu ihr. „Diagnose: Beruhigungstrank-Überdosierung und absolute Erschöpfung“, murrte sie verdrossen, warf das momentan nutzlose Hilfsmittel auf die Couch und ging ohne Umweg über Bad oder Küche ins Schlafzimmer. Die Schuhe zog sie aus, nachdem sie sich wie ein gefällter Baum auf die Matratze hatte fallen lassen, und eingeschlafen war sie, noch bevor sie unter die Steppdecke gekrochen war.
Ein ihr bekanntes Kreischen weckte sie für ihren Geschmack viel zu früh, dafür aber aus einem Albtraum. Knurrend wie ein altersschwacher Hund rollte sie sich auf den Rücken und wischte sich den Schlaf aus den Augen. Sie ließ sich gerne Zeit zum Aufwachen, doch ihr persönlicher Weckdienst hatte offensichtlich andere Pläne. Mit einem weiteren Kreischen hüpfte er auf Hermines Bauch und begann an ihrem Pullover zu picken.
„Hör auf damit, Horace! Da sind keine Eulenkekse drin.“ Sie fuhr mit der Hand über ihren Oberkörper und scheuchte so die übermütige Waldohreule vom Bett. Panisch drehte diese daraufhin ein paar Runden durch das Schlafzimmer und verhedderte sich dabei beinahe im Betthimmel. Vor lauter Schreck kreischte sie noch mehr und kam schließlich hechelnd auf der Gardinenstange zum Sitzen.
„Guten Morgen“, sagte Hermine trocken, während sie sich auf die Arme stützte und zu ihrem gefiederten Postboten hinauf schielte. Horace schuhute leise und steckte kurz den Kopf unter den Flügel, was Hermine wiederum lächeln ließ.
Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie und die kleine Eule sich angefreundet hatten. Was vor allem daran gelegen hatte, dass Hermine selten zu Hause und der Eulenmist noch seltener im Käfig gewesen war. Hermine wusste, dass man bei der Tiererziehung geduldig sein musste. Und Horace wusste, dass Hermine wusste, dass er sehr wohl verstand, was sie ihm begreiflich zu machen versuchte. Und er scherte sich einen Dreck darum – im wahrsten Sinne des Wortes.
So hatte Hermine sich in die Sehnsucht nach ihrem verstorbenen Kater Krummbein gehüllt wie in eine warme Decke und Horace hatte derweil ihre Wohnung auseinander genommen.
Den Umschwung hatte jene langwierige Infektion gebracht, die sie auch dazu gezwungen hatte, die Abteilung zu wechseln. Nachdem Hermine es nämlich geschafft hatte, sich bei einem ihrer Versuchsobjekte anzustecken, hatte die Hospital-Leitung auf Anraten ihres Chefs entschieden, sie in die derzeit unterbesetzte Entbindungsstation zu versetzen. Und Horace hatte nach einiger Zeit eingesehen, dass er ihr vielleicht doch mal die Zeitung oder einen feuchten Lappen bringen konnte, ohne dabei eine seiner kostbaren Federn zu verlieren.
In den vier Wochen, in denen Hermine kaum das Bett, geschweige denn ihre Wohnung verlassen hatte, erkämpfte er sich seinen Platz auf dem Fußende ihres Bettes im Eintausch gegen ein paar kleine Kunststücke. Kunststücke, mit denen er sein freches Verhalten nun wieder gut zu machen versuchte, denn obwohl er eine Eule war, beherrschte er den Dackelblick perfekt.
Was er prompt wieder unter Beweis stellte, als Hermine mit strenger Stimme fragte: „Gibt es eigentlich irgendeinen Grund, warum du mich geweckt hast?“
Horace piepste leise und nachdem er feststellen musste, dass Hermine heute zu müde war, um sich auf sein hündisches Verhalten einzulassen, drehte er ihr den Rücken zu und begann, an der Tapete zu kauen.
Stöhnend sank Hermine in die Kissen zurück und schloss die Augen. Sie versuchte gar nicht erst, ihren Mitbewohner von seinem Tun abzuhalten. Das hatte ohnehin keinen Zweck.
Stattdessen quälte sie sich aus dem Bett und nahm sich frische Kleidung aus dem Schrank, bevor sie Türen knallend im Bad verschwand. Selbst durch das Holz hindurch konnte sie Horace flattern und kreischen hören und das hob ihre Laune doch ein bisschen an.
„Mal angenommen, ich würde mich von jemandem bedroht fühlen“, begann Hermine eine halbe Stunde später Harry zu erklären, der ihr mit gerunzelter Stirn aus dem Kaminfeuer entgegenblickte, „wie viel muss ich mir gefallen lassen, ehe ich rechtliche Schritte gegen ihn einleiten kann?“ Sobald sie wach gewesen war, war Lucius Malfoy in ihren Kopf zurückgekehrt. Der Todesser Lucius Malfoy. Der treue Todesser. Wenn er auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, was für eine Kette sie da trug … Ihr wurde schon beim Gedanken daran schwindelig. Es war sicherlich nicht verkehrt, für den Fall der Fälle informiert zu sein.
Harry zog seine Augenbrauen hoch. „Ich gehe mal davon aus, das ist eine rein theoretische Frage und es handelt sich um die Bekannte einer Schwester deiner Arbeitskollegin, hm?“
„Woher wusstest du das?“ Hermine lächelte schmallippig.
„Man entwickelt ein Gespür für so etwas.“ Er wandte sich kurz vom Kamin ab und rief Ginny etwas zu. Dann sprach er weiter: „Sobald dieser Jemand eine richtige Drohung ausspricht – ob nun mündlich oder schriftlich – kann man was machen. Vorher ist er leider nur lästig und nicht gefährlich.“
Hermine schürzte ihre Lippen. Mit dieser Meinung ging sie nicht unbedingt konform, doch da Harry nichts von der wahren Bedeutung des Anhängers wusste (sie hatte ihren Freunden gesagt, dass er ein Erbstück ihres Großvaters war – nicht schön, aber von hohem ideellen Wert), konnte sie diese Gedanken nicht mit ihm teilen.
„Hermine?“
„Hm?“
„Du weißt doch, dass auch die Bekannte einer Schwester deiner Arbeitskollegin jederzeit zu mir kommen kann, oder?“
Erneut lächelte Hermine, dieses Mal jedoch vor Dankbarkeit. „Natürlich, Harry.“
„Jasper?“ Hermine sah sich im Labor um, während sie langsam den Raum betrat. Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass man sich als Besucher in so einer Abteilung stets laut ankündigen sollte, wenn man nicht mit einem der Laboranten für immer brechen wollte. Und Jasper nahm es einem für gewöhnlich schon krumm, wenn etwas schief ging, ohne dass man Schuld daran hatte.
„Hier hinten!“, antwortete er und klang heute recht vergnügt.
Ein flüchtiges Lächeln schlich über Hermines Gesicht. Dann zog sie ihren Umhang aus und schlängelte sich durch die Tische hindurch zur Fensterfront.
„Über ein Jahr schreiende, Blut verschmierte Säuglinge und trotzdem tauchst du immer noch hier auf“, sagte er und wischte sich mit dem Handgelenk eine blonde Locke aus der Stirn. „Bist du dir sicher, dass du eine Frau bist?“
Sie verpasste ihm eine Kopfnuss, nachdem sie ihren Umhang auf die Fensterbank gelegt hatte. „Ich stehe in der Hackordnung vielleicht nicht mehr über dir, aber das bedeutet nicht, dass du dir deinen Respekt jetzt schenken kannst!“
„Sachverhalt dreiundfünfzig: Sie – sofern sie denn eine Sie ist – droht wie ein Kerl“, murmelte er und tat dabei so, als würde er ein Diktiergerät benutzen.
„Sei froh, dass ich zu müde bin, dir die Ohren lang zu ziehen.“ Über sein Schnauben hinweg warf Hermine einen genaueren Blick auf die Nährböden, die vor Jasper auf dem gekachelten Tisch lagen. Ohne weiter darüber nachzudenken, fischte sie sich einen Mund- und Nasenschutz aus dem Spender und beugte sich über die Petrischalen. „Woran arbeitet ihr?“
Jasper drehte sich auf seinem Stuhl so, dass sie nichts mehr sehen konnte. „An nichts, in das du deine neugierige Nase stecken darfst!“
„Spielverderber!“, knurrte Hermine und warf den Schutz in einen neben ihr stehenden Mülleimer.
„Du beschwerst dich an der falschen Adresse“, sang er daraufhin und feixte ungeniert. Sie konnte es an den Falten um seine Augen sehen. Dabei schob er einen Objektträger unter das Mikroskop und betrachtete mit gerunzelter Stirn das Bild, das sich ihm bot.
Hermine spürte eine tiefe Sehnsucht in sich aufsteigen, während sie still blieb, um seine Konzentration nicht zu stören. Sie hatte diesen Job geliebt. Vor allem, weil er sich nicht wesentlich von dem Pendant der Muggelwelt unterschied. Die Infektionsforschung war in der magischen Welt ein so neues Fachgebiet, dass bisher noch fast alles nach Muggelmethoden lief. Die entsprechenden Zauber und magischen Gerätschaften mussten noch entwickelt werden. Sie hatten die Muggelgeräte nur ein bisschen magisch aufpoliert. Der Blick durch dieses Mikroskop war wie ein Blick in eine fremde Welt.
Allerdings eine Welt, die ihren Eltern durch das grundlegende Medizinstudium doch vertrauter war als die magische. Noch heute kam es häufiger vor, dass ihre Mutter über den einen oder anderen Begriff stolperte, den Hermine ohne nachzudenken und mit einer von Jugend an erlernten Selbstverständlichkeit benutzte. Der Beruf war etwas gewesen, über das sie sich uneingeschränkt hatten unterhalten können (wenn sie sich denn mal unterhielten). Mittlerweile war es so, dass Hermine nicht einmal mehr über ihren Beruf reden wollte.
„Ha!“, machte Jasper in diesem Moment und riss sie aus ihren Gedanken.
„Was?“, fragte sie prompt; Reflexe dieser Art lagen ihr noch immer im Blut.
Genauso wie ihm: „Sie haben reagiert! Diese verdammten Viecher haben reagiert!“
„Was für Viecher? Und worauf haben sie reagiert? Was heißt das, Jasper?“
„Das heißt, dass du jetzt gehen musst, damit ich meinen unglaublichen, ungeschlagenen und unheimlich ausgefeilten Triumph-Tanz aufführen kann! Du weißt ja, wo die Tür ist.“
Hermine schnaubte. „Ich denke ja nicht einmal im Traum daran, jetzt zu gehen!“
Er warf ihr einen scheelen Blick zu und kam dann anscheinend zu dem Schluss, dass ihr Besuch nicht so hanebüchenen Gründen entsprang wie sonst. Mit einem ernsten Blick wandte er sich vom Labortisch ab, verschränkte die Arme vor der Brust und vollführte die Verwandlung von ihrem ehemaligen Assistenten zu einem Freund im Bruchteil einer Sekunde: „Warum bist du hier?“
Nachdem Hermine so viele Einzelheiten wie möglich erzählt hatte, ohne ihr großes Geheimnis preis zu geben, hatte sie anscheinend jämmerlich genug ausgesehen, damit Jasper über seinen außergewöhnlich großen Schatten sprang und sie etwas genauer in die derzeitigen Experimente einweihte.
Die Neugierde stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie endlich ans Mikroskop durfte und in die fremde Welt eintauchen konnte, von deren Sitten und Gebräuchen (beziehungsweise Teilungsraten und Sensibilitäten) Jasper vorher erzählt hatte.
„Wahnsinn“, hauchte sie wenige Momente später und drehte das Licht etwas heller, um weitere Feinheiten der Erreger erkennen zu können.
„Ja“, stimmte der junge Mann zu und klang dabei genau so, wie die frisch gebackenen Mütter, die gesagt bekamen, dass ihr Kind wunderschön sei.
Hermine lächelte flüchtig, doch verstehen konnte sie es. Bakterien und Viren konnten einem ans Herz wachsen, wenn man begann, sie zu erforschen. Man entwickelte ein Verständnis für ihre Instinkte, für ihre Art zu überleben. Und wenn man gar zu viel Zeit im Labor, in diesen fremden Welten verbrachte, vergaß man mitunter, dass sie Menschen töteten.
Genauso wie Hermine vergessen hatte, dass sie sich an einem Ort befand, an dem sie eigentlich nicht sein sollte. Erst das Klappern eines Schlüssels erinnerte sie und auch Jasper daran.
„Unter den Tisch!“, zischte Jasper und legte ohne zu zögern seine Hand auf Hermines Kopf, um sie in die Knie zu zwingen.
Und weil sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, gab sie nach und schlüpfte in den etwa einen Meter breiten Spalt, in dem die Tische nicht mit Unterbauschränken versehen waren. Im nächsten Moment hatte sie den Stoff ihres Umhanges im Gesicht und Jaspers Füße tauchten in ihrem Blickfeld auf. Das Klappern betrat das Labor.
„Wie kommst du voran, Jasper?“, fragte eine sonore Männerstimme, die Hermine sofort als die von Magnus McMulish identifizierte – er war ihr ehemaliger Vorgesetzter. Der Mann, der ihre Versetzung auf die Entbindungsstation veranlasst hatte. Sie presste die Lippen aufeinander.
Jasper gab ein Geräusch von sich, das wie „Hmpf!“ klang. Und das vermutlich aus zweierlei Gründen. Zum einen um Magnus zu sagen, dass es keine Fortschritte gab, und zum anderen, um Hermine wissen zu lassen, dass er sie dafür hasste, dass er die guten Nachricht nicht sofort verkünden konnte.
Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass er einem zwar schnell, aber niemals lange böse war. Eine Woche, vielleicht auch zwei, dann konnte sie wieder herkommen und sich ihre nächste Dosis Laborluft abholen.
Magnus murmelte derweil etwas, das Hermine nicht verstand. Stattdessen schlang sie ihre Arme um die Knie und versuchte eine bequeme Position in dem beschränkten Raum zu finden, der ihr gegeben war. Mit einem lautlosen Seufzen lehnte sie den Kopf gegen das stabile Holz, als sie Latexhandschuhe knallen hörte, wie sie es nur von einem kannte. Magnus würde also bleiben und arbeiten. Es konnte sich nur um Stunden handeln, bis sie das Labor unbemerkt wieder verlassen konnte.
Es wurden tatsächlich Stunden und so hatte Hermine – entgegen ihrer Planung – keine Zeit, vor Beginn der Nachtschicht noch nach Hause zu gehen und etwas zu essen. Verspannt und hungrig kam sie eine halbe Stunde zu spät auf der Entbindungsstation an und schnappte sich die Akte, die Catherine ihr im Vorbeigehen vor die Nase hielt.
„Beeilen Sie sich! Der Muttermund hat schon acht Zentimeter!“
Während Hermine mit dieser Begrüßung im Ohr in die Umkleide preschte, fragte sie sich ernsthaft, wo sie hier nur gelandet war, und schmiss die Akte ungelesen auf den kleinen Beistelltisch.
„In Momenten wie diesem hasse ich mein Leben“, murmelte sie, während sie sich den Pullover über den Kopf zog und gleichzeitig versuchte, ihre Hose und den Spind zu öffnen. Dabei brach sie sich einen Nagel ab, fluchte wie ein Kesselflicker und zerrte so sehr an ihrem Oberteil, dass eine Naht ein Stück aufriss.
Erst mit dem Geräusch reißenden Stoffes gab Hermine den Kampf an so vielen Fronten auf und begann mit System vorzugehen. So kam sie dann fünf Minuten später umgezogen und über die Patientin informiert im Kreißsaal an, bereitete sich mental auf die spontane Zwillingsgeburt vor und betete zu irgendwem, der zuhören wollte, dass diese Nacht ruhig verlaufen würde.
„Heilerin Granger?“
Hermine hob den Blick und blinzelte die Medihexe an, die vor ihr stand. Sie lehnte an der Rezeption, hatte den Kopf in die Hand gestützt und malte lustlos Buchstaben in die Krankenakte, die vor ihrer Rückkehr in die Welt der Rationalität noch mehr Sinn ergeben hatten. „Ja?“
„Das wurde für Sie abgegeben.“ Das Mädchen schob ihr einen Brief zu, auf dem ihr Name in einer kaum leserlichen, spitzen Schrift geschrieben war.
„Danke.“ Hermine klappte die Akte zu, nahm sie und den Brief und ging in den Aufenthaltsraum hinüber. Wenn sie Glück hatte, würde die nächste wehende Frau warten, bis sie fertig gelesen (und bestenfalls noch zwei Stunden geschlafen) hatte.
Ungeniert gähnend setzte sie sich auf das Bett und drehte den Umschlag in ihren Händen. Auf der Rückseite war er mit dunkelrotem Wachs versiegelt, doch das Wappen konnte sie im Halbdunkel kaum erkennen. Und da es mit ihrer Geduld momentan nicht weit her war, brach sie es, ohne dem Rätsel auf den Grund zu gehen, und zog das Pergament heraus.
Auch dieses war mit der schwer zu lesenden Schrift gefüllt und so zog sie ihren Zauberstab hervor und schuf eine weitere Lichtquelle. Mit gerunzelter Stirn begann sie zu lesen.
Sehr geehrte Miss Granger,
ich weiß, was für ein Schmuckstück Sie tragen – vermutlich besser, als Sie selbst es wissen. Ich muss mit Ihnen sprechen und erwarte Ihre Antwort umgehend. Melden Sie sich, solange Sie noch können.
Lucius Malfoy
Chapter 3: Kapitel 1: Die Verfolgung – Teil 2
Chapter Text
Angst durchzuckte ihren Körper wie Elektrizität. Der Brief in ihrer Hand begann zu zittern. Er wusste es. Natürlich wusste er es. Er war ein verdammter Todesser! Hermine atmete langsam ein und aus, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Was jetzt? Was jetzt?
Sie hatte darauf gewartet. In den ersten Monaten hatte sie jeden Tag darauf gewartet, dass irgendjemand sich nicht zufrieden geben würde mit der Lüge, die sie über die Kette erzählte. Aber das war nicht passiert. Mit der Zeit hatte ihre Wachsamkeit nachgelassen. Die Kette gehörte immer mehr zu ihr, niemand wunderte sich noch darüber. Nicht mal sie selbst. Und jetzt das.
Was jetzt?
Der Brief war wie ein Peitschenhieb durch sie gefahren. Sie war aufgeflogen. Der vermutlich treueste Diener des Bastards, dessen Magie sie um den Hals trug, hatte herausgefunden, dass Voldemort nicht so tot war, wie alle glaubten. Natürlich wollte er mit ihr sprechen. Sie konnte sich die Art dieses Gesprächs lebhaft vorstellen.
Ihr Puls rauschte in ihren Ohren, der Aufenthaltsraum schwankte. Dann endlich schaffte sie es, die aufwallende Angst unter Kontrolle zu bekommen und erinnerte sich an das, was Harry gesagt hatte. Mündlich oder schriftlich …
Rasch lief sie mit dem Brief ins oberste Stockwerk des Krankenhauses, zur Unterkunft der Eulen. Mit der Aufforderung, zu tun, was er tun konnte, schickte sie Malfoys Schreiben direkt zu Harry nach Hause, ehe sie wieder auf ihre Station zurückkehrte.
Das erste Mal, seitdem sie hier ihren Dienst angetreten hatte, wünschte sie sich eine Geburt, die sie für einige Stunden beschäftigen würde.
„Wie siehst du denn aus?“
Auf diese äußerst schmeichelhafte Art wurde Hermine begrüßt, als sie am Morgen bei Tonks aus dem Kamin trat. Die beiden Frauen hatten sich angefreundet, als sie festgestellt hatten, dass sie die einzigen waren, die auch nach drei Jahren noch immer mit den Gedanken im Krieg hingen. Hermine wegen ihrer Albträume (die nichts anderes als ein Synonym für die Kette an ihrem Hals waren), Tonks weil sie den Mann verloren hatte, den sie geliebt hatte.
Remus' Tod hatte sie verhärmen lassen, doch da ihre Ungeschicklichkeit sich von der Trauer nicht beeinflussen ließ, fiel das kaum jemandem auf. Man musste einen zweiten und dritten Blick riskieren, um Tonks so zu sehen, wie sie jetzt war.
Hermine seufzte schwer, während sie in die Küche ging und sich eine Tasse aus dem Schrank nahm. Sie kam oft zum Frühstück her, entweder nach der Nachtschicht oder vor der Frühschicht. Eine Tasse Kaffee war das Mindeste, was hier auf sie wartete. Heute kam noch ein Korb frischer Brötchen dazu.
„Warum gehen immer die Wünsche in Erfüllung, über die man nicht so genau nachgedacht hat?“, fragte Hermine, während sie sich auf einen Stuhl fallen ließ.
„Damit man sie später bereuen kann. Was hast du dir denn gewünscht?“
„Eine Geburt, die mich einige Stunden lang beschäftigen wird.“
Tonks wog abschätzend den Kopf und kam dann zu dem Urteil: „In einer Nachtschicht durchaus legitim. Und was hast du bekommen?“
Hermine rieb sich die Stirn. „Eine Geburt, die die Mutter nicht überlebt hat.“
„Verdammt.“ Die Aurorin setzte sich zu Hermine und legte ihre Hand auf die der Freundin. „Wie geht es dir?“
„Genauso wie ich aussehe“, antwortete Hermine dumpf und wischte sich über die juckenden Augen. „Ich hasse diesen Job.“
„Du beschuldigst den falschen, Mine. Mit deinen komischen Krabbelviechern hast du mehr Patienten verloren.“
„Das sind keine Krabbelviecher, Tonks! Und die Patienten, die da gestorben sind, waren meistens alt und klapprig und ohne kleine Kinder.“
„Macht es das besser?“ Tonks zog eine dunkelblau Augenbraue in die Stirn und nippte an ihrem eigenen Kaffee.
„Irgendwie schon“, gab Hermine zu.
„Das muss diese verdrehte Heiler-Logik sein …“
Hermine verzog als Antwort darauf nur ihr Gesicht. Tonks hatte nichts ganz Unrecht mit ihren Worten. Heiler hatten eine andere Art, mit dem Tod umzugehen. Die mussten sie auch haben, denn sie begegneten ihm fast täglich. Und viel zu oft selbst in den Räumen, in denen Leben beginnen sollte.
Um die Gedanken an die vergangene Nacht zu verdrängen, wandte Hermine ihren Blick aus dem Küchenfenster. Draußen war es noch dunkel; bis zum Sonnenaufgang dauerte es noch etwa eine halbe Stunde. „Wann musst du heute anfangen?“
„Um acht“, sagte Tonks und gähnte herzzerreißend. Immerhin war es erst fünf vor acht. „Ich hasse die Frühschicht.“
„Dito. Aber nachts ist es auch nicht besser.“ Nachtschichten verdarben einem den Tag und den Appetit. Doch Hunger hatte sie trotzdem und so griff sie nach einem der Brötchen. Sie waren noch warm.
„Am besten drei Monate Urlaub“, seufzte Tonks.
Hermine nickte abwesend, vornehmlich weil sie keine Lust auf eine Diskussion hatte. Sie war nie der Typ für Urlaub oder Ferien gewesen. Zu Hogwarts-Zeiten hatte sie ihre Freunde und ihre Bücher vermisst und wenn sie jetzt Urlaub hatte, hatte sie viel zu viel Zeit, um über die Kette nachzudenken und sich selbst zu bemitleiden. Vor allem aber war es schwieriger, wieder in den alten Trott zu finden, wenn man erst mal ein paar Wochen pausiert hatte.
„Na ja, ich muss dann mal los.“ Mit einem lauten Scharren schob Tonks ihren Stuhl zurück und stand auf, als hätte sie mindestens achtzig Lebensjahre zu schultern.
„Viel Spaß“, sagte Hermine gleichmütig und erntete dafür einen mürrischen Blick. Sie beantwortete ihn mit einem verbissenen Lächeln.
„Vergiss die Banne nicht, wenn du gehst!“
„Ich bin nicht du!“, rief Hermine noch, doch das Rauschen des Flohfeuers schnitt ihr das Wort ab. Sie war immer wieder entzückt darüber, wie harmonisch ein Frühstück mit Tonks verlief. Genau das richtige, um eine Schicht zu beenden.
Als sie den Blick auf ihr Brötchen senkte, verzog sie das Gesicht. Ihr war flau im Magen und der Hunger war spurlos verschwunden. Kurz überlegte sie, ob sie das Ding einfach zurücklegen konnte, doch so wie sie Tonks kannte, hatte die sie gezählt.
Dann flog ein dreckiges Grinsen über ihr Gesicht. Sie zog ihren Zauberstab hervor und schrumpfte das Brötchen auf Bissgröße. In dem Bewusstsein, dass selbst das fast noch zu viel war, steckte sie es sich in den Mund, kaute hohl darauf herum und räumte dabei den Aufschnitt in den Kühlschrank zurück.
Als sie die Küche verließ, drang ein leises Maunzen an ihre Ohren und sie sah sich zur Wohnzimmertür um. Charlie, der getigerte Kater, strich auf Samtpfoten um den Türrahmen herum in der Hoffnung, ein paar Streicheleinheiten abstauben zu können.
Und da war er bei Hermine an genau der richtigen Adresse, was er nur allzu gut wusste. Seufzend ging sie in die Hocke und vergrub die Finger im weichen Fell des Tieres, das Opfer eines Streiches geworden war. Tonks hatte ihn nach Rons Bruder benannt, weil sie der Meinung war, dass er genauso leicht um den Finger zu wickeln war – mit Kraulen und Leckerlis. Charlie (der menschliche) war überhaupt nicht begeistert davon gewesen.
Der Kater allerdings trug sein Schicksal mit Fassung und schnurrte genüsslich. Bis es ihm reichte. Dann tapste er an Hermines Knie vorbei, schüttelte sich das Fell und verschwand in der Küche, um sein Futternapf noch ein drittes Mal auszulecken.
„Stets zu Diensten, Eure Majestät!“, murmelte Hermine leise, lächelte jedoch. Dann stand sie auf und verließ die Wohnung.
Nachdem sie die Banne errichtet hatte, trabte sie gemütlich die Treppen hinunter und als die frische englische Luft um ihre Nase wehte, entschied sie, dass sie heute zu Fuß gehen würde. Es war angenehm kühl und ein bisschen feucht, doch die Luft war klar und es regnete nicht. Reger Verkehr rollte über die nahe gelegene Hauptstraße und der Lärm wurde bis hierher in die Seitengassen getragen. Es war das Rauschen der Großstadt, in dem Hermine sich zu Hause fühlte. So sehr, dass sie nichts Böses ahnte.
Sie schrie, als sie von hinten gepackt und gegen die nächste Wand gestoßen wurde. Eine kräftige Hand presste sich auf ihren Mund und starke Beine hielten ihre Knie dort, wo sie waren – zu weit weg von den empfindlichen Körperstellen ihres Angreifers.
Der Mann – sie war sicher, dass es einer war – war schwarz gekleidet und offensichtlich ein Zauberer. Er nutzte seine freie Hand, um ihr einen Zauberstab gegen den Hals zu drücken. Unfreiwillig zwang Hermine sich zur Ruhe und starrte mit großen Augen in das überschattete Gesicht.
Bis sich nähernde Schritte sie ablenkten. Soweit es ihr möglich war, drehte sie den Kopf und schabte dabei über die raue Steinwand. Dennoch war es die Stimme, die den zweiten Mann identifizierte, als er sagte: „Walter, sei um Himmels Willen vorsichtiger! Du hast eine Frau und keinen betrunkenen Schläger in den Händen.“
Ihr Herz machte einen Satz. Lucius Malfoy. Jetzt hatte er sie. Jetzt hatte er die Kette. Das Rauschen in Hermines Kopf wurde für eine Sekunde so laut, dass sie nichts mehr hören konnte.
Nur verschwommen hörte sie Walter sagen: „Sie hat sich gewehrt …“
„Natürlich hat sie das! Du hast sie ja auch von hinten angegriffen.“ Malfoy zog Walters Zauberstabhand ein Stück von Hermines Hals fort. „Und nun nimm endlich deine Hand von ihrem Mund!“
„Oh, ähm … ja, natürlich, Sir!“
Hermine versuchte mit den Zähnen nach den Fingern des Mannes zu schnappen, doch er war zu schnell. Stattdessen kratzte sie ihren verbliebenen Mut zusammen und sah Malfoy direkt in die kalten Augen: „Das hätten Sie nicht tun sollen!“
Er zog eine Augenbraue in die Stirn. „Wer hält mich davon ab?“
Walter lachte dreckig.
„Ich. Ich werde Sie anzeigen. Es gibt allein in London mehr Menschen, die Sie in Askaban sehen wollen, als Kanalratten.“
Malfoy wedelte einmal mit der Hand durch die Luft und Walter packte seine wieder auf Hermines Mund. Mit einem Grinsen hörte der blonde Bastard ihr ersticktes Keuchen. „Es gibt in der Tat einige, die mich gerne in Askaban sehen würden. Doch Sie, Miss Granger, sind die letzte, die dafür sorgen sollte.“ Sein Blick glitt hinab zu der Kette, ein Muskel in seiner Oberlippe zuckte.
Er riss sich von dem Anblick los und sagte: „Nachdem Sie es nicht für nötig gehalten hatten, sich nach meiner Nachricht bei mir zu melden, musste ich mich hierher bemühen. Es tut mir leid, dass der erste Kontakt so … ruppig ausfallen musste, doch ich ging davon aus, dass Sie sich nicht bereitwillig mit mir zu unterhalten gedachten.“
Hermine schnaubte und versuchte wieder etwas zu sagen, was Malfoy immerhin genug interessierte, um Walter einen erneuten Befehl zu geben. „Ich hatte ja nicht einmal die Gelegenheit, mich bei Ihnen zu melden!“, sagte sie schließlich. „Ich musste arbeiten, so unbegreiflich das für jemanden wie Sie auch sein mag!“
„Oh, ja sicher“, spottete Malfoy. „Dennoch hatten Sie die Gelegenheit, den Brief ans Ministerium weiterzuleiten. Im Gegensatz zu Ihnen hatte die Aurorenabteilung ausreichend Zeit, eine Verwarnung an mich aufzusetzen.“
„Ein Mädchen muss sich eben wehren.“ Hermine reckte das Kinn vor.
„Als Mädchen würde ich Sie nicht eben bezeichnen …“ Seine Blicke wanderten abschätzend an ihrer Gestalt auf und ab.
„Was wollen Sie von mir?“, fragte Hermine scharf und legte so viel Verachtung in ihre Stimme, wie nur irgend möglich war, während die Feuchtigkeit der Mauer ihre Kleidung klamm werden ließ.
„Ich muss mit Ihnen reden. Mehr nicht.“
Sie schnaubte. „Na klar …“ Malfoy sah sie mit schmalen Augen an. „Dann reden Sie!“
„Nicht hier“, wiegelte er sofort ab und sah sich um. „Ich werde Ihnen eine weitere Nachricht mit dem Treffpunkt zukommen lassen und ich würde Ihnen empfehlen, dieses Treffen wahrzunehmen! Sehen Sie es als Zeichen meiner … guten Absichten, dass ich Sie nicht einfach mitnehme.“
Sie presste ihre Lippen aufeinander. Gute Absichten, na klar! Sie würde nach diesem Intermezzo nicht zu sich nach Hause, sondern zu Harry zu gehen. Sie würde sich nicht erpressen lassen. Nicht nachdem sie ihr Geheimnis acht Jahre lang bewahrt hatte.
Einige Sekunden hielt Malfoy ihren sturen Blick fest, dann wandte er sich Walter zu. „Lass sie los.“ Im nächsten Moment disapparierte er und Walter folgte, kaum dass er einen Schritt zurück getreten war.
Hermine fiel beinahe auf das nasse Pflaster, als der harte Griff des Lakaien so plötzlich verschwand. Gerade eben noch konnte sie ihr Gleichgewicht halten und fand schwer atmend ihre Standfestigkeit wieder. Wie ein gehetztes Reh blickte sie die Gasse hinauf und hinab, doch sie war alleine.
Ihr schlechtes Gewissen über die ungastliche Uhrzeit verschwand, sobald Harry ihr die Tür öffnete. Denn abgesehen davon, dass sein übermüdetes Gesicht sich schlagartig erhellte, wurde sein „Guten Morgen, Mine!“ von dem lauten Krähen seines Erstgeborenen begleitet. Sie hatte ihn also nicht geweckt.
„Hallo, Harry“, fühlte Hermine sich verpflichtet zu sagen, ehe sie mit der Tür ins Haus fiel: „Malfoy war nicht besonders angetan von der Verwarnung.“
Kurz darauf fand sie sich in der Küche wieder. Harry hatte sich ihr gegenüber hingesetzt und während er eben noch vergnügt ausgesehen hatte, prägte nun der ernste Blick des Auroren seine Züge. „Was ist passiert?“
Während Hermine erzählte, gesellte sich auch Ginny zu ihnen. Noch im Bademantel, die roten Haare zerzaust und den knapp einjährigen James auf dem Arm, lehnte sie sich gegen die Arbeitsplatte und trug das Kind so hoch auf ihren Beckenknochen, dass er nicht an das Geschirr herankam, das sich neben der Spüle stapelte.
„Was will er denn mit der Kette?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn, nachdem Hermine geendet hatte. Doch sie wirkte noch nicht übermäßig besorgt. Vermutlich weil sie nicht wusste, was wirklich passieren würde, wenn Malfoy den Anhänger in die Finger bekam.
„Sie ist wertvoll“, log Hermine schließlich und schaffte es mittlerweile fast problemlos, den Blicken ihrer Freunde stand zu halten.
„Malfoy hat doch Geld ohne Ende.“
„Nicht auf … diese Art wertvoll“, presste Hermine hervor. Sowohl Harry, als auch Ginny sahen sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ich kann das nicht genauer erklären, bitte fragt nicht weiter.“ Sie rieb sich die Stirn. Merlin, sie war so müde.
„Warum hat er sie dir nicht gleich abgenommen, wenn er dich doch schon in seiner Gewalt hatte?“, fragte Harry also.
Und das war auch kein besseres Thema. Hermine seufzte. Die nächste Lüge. „Man kann sie mir nicht einfach abnehmen. Ich … müsste sie ihm geben.“
„Und warum hat er dich dann nicht entführt?“
„Harry!“, warf Ginny ein.
„Was?“, fragte er und hob die Schultern hoch. „Wenn ich Malfoy und scharf auf diese Kette wäre und sie mir nicht einfach nehmen könnte, dann würde ich Hermine entführen und sie … dazu bringen, sie mir zu geben.“
Hermine schloss die Augen. Wäre sie bloß nicht hergekommen. Hätte sie sich bloß allein mit Malfoy auseinandergesetzt. „Ich weiß es nicht“, murmelte sie leise. „Ich weiß es wirklich nicht, Harry.“ Seine guten Absichten konnte er jemand anderem weismachen. Er hatte tatenlos zugeguckt, als Bellatrix sie gefoltert hatte, davon hatten seine guten Absichten ihn offensichtlich nicht abgehalten.
Harry seufzte. „Das klingt alles sehr sonderbar, Mine.“
„Ich weiß. Ich … kann nicht mehr dazu sagen. Hilfst du mir trotzdem?“
„Ja, natürlich“, sagte er sofort und runzelte die Stirn. „Du sagtest, er will dir noch eine Nachricht schicken?“, forschte Harry weiter nach. Sie nickte. „Gut. Dann werde ich jetzt mit zu dir gehen, auf die Eule warten und dann ein Team zum Treffpunkt schicken, um ihn aufzugreifen. Mit dem Verstoß gegen die Verwarnung und dem körperlichen Angriff haben wir genug in der Hand, um ihm ein paar Steine in den Weg zu legen.“
„Reicht das, um ihn festzunehmen?“
Er zuckte mit den Achseln. „Sicher …“
„Bis seine Frau genug Zeit hatte, dem Ministerium ein schönes Sümmchen zuzuschieben“, spottete Ginny und machte einige gurgelnde Geräusche nach, mit denen James sich die Zeit vertrieb.
„Es ist ein Anfang“, entschied Hermine.
„Gut, dann lass uns gehen.“ Geschäftig stand Harry auf und strich seiner Frau zärtlich über den Arm, ehe er erst ihr und dann James einen Kuss auf die Stirn drückte. „Kannst du Tonks Bescheid sagen, dass ich später komme?“, bat er dabei.
„Ja, natürlich.“ Ginny lächelte und nahm James' Arm, um Harry zuzuwinken. „Sag Tschüss zu Daddy“, flötete sie dabei.
„Mmmma!“, war allerdings die einzige Antwort, die sie bekam.
Während Harry schon in den Flur ging, um seinen Umhang zu holen, ging Hermine zu Ginny. „Tut mir leid, dass ich ihn dir so entführe.“
Ginny zuckte mit den Schultern. „Wenn nicht du, dann Tonks oder Moody oder Michael oder Ben … Es gibt genug Auroren, die anscheinend ohne den Befehl ihres Vorgesetzten absolut nicht wissen, was sie zu tun haben.“ In ihren Worten schwang eine leise Bitterkeit mit, doch als James auf ihrem Arm zu zappeln begann und seinen Pullover voll sabberte, weil seine Faust beim besten Willen nicht mehr in den kleinen Mund passen wollte, fand sie ihre gute Laune wieder: „Na ja, ich hab mich daran gewöhnt. Irgendwann wird er von alleine darauf kommen, etwas kürzer zu treten.“
„Und was machst du solange?“
Ginny grinste von einem Ohr bis zum anderen. „Kinder kriegen!“
Hermines Augen wurden groß wie Handteller. „Bist du etwa wieder schwanger?“
„Hm, wer weiß …“ Ginny begann regelrecht zu strahlen. „In drei Tagen weiß ich es sicher.“
Und obwohl das Thema Kinder eines war, bei dem Hermine empfindlich reagierte, konnte sie sich für Ginny freuen und musste dieser Freude Luft machen, indem sie sie kurz umarmte. „Ich drück euch die Daumen!“
„Danke dir.“
Als sie sich wieder zurückzog, sah James sie mit großen Augen an. Es dauerte einen Moment, ehe er Hermines Lächeln zu erwidern wagte, dann jedoch liefen seine Wangen prompt tiefrot an und er fuhr sich verlegen mit den Händen durch das feiste Gesicht.
Hermine kicherte und strich dem Jungen über den Kopf, genoss für einen kleinen Moment das Gefühl der weichen Haare und riss sich dann von dem trügerischen Gefühl der heilen Welt los, um mit Harry zu sich nach Hause zu gehen.
„Du kannst dich ruhig schlafen legen. Ich setz mich ins Wohnzimmer und lese.“
Hermine unterdrückte ein Gähnen, bevor sie sich zu Harry umwandte. „Nein, ich bin viel zu nervös, um schlafen zu können.“ Das war zwar gelogen, denn in Harrys Gegenwart fühlte sie sich absolut sicher, doch sie wusste, was sich für eine Gastgeberin gehörte. Zumindest in der ersten Stunde seines Aufenthaltes. „Möchtest du Tee?“
Er nickte und während Hermine in die Küche verschwand, stöberte er in ihrem Bücherregal. Zumindest vermutete sie, dass er dies tat. Seitdem Harry nicht mehr gezwungen wurde zu lernen, hatte er festgestellt, dass es tatsächlich wissenschaftliche Bücher gab, die ihn interessierten. Hermine wäre beinahe vom Glauben abgefallen, als sie ihn vor drei Jahren mit einem Exemplar der Geschichte von Hogwarts erwischt hatte (angeblich hatte er es aus Recherchezwecken für einen Fall gelesen, doch seine Ohren waren dabei so rot geworden, dass sie ihm nicht ein Wort geglaubt hatte).
Jedenfalls bekam er nun immer ein gewisses Strahlen in den Augen, wenn er Hermines Wohnung betrat. Sie sah es, obwohl er hartnäckig versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.
Als sie – in ihre Gedanken versunken – am Herd stand und das Wasser mit ihrem Zauberstab zum Kochen brachte, flatterte Horace durch die Luft und haute Hermine seine Flügel um die Ohren, als er sich auf ihre Schulter setzte. „Danke, ich bin wach“, sagte sie und warf der Eule einen scheelen Blick aus dem Augenwinkel zu.
Horace klackerte mit dem Schnabel und begann liebevoll an Hermines Ohr zu knabbern, gerade so wie ein Hund an der Hand seines Besitzers lecken würde, um ihn milde zu stimmen. „Ist ja schon gut!“, gab sie sich deswegen lieber gleich geschlagen und holte eine Dose mit Eulenkeksen aus dem Regal. „Aber krümel nicht ins Teewasser!“, drohte sie, nachdem sie ihm einen Keks kurz vor den Schnabel gehalten und dann wieder weggezogen hatte.
Das Brodeln des Wassers wurde übertönt vom empörten Kreischen der Eule, die sich weit nach vorne beugte, um dem Keks folgen zu können. Dabei grub Horace seine Krallen in Hermines Schulter, um nicht den Halt zu verlieren und selbst im Wasser zu landen – was ihm nur knapp gelang.
„Manchmal frage ich mich, wie du bis heute überleben konntest.“ Dabei gab sie ihm endlich den heißersehnten Keks und lächelte, als er ihn in eine Kralle nahm und geschickt ein Stück nach dem anderen abbiss. Zärtlich strich sie ihm über das weiche Gefieder.
Anschließend goss Hermine den Tee auf und kehrte mit zwei Tassen, sowie Milch und Zucker ins Wohnzimmer zurück. „Und, hast du was Interessantes gefunden?“, fragte sie geradeheraus.
Harry zuckte ertappt zusammen und hätte beinahe das Buch fallen lassen. Bei seinen Versuchen, es aufzufangen, erkannte Hermine den Einband und biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu grinsen. 'Geburtshilfe für Heiler' hieß es. Sie hatte es gezwungenermaßen gelesen, ehe sie ihre neue Stelle angetreten hatte.
„Ich glaube, das solltest du lieber jemand anderem überlassen“, stellte sie nun fest und das Tablett mit dem Tee auf den Tisch.
„Ja, ich weiß. Ich wollte nur … lesen. Es interessiert mich eben.“ Er lief rot an.
„Du kannst es dir ausleihen, wenn du möchtest.“
„Oh, ähm … Nein, danke.“ Mit einem verlegenen Lächeln stellte er das Buch zurück und fuhr sich durch die wirren Haare. Dann kam er zum Tisch geschlendert, als wäre er rein zufällig hier.
Als Hermine sich hinunter beugte, um ihnen Tee einzugießen, geriet Horace ins Taumeln und hob laut kreischend von ihrer Schulter ab. Planlos wie ein Flugzeug ohne Lotse drehte er ein paar Runden und ließ sich schließlich auf den Boden plumpsen, wo er weiter hoppste und schließlich schimpfend das Bücherregal erklomm. Bis er weit genug oben war, um die Stehlampe anzuvisieren. Das Klangspiel, das Hermine am Lampenkopf befestigt hatte, klimperte, als der dafür eigentlich viel zu schwere Vogel darauf landete. Doch nicht nur die Klangspiel, sondern die ganze Lampe schwankte, so dass er seine Flügel ausbreiten musste, um fauchend wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Danach sträubte er die Federn, schüttelte sich und begann sich zu putzen, als wäre nichts geschehen.
„Was für eine verrückte Eule“, stellte Harry zum wiederholten Male fest und schüttelte den Kopf.
„Verrückt ist gar kein Ausdruck …“
Als der Brief von Malfoy endlich kam, hatte Hermine die gute Gastgeberin über Bord geworfen und war in ihrem Sessel eingeschlafen. Und so leicht es ihr fiel, die Gedanken an den Todesfall der letzten Nacht zu verdrängen, wenn sie wach war, so hartnäckig verfolgten er sie während des Schlafes.
Sie sah die junge Frau ertrinken in einem Meer aus Blut, tiefer sank sie mit jedem Herzschlag. Und das Kind mit ihr.
„Ich muss sie durchtrennen!“, murmelte Hermine und als Harry sie am Arm berührte schrak sie auf.
„Was willst du durchtrennen?“
„Die Nabelschnur“, seufzte sie und als sie sah, wo sie sich befand, ließ die Anspannung nach und sie sackte in den Sessel zurück.
„Albtraum?“
Hermine nickte. Am liebsten hätte sie sich gleich wieder hingelegt, um weiterzuschlafen. Erfahrungsgemäß verschwanden einige der Albträume wieder in den Untiefen ihres Geistes, wenn sie nur wenig Zeit hatte, darüber nachzudenken. Und davon mal abgesehen war sie einfach todmüde.
Dann fiel ihr Blick auf den Uhu, der vor ihr auf dem Tisch saß und sie aus gelben Augen beobachtete. Horace klapperte mit dem Schnabel und breitete seine Flügel aus, um ebenfalls auf den Tisch zu fliegen. Doch der Uhu wandte nur den Kopf und sah ihn an. Sofort legte Horace die Flügel wieder an den Körper und begann an dem Band zu zupfen, mit dem das Klangspiel befestigt war. Ein leises Klingeln setzte ein.
„Du musst ihm den Brief abnehmen, Hermine. Mich lässt er nicht an sich heran.“
„Hast du den Brief auf Flüche getestet?“
„Nein. Ich denke nicht, dass Malfoy dich erst bedroht und gehen lässt und dir dann einen verfluchten Brief schickt.“
„Bei dem Kerl weiß man nie“, murmelte Hermine, streckte allerdings ihre Hände aus und nahm dem Uhu den Brief vom Fuß.
Das Tier scharrte mit den Krallen und erhob sich anschließend wieder in die Luft. Harry zog den Kopf ein, als die Eule an ihm vorbei aus dem Fenster flog. Hermine sah ihr mit zweifelnder Miene nach, als sie immer kleiner wurde.
Noch ehe sie sich wieder gefangen hatte, geschweige denn wirklich wach geworden war, hatte Harry ihr den Brief aus der Hand gezogen und war dabei, ihn zu öffnen.
„Was steht drin?“
„Nicht viel. Nokturngasse, drei Uhr“, las er vor. Dann warf er einen Blick zur Uhr. „Das ist in einer halben Stunde!“
„Er lässt nichts anbrennen“, murmelte Hermine, allerdings so leise, dass Harry es nicht hörte.
„Wir müssen sofort los.“
Hermine blinzelte mehrmals und überlegte, ob sie sich vielleicht verhört hatte. Als sie zu dem Schluss kam, dass das nicht der Fall war, zog sie ihre Augenbrauen in die Stirn. „Wir?“
„Natürlich wir. Du kommst mit ins Ministerium und bleibst da, bis wir den Mistkerl gefasst haben. In der Zwischenzeit kannst du auch schon mal deine Anzeige zu Protokoll geben. Wir haben im Moment ein paar Praktikanten da, das sollten die gerade so schaffen.“ Sein letzter Satz versank halb im Rauschen des Umhanges, den er sich um die Schultern warf.
Während Hermine sich noch fragte, warum sie mit dieser Sache überhaupt zu Harry gegangen war, wenn sie nun doch nicht in Ruhe schlafen konnte, fand sie sich selbst schon angezogen und startbereit vor dem Kamin wieder.
„Ladys first!“, sagte Harry und deutete in einer übertriebenen Geste auf das noch gelbe Feuer.
„Du willst ja bloß sichergehen, dass ich nicht hier bleibe“, stellte Hermine mit einem Blick in seine grünen Augen fest.
„Exakt. Also los!“
Sie gab ein Geräusch von sich, das arg nach „Hmpf!“ klang und fügte sich ihrem Schicksal.
„Also, es sieht wie folgt aus“, begann Harry keine zehn Minuten später, während sechs Auroren sich um seinen Schreibtisch drückten und abwechselnd ihn und Hermine musterten. „Wir haben noch siebzehn Minuten, bis das Treffen stattfinden soll. Milly, Paul, Alfred, Jack und Lisa, ihr geht in die Winkelgasse und verteilt euch rund um die Abzweigung zur Nokturngasse. Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Ich werde euch gleich folgen.“ Die fünf angesprochenen Auroren nickten und machten sich auf den Weg zu den Apparationsplätzen.
Hermine sah ihnen hinterher. „Brauchst du wirklich fünf Auroren, um einen Mann festzunehmen?“
Harry sah sie an. „Wer garantiert mir, dass er alleine kommt?“
Hermine verzog das Gesicht.
„Lucy, du kümmerst dich um Hermine. Nimm die Anzeige auf und notiere alles, was sie weiß, in Stichpunkten. Ich bin über den Fall informiert und werde deine Aufzeichnungen kontrollieren, wenn wir zurückkehren.“
„Okay, Mr Potter.“ Die junge Frau war offensichtlich eine der Praktikantinnen, die Harry erwähnt hatte. Nervös, aber konzentriert, wild darauf, alles richtig zu machen. „Wenn Sie mir bitte folgen würden“, wandte sie sich nun an Hermine und lächelte.
Hermine stand auf und fasste Harry kurz an der Schulter. „Pass auf dich auf“, sagte sie und sah ihn nicken, bevor sie Lucy aus dem Büro folgte.
Sie führte Hermine den Flur entlang, von dem zu beiden Seiten etwa alle fünf Meter eine Tür in ein kleines Aurorenbüro führte. In den meisten drängten sich zwei Schreibtische aneinander und Hermine kam der Gedanke, dass man sich schon ziemlich mögen musste, um auf so engem Raum miteinander arbeiten zu können. Mit ihren jetzigen Kollegen wäre das undenkbar.
Der Flur war mit einem harten Linoleum ausgelegt, so dass Lucys Schritte laut von den Seiten widerhallten. Hermine hingegen trug flache Schuhe, sie war überhaupt nicht zu hören. Wie ein Geist folgte sie der jungen Frau.
Schließlich hatten sie das Ende des Ganges erreicht und Lucy stieß eine Tür zu ihrer Rechten auf. Sie bedeutete Hermine mit einer Geste vorzugehen.
Der Raum war – gelinde gesagt – kahl. Ein Tisch stand in der Mitte, zwei Stühle an zwei gegenüberliegenden Seiten. Ein kleines Fenster spendete ein Minimum an Licht. Hermine kam sich schlagartig so vor, als hätte sie selbst eine Straftat begangen.
„Gemütlich“, konnte sie sich eine Bemerkung nicht verkneifen, achtete allerdings sorgfältig darauf, eine gute Portion Sarkasmus in ihre Stimme zu legen.
„Tut mir leid, der Raum ist noch nicht wieder hergerichtet.“ Lucy legte die Akte auf den Tisch und zog dann ihren Zauberstab hervor. Mit einem Schlenker führte sie die Spitze an den Wänden entlang und wie bei einer Muggel-Zaubertafel wurde erst alles weiß, bevor der Raum sich veränderte. „Zuletzt wurde hier ein Verhör mit einem Gefangenen geführt“, fügte Lucy mit einem Zwinkern hinzu, nachdem sie ihr Werk vollendet hatte.
Hermine nickte und nahm sich einige Sekunden, um das neue Äußere des Raumes zu betrachten, während die angehende Aurorin sich auf dem Tisch einrichtete. An den Wänden hingen nun Bilder von ehemaligen Auroren. Der Raum wirkte größer als vorher und zwei Aktenschränke durchbrachen das schäbige Weiß der Wände. Das Fenster war nun etwa doppelt so breit und zwei dürre Pflänzchen standen auf dem Sims. Ein Kamin an der linken Seite spendete wohlige Wärme und eine Uhr tickte leise.
Als Hermine sich wieder in Bewegung setzte, um den Tisch zu umrunden und ihrerseits Platz zu nehmen, bemerkte sie den Teppich, der auf dem Boden lag. Er war alt und handgeknüpft, mit dunkelrotem Rand und Fransen. Ihr wurde etwas schwindelig, als sie das gewebte Muster betrachtete.
„Können wir beginnen?“, fragte Lucy, nachdem sie sich gesetzt hatte und goss Hermine ein Glas Wasser aus einer Karaffe ein, die vor ihr auf dem Tisch stand. Anscheinend sah sie doch schlechter aus, als sie befürchtet hatte. Musste an dem mangelnden Schlaf oder der Aufregung der letzten Tage generell liegen. Jedenfalls nahm sie dankend einen großen Schluck.
„Ja, ich bin soweit.“
„Wir haben ihn!“
Mit einem lauten Knall schlug die Tür gegen die Wand und Harry betrat den Raum. Das Grinsen auf seinem Gesicht reichte beinahe von einem Ohr bis zum anderen.
„Ernsthaft?“, fragte Hermine trotzdem nach, denn ihr erschöpfter Verstand war mittlerweile nicht mehr so ohne weiteres in der Lage, zwischen Wunschdenken und Realität zu unterscheiden. Das lag vermutlich an der wohligen Wärme, die vom Kamin her in den Raum sickerte.
„Ja, ernsthaft. Es lief problemlos. Wie im Lehrbuch.“ Harry nahm sich ein Glas vom Tablett und goss sich Wasser ein. „Er sitzt zwei Zimmer weiter und wartet darauf, verhört und dem Richter vorgeführt zu werden.“
„Wie lange wird das dauern?“
Harry feixte. „So vier bis fünf Stunden, bis jemand ihn verhört, und noch mal so lange, ehe er zum Richter kommt. Plus minus zehn weitere Stunden.“
Hermine atmete erleichtert auf. Das bedeutete mindestens zwölf Stunden unbesorgten Schlafes. „Danke!“ Sie stand auf und umarmte Harry, achtete dabei weder auf Lucys Anwesenheit noch auf die Erschöpfung, die über ihr zusammenbrach wie eine große Flutwelle.
„Nichts zu danken“, erwiderte er und tätschelte ihre Schulter. „Wenn ihr hier fertig seid, kannst du erst mal nach Hause. Wie sieht es aus, Lucy?“
„Alles notiert, Sir.“
„Das klingt wunderbar.“ Hermine lächelte schwach, als sie wieder auf ihren eigenen Beinen stand.
„Dann geh schon.“
„Okay. Grüß Ginny von mir!“
„Mach ich.“ Mit einem letzten Lächeln zu Lucy verließ Hermine den Verhörraum und schlug den Weg zu den Kaminen ein.
Notgedrungen hatte sie einen Umweg über das Einkaufszentrum gemacht, denn in ihrem Vorratsschrank sah es äußerst dürftig aus. Obwohl sie mittlerweile schon vier Jahre lang alleine wohnte, hatte sie noch immer nicht den richtigen Rhythmus fürs Einkaufen gefunden. Meistens aß sie im St.-Mungos in der Kantine, um Zeit und Mühe zu sparen; mal abgesehen davon, dass es alles andere als schön war, für sich alleine zu kochen.
Normalerweise verfluchte Hermine die Banne, die ihre Wohnung schützten (natürlich nur metaphorisch), wenn sie mit Tüten beladen durch das Treppenhaus stolperte und versuchte, ihren Zauberstab zu finden. Doch die Erfahrungen mit Malfoy hatten ihr wieder bewusst gemacht, wie viel sicherer sie dadurch lebte.
Das hinderte sie allerdings nicht daran, einige deftige Flüche auszustoßen, als sie es zwar geschafft hatte, den Zauberstab zu ziehen, dafür aber zwei Äpfel aus der Papiertüte kullerten und zwischen den Schuhen der Nachbarn verschwanden.
Mit einem Seufzen stellte Hermine ihre Einkäufe auf den Boden, holte ihre Äpfel und verschaffte sich dann Zutritt zu ihrer Wohnung. Dabei ignorierte sie den Gedanken, dass sie vermutlich schon längst auf der anderen Seite der Tür wäre, wenn sie es von Anfang an so gemacht hätte.
Mit einem Fuß stieß sie die Tür in ihren Rahmen zurück und wankte in die Küche. Sie schaffte es gerade noch, die Einkäufe auf dem Tisch abzustellen, ehe ein leises Ratschen den nahenden Untergang einer Tüte verkündete. Hermine schnaubte und dirigierte die Lebensmitteln mit dem Zauberstab zu ihren Plätzen.
Während also Käse, Milch, Obst, Nudeln und Teebeutel durch die Luft schwebten, zog Hermine sich ihren Umhang aus und warf ihn auf die Garderobe, bevor sie das Schlafzimmer ansteuerte.
Es war ein leises Räuspern, das sie aus ihrer Routine riss.
Chapter 4: Kapitel 2: Das Angebot – Teil 1
Chapter Text
Von einer Sekunde auf die andere war Hermine hellwach. Sie zog ihren Zauberstab, wirbelte herum und sah sich Narcissa Malfoy gegenüber.
Ein künstliches Lächeln verzog die Lippen der blonden Frau, während sie vom Sofa aufstand und einen Schritt in den Raum trat. „Entschuldigen Sie meinen unangemeldeten Besuch, Miss Granger, aber ich denke, es gibt einige Dinge, die wir klären sollten.“
Hermine fasste ihren Zauberstab fester und zog eine Augenbraue in die Stirn. „Zum Beispiel?“
„Zum Beispiel dass mein Mann es mal wieder geschafft hat, den falschen Eindruck zu erwecken.“
„Und Sie glauben, dieser Eindruck ist besser?“, fragte Hermine, während Adrenalin durch ihre Adern rauschte.
„Kaum. Dennoch würde ich Ihnen empfehlen, sich zu setzen und mich anzuhören. Sie könnten es sonst bedauern.“ Ihr Blick huschte zu Hermines Hals und sie rümpfte ein bisschen die Nase.
„Wollen Sie mir auch noch drohen?“
„Nein. Wie Sie sehen, bin ich unbewaffnet. Ich möchte Ihnen nur etwas erklären.“
„Expelliarmus!“, sagte Hermine, kaum dass Narcissa geendet hatte. Der Zauberstab der blonden Frau flog aus ihrer Tasche und fiel klappernd zu Boden. „Jetzt sind Sie unbewaffnet.“
Narcissas Lippen kräuselten sich und sie sah einmal mehr aus, als ob sie Mist unter der Nase hängen hätte. „Nun, da wir das geklärt haben, wäre es für Sie an der Zeit, eine Chancengleichheit wiederherzustellen. Oder bedrohen Sie Ihre Gäste immer, bis sie geschworen haben, sich zu benehmen?“
Hermine schnaubte. „Der Typ, der Schwüre fordert, sind doch eher Sie.“ Sie genoss es zu sehen, wie der ohnehin schon blassen Frau das Blut aus dem Gesicht wich.
„Wenn die Umstände es erfordern …“, presste sie hervor. „Und jetzt legen Sie endlich Ihren Zauberstab beiseite und verhalten Sie sich wie eine Erwachsene. Wenn ich Ihnen etwas hätte antun wollen, hätte ich Sie kaum auf mich aufmerksam gemacht. Genauso wie Lucius Sie nicht hätte gehen lassen.“
Hermine kniff die Augen zusammen. Alles in ihr warnte sie davor, den Malfoys auch nur einen Zentimeter weit zu trauen. Aber allmählich häuften sich die verpassten Gelegenheiten. Sowohl Lucius, als auch Narcissa hätten sie – und Hermine war nicht stolz darauf, das zuzugeben – schon längst entführen können.
Letztendlich war es allerdings nicht die Logik, die Hermine dazu brachte, ihren Zauberstab zu senken, sondern das entspannte Keckern von Horace, der hinter Narcissa auf seiner Stange saß. Horace hätte sie gewarnt, wenn wirklich Gefahr von Narcissa Malfoy ausgegangen wäre.
„Also gut“, entschied sie deswegen, „aber wenn Sie mir zu nahe kommen, werden Sie es bereuen.“
Narcissa stieß einen zischenden Laut aus. „Wenn Sie auch nur im Ansatz ermessen könnten, wie fern es mir liegt, mich Ihnen zu näheren …“
„Also, reden Sie!“, forderte Hermine ihren ungebetenen Gast ungeduldig auf, kaum dass sie beide Platz genommen hatten. Vorher hatte sie allerdings Narcissas Zauberstab genommen und ihn Horace gegeben, der ihn – einem der kleinen Kunststücke folgend – auf das Bücherregal gelegt hatte, das kaum eine Handbreit unter der Decke lag. Ihren eigenen Zauberstab hatte sie zwar weggesteckt, jedoch darauf geachtet, dass sie ihn im Zweifelsfall gut und schnell in die Finger bekommen würde.
„Das Interesse meines Mannes an Ihrer Kette mag bei Ihnen eindeutige Gedanken wecken. Ich habe ihn davor gewarnt, doch er ließ sich nicht davon abbringen, es auf seine Art zu händeln.“ Sie verdrehte die Augen. „Ich denke, Sie können verstehen, dass es schwierig ist, gewisse … Vorurteile abzulegen.“ Dass sie damit den ungastlichen Empfang meinte, den Hermine ihr bereitet hatte, war offensichtlich.
„Meine Vorurteile stützen sich auf meine Erfahrung. Was haben Sie vorzuweisen?“
„Ihr Engagement, mit dem Sie nach dem Ende des Krieges versuchten, mich und meinen Mann nach Askaban bringen zu lassen.“
„Leider erfolglos“, warf Hermine ein.
„Diese Meinung wird sich im Laufe des Gesprächs vielleicht noch ändern.“
Hermine knirschte mit den Zähnen. „Schön. Sie können mich also genauso wenig leiden wie ich Sie. Korrigieren Sie mich, wenn ich mich täusche, aber ich habe Sie nicht gebeten, mit mir in Kontakt zu treten.“
„Das ist natürlich richtig. Und dennoch verlangt Ihre Kette genau diesen Kontakt.“ Narcissa sah Hermine eindringlich an.
Diese tastete entgegen eines über Jahre hinweg antrainierten Impulses nach dem schwarzen Anhänger. „Ich werde nicht zulassen, dass einer von Ihnen die Kette in die Hände bekommt und Voldemort wieder zum Leben erweckt!“
„Dann verfolgen wir dasselbe Ziel.“
Diese Antwort nahm Hermine jeglichen Wind aus den Segeln, was Narcissa lächeln ließ.
„Erziehung ist ein mächtiges Instrument, Miss Granger“, fuhr sie schließlich fort, „doch der Dunkle Lord nutzte sie nur als Vorwand. Wir glaubten an seine Ziele, bis er nach seinem ersten Sturz zurückkehrte. Danach ging es ihm nicht mehr um die Reinhaltung der magischen Rasse, sondern um Harry Potters Tod, seine eigene Unsterblichkeit und die Herrschaft über alle magischen und nichtmagischen Völker. Seine Anhänger hat er dabei nicht viel besser behandelt als seine Feinde. Es mag Sie überraschen, doch nur wenige Todesser waren ihm bis zum Schluss treu ergeben.“
„Dafür haben Sie aber äußerst hartnäckig gekämpft.“
„Natürlich haben wir das. Der Dunkle Lord hatte seine eigenen Ansichten, was einen erfolgreichen Kämpfer betraf. Entweder man gewann den Kampf, oder man blieb auf dem Schlachtfeld. Kehrte man aufrecht stehend aus einem verlorenen Kampf zurück, war davon auszugehen, dass er selbst das Versäumnis der Gegner nachholte.“
Hermine schluckte.
Narcissa blinzelte mehrmals – als würde sie sich aus einem bösen Tagtraum wecken müssen. „Jedenfalls ist keiner der lebenden Todesser versessen darauf, den alten Meister zurückkehren zu sehen. Mein Mann setzte sich mit Ihnen in Verbindung, weil er weiß, wie Sie den Anhänger mitsamt der Magie darin zerstören können.“
„Man kann ihn nicht zerstören“, fiel Hermine Narcissa ins Wort. Sie hatte lange genug nach einer Möglichkeit gesucht, um sich dessen absolut sicher zu sein. „Er wird mit mir sterben müssen.“
Narcissa schnaubte. „Er wird nicht mit Ihnen sterben, Miss Granger. Wenn Sie sterben, wird die Magie des Dunklen Lords freigesetzt.“
Hermine schluckte. Sie hatte das befürchtet, es aber zu ignorieren versucht.
„Aber man kann die Magie zerstören. Nur ist dies in keinem Werk, das sich mit dem Ritual beschäftigt, vermerkt. Severus Snape hat während seines letzten Lebensjahrs daran geforscht und war erfolgreich. Unglücklicherweise brach der Kampf los, bevor er dazu kam, die Umkehrung niederzuschreiben. Er nannte Lucius lediglich einige Eckpunkte seiner Theorie. Die letzten acht Jahre verbrachte mein Mann damit, Severus' Gedanken zu rekonstruieren und denjenigen ausfindig zu machen, der das Ritual durchgeführt hatte.“
Hermine starrte die blonde Frau an, als hätte diese den Verstand verloren. Dabei tauchte sie in ihre eigenen Erinnerungen ein und versuchte, den Moment zu rekonstruieren, in dem Professor Snape ihr gesagt hatte, was sie tun sollte.
„Nein, eines noch. Miss Granger … nach dem Krieg …“ Das hatte er gesagt. Dann war er ermordet worden.
„Er war noch nicht fertig …“, murmelte Hermine und ein fehlendes Puzzlestück legte sich an seinen Platz. Sie schluckte und spürte, wie die aufsteigende Hoffnung Tränen mit sich brachte. Hartnäckig kämpfte sie dagegen an. „Was war es, das Snape Ihnen über die Umkehrung erzählt hat?“
Narcissa lachte falsch auf. „So sympathisch Sie mir auch sind, Miss Granger“, und sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie genau das Gegenteil von dem meinte, was sie sagte, „doch ich gedenke nicht, Ihnen zu diesem Zeitpunkt noch mehr zu sagen. Ziehen Sie Ihre Anzeige zurück und kommen Sie zum Dinner zu uns. Dann können wir alles weitere besprechen.“ Sie stand auf und machte Anstalten zu gehen.
Bei diesem Anblick verlor Hermine die Beherrschung. Sie sprang auf die Füße und packte die schlanke Frau am Arm. „Ich werde Sie nicht gehen lassen, bevor Sie mir nicht gesagt haben, was Sie wissen!“
Narcissa zog ihre Augenbrauen in die Stirn und sah auf Hermines Hand hinab. Dann legte sie ihre Finger mit einem schraubstockartigen Griff um Hermines Handgelenk und drückte so fest zu, dass ihre Finger erschlafften. „Sie wissen bereits alles, was ich weiß, Miss Granger. Mein Mann hielt es für sicherer, mich nicht über alles ins Bild zu setzen.“
Hermine stolperte einen Schritt zurück. Die Berührung von Narcissas kühlen Händen auf ihrer Haut hatte ein Stück Rationalität in ihren Verstand zurückgebracht. Eine zarte Röte flackerte über ihre Wangen, doch angesichts der Wut, die in ihr anschwoll, fiel das kaum mehr auf. „Woher soll ich wissen, dass Sie mich nicht in eine Falle locken?“, fragte sie scharf, nachdem sie ihre Fassung zurückerlangt hatte.
Narcissa schnaubte äußerst undamenhaft. „Soll ich dieses Mal einen Schwur ablegen, Miss Granger?“
Hermine blinzelte einmal und ein zweites Mal. Dann nickte sie. „Eine wirklich ausgezeichnete Idee.“
Entgegen besseren Wissens hatte Hermine Narcissa in ihrer Wohnung gelassen, ehe sie ihren Kamin benutzt hatte, um zu Ginny zu flohen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Narcissa ihre nicht vorhandenen Wertgegenstände mitgehen ließ, war eher gering. Und auf diese Art konnte Hermine gleich testen, wie wichtig dem blonden Gift das Anliegen war.
„Ginny?“ Sie versuchte ein angemessenes Maß für die Lautstärke zu finden, denn James wollte sie nicht unbedingt wecken.
„Küche!“, war die Antwort, laut und munter, begleitet von einem Krähen und dem arhythmischen Klappern eines Löffels auf der Tischplatte. Doch das Klappern erstarb rasch. „James, nein!“ Dafür begann der kleine Junge zu weinen.
Hermine musste trotz ihrer angespannten Stimmung lächeln, während sie den Flur und das Wohnzimmer durchquerte. „Bei dir ist auch immer was los.“
„Hör bloß auf. Aber ich bin es ja gewohnt.“ Ginnys Wangen glühten rot, während sie kraftvoll einen Teig knetete. Hermine sparte sich den Hinweis, dass das magisch leichter ging; sie würde ihre Gründe haben.
Sie strich durch James' weiche Haare, ehe sie sich gegen die Arbeitsplatte lehnte. Und da er nun keinen Löffel mehr hatte, mit dem er das Holz malträtieren konnte, nahm er seine kleinen Hände und patschte wild drauf los. „Ich könnte deine Hilfe gebrauchen“, verschaffte Hermine sich über den Lärm des Kindes Gehör.
„Klar, wofür?“
Sie kaute auf ihrer Unterlippe. „Das Ganze ist etwas heikel. Ich fürchte, du müsstest es auch vor Harry geheim halten, sonst geht er die Wände hoch.“
Diese Einleitung war für Ginny Grund genug, den Teig links liegen zu lassen. Sie wusch sich die Reste von den Händen und griff nach dem Schnuller, den James irgendwann auf den Tisch gespuckt hatte. Ihre Blicke auf Hermines Gesicht konzentriert, steckte sie ihm das Ding in den Mund und hielt es wohlweislich fest. Von einem Moment auf den anderen trat Ruhe ein. „Also, erzähl schon!“
Hermine atmete einmal tief durch und dann stellte sie sich der Aufgabe, das Unverständliche verständlich zu machen.
Hermine hatte Ginny das Versprechen abgerungen, keine Fragen zu stellen, bis Narcissa wieder verschwunden war. Das war kein endgültiger Plan, denn es widerstrebte ihr sehr, nach acht Jahren doch noch irgendwem das Geheimnis der Kette anzuvertrauen. Doch vorerst hielt die Aussicht auf Antworten Ginny bei Laune und das war alles, was Hermine interessierte.
Also ging sie zum Kamin zurück, nachdem James sich dem Willen seiner Mutter gebeugt und in einen verfrühten Mittagsschlaf gesunken war, und steckte den Kopf in die grünen Flammen. „Mrs Malfoy?“
Es dauerte keine zwei Sekunden, bis der hellblonde Haarschopf sich in ihr Blickfeld schob. Ein verdrossener Zug lag um den schmalen Mund und Hermine fragte sich unwillkürlich, ob die allgemeine Unzufriedenheit oder doch eher der Titel 'Mrs' dafür gesorgt hatte.
Sie streckte eine Hand durch die Flammen und griff nach Narcissas Arm. Auf diese Art konnte sie sie in Ginnys und Harrys Wohnung ziehen, ohne dass sie erfahren musste, wo genau diese war.
Narcissa zog ihren Arm aus Hermines Griff, kaum dass sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Mit einem giftigen Blick richtete sie sich auf und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, die sich durch den Strudel im Flohnetzwerk gelöst hatte.
„Mrs Potter“, sagte sie steif, doch mit unleugbar melodischer Stimme.
Es war Ginny deutlich anzusehen, wie wenig sie von dem außergewöhnlichen Besuch hielt. Vor allem, weil Narcissa eine Aura des Vornehmen um sich trug, mit der weder Ginny noch Hermine mithalten konnten. Dies hinderte Ginny allerdings nicht daran, es dennoch zu versuchen: „Mrs Malfoy …“
Hermine blinzelte einmal und als sie spürte, wie sich ein angespanntes Schweigen entwickelte, trat sie einen Schritt auf Ginny zu und räusperte sich leise. „Wir sollten anfangen, bevor James aufwacht.“
„James?“ Narcissa zog eine Augenbraue in die Stirn. Es war ihr offenbar nicht bewusst, dass diese Bemerkung Ginnys Antipathie in schwindelerregende Höhen treiben würde.
„Mein Sohn. Wenn Sie mir nun bitte folgen würden, Mylady.“ Sie wirbelte herum und ging aus dem Raum. Hermine wusste nicht, wo sie hingehen würde, doch der Zimmerwechsel galt vermutlich ohnehin nur dem Zweck, Narcissa zu beweisen, dass diese Wohnung zwar nicht der Buckingham Palace war, aber auch nicht gerade klein.
Also folgte sie den beiden Frauen mit einer Mischung aus Nervosität und morbidem Vergnügen.
„Hermine, hilfst du mir mal kurz?“ Ginny warf Narcissa einen scheelen Blick zu, während sie den Tisch im Esszimmer an die Wand schieben wollte, um mehr Platz zu schaffen.
Hermine wunderte sich kurz, nickte allerdings und fasste die gegenüberliegende Kante der Tischplatte an. Kurz darauf war der Boden frei. Doch Ginny hielt sie am Arm fest, bevor sie zu Narcissa zurückkehren konnte. Mit schmalen Augen fixierte Ginny die fremde Frau und raunte Hermine zu: „Was muss ich jetzt eigentlich machen?“
Das Blut schoss Hermine in die Wangen, als ihr einfiel, dass sie Ginny keine genauen Anweisungen gegeben hatte. „Nur den Zauberstab auf unsere Hände halten.“
„Oh, gut.“ Sie gewann etwas Selbstsicherheit zurück und richtete sich gerade auf.
„Wir wären dann soweit“, sagte Hermine laut und drehte sich zu Narcissa um, die mit deutlichem Desinteresse die wenigen Bücher im Regal gemustert hatte.
„Erstaunlich“, war die Antwort - und als keine der beiden darauf einging, fügte sie hinzu: „Wenn Severus und Bella damals solange gebraucht hätten, wäre Draco schon tot gewesen, ehe jemand auch nur die Chance gehabt hätte, einzugreifen.“
Hermine lächelte süßlich. „Ein Glück, dass wir uns Zeit nehmen können, nicht wahr?“ Narcissa rümpfte die Nase. Hermine ignorierte sie. „Nach Ihnen!“
Widerwillig ging die blonde Frau auf die Knie und Hermine folgte ihr mit derselben Begeisterung. Ginny trat an ihre Seite und zückte den Zauberstab. Das helle Holz glänzte im Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel.
Narcissas Hand hatte eine angenehme Temperatur und dennoch lief eine Gänsehaut Hermines Arm hinauf. Sie hatte es seit dem Ritual weitestgehend vermieden, unnötigen Körperkontakt einzugehen. Eigentlich war es kaum verwunderlich, dass Ron die Trennung damals einfach akzeptiert hatte. Sie war nicht mehr sie selbst gewesen und er hatte das bemerkt. Blinzelnd riss sie sich aus ihren Gedanken und verschränkte ihre Hand mit Narcissas.
Die Spitze von Ginnys Zauberstab schwebte einen Zentimeter über Hermines Haut, als diese das Ritual begann: „Werden Sie, Narcissa Malfoy, schwören, dass Sie aus den genannten Gründen zu mir gekommen sind?“
„Das werde ich“, antwortete Narcissa und fing Hermines Blick mit ihren eisblauen Augen ein. Die leuchtend rote Flamme, die mit einem leisen Rauschen aus Ginnys Zauberstab schoss, spiegelte sich darin wider.
Hermines Handfläche wurde feucht unter der Hitze der Flamme. Doch sie hielt still, als sie fortfuhr: „Und werden Sie mir versichern, dass mir keinerlei Gefahr droht, wenn ich mich in Ihrem Haus aufhalte – jetzt und in Zukunft?“
Sie antwortete ohne zu zögern: „Das werde ich.“
Eine zweite Flamme schlang sich um die erste und die Temperaturen, die dicht über ihrer Hand waberten, stiegen noch ein bisschen weiter an.
„Und werden Sie und Ihr Mann alles tun, was nötig ist“, fuhr Hermine mit ihren Forderungen fort, „um die Magie des Dunklen Lords zu zerstören?“
Dieses Mal antwortete Narcissa, noch bevor Hermine zu Ende gesprochen hatte, und übertönte damit Ginnys entsetztes Keuchen: „Das werden wir!“
Die dritte Flamme schoss aus dem Zauberstab wie die Zunge einer Schlange. In einem atemberaubenden Spiel verflochten sich die drei Stränge miteinander und bildeten ein dickes Band, das als Abschluss des Rituals in ihre Hände sank und sich warm und bindend in ihren Knochen einzunisten schien.
Hermine atmete auf, als sie den Griff lösen konnte und aufstehen durfte. Sie schwankte kurz, als ihr das Blut aus dem Kopf in die Beine lief, doch der Schwindel legte sich rasch. Als Narcissa fertig war, ihre Kleidung zu richten, stand Hermine bereits wieder sicher auf ihren Beinen.
„Ich erwarte Sie dann morgen Abend um acht.“ Hermine nickte, weniger nervös als zuvor. Der Schwur gab ihr mehr Sicherheit, als sie erwartet hatte. „Wenn es Ihnen recht ist, werde ich Ihren Kamin benutzen, Mrs Potter“, wandte sie sich dann an Ginny.
„Natürlich.“ Sie wartete ab, bis Narcissa das Esszimmer verlassen hatte, dann raunte sie Hermine zu: „Je eher desto besser, denn ich erwarte Antworten!“
Hermine hatte den Esszimmertisch mit Hilfe ihres Zauberstabes wieder an seinen Platz dirigiert und sich gesetzt, während Ginny den Aufbruch Narcissas überwachte. Sie kaute an ihrem Fingernagel, hin und her gerissen zwischen den Möglichkeiten, die sie jetzt hatte. Sie hielt ihren Zauberstab in der Hand und ihr Kiefer mahlte, während sie die Tischplatte anstarrte.
Sie könnte Ginny erzählen, was sie ihr die letzten acht Jahre verschwiegen hatte. Das würde bedeuten, dass es innerhalb kürzester Zeit auch Harry und Ron, sowie die gesamte Familie Weasley und alle erreichbaren Mitglieder des Ordens wüssten. Die Information, dass Voldemort nicht zerstört, sondern lediglich gebannt war, war eine Neuigkeit, die die magische Welt in Aufruhr versetzen würde.
Oder sie könnte die Magie nutzen, um Ginnys Gedächtnis zu verändern. Das würde bedeuten, dass sie ihren Kampf weiterhin alleine kämpfen musste. Nun gut, unter Umständen mit der Unterstützung der Malfoys, doch das war keine rechte Aufmunterung.
Sie hatte noch keine bewusste Entscheidung getroffen, als sie Ginnys Schritte näher kommen hörte. Trotzdem hatte sie im nächsten Moment den Zauberstab erhoben und wartete nur darauf, dass ihr Ziel in Sicht kam.
Die Versuchung, zu einem anderen Auroren zu gehen, war groß. Doch seitdem sie die Aurorenabteilung im Ministerium betreten hatte und ein fremder Auror nach dem anderen an ihr vorbeiging, war es ein einziger Gedanke, der sie davon abhielt, den leichten Weg zu wählen: Wenn sie schon Ginny hinterging, sollte sie wenigstens Harry gegenüber ehrlich sein.
Sie klopfte zwar an seine Tür, wartete jedoch nicht auf ein Herein von der anderen Seite. Harry sah erstaunt von den Pergamenten auf, die er gerade bearbeitete, doch ein Lächeln kräuselte seine Mundwinkel, als er sie erkannte.
„Ich ziehe meine Anzeige zurück“, sagte Hermine, ehe sie der Mut verlassen konnte.
Das Lächeln verschwand. Harry blinzelte mehrmals, dann runzelte er die Stirn. „Du machst was?“
„Ich ziehe meine Anzeige gegen Lucius Malfoy zurück“, wiederholte Hermine und verbarg ihre zitternden Hände, indem sie sie in den Falten ihres Umhanges versteckte. Ihr schlug das Herz bis zum Hals.
„Warum?“ Er ließ die Feder, die er in der Hand gehalten hatte, auf das Pergament fallen.
Sie senkte den Blick. „Ich habe meine Gründe. Und ich bitte dich, nicht danach zu fragen.“
Harry schnaubte. „Das ist verdammt viel, nach dem ich nicht fragen soll, Mine!“ Sein Stuhl scharrte über den Boden, als er aufstand und um seinen Schreibtisch herum kam. Er packte sie bei den Schultern und sah auf sie hinab wie ein Lehrer auf seinen Schüler. „Erpresst er dich?“
„Nein. Wie sollte er? Er sitzt in Untersuchungshaft.“ Ihre Worte klangen mechanisch. So als hätte jemand sie auf ein Band gesprochen, das sie nun nur abspielen musste. Merlin, es wäre so viel leichter, wenn es wirklich so wäre.
„Ich verstehe das nicht.“ Harry sah gequält aus - und das aus gutem Grund. Immerhin sorgte sie gerade dafür, dass der Mann wieder auf freien Fuß kam, den Harry schon seit seiner Schulzeit inhaftiert sehen wollte. Dass es ihr selbst ähnlich ging, verdrängte sie dabei.
„Du musst es nicht verstehen. Du musst es nur akzeptieren.“ Nach diesen abschließenden Worten wand Hermine sich aus dem zunehmend fester werdenden Griff ihres Freundes und schlüpfte aus seinem Büro.
Mit einem lauten Schlag prallte etwas gegen die verschlossene Badezimmertür und fiel kurz darauf auf den Boden. Das empörte Krächzen der Waldohreule drang selbst durch das dicke Holz. Dann pickte ein harter Schnabel dagegen, so penetrant und ausdauernd, dass Hermine sich nach ein paar Minuten endlich zur Türklinke streckte und Horace hereinließ.
Durch den Schleier der Tränen, der sich über ihre Augen gelegt hatte, war er nicht mehr als ein wandelnder brauner Fleck mit zwei federnen Hörnern auf dem Kopf. Wie ein Teufel, der zu lange in seinem eigenen Feuer gesessen hatte. Er lief über den Badezimmerteppich zu ihr und schuhute leise.
Hermine schniefte und streckte den Arm aus, damit er darauf klettern konnte. Dann hob sie ihn auf ihren Schoß und kraulte durch die weichen Federn auf seinem Rücken.
„Ich hab echt Mist gebaut“, flüsterte sie und die Verzweiflung über die jüngsten Ereignisse schwappte wieder über ihr zusammen.
Horace streckte die Flügel aus und beugte sich vor, bis er eine von ihren gelockten Haarsträhnen erreichen konnte. Als wären es die besten Eulenkekse, die die Welt je gesehen hatte, kaute er darauf herum und zog ab und zu so vorsichtig daran, dass das Ziepen auf ihrer Kopfhaut etwas Tröstliches hatte.
Hermine stieß einen zitternden Atemzug aus und lehnte sich wieder gegen die Badewanne. „Was meinst du, ob ich nach acht Jahren doch endlich so viel Glück haben sollte, dass ich diesen Anhänger loswerde?“
Horace krächzte und wippte mit dem Kopf auf und ab.
Hermine lächelte, gab jedoch nicht allzu viel auf diese Antwort. Schließlich reagierte er auf jede ihrer Fragen so, vermutlich weil er dachte, sie hätte ihn gefragt, ob er einen Eulenkeks haben wollte.
Und dennoch breitete sich ein warmes Gefühl in ihrem Magen aus. Es war, als würde sie einen lang vermissten Freund begrüßen. Sie hatte sie schon lange nicht mehr gespürt, diese Hoffnung.
Nachdem sie den Verrat gegenüber Ginny und Harry in eine Ecke ihres Verstandes verbannt hatte, stand Hermine vom Badezimmerfußboden auf, setzte Horace auf die Stange, an der der Duschvorhang befestigt war, und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, bis die roten Spuren der Tränen einigermaßen verschwunden waren.
Danach zog sie sich frische Kleidung an und machte sich auf den Weg ins St.-Mungos. In einer halben Stunde begann ihre Schicht und sie konnte nur hoffen, dass diese Nacht möglichst wenig Kinder zur Welt kommen wollten. Ein paar Stunden Schlaf würden ihr nach diesem Tag gut tun.
„Hallo“, begrüßte sie ihre Kollegin Beatrice, die gerade dabei war sich umzuziehen, als Hermine den Aufenthaltsraum betrat.
„Hey“, erwiderte diese müde, lächelte aber.
„Wie war die Schicht?“
„Ruhig. Du solltest nur bei Gelegenheit noch mal nach Mrs Absennes schauen. Irgendetwas stimmt da nicht …“ Sie kräuselte die Nase und wischte sich durch die kurzen Haare.
„Okay, werd ich machen“, versprach Hermine, Wenn Beatrice sich bei einer Patientin unwohl fühlte, gab es dafür meistens einen Grund. „Sag mal, kannst du mir einen Gefallen tun?“
„Kommt drauf an welchen.“
„Ich hab morgen Abend um acht einen Termin, der sich nicht verschieben lässt. Können wir die Schicht tauschen?“
Beatrice verzog das Gesicht. Während Hermine wieder die Nachtschicht hatte, hatte sie Frühschicht, welche ihr deutlich lieber war. Aber da das für Hermine jetzt eine Doppelschicht bedeutete, während sie ausschlafen und ihren Vormittag würde genießen können, stimmte sie schließlich zu. „Also gut. Wenn du meinst, dass du das durchhältst …“ Sie sah Hermine und ihre Augenringe zweifelnd an.
„Wird schon gehen“, entgegnete sie. Im Zweifelsfall eben mit dem einen oder anderen Trank, sie hatte ihren Spind entsprechend ausgestattet.
Dass sie nicht wusste, wo die Malfoys inzwischen wohnten, wurde Hermine erst bewusst, als sie am nächsten Tag nach ein paar Stunden komatösen Schlafs zwischen der Kleiderfrage und der Nervosität für fünf Minuten zur Ruhe kam. Ratlos stand sie vor ihrem Spiegel und schürzte die Lippen. Einige Monate nach Ende des Krieges hatte das alte Anwesen der Malfoys, in dem sie von Bellatrix gefoltert worden war, zum Verkauf gestanden. Ron hatte gescherzt, ob er eine Galleone bieten sollte, mehr wäre das Anwesen mit seiner Vorgeschichte wohl kaum wert. Aber wohin die Malfoys gezogen waren, hatte sie nie interessiert.
Doch keine zwei Minuten später beantwortete sich die Frage, wie sie dorthin kommen sollte, von alleine. Der Uhu, der ihr schon den Brief gebracht hatte, tippte mit dem Schnabel gegen das Fenster im Wohnzimmer.
Dieses Mal trug er ein seidenes Taschentuch in den Krallen, das er einfach auf die leere Tischplatte fallen ließ. Er flog einen Bogen im Zimmer und verschwand wieder, ohne sich zu setzen. Hermine sah ihm perplex hinterher.
Dann schloss sie das Fenster und betrachtete das Taschentuch. Zweifellos war es ein Portschlüssel. Doch sie gedachte nicht, ihn früher als nötig zu benutzen. Immerhin war es erst halb acht.
Also drehte sie lange fünfzehn Minuten ihre Runden in der Wohnung, erledigte zwischenzeitlich den Abwasch und trug den Wäscheberg ab, der sich im Badezimmer angehäuft hatte. Sie war sich nicht sicher, ob die magische Unterstützung, die es ihr ermöglichte, diese lästigen Aufgaben im Bruchteil der gewöhnlichen Zeit zu erledigen, dieses Mal gefiel oder nicht. Denn danach wusste sie nicht mehr, was sie noch tun sollte.
Horace war schon vor über einer Stunde ins Freie geflüchtet, weil er ihre Unruhe nicht mehr ertragen hatte; an der beruhigenden Wirkung, die so ein Haustier haben sollte, musste sie mit ihm noch arbeiten.
Schließlich stellte sie sich wieder vor den Spiegel und prüfte ihr Äußeres. Die Haare hatte sie offen gelassen, es blieb ihr auch nicht viel anderes übrig. Kleine Löckchen kringelten sich um ihr Gesicht. Mit Make-up hatte sie keine große Erfahrung und so hatte sie sich damit zurückgehalten. Lieber sah sie unspektakulär natürlich als spektakulär billig aus – vor allem da sie gegen Narcissa Malfoy antreten musste, eine Frau, die vermutlich ihr Leben lang nichts anderes getan hatte, als ihre Styling-Fähigkeiten zu perfektionieren. Lustlos wischte sie unter ihren Augen entlang. Die dunklen Schatten ließen sich nicht verbergen.
Dafür war sie mit ihrer Kleiderwahl zufrieden. Die schwarze Hose und die hellblaue Bluse ließen sie nicht ganz so blass aussehen, wie sie tatsächlich war. Und zusammen mit der dunklen Strickjacke war sie – hoffentlich – für den Anlass angemessen gekleidet.
Nun, eines stand jedenfalls fest – übertrieben hatte sie es kaum.
Die letzten zehn Minuten verbrachte Hermine damit, den Sekundenzeiger ihrer Uhr zu beobachten, wie er seelenruhig und ohne Hast seine Runden auf dem Zifferblatt drehte. Sie wäre jede Wette eingegangen, dass er schneller lief, wenn sie versuchte, ein paar Stunden Schlaf nachzuholen.
So war es eine wahre Erleichterung, als der Zeiger endlich die Marke überschritt, die sie sich selbst gesetzt hatte: zwei Minuten vor acht. Hermine stand auf, strich ihre Strickjacke glatt und betrachtete das Seidentaschentuch, das noch immer so auf dem Tisch lag, wie der Uhu es hinterlassen hatte. In der Hoffnung, dass es sich lohnen und nicht als Fehler herausstellen würde, hob sie es auf.
Chapter 5: Kapitel 2: Das Angebot – Teil 2
Chapter Text
Nachdem der Schwindel sich gelegt hatte, schüttelte Hermine ihren Kopf und sah sich um. Die Sonne war schon untergegangen und als sie nach vorne blickte, fielen ihr als erstes die Lichter auf. Sie waren überall. Das ganze Anwesen schien ausgeleuchtet zu sein wie ein Weihnachtsbaum bei den Weasleys.
Sie stand am Anfang eines Kiesweges, der zur Eingangstür hinaufführte. Links und rechts im gepflegten Rasen steckten Glaskugeln auf langen Stöcken, in denen kleine Punkte herumschwirrten. Befände sie sich nicht in der magischen Welt, hätte sie gewettet, dass es Glühwürmchen waren. So hingegen tippte sie auf ein kleines Kunststück der Hauselfen.
Hermine rümpfte über diese Schlussfolgerung die Nase, entschied jedoch, dass jetzt ihr eigenes Wohl ausnahmsweise einmal wichtiger war. Acht Jahre Leiden waren mehr als genug und so schob sie die Gedanken an Hauselfen ebenso beiseite wie das Kribbeln in ihrem Magen.
Die kleinen Steinchen knirschten unter ihren Schuhen, als sie das kurze Stück bis zur dunklen Holztür zurücklegte. Kaum hatten ihre Füße die erste der drei Stufen berührt, flammten weitere Lichter auf, Fackeln dieses Mal. Sie leuchteten den Eingangsbereich aus und machten dabei den Kerzen Konkurrenz, die in jedem Fenster der Hausfront aufgestellt worden waren.
Insgeheim fragte sie sich, ob die Malfoys Besuch über den Luftweg erwarteten, dem man ein Zielfeuer setzen musste.
Hermine griff nach dem schlichten Türklopfer (sie war beinahe etwas enttäuscht, dass es keine Schlange war) und ließ das Metall einige Male gegen das passende Unterstück fallen.
Es dauerte kaum eine Minute, bis die Tür sich scheinbar von Geisterhand öffnete. Allerdings wirklich nur scheinbar, wie Hermine feststellte. Denn als sie ihren Blick auf einen Punkt richtete, der noch unterhalb ihres Bauchnabels lag, entdeckte sie den Hauselfen. Natürlich.
„Willkommen im Hause Malfoy, Missus“, sagte er, ein einfarbig weißes Geschirrhandtuch so geschickt um den kleinen Körper geschlungen, dass es wie eine blütenreine Toga wirkte. Allein die grobe Struktur des Stoffes verriet es.
Ehe Hermine auf die Begrüßung reagieren konnte, erklang das Geräusch von hochhackigen Schuhen auf einem gefliesten Boden. Die Tür wurde noch etwas weiter geöffnet und Hermine sah sich dem falschen Lächeln Narcissa Malfoys gegenüber.
„Miss Granger“, begann sie, offensichtlich mit dem Ziel, ihr zu zeigen, wie sich eine anständige Gastgeberin zu verhalten hatte. Zumindest bedrohte sie sie nicht mit dem Zauberstab. „Ich freue mich, dass Sie es geschafft haben. Kommen Sie herein!“
Hermine unterdrückte ein Würgen angesichts der falschen Freundlichkeit, mit der sie hier begrüßt wurde. Trüge sie nicht die Zukunft der magischen Welt um ihren Hals, hätte weder Narcissa noch ihr werter Gatte sie freiwillig auch nur angesehen. Nun allerdings …
„Danke.“ Hermine trat über die Schwelle des riesigen Hauses und was sie nicht für möglich gehalten hatte, trat ein: Ihre Nervosität nahm noch weiter zu.
„Lucius ist leider noch verhindert. Er wird später zu uns stoßen. Das soll uns jedoch nicht daran hindern, uns mit einem Glas Wein in den Salon zu setzen.“ Narcissa schritt vor Hermine durch einen Flur, in dem vermutlich ihre ganze Wohnung Platz gehabt hätte. Dabei lief sie achtlos an Gemälden und Vasen vorbei, von denen Hermine nur schätzen konnte, was sie wert sein mochten. Sie bemühte sich, nicht allzu beeindruckt auszusehen.
Sie bog um eine Ecke, hinter der sie Narcissas wippende Frisur hatte verschwinden sehen. Ein Schwall warmer Luft schlug ihr entgegen und erst da wurde ihr bewusst, wie kühl es in der Eingangshalle und draußen gewesen war; sie hatte keinen Umhang mitgenommen.
„Bitte, nehmen Sie Platz!“, war es erneut Narcissa, die das Gespräch aufnahm, indem sie die Schiebetür schloss und auf einen Sessel vor dem Kamin deutete. Ein zweiter stand daneben, separiert durch einen kleinen Tisch, auf dem zwei Gläser und eine Karaffe Rotwein standen.
Hermine trat um den Sessel herum und setzte sich, die Blicke ins flackernde Feuer gerichtet. Die Hitze kroch unter den dünnen Stoff ihrer Hose und ihre Beine hinauf. Obwohl sie selbst einen Kamin in der Wohnung hatte, benutzt sie ihn kaum für den Zweck, mit einem Feuer einzuheizen. Es lohnte sich einfach nicht, so selten wie sie zu Hause war.
Das Gluckern des Weines, als ein zweiter Hauself ihnen eingoss, riss Hermine aus ihren Gedanken. „Danke“, murmelte sie und griff nach dem Stiel des Glases, nachdem Narcissa mit einem Nicken dafür gesorgt hatte, dass der Elf sich stumm und starr wie eine Statue in die Ecke stellte und darauf wartete, dass seine Dienste gebraucht wurden.
„Hatten Sie einen angenehmen Tag?“, fragte Narcissa nach einigen Momenten.
„Wollen Sie jetzt Smalltalk mit mir betreiben bis Ihr Mann kommt?“
„So war es gedacht.“ Sie stellte ihr Glas zurück, ohne von dem Wein getrunken zu haben. Hermine entschied, es ihr gleichzutun; nicht weil sie befürchtete, Narcissa könne den Wein vergiftet haben. Eher weil sie irgendwann vor Sonnenaufgang zuletzt etwas gegessen hatte und Alkohol auf leeren Magen nur schwer vertrug.
„Ich hatte nicht vor, mehr Zeit als nötig hier zu verbringen. Dieses ganze Dinner ist ohnehin eine einzige Farce …“
„Mitnichten. Ich habe Sie nicht eingeladen, um Sie milde zu stimmen und unserem Angebot gegenüber zugänglich zu machen. Sie sind eine erwachsene Frau und müssen selbst entscheiden, ob Sie die magische Welt schützen oder ins Chaos stürzen möchten. Doch im Gegensatz zu meinem Mann hielt ich es für angemessener, eine Angelegenheit wie diese nicht zwischen Tür und Angel zu besprechen. Zumal Sie voraussichtlich länger als ein paar Tage mit meinem Mann zusammenarbeiten werden, wenn Sie sich entschließen sollten, zu kooperieren. Wir sollten uns ein wenig kennenlernen.“ Sie machte eine kleine Pause, die jedoch nicht lange genug anhielt, damit Hermine etwas hätte sagen können. „Dass Lucius nun aufgehalten wurde, ist eine Unannehmlichkeit, für die ich mich entschuldigen möchte. Doch ich versichere Ihnen, dass er bald kommen wird. Nichtsdestotrotz überlasse ich es jedoch Ihrer Entscheidung, ob wir die Zeit bis dahin mit … Smalltalk oder schweigend verbringen.“ Sie schloss mit einem höflichen Lächeln, das ihren Unmut über die derzeitige Lage erstaunlich gut verbarg.
Hermine hingegen spürte Hitze in sich aufsteigen. Was sollte sie zu einem halben Vortrag wie diesem schon sagen? Natürlich hatte Narcissa recht, aber Hermine würde sich lieber die Zunge abbeißen, anstatt das zuzugeben. Und vielleicht würde etwas Smalltalk sie ablenken von dem Kribbeln in ihrem Magen, das sie jedes Mal überfiel, wenn sie an Lucius Malfoy dachte. Sie wollte wirklich keine Zeit mit diesem Mann verbringen, allein der Gedanke an ihn stellte ihre Nackenhaare auf. Aber sie sollte ihm möglicherweise doch zuhören.
Also holte Hermine tief Luft und nickte mit einem erzwungenen Lächeln. „Danke, mein Tag war äußerst angenehm“, log sie und nahm nun doch einen Schluck Wein.
Es war bereits halb neun, als der Herr des Hauses endlich zu ihnen stieß. „Entschuldigt meine Verspätung“, sagte er, ohne eine der beiden Frauen, die sich zu ihm umgedreht hatten, direkt anzusehen. Er deutete Hermine gegenüber eine widerwillige Verbeugung an und ging zu seiner Frau. Eine Hand griff kurz in ihre Haare, etwa dort, wo Hermine die Schulter Narcissas vermutete.
„Ich denke, Miss Granger und ich haben uns einigermaßen gut unterhalten.“ Narcissas helle Stimme klang etwas nasaler, nun da ihr Mann anwesend war.
Hermine fühlte sich seltsam genötigt dem zuzustimmen: „Ja, es war … nett.“
Lucius zog die Augenbrauen in die Stirn. Es schien nicht, als ob es ihn interessieren würde. „Das beruhigt mich“, erwiderte er trotzdem. „Wollen wir dann ins Speisezimmer wechseln?“
„Gern.“ Narcissa stand auf und schenkte ihrem Glas keinerlei Beachtung. Hermine, die ihres ursprünglich hatte mitnehmen wollen, tat es ihr gleich und ging unter den Augen Lucius' vorbei zur Tür. Automatisch drückte sie den Rücken durch.
Während sie Narcissa erneut durch das Anwesen folgte, war sie sich der Tatsache, dass Lucius Malfoy persönlich hinter ihr ging, unangenehm bewusst. Sie konnte seine Blicke in ihrem Nacken spüren. Um ihn aus dem Augenwinkel beobachten zu können, betrachtete sie die Bilder an den Wänden. Es waren überwiegend Porträts, vielleicht die Ahnengalerie der Familie Malfoy. Die Porträtierten musterten sie jedenfalls abschätzig, beinahe als würde man ihr ihre Abstammung ansehen.
Schließlich betrat Narcissa das Speisezimmer, welches eigentlich eher ein Saal war. In der Mitte stand ein langer Tisch, der von einem imposanten Leuchter in warmes Licht getaucht wurde. Wie in Hogwarts' Gängen standen in zwei Ecken alte Rüstungen, das Mobiliar war aus dunklem Holz und aus zwei Kaminen an den gegenüberliegenden Seiten des Raumes quoll Wärme.
Der Tisch war zu Hermines Erleichterung nur an einer Seite gedeckt; ein Platz am Kopf und je ein weiterer auf dessen linker und rechter Seite. Allein die Vorstellung, sich mit den Malfoys über eine Distanz von geschätzten zehn Metern zu unterhalten, ließ sie schwindelig werden.
Narcissa schritt den Tisch entlang und deutete auf einen der Plätze. Hermine nahm an, dass sie dort Platz nehmen sollte, und streckte die Hände aus, um den Stuhl vorzuziehen. Mit einem fast lautlosen Ploppen tauchte ein Hauself vor ihr auf und übernahm diese Aufgabe.
Hermine biss die Zähne zusammen, setzte sich jedoch. Mit einem leisen „Danke“ ließ sie sich den Stuhl zurechtrücken und erst als sie ihre beschämten Blicke nach links wandte, fiel ihr auf, dass Lucius nicht hinter ihr in den Saal gekommen war.
„Mein Mann kommt gleich“, erklärte Narcissa, der Hermines Verwunderung auffiel. „Er zieht sich nur rasch etwas anderes an.“
„Natürlich.“
In der Tat trug er nicht mehr den dunklen Umhang, als er wenig später zu ihnen stieß. Er hatte ganz auf einen Umhang verzichtet und sich stattdessen einen grauen Gehrock über das weiße Hemd gezogen. Seine langen Haare waren in Höhe der Schulterblätter zu einem Zopf zusammengebunden, eine goldene Kette baumelte an seinem Bein, als er zu ihnen kam; vermutlich von einer Taschenuhr.
Er setzte sich und ein falsches Lächeln lag auf seinen schmalen Lippen. „Ich möchte mich noch einmal für meine Verspätung entschuldigen. Unglücklicherweise gestaltete sich die Entlassung aus der Untersuchungshaft schwieriger als erwartet.“ Er ließ seine Erklärung wie einen persönlichen Vorwurf an Hermine klingen.
„Wie unerfreulich“, entgegnete sie lakonisch.
„Sehr.“
Sie erwiderte seinen Blick gleichmütig. Falls er auf eine Entschuldigung wartete, tat er dies vergeblich.
Er rümpfte die Nase. „Wie dem auch sei“, beendete er dann das Thema, „das Essen ist angerichtet, wir sollten es nicht kalt werden lassen.“
Hermine blinzelte und blickte auf ihren Teller hinab. Tatsächlich war dort irgendwann in der letzten Minute eine Vorspeise erschienen. „Guten Appetit“, murmelte sie und nahm ihr Besteck zur Hand. Der Abend würde interessant werden.
Sie waren bereits beim Hauptgang angelangt, als Lucius unvermittelt sagte: „Seitdem ich herausgefunden habe, dass Sie diejenige waren, die das Ritual durchführte, habe ich mich gefragt, wie Sie es schaffen konnten, diese Kette ständig zu tragen, ohne dass sie jemandem auffiel. Nun sehe ich, Sie haben Ihren Kleidungsstil an den Schmuck angepasst.“ Er ließ keinen Zweifel daran, dass das kein Kompliment war.
Hermine schluckte den Bissen, den sie im Mund hatte. Es kam ihr vor, als wäre er quadratisch. „Das haben Sie sich gefragt? Sie verbergen doch selbst Zeit Ihres Lebens die schmutzigen Geheimnisse unter dieser feinen Kleidung.“
„Ich denke, es wäre zu viel der Ehre, wenn Sie behaupteten, Sie hätten von mir gelernt. Ich pflege einen Perfektionismus, den Sie nicht erreichen werden, egal wie sehr Sie sich bemühen.“
„Es gibt nichts, das Sie mich lehren könnten, Mr Malfoy. Ich bin intelligent genug, um selbst auf mich und meine Geheimnisse aufzupassen.“
„Sie meinen intelligent genug, um einen Unschuldigen verhaften zu lassen?“
„Ich würde Sie nicht gerade als unschuldig bezeichnen.“
„Darüber hat bereits eine qualifiziertere Instanz entschieden, Miss Granger.“
„Sie meinen eine bestechlichere Instanz.“
Er sah sie scharf an. „Wenn Sie so … intelligent sind, wie kamen Sie dann darauf, dass es eine gute Idee wäre, dieses Schmuckstück zu verheimlichen?“
„Ich habe die Kette nicht verheimlicht.“
„So? Dann sind Ihre Freunde wohl nicht ausreichend an Ihnen interessiert, um genauer zu hinterfragen, woher dieses sonderbare Stück auf einmal kam.“
Hermine holte gerade Luft, um den rasanten Wortwechsel fortzuführen, als Narcissa sich lauter als angebracht räusperte. Sowohl Hermine, als auch Lucius schraken aus der Konzentration, mit der sie sich gegenseitig provoziert hatten, und wandten eilig den Blick auf ihre Teller zurück. Sehr langsam ließ Hermine die Luft wieder aus ihren Lungen entweichen. Dennoch spürte sie ihr heftig schlagendes Herz bis in ihre Schläfen und ihre Handflächen waren so feucht, dass es ihr schwer fiel, das Besteck zu halten.
„Der Fisch ist wirklich ausgezeichnet“, war es erneut Narcissa, die die Situation entschärfte – dieses Mal jedoch, indem sie das angespannte Schweigen durchbrach.
„Ja, sehr …“, stimmte Hermine halbherzig zu. Je länger sie hier saß, desto unwohler fühlte sie sich. Allein bei dem Gedanken daran, mehr Zeit als nötig im Haus der Malfoys zu verbringen, sank ihr ein schweres Gewicht in den Magen. Wie sollten sie so bloß Professor Snapes Überlegungen zur Zerstörung der Kette rekonstruieren?
„Nun“, erhob sich nach einigen Momenten wieder Lucius' tiefe Stimme über der Tafel, „wir verfolgen – so unglaublich es auch sein mag – dasselbe Ziel. Und es scheint, als könnten wir es nur gemeinsam erreichen. Ich lege Ihnen also nahe, mit uns zu kooperieren, Miss Granger.“
„Sonst was?“, konnte Hermine sich nicht verkneifen zu fragen.
Er presste die ohnehin schon schmalen Lippen fest aufeinander, so dass es wirkte, als wären sie gar nicht vorhanden.
„Sonst sieht die magische Welt sehr viel größerer Düsternis entgegen, als sie in der Vergangenheit zurückgelassen hat“, antwortete Narcissa an seiner Stelle und legte dabei ihr Besteck ab. „Wenn der Dunkle Lord die Gelegenheit bekommen wird, ein drittes Mal um die Macht zu kämpfen, wird es nichts mehr geben, das ihn aufhalten wird.“
Hermine schluckte, während sie dem Blick der blauen Augen standhielt. Das Gewicht in ihrem Magen wurde noch einmal schwerer und es schien, als würde der Raum um sie schwanken. Sie war dankbar, als die Hauselfen den Hauptgang abdeckten und verschwanden.
„Wie viel Zeit bleibt noch, bis das Ding mich umbringen wird?“, fragte sie, nachdem sie sich wieder einigermaßen gefasst hatte.
„Eine äußerst gute Frage“, sagte Lucius. „Unglücklicherweise haben wir keine Antwort darauf. Es ist ja nicht so, als ob es Studien über dieses Ritual gäbe.“ Er faltete die Stoffserviette, die er von seinen Beinen genommen hatte, und legte sie vor sich auf den Tisch. Das Licht des Kronleuchters fing sich in dem goldenen Ehering an seiner Hand.
„Ein Glück, dass ich Tagebuch geführt habe“, erwiderte Hermine in einem verzweifelten Versuch sich souverän zu zeigen, doch selbst ihr fiel auf, dass ihre Stimme merklich an Kraft verloren hatte.
„Ist alles in Ordnung?“ Narcissa legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen.
„Ja, alles bestens.“ Doch das stimmte nicht. Es war furchtbar warm im Speisesaal; Hermine spürte, wie ihr ein Schweißtropfen die Wirbelsäule hinunterlief. „Ich würde allerdings … wenn es keine Umstände macht …“ Sie rutschte verlegen auf ihrem Stuhl herum und spürte, wie ihr Hitze in die Wangen stieg, während sie das Tischtuch anstarrte.
„Natürlich.“ Narcissa klatschte zweimal in die Hände und eine Hauselfe erschien neben ihr. „Lizzy, zeig Miss Granger, wo sie sich frisch machen kann.“
„Ja, Missus“, erwiderte die Elfe mit piepsiger Stimme und kam eilig um den Tisch, um Hermine abzuholen. „Folgen Sie mir bitte, Missus.“
Als Hermine aufstand, um der Elfe zu folgen, wagte sie es nicht, Lucius ins Gesicht zu sehen. Sie hatte sich vorgenommen, keine Schwäche zu zeigen, solange er sie im Blick hatte. Er sollte nicht das Gefühl haben, dass sie auf ihn angewiesen war – auch wenn das möglicherweise der Fall war. Sie wollte nie wieder aus einer schwächeren Position heraus in sein blasiertes Gesicht sehen.
Sie lebte jedoch lange genug mit der Kette, um zu wissen, wie es sich anfühlte, krank zu werden. Vielleicht würde ihr etwas kaltes Wasser im Gesicht und auf ihren Handgelenken helfen, den Abend dennoch einigermaßen gefasst zu überstehen. Bis sie nach Hause kam und sich an ihrem Tränkevorrat bedienen konnte.
Die Elfe blieb schließlich vor einer Tür stehen und verbeugte sich. „Ich werde warten, Missus.“
Zuerst wollte Hermine ihr sagen, dass das nicht nötig war. Doch dann warf sie einen Blick zurück in den Flur und ihr wurde bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, wo sie sich befand, geschweige denn, wie sie hergekommen war. Deswegen nahm sie das Angebot mit einem leisen „Danke“ an und verschwand im Bad.
- - -
Das Wasser auf ihren Armen hatte das steigende Fieber etwas erträglicher gemacht. Doch es gab keinen Zweifel daran, dass sie wieder einmal als Brutkasten für irgendeinen lästigen Keim herhalten musste. Sie hatte mit der Routine einer Heilerin ihre Lymphknoten ertastet, die geschwollen und schmerzhaft hinter ihren Ohrläppchen lagen. Außerdem sah ihr Gesicht aus, als hätte sie zu lange in der Sonne gelegen.
Sie hatte jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder zog sie den Abend durch, oder sie entschuldigte sich und musste das ganze Theater später noch einmal von vorne beginnen. Ihr sträubten sich die Nackenhaare bei dem Gedanken, noch ein zweites Mal hier aufzutauchen.
Folglich hatte sie ihre Entscheidung schnell getroffen und reckte das Kinn vor, soweit ihr pochender Kopf es erlaubte, als sie in den Speisesaal zurückkehrte. Sie setzte sich, begegnete den Blicken ihrer Gastgeber mit einem Lächeln und aß das Dessert, obwohl ihr Magen sich schon bei dem Anblick verknotete.
„Wie ich bereits vor Ihrer Flucht zu erklären versuchte“, griff Lucius das Gespräch wieder auf, „sollten wir unser Intervenieren nicht länger als nötig hinauszögern. Niemand weiß, wie lange Sie dem schädlichen Einfluss der Magie noch standhalten werden und ich möchte es ungern austesten.“
Hermine wäre mit Freuden auf den scharfzüngigen Unterton seiner Worte eingegangen und hätte es ihm mit gleicher Münze heimgezahlt, aber ihr Kopf war so schwer. „Ich hatte auch nicht vor, diesen Anhänger noch länger als nötig mit mir herumzutragen, Mr Malfoy“, war alles, was sie zustande brachte.
„Erstaunlich, nachdem Sie acht Jahre lang untergetaucht waren.“
„Ich bin nicht untergetaucht! Geben Sie nicht mir die Schuld daran, dass Sie unfähig waren, einen Menschen zu finden, der intelligent genug ist, ein solches Ritual durchzuführen und in der Nacht in Hogwarts war! Sie hätten nur die Porträts der ehemaligen Schulleiter fragen müssen, sie waren schließlich dabei!“
„Das habe ich getan, doch sie sind alle verstummt.“ Er sprach diese Worte mit einer befremdlichen Gelassenheit aus.
„Bitte?“, keuchte Hermine, während sie ihre linke Hand vom Tisch nahm und sich damit auf ihrem Stuhl abstützte.
Lucius schnaubte; er hatte offensichtlich nicht vor, seine Worte noch einmal zu wiederholen. Narcissa tat es für ihn: „Es ist wahr. Seit der Nacht des Endkampfes hat keines der Gemälde auch nur ein einziges Wort gesagt. Lucius hat es sich selbst angesehen. Es liegt am Einfluss der Schwarzen Magie. Sie muss sich wie ein Schleier auf die Bilder gelegt haben.“
Der Knoten in ihrem Magen zog sich noch etwas fester zusammen und Hermine legte den Löffel beiseite. „Heißt das, nicht die gesamte Magie ist in diesem Anhänger?“
„Nein“, widersprach Lucius gedehnt und klang dabei wie Severus Snape zu seinen besten Zeiten. „Die Magie des Dunklen Lords ist dort drin.“ Er nickte zu Hermines Dekolleté. „Es ist die Magie des Rituals, die sich im Büro verbreitet hat. Sie ist überall, in jeder Ritze und auf jeder Oberfläche.“
„Kann man nichts dagegen tun?“
„Glauben Sie, ich hätte es nicht versucht? Ich habe alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um Sie zu finden, Miss Granger!“ Er knüllte seine Servierte zusammen und warf sie auf den Tisch, direkt auf den Teller mit seinem Dessert. Der Löffel klapperte über das Porzellan. „Ich habe acht verdammte Jahre damit verbracht, nach Ihnen zu suchen! Glauben Sie, ich hätte es absichtlich hinausgezögert? So interessiert bin ich weder an Ihnen noch an Ihrem Ableben.“ Damit stand er auf, so dass sein Stuhl laut über den Boden scharrte, und verließ den langen Tisch.
Hermine konnte seinen Weg nicht unauffällig beobachten, denn er ging geradewegs hinter ihr vorbei, verließ den Speisesaal jedoch nicht. Narcissas Blick lag auf ihm. Sie machte dieses Mal keine Anstalten, die Wogen zu glätten.
Nach ein paar Momenten hielt Hermine es nicht mehr auf ihrem Stuhl aus. Sie stand auf und war selbst überrascht davon, wie wackelig sie war. Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding und sie tastete nach der Lehne ihres Stuhls.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie nun auch Narcissa aufstand. Anscheinend hatte sie Hermines Zustand bemerkt. Hermines hingegen starrte Lucius finster an, der vor dem Kamin stand und ihr den Rücken zuwandte. Seine Silhouette verschwamm etwas vor ihren Augen, als sie sagte: „Es ist mir egal, was Sie geopfert haben, Mr Malfoy, denn ich gehe jede Wette ein, dass sich auf Ihrer Liste nicht Ihr Beruf, Ihre Beziehung und Ihr Kinderwunsch befinden!“
„Sei still, Lucius!“, zischte Narcissa, als der blonde Mann antworten wollte. Sie kam um den Tisch herum und zwang Hermine dazu, sich wieder zu setzen.
„Es geht mir gut!“, beharrte diese. Dabei ignorierte sie die Botschaften ihres Körpers, die das Gegenteil besagten. Ihr war so entsetzlich heiß. War es heiß hier? Ihr war heiß.
„So sehen Sie nicht aus“, murmelte die blonde Frau und legte eine kühle Hand auf Hermines Stirn.
„Dann sollte sie vielleicht nach Hause gehen“, schaltete Lucius sich wieder ein. „Wir sind schließlich keine Krankenstation.“
„Sie wird nirgendwo hingehen!“
„Doch, ich werde nach Hause gehen.“ Entgegen ihrer Worte lehnte Hermine sich noch etwas fester gegen die angenehm kühle Hand.
„Lizzy!“, rief Narcissa über die Stimme ihres Mannes hinweg (Hermine verstand nicht, was er sagte) und die Elfe von vorhin tauchte erneut neben ihnen auf.
„Missus Malfoy?“
„Verständige Heiler Daling. Wir brauchen ihn dringend.“
„Natürlich, Missus.“ Mit einem Ploppen verschwand sie wieder.
„Bitte, ich möchte wirklich nach Hause“, sagte Hermine nochmal und lehnte sich soweit zurück, dass sie zu Narcissa aufsehen konnte. „Es liegt an dem Anhänger, er hat mein Immunsystem ruiniert. In ein paar Tagen geht es mir wieder gut und dann können wir ein neues Treffen vereinbaren, um alles zu besprechen.“ Sie schloss die Augen, als ihr ein Brennen die Kehle hinaufstieg. Merlin, war ihr übel. Sie hätte gehen sollen, nachdem sie im Bad gewesen war. Sich verabschieden und gehen.
„Sie werden nirgendwo hingehen!“, sagte Narcissa noch einmal. „Ich habe geschworen, dass Ihnen in diesem Haus nichts geschehen wird und ich gedenke nicht zu testen, wie flexibel dieser Schwur ist!“
Lucius stöhnte leise. „Noch ein Schwur, Narcissa?“
„Ich will nicht hier bleiben!“, wandte Hermine mit letzter Kraft ein und versuchte resoluter zu klingen.
„Wer will das schon?“, fragte Lucius gereizt.
Zur Antwort tat Hermine etwas, das sie schon immer auf eine seiner Äußerungen hin hatte tun wollen: Sie übergab sich auf den feinen Teppich.
Entgegen Hermines Willen wurde also Heiler Daling benachrichtigt, der auch prompt im Kamin der Malfoys auftauchte und sich um die unkooperative Patientin kümmerte. Während der alte Mann mit den grauen Haaren sie untersuchte, scheuchte Narcissa einige Hauselfen umher, um eines der Gästezimmer für Hermine vorzubereiten. Zwei weitere wurden in ihre Wohnung geschickt, um ein paar Sachen und Horace zu holen – sofern er denn schon von seinem Ausflug zurückgekehrt war.
Schneller als Hermine Nein sagen konnte, fand sie sich in einem verboten großen Bett mit feinem sandfarbenem Himmel wieder und nachdem sie sich zum dritten Mal erbrochen hatte, ihr Kopf zu bersten drohte und sie kaum mehr herausbrachte als ein klägliches Wimmern, ergab sie sich ihrem Schicksal und schlief ein.
Im Nachhinein hätte sie nicht sagen können, wie lange sie Gast der Malfoys gewesen war, bis sie wieder länger als zwei Stunden am Tag wach war. Und die Träume, die die Kette ihr bescherte, wurden noch intensiver, was vor allem daran lag, dass das Fieber ihren Verstand außer Kraft setzte und sie keine Chance hatte, die Realität von der verdrehten Fantasie eines schwarzmagischen Bastards zu unterscheiden. Ihre Körpertemperatur schien stündlich von überhitzt zu unterkühlt zu schwanken und in den kurzen Momenten, die sie wach war und eine Bestandsaufnahme ihres Körpers zu machen versuchte, gab sie stets nach wenigen Minuten auf. Es tat einfach alles weh.
Insofern glaubte sie, erneut einem viel zu realistischen Traum aufgesessen zu sein, als sie erwachte und sich nicht sofort von den Symptomen ihrer Erkrankung erschlagen fühlte. Erschöpft zwar, doch halbwegs klar im Kopf blinzelte sie in das Zimmer. Eine Kerze stand auf ihrem Nachttisch und verbreitete flackerndes Licht. Sie war alleine und dankbar dafür.
Vorsichtig drehte sie sich auf die Seite und von dort in eine sitzende Position. Ihr Rücken schmerzte nach dem langen Liegen, ebenso wie ihr Nacken. Die Matratze war viel zu weich.
Um sich von den Schmerzen abzulenken, strich Hermine sich die Haare aus dem Gesicht und gähnte. Ihr Hals kratzte nach wie vor und nach ihren Lymphknoten musste sie noch immer nicht lange suchen.
Dann fiel ihr Blick auf ein Pergament, das auf dem Nachttisch lag. Sie streckte die Hand aus und zog es zu sich. Die Zeilen waren gefüllt mit einer typischen Arztschrift. Glücklicherweise hatte sie mittlerweile gelernt, eine solche zu entziffern.
„Scharlach?“, murmelte sie ungläubig, als sie am Ende angelangt war. Dann schnaubte sie und schüttelte den Kopf. „Nicht zu fassen! Eine verdammte Kinderkrankheit …“ Doch nun, da sie ihre Diagnose kannte, wusste sie auch, wo sie sich die Infektion geholt hatte. Sie hatte eine Frau entbunden, die bereits ihr fünftes Kind zur Welt brachte. Die restlichen Quälgeister hatten die Schwestern auf Trab gehalten. Hermine hatte dem kleinen Mädchen, das sich aus dem Schabernack ihrer Geschwister heraushielt, nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Hätte sie es getan, säße sie jetzt vielleicht nicht hier.
Mit säuerlichem Gesichtsausdruck legte sie das Pergament zurück und kämpfte sich aus den Decken, mit denen man sie überhäuft hatte. Hausschuhe fand sie nicht, dafür jedoch ihren eigenen Bademantel. Sie trug auch eines ihrer Nachthemden, wodurch sie sich gleich etwas wohler fühlte.
Nach wie vor wackelig auf den Beinen steuerte sie die Tür an, die hoffentlich nicht in ein angrenzendes Bad, sondern hinaus in den Flur führte. Sie wollte jetzt vor allem eines: ein paar Erklärungen, die die lückenhaften Erinnerungen der vergangenen Zeit füllen würden.
Sie hatte Glück, denn als sie die Tür einen Spalt öffnete, fiel ihr Blick auf ein Porträt an der gegenüberliegenden Wand des Flurs. Die hübsche Dame, die mit einem Fächer darin saß, zog eine Augenbraue in die Stirn, als sie Hermine sah. Vermutlich fühlte sie sich in ihrem Dasein als Frau gekränkt, weil Hermine ungewaschen und zerzaust das Zimmer verließ. Dennoch wies sie ihr den Weg nach links.
Der Flur war nicht lang und gab bald den Blick auf eine hohe Decke frei. Leise Stimmen drangen bis an Hermines gereizte Ohren und so ging sie barfuß weiter, eine Hand immer an der Wand, um ihren schwachen Beinen etwas mehr Halt zu geben.
Sie kniff die Augen zusammen, als es plötzlich hell wurde. Ein paar Fackeln an den Wänden hatten sich entzündet, vermutlich etwas verspätet durch ihre Bewegungen alarmiert. Hermine verharrte in ihrer Position, bis sie sich an das Licht gewöhnt hatte.
Als sie den Flur verließ, betrat sie geradewegs eine Art Balkon, der im Rund die Flure des oberen Stockwerks zusammenführte. Es gab fünf davon, die hier mündeten, und an einer Seite zu ihrer Rechten führte eine Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Hermine konnte sich nicht daran erinnern, diese Treppen jemals hochgestiegen zu sein.
Von ihrem Standpunkt aus konnte sie durch eine offenstehende große Flügeltür in einen für dieses Anwesen kleinen Raum sehen. Narcissa und Lucius hatten Besuch. Sie saßen zusammen mit Draco und Astoria am Tisch, Kaffee und Kuchen waren zwischen ihnen aufgebaut. Während Draco und seine Frau Hermine den Rücken zuwandten, konnte sie den Großeltern ins Gesicht sehen. Ebenso wie sie den Säugling sah, den Narcissa im Arm hielt. Ein fröhliches Lächeln stand auf ihrem Gesicht. Sie war vollkommen vertieft in den Anblick ihres Enkels.
Nicht so Lucius. Er hatte die Bewegungen von Hermine bemerkt und sah unverwandt zu ihr hinauf. Anscheinend erwartete er, dass sie Rücksicht auf die Umstände nahm – was sie insoweit tat, als dass sie nicht nach unten ging und direkt Antworten verlangte. Doch sie würde auch nicht in ihrem Zimmer sitzen und Däumchen drehen, bis Draco mit seiner Familie wieder nach Hause zurückgekehrt war.
Nach ein paar Momenten schien dies auch Lucius klar zu werden. Er entschuldigte sich bei seinem Sohn und seiner Schwiegertochter, fasste Narcissa auf dieselbe Art an der Schulter wie vor einigen Tagen, als er sie begrüßte, und verließ den Tisch.
Hermine drehte sich um und ging langsam in ihr Zimmer zurück. Sie ließ die Tür offen stehen und setzte sich auf den Rand ihres Bettes. Mit gespreizten Fingern fuhr sie durch ihre Haare; sie hatte die sinnlose Hoffnung, sie dadurch etwas bändigen zu können, noch immer nicht aufgegeben.
„Hätte das nicht noch eine Weile warten können, Miss Granger?“, war Lucius' Begrüßung. Doch seiner Stimme fehlte der Zorn, an den sie sich erinnerte. Vielleicht lag es an der Anwesenheit seiner Familie.
„Nein“, erwiderte Hermine schlicht. Nun, da sie ihren Körper wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, würde sie ihm die Stirn bieten – sofern es denn nötig werden sollte.
Er war in der Nähe der Tür stehen geblieben und berührte erneut die Manschetten seiner Hemdsärmel. Das spärliche Licht der Kerze erreichte ihn nur als vagen Schimmer, der sich in seinen hellen Haaren fing und dunkle Schatten auf sein spitzes Gesicht malte. Deutlicher noch als früher erkannte sie ihn als den Todesser, als den ihn das Mal auf seinem Unterarm kennzeichnete.
Hermine schluckte.
„Wie auch immer …“, fuhr er dann fort, „Nachdem Sie nun bereits drei Tage lang unser Gästezimmer belegt haben“, Hermine sog unwillkürlich die Luft ein, „scheint es mir am sinnvollsten, wenn Sie gleich hier bleiben, bis wir das Problem mit der Kette aus dem Weg geräumt haben. Sie haben sich eingewöhnt und Ihre Sachen sind auch hier. Im St.-Mungos sind Sie für zwei Wochen krank gemeldet und Ihre Eule hat sich nach Aussage meiner Frau bereits mit unseren Tieren angefreundet.“
Hermine zog eine Augenbraue in die Stirn, als er eine kleine Pause machte. „Ich soll hier bleiben? Hier in diesem Zimmer?“
Er lächelte spöttisch. „Sobald mein Sohn und seine Frau das Haus wieder verlassen haben, wird nichts dagegen sprechen, dass Sie sich auch im Salon aufhalten.“
„Wie großzügig“, entgegnete Hermine. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und reckte ihr Kinn vor. „Mir geht das alles zu schnell. Sie haben mir noch nicht mal gesagt, was Professor Snape wusste. Wie soll ich beurteilen, ob sich das ganze Theater überhaupt lohnt?“
„Denken Sie nicht, dass Sie es mit Ihrer Skepsis ein wenig übertreiben? Ich habe nicht darum gebeten, Sie hier längerfristig aufzunehmen, und ich bin mir sicher, dass ich Ihnen auch niemals das Gefühl vermittelt habe, hier willkommen zu sein. Dennoch – und ich bedauere den Umstand mit jedem Mal, das ich ihn aussprechen muss, mehr – führt kein Weg daran vorbei, dass wir zusammenarbeiten, wenn wir den Dunklen Lord endgültig vernichten wollen. Ihnen mangelt es an Wissen über die Schwarze Magie, um es alleine zu schaffen.“
„Und was hat Sie bisher davon abgehalten, das Rätsel zu lösen?“, fragte Hermine spitz.
„Ich habe das Rätsel bis auf wenige Details gelöst. Doch ich kann schlecht etwas vernichten, das ich nicht besitze.“ Er sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an und Hermine verteufelte ihren noch immer trägen Verstand. Wenn sie auf der Höhe wäre, wäre ihr ein solcher Schnitzer niemals passiert. „Nun, wie sieht es aus? Ich habe es Ihnen mittlerweile oft genug angeboten, um eine eindeutige Antwort erwarten zu können. Werden Sie die beinahe unerträgliche Bürde auf sich nehmen und mit mir zusammenarbeiten, um die magische Welt vor einer erneuten Katastrophe zu bewahren, oder werden Sie wie Ihre Freunde den Kopf in den Sand stecken und weiterhin ignorieren, dass ein Damoklesschwert direkt über Ihrem Haupt hängt?“
Hermine kniff die Lippen fest zusammen. Sie wusste, dass sie – wenn man es so betrachtete – nur eine Antwort geben konnte. Doch das änderte nichts daran, dass ihr das Angebot eher wie eine versteckte Erpressung erschien; das machte ihre Entscheidung nicht leichter.
Dann erinnerte sie sich an all die sauren Äpfel, die ihren Weg in den letzten acht Jahren gesäumt hatten. Sie hatte immer ohne zu zögern hinein gebissen. Es entspräche nicht gerade einem gryffindorschen Charakter, wenn sie jetzt, wo das Ende in greifbare Nähe gerückt war, den Schwanz einziehen würde.
Also richtete sie sich noch ein bisschen gerader auf und nickte steif. „Ich werde es versuchen.“
Lucius nickte. „Eine wahrlich weise Entscheidung, Miss Granger. Und nun bitte ich Sie, mich zu entschuldigen. Falls Sie sich dazu in der Lage sehen, feste Nahrung aufzunehmen, ohne anschließend meine Inneneinrichtung zu beschmutzen, wird man Ihnen etwas zu essen bringen. Was meinen Sie?“
„Es geht mir gut“, grollte sie, während ihr wieder die Hitze ins Gesicht stieg.
„Dann werde ich in der Küche Bescheid geben. Ich wünsche einen guten Appetit!“ Und mit diesen Worten ließ er sie wieder alleine.
Chapter 6: Kapitel 3: Die Theorie – Teil I
Chapter Text
Obwohl Lucius so großzügig behauptet hatte, Hermines Sachen wären alle schon in Malfoy Manor, gab es doch vieles, das sie vermisste und auf das sie in nächster Zeit nicht verzichten wollte.
Nachdem sie also gegessen, geduscht und den Schrank erfolgreich nach ein paar bequemen Kleidungsstücken durchsucht hatte, schlich Hermine sich erneut auf den Flur. Dieses Mal war sie schon sicherer auf den Beinen und fühlte sich auch wieder halbwegs menschlich. Nur zaubern konnte sie noch nicht wieder.
Soweit sie es den Aufzeichnungen des Heilers hatte entnehmen können, war die Hauptursache der langsamen Genesung ihr geschwächtes Immunsystem und ein verzögertes Ansprechen auf die Heiltränke gewesen - normalerweise lag niemand in der magischen Welt drei Tage flach, nur weil ihm ein krankes Kleinkind vor die Nase gelaufen war.
Vorsichtig trat sie an das Geländer des Rundgangs im ersten Stock heran und spähte in den Raum, in dem vorhin die gesamte Familie Malfoy gesessen hatte. Jetzt war er leer. Es waren auch keine Stimmen zu hören, die darauf schließen ließen, dass man nur das Zimmer gewechselt hatte.
Nachdem es auch nach mehreren Minuten ruhig geblieben war, wagte Hermine es, die Treppe ins Erdgeschoss hinabzusteigen. Als wäre sie wieder in Hogwarts und würde nach der Ausgangssperre mit Harry und Ron durch die Gänge schleichen, blickte sie sich am Fuß der Treppe um. Sie musste einen Kamin finden. Am besten einen, der nicht durch irgendwelche Banne geschützt war oder nur durch ein Passwort funktionstüchtig wurde.
Sie wusste selbst nicht mal so genau, warum sie nicht einfach danach fragte. Die Malfoys würden sie kaum gegen ihren Willen hier festhalten; das wäre Narcissas Gesundheit sehr abträglich.
Dennoch schlich sie weiter, ließ einen Raum nach dem anderen hinter sich und hatte zwischendurch mehrfach das Gefühl, sich in einem königlichen Palast zu befinden. Allein bei dem Gedanken an das Vermögen, das in Lucius Malfoys Verlies in Gringotts liegen musste, wurde ihr schwindelig.
Nach ein paar Minuten wurde sie schließlich fündig und ein schweres Gewicht fiel von ihren Schultern, als sie den dunklen Schlund des Kamins sah. Zielstrebig lief sie darauf zu – und zuckte erschrocken zurück, als urplötzlich Feuer darin aufloderte.
Mit rasendem Herzschlag griff Hermine nach der Tür, vor deren Durchgang sie gerade stand, und schob sie bis auf einen schmalen Spalt zu. Sie konnte nur hoffen, dass niemand ihre neugierigen Augen bemerkte, die die Flammen beobachteten, als würde gleich Voldemort persönlich daraus auferstehen.
Das Feuer färbte sich grün und das erste, das Hermine von dem Besucher sah, war ein edler schwarzer Halbschuh, der aus dem Kamin gestreckt und auf den Teppich davor gesetzt wurde. Die Schnürsenkel baumelten offen an den Seiten. Dem Schuh folgte ein Bein, das vom dunklen Stoff einer Jeanshose umhüllt wurde. Während sie ihre Augenbrauen in die Stirn zog, entstieg dem Flohfeuer schließlich der Rest eines großen, dunkelhäutigen Mannes mit zu dicken Strähnen gefilzten Haaren, die ihm bis auf den Rücken fielen.
Sie spürte, wie ihr Mund trocken wurde. Sein Aussehen stand im harten Kontrast zur Umgebung und dennoch wirkte er nicht ungepflegt. Er trug ein schlichtes graues Sakko über einem hellen Hemd, das über seine Hose hing. Das einzige, das wirklich nachlässig wirkte, waren die offenen Schuhe.
Unschlüssig blieb er vor dem Kamin stehen und sah sich um. Seine schwarzen Augen stachen unnatürlich aus dem schmalen Gesicht hervor, das Weiße um die Iris schien regelrecht zu leuchten. Seine Haut glänzte leicht und wirkte wie flüssige Schokolade. Als er sich an der Stirn kratzte, blieben Hermines Blicke an der hellen Haut unter seinen Fingernägeln hängen. Hagrid persönlich hätte in diesem Haus nicht unpassender wirken können.
Er sah sich um und steckte die Hände in die Hosentaschen. Hermine fragte sich gerade, worauf er wartete, als eine Hauselfe mit einem leisen Plopp erschien. „Mister Horatio, Sie sollten nicht hier sein!“, fiepste sie und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
„Ich weiß.“ Seine Stimme war dunkel und weich und die vollen Lippen verzogen sich zu einem charmanten Lächeln, das die weißen Zähne aufblitzten ließ. Hermine bezweifelte, dass es auch nur ein weibliches Wesen – egal welcher Rasse – gab, das dem auf Dauer widerstehen konnte. „Würdest du trotzdem so freundlich sein und der Dame des Hauses Bescheid geben?“
Die Elfe wimmerte leise, den Kopf tief in den Nacken gelegt. „Sie müssen später wiederkommen, Sir. Es ist Besuch da. Es geht jetzt nicht. Bitte, Mister Horatio, bitte …“
„Es tut mir leid“, antwortete er und es sah aus, als meine er es ernst, „ich muss bald abreisen.“
Ein weiteres Wimmern erklang in der Höhe seiner Knie und er hockte sich vor die Elfe. Hermines Augen wurden groß.
„Ich möchte nur kurz mit ihr reden, Sunny. Kannst du bitte dafür sorgen, dass sie herkommt?“
Die Elfe senkte den Kopf und seufzte. „Natürlich, Mister Horatio, Sir.“ Dann verschwand sie.
Hermine wünschte sich, sie könnte ungesehen durch das Holz der Tür diffundieren, nur um näher an diesen Mann heranzukommen. Nun, da Sunny verschwunden war, stand er wieder auf und steckte die Hände erneut in die Hosentaschen. Er betrachtete die Bilder, die auf dem Kaminsims standen, doch nicht mit dem Blick eines Mannes, der sie zum ersten Mal sah. Überhaupt wirkte er, als wäre er schon oft in Malfoy Manor gewesen.
Was hatte ein Mann wie er mit Narcissa Malfoy zu tun? Verwandt waren sie wohl kaum; es gab keine zwei Menschen, die gegensätzlicher waren – und das betraf anscheinend nicht nur ihr Aussehen. Narcissa würde sich niemals mit einer Hauselfe auf Augenhöhe begeben.
Noch während Hermines Verstand sich dagegen wehrte, die einzig logische Möglichkeit in Betracht zu ziehen, kündigte das Geräusch von Damenpumps auf dem edlen Boden Narcissas Ankunft an. Auch Horatio hörte es und wandte sich mit einem Lächeln von den Bildern auf dem Kaminsims ab. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und drehte sich zur Seite, so dass Hermine sehen konnte, wie in seinen Händen – scheinbar aus dem Nichts – eine weiße Rose wuchs.
Narcissa bog um die Ecke und blieb einen Meter vor ihm stehen. „Was willst du hier?“, fragte sie scharf, das Kinn erhoben.
Horatio ließ sich von ihrem feindlichen Auftritt allerdings nicht beirren. Er zog die Blume hervor und senkte den Kopf etwas, so dass eine kürzere Haarsträhne über seine Schulter rutschte und vor seinem Gesicht baumelte. „Dir zum Geburtstag gratulieren.“ Er zog die Blume hervor und streckte die Hand aus, um Narcissa zu sich zu ziehen.
Sie stolperte widerwillig einen Schritt nach vorne und verdrehte die Augen. „Nicht jetzt, Horatio! Mein Sohn ist hier. Was denkst du dir dabei?“
„Ich denke, dass ich später keine Zeit mehr habe. Ich muss in die Staaten und komme erst in zwei Tagen zurück. Außerdem erwarte ich nicht, dass du mich auf einen Kaffee einlädst. Ich wollte dich nur kurz sehen.“
„Das hast du ja nun“, erwiderte sie, doch das Eis, das ihre Stimme zu einem frostigen Sopran gemacht hatte, schmolz langsam dahin, als wäre er die Sonne.
Hermine neigte den Kopf zur Seite, wagte es jedoch nicht zu blinzeln.
„Sei nicht so stur, Nae.“ Seine Stimme wurde leiser und das Lächeln zu einem Grinsen. Seine Zähne blitzten erneut, als sie die Augen schloss. Dann beugte er sich zu ihrem Ohr und sagte etwas, das Hermine auf die Entfernung nicht verstehen konnte.
Nicht, dass das nötig gewesen wäre. Wenn eine aufrechte und gefasste Frau wie Narcissa Malfoy darunter den Mund öffnete und zum ersten Mal selbst für Hermine sichtbar etwas empfand, brauchte nicht einmal sie detailliertere Erklärungen.
Obwohl sie sich vorkam wie ein Voyeur, konnte sie nicht wegsehen. Die schlanken Finger Horatios strichen durch Narcissas Haar und legten sich auf ihren blassen Hals. Dann sah er sie an, ein intensiver Blick, den sie erwiderte. Der Kuss, der dem folgte, war so kurz wie prickelnd. Beinahe hätte Hermine protestiert, als sie sich voneinander lösten. Sie biss sich im letzten Moment auf die Lippe.
„Ich freue mich, dass du gekommen bist“, sagte Narcissa schließlich und nahm die Rose entgegen. „Aber du musst jetzt gehen. Draco und Astoria sind hier. Also binde deine Schuhe zu und mach dich auf den Weg.“
Horatio schielte zwischen sich und Narcissa hinunter zu seinen Füßen. „Dir entgeht nichts, oder?“
„Es war das erste, das ich gesehen habe.“ Sie kehrte zunehmend zu ihrem kühlen und gefassten Äußeren zurück, doch so wie Horatio sich nicht täuschen ließ, konnte auch Hermine nicht mehr glauben, dass es echt war. Es war wie die Sache mit dem Weihnachtsmann; wenn man erst mal wusste, dass es ihn nicht gab, verlor Weihnachten seinen angsteinflößenden Aspekt und alles artig sein schien plötzlich sinnlos.
Während Hermine unerwartet ihre Angst vor einer Hälfte der Malfoys verloren hatte, hatten Narcissa und Horatio leise noch ein paar Worte gewechselt. Gerade griff er in eine hübsche Schale auf dem Kaminsims und nahm eine Hand voll Flohpulver heraus. „Ich melde mich, wenn ich zurück bin.“
Narcissa nickte kaum sichtbar und beobachtete, wie er verschwand. Hinter ihr drückte sich Sunny um den Topf einer riesigen Pflanze und ließ die Ohren hängen. Narcissa sah sie wohl im Augenwinkel, denn sie wandte den Blick nicht vom Kamin ab, als sie sagte: „Bring die Rose in die Küche, Sunny. Und verlier kein Wort über diesen Besuch.“
„Natürlich, Missus.“ Die Elfe nahm ihr die Blume ab und verschwand.
Hermines Verstand begann endlich wieder zu arbeiten. Eine bessere Gelegenheit als diese würde sie kaum bekommen. Rasch trat sie einen Schritt zurück und öffnete die Tür. Sie reckte das Kinn vor und ging so entschlossen, wie ihr geschwächter Zustand es zuließ, auf Narcissa zu.
Diese riss den Kopf herum, als sie Hermines Schritte auf dem Parkettboden hörte. Ihre Augen wurden schmal und sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie sollten nicht im Haus umherschleichen, Miss Granger. Sie könnten jemandem in die Arme laufen, der Sie besser nicht hier sieht.“
„Ich passe auf“, erwiderte Hermine schlicht. „Allerdings möchte ich noch einmal in meine Wohnung gehen, bevor ich mich hier … häuslich einrichte. Es gibt einige Dinge, die ich gerne holen möchte. Und ich muss Ginny und Harry eine glaubhafte Lüge erzählen.“
„Sie sind keine Gefangene. Ich werde Sie nicht aufhalten.“ Narcissa klang reserviert und deutete auf den Kamin.
„Das hatte ich gehofft. Ich müsste jedoch wissen, wie ich wieder zurückkomme.“
„Mein Mann wird Ihnen einen Portschlüssel zuschicken, sobald Draco und Astoria das Haus verlassen haben.“
Hermine nickte. „Gut.“ Dann trat sie vor das Kaminsims und tat so, als müsse sie erst das richtige Behältnis finden. Wie Horatio es vorher getan hatte, griff sie in die mit zarten Malereien verzierte Schale und spürte die feine Konsistenz des Flohpulvers. Sie warf es in den Kamin und trat hinein, als grüne Flammen in die Höhe schossen. „Oh, bevor ich es vergesse …“, sagte sie dann und drehte sich um, so dass Narcissa sie sehen konnte. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“
Als Hermine in ihrem Wohnzimmer aus dem Kamin stieg, musste sie sich einen Moment lang orientieren. Sie hatte nicht viel bewusste Zeit bei den Malfoys verbracht, doch mit allem, was sich in dieser Zeit ergeben hatte, schien es unwirklich, in das Zuhause der vergangenen Jahre zurückzukehren.
Mit einem Kopfschütteln tat sie diese Überlegung ab und wandte sich ihrem Schlafzimmer zu. Sie zog eine Tasche unter dem Kleiderschrank hervor und öffnete die Türen, um einige Kleidungsstücke herauszusuchen, die sie in ihrem Gästezimmer in Malfoy Manor nicht gefunden hatte. Danach trug sie die Tasche in ihr Arbeitszimmer und packte alle Bücher hinein, die sie für ihre Recherche bezüglich der Kette zu Rate gezogen hatte, ebenso wie ihre wenig fruchtbaren Notizen.
Das ganze dauerte für ihren Geschmack nicht lange genug, denn der nächste Punkt auf ihrer Liste war ein Gespräch mit Ginny. Was sollte sie ihr erzählen? Klar, bevorzugt etwas, das glaubhaft war. Nicht nur für Ginny, sondern auch für Harry. Sofern er denn überhaupt bereit war, ihr zuzuhören. Es würde sie nicht wundern, wenn er beschlossen hatte, die nächsten fünf Jahre wütend auf sie zu sein. Sie wäre es wohl gewesen, wenn er eines ihrer wichtigsten Forschungsprojekte willentlich ruiniert hätte.
Seufzend streifte sie durch ihre Wohnung, als suchte sie nach dem Fehler, der sie an diesen Punkt gebracht hatte. Eine vergebliche Suche, denn sie hatte ihn begangen, bevor sie hier eingezogen war. Das schlimmste an diesem Fehler war jedoch nicht, dass sie ihn begangen hatte, sondern dass sie es nicht bereuen sollte – es aber dennoch tat. Sie hatte dafür gesorgt, dass Lord Voldemort verschwand. Es sollte ihr nicht leid tun, einen Despoten vernichtet zu haben.
Aber im Laufe von acht Jahren ändert sich viel – und vieles nagte an der Überzeugung, das richtige getan zu haben. Bei ihr waren es Lügen, Trennungen und die nüchterne Erkenntnis, dass sie keine Kinder bekommen konnte.
An diesem Punkt ihrer Überlegungen angelangt, riss Hermine sich mühsam aus ihrer Lethargie. Sie sollte ihre Liste abarbeiten, es hinter sich bringen und wieder nach Malfoy Manor zurückkehren. Je eher sie begann, sich mit Professor Snapes Andeutungen auseinander zu setzen, desto eher konnte sie ihren Fehler hinter sich lassen.
Also kehrte sie zum Kamin zurück und nahm die Schale mit dem Flohpulver in die Hand, setzte sich im Schneidersitz vor den Kamin und warf eine Handvoll des grünen Pulvers hinein. Die Hitze der auflodernden Flammen fuhr ihr über das Gesicht. Hermine steckte den Kopf in die Flammen und nannte Ginnys und Harrys Adresse. Sie wartete einige Minuten, doch es kam keine Reaktion. Das Feuer begann bereits merklich heißer zu werden, als sie sich unverrichteter Dinge wieder zurücksinken ließ. Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte sie ins Feuer und merkte nicht einmal, dass sie an ihrer Unterlippe kaute.
Erst ein Tapsen am Fenster riss sie aus ihrer Enttäuschung und als Hermine hinter sich sah, konnte sie die Eule der Malfoys vor dem Fenster erkennen. Mit knackenden Gelenken stand sie auf und ließ sie ein.
Wie schon am Abend des Dinners ließ der Uhu ein Seidentuch auf den Tisch fallen, doch dieses Mal schloss Hermine das Fenster wieder, ehe er verschwinden konnte. Das große Tier kreischte laut auf und drehte eine Runde durch das Zimmer. Dann fand sie eine von Horaces Stangen und setzte sich darauf. Fauchend streckte sie die Flügel zu den Seiten aus und beugte den Kopf hinab. Die gelben Augen starrten Hermine erbost an.
„Ganz ruhig. Ich lass dich auch ohne Lösegeld wieder gehen. Du musst mir nur einen Gefallen tun.“
Die Eule antwortete mit einem weiteren Fauchen, legte allerdings die Flügel wieder an. Ein kleiner Erfolg.
„Ich muss einen Brief schreiben und meine Eule ist dummerweise schon in deinem Zuhause. Könntest du diesen Brief überbringen?“ Hermine legte den Kopf zur Seite in der Hoffnung, dass ihre Bitte irgendetwas an der Feindseligkeit der Eule ändern würde.
Tatsache war, dass sie sie gar nicht beachtete. Stattdessen hob sie ein Bein und begann sich zu putzen. Hermine beobachtete es ein paar Momente lang ernüchtert, dann zuckte sie mit den Schultern. „Ich werte das als Zustimmung.“
Eine halbe Stunde später hatte sie unter heftigem Protest der Eule den Brief an Ginny an das wehrhafte Bein gebunden. Sie war mit diversen Kratzern aus dem Kampf hervorgegangen, doch letztendlich konnte Hermine erleichtert aufatmen, während sie dem sturen Tier hinterher sah, wie es am Abendhimmel kleiner wurde. Die Pflicht einer Posteule, ihre Botschaft zuverlässig zu überbringen, würde ihren Brief an sein Ziel bringen.
Schließlich wandte sie den Blick ab und nahm ihre Tasche in die Hand. Einerseits hasste sie die Vorstellung, nach Malfoy Manor zurückzukehren; andererseits fühlte sie sich, als könnte sie ihre einzige Chance verpassen, wenn sie noch länger hier blieb. Bevor sie erneut ins Grübeln kommen konnte, ergriff sie das Seidentuch und versuchte, sich nicht gegen das Reißen hinter ihrem Bauchnabel zu wehren.
Dennoch verlor sie beinahe das Gleichgewicht, als sie vor dem Anwesen ankam. Schnaubend pustete sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und während das letzte Mal noch sämtliche Fenster erleuchtet gewesen waren, wurde sie nun von Dunkelheit begrüßt.
Hermine stapfte zur Tür, klopfte zweimal und richtete ihren Blick schon nach unten, bevor man ihr die Tür öffnete. Der Hauself, der ihr auftat, sagte nichts und sah sie nicht an. Er wartete, bis sie in die Vorhalle getreten war, und lief dann ihr vorweg mit wippenden Ohren durch das riesige Haus.
Anfangs versuchte sie, sich den Weg zu merken. Zweimal links, eine Treppe hoch, einmal rechts, quer durch einen großen Saal, eine Stufe hinab … Doch sie verlor schon bald den Faden und gab es auf. Immerhin hatte sie den Kamin schon einmal gefunden; es würde hoffentlich nicht allzu schwer werden, es ein weiteres Mal zu schaffen.
Nach einigen Minuten blieb der Hauself schließlich vor der Tür zu ihrem Zimmer stehen. „Die Herrschaften haben sich bereits zurückgezogen. Wünschen Sie noch etwas zu essen, Missus?“
Hermine blinzelte überrascht. War es wirklich schon so spät? „Ja, gerne“, erwiderte sie lauter als nötig, um ein Knurren ihres Magens zu übertönen.
„Lonny wird sich darum kümmern.“ Mit diesen Worten verschwand der Elf.
Hermine sah den leeren Gang hinauf und hinunter und betrat dann achselzuckend ihr Zimmer. Da hatte sie sich jahrelang vor den Malfoys gefürchtet und nun stellte sich heraus, dass die Herrschaften es nicht einmal für nötig hielten, darauf zu achten, dass sie auch wirklich von ihrem Ausflug zurückkehrte.
Die Merkwürdigkeiten rissen auch am nächsten Tag nicht ab. Während Hermine davon ausgegangen war, dass irgendjemand ihr zumindest beim Frühstück Gesellschaft leisten würde, und sei es nur, um sie über irgendetwas in Kenntnis zu setzen oder selbst etwas in Erfahrung zu bringen, fand sie den Tisch in ihrem Zimmer gedeckt vor, als sie aus dem Bad kam. Noch damit beschäftigt, sich die Feuchtigkeit aus den Haaren zu kneten, setzte sie sich und betrachtete das reichhaltige Angebot, das man vor ihr ausgebreitet hatte.
Da sie es gewohnt war, alleine zu essen, bekümmerte es Hermine nicht weiter. Sie holte sich eines ihrer Bücher, schob den Korb mit Toast ein Stück die Tischplatte hinauf und machte es sich gemütlich. Sie sollte die Malfoy-freie Zeit genießen, solange man sie ihr gewährte.
Nach dem Frühstück wurde sie von einem Elfen abgeholt und erneut durch unzählige Gänge geführt. Je öfter sie durch das Anwesen lief, desto mehr hatte sie den Eindruck, dass es der Größe Hogwarts' in nichts nachstand. Allein ihrem gesunden Verstand war es zu verdanken, dass sie nicht ernsthaft daran glaubte.
Am Ende der Führung fand sie sich in einem Arbeitszimmer wieder. Ein großer Schreibtisch stand darin, alte Bücher häuften sich auf der Tischplatte. Die verlockenden, bunten Buchrücken stapelten sich sauber übereinander, einzig die verschiedenen Größen sorgten für ein unregelmäßiges Bild. Der staubige Geruch, welcher ihr in die Nase stieg, ließ sie unwillkürlich lächeln.
„Master Malfoy hat Ihnen die Bücher herausgesucht, mit denen Sie arbeiten dürfen, Missus. Er bittet Sie, die anderen Bücher in den Regalen nicht ohne seine Erlaubnis anzurühren.“ Der Elf sprach zu seinen Füßen und kaum hatte er geendet, verschwand er mit einem Ploppen.
„Ich werde mich danach richten“, versicherte Hermine der abgestandenen Luft und drehte sich seufzend zum Raum um, „auch wenn's schwer fällt.“
Doch ihr Bedauern verflüchtigte sich rasch, als sie die Titel auf den Buchrücken überflog und feststellte, dass sie nicht mal einen Bruchteil davon kannte. Sie hatte lediglich Querverweise gefunden, die diese Werke benannten, aber niemals eines davon in die Finger bekommen. Sie konnte nun auf einer ganz neuen Ebene recherchieren und ihre Augen begannen zu strahlen.
Wenn Hermine sich in eine Recherche vertiefte, dann verging die Zeit um sie herum, ohne dass sie es bemerkte. Das war schon in Hogwarts so gewesen und hatte sich nach ihrem Abschluss nicht verändert. Vermutlich hätte man sie sogar auf dem Stuhl wegtragen können, ohne dass ihr etwas aufgefallen wäre.
Auch heute bemerkte sie weder Hunger noch Durst und selbst die weniger verschiebbaren Bedürfnisse ihres Körpers wären ihr entgangen, wenn sie nicht ab und an ihre Lektüre hätte wechseln müssen.
So war es schon Abend, als die Tür zur Bibliothek das nächste Mal geöffnet wurde. Lucius Malfoy trat herein, die Haltung stolz und das Gesicht voll von dem Widerwillen, mit dem er dieses Arrangement ertrug. Hermine sah nur kurz zu ihm auf, dann las sie weiter.
Er blieb kurz stehen. Ob sie ihn mit ihrer Reaktion überrascht hatte, oder ob er nur den Raum analysierte, bevor er weiter hineintrat, konnte sie nicht beurteilen. Doch auch nachdem er sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, schwieg er. Er nahm den schweren Umhang von seinen Schultern und hängte ihn über die Lehne eines Stuhls. Dann setzte er sich ihr gegenüber an den Tisch und starrte sie an.
Hermine schaffte es, lange Minuten so zu tun, als würde sie sein unpassendes und verstörendes Starren nicht bemerken. Sie hatte einen Ellbogen auf die Tischplatte gestützt und die Hand in ihrem zwickenden Nacken liegen. Unter ihren Fingerspitzen spürte sie die Schauer, die sich in regelmäßigen Abständen auf ihrem Rücken ausbreiteten.
Während sie die Seite umblätterte und für ein Seufzen tief einatmete, nahm sie den Geruch, den er mitgebracht hatte, zum ersten Mal wahr. Ein unterschwelliger, aber doch deutlicher Geruch von Schärfe. Wie Zitronensäure, die man mit einem kräftigen Schuss hochprozentigen Alkohols vermischt hatte, nur um sie dann in der Sonne verdampfen zu lassen.
Hermine zog die Augenbrauen zusammen und hob langsam den Blick. Lucius helle Augen sahen sie ungeniert an. Für einen Moment kam sie sich vor, als wäre sie ein Abstraktum, das er analysierte, um es verstehen zu können. Doch dieses Gefühl hielt nicht lange an; die aufsteigende Wut wischte jede subtile Gefühlsregung beiseite.
„Sie schützen sich mit einem medizinischen Zauber, bevor sie den Raum betreten, in dem ich sitze?“
„Natürlich“, erwiderte er lakonisch. „Sie sind vielleicht noch infektiös, ich habe einen Säugling in der nahen Verwandtschaft.“
„Stuss!“, zischte Hermine und meinte damit nicht den Säugling, sondern seine Unterstellung, sie wäre noch ansteckend. Magische Heiltränke schalteten als erstes die Infektionsgefahr aus. Und mit Sicherheit hatte Heiler Daling sowohl ihm, als auch Narcissa einen Trank gegeben, der verhindert hatte, dass sie sich bei Hermine ansteckten oder die Infektion weitertrugen. Dass Lucius auf ihr scharf gesprochenes Wort hin nur weiter starrte, sagte ihr, dass er sich dieser Tatsache durchaus bewusst war.
„Und, haben Sie etwas Interessantes herausgefunden?“
„Sie meinen, abgesehen davon, dass ich eine Bestätigung für Ihre Arroganz bekommen habe?“
„Sie brauchten eine Bestätigung dafür?“ Er lachte kurz auf. „Gryffindors geben die Hoffnung wohl nie auf. Immer auf der Suche nach dem guten Kern. Dabei besitzt ihr ihn nicht mal selbst.“
„Ich wusste gar nicht, dass Sie ausreichend Kontakt zu Gryffindors gehabt haben, um das beurteilen zu können.“
„Mehr als Sie glauben, Miss Granger. Mehr als Sie glauben …“ Seine Lippen zuckten. Der Stuhl knarzte, als er sich etwas vorlehnte. „Haben Sie Ihrer kleinen Freundin gesagt, wo Sie sind?“
Hermine kniff die Augen zusammen. „Sie weiß Bescheid.“
„Tatsächlich?“ Er zog die Brauen in die Stirn. „Das muss eine interessante Erklärung gewesen sein. Was haben Sie ihr gesagt? 'Ich werde in der nächsten Zeit ein Arrangement erfüllen, bei dessen Rahmenbedingungen du Zeuge warst. Leider kannst du dich nicht daran erinnern, denn ich musste dich obliviieren'?“
Hermines Kiefer knackten, als sie die Zähne schraubstockartig zusammenbiss. „Woher wissen Sie das?“
„Unerheblich. Aber es wird die Sache leichter machen.“ Ein durchtriebenes Lächeln zog seine Mundwinkel nach oben und plötzlich stellten sich die feinen Haare auf Hermines Armen auf. Die Wachsamkeit, die sie die letzten Jahre wie ein Schatten begleitet hatte, kehrte aus dem Asyl zurück, in die sie sie leichtsinnig geschickt hatte, weil sie hier ihr Geheimnis nicht verbergen musste. Ihre Hände zuckte in Richtung ihres Zauberstabes, obwohl sie noch gar nicht wieder zuverlässig zaubern konnte. Aber sie schaffte es ohnehin nicht, ihn in die Finger zu bekommen. Bevor sie auch nur die Hand vom Tisch gehoben hatte, hatte Lucius danach gegriffen und sie festgenagelt. Die Seite des Buches, auf dem sie lag, zerriss mit einem Ratschen. Hermine zuckte zusammen.
„Sie können mir nichts antun“, sagte Hermine und klammerte sich an dem letzten Rest Logik fest, der ihre aufsteigende Panik überlebt hatte.
„Das behaupten Sie, weil …“ Lucius senkte den Kopf ein kleines Stück, ohne sie aus den Augen zu lassen. Das Licht einer Kerze verfing sich in der grauen Iris und ließ sie funkeln, als würde die Hölle persönlich hinter seinen Augen lauern.
„Weil Ihre Frau einen Unbrechbaren Schwur abgelegt hat.“
Lucius lachte erneut. „Und Sie glauben wirklich, dass mich das interessiert? Es ist nicht meine Schuld, dass sie ihr Leben so leichtfertig riskiert. Sie kennt mich lange genug, um ein solches Risiko besser nicht einzugehen.“
Sie spürte, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich. Ihr Mund wurde trocken und ihr Verstand identifizierte ihren rasenden Herzschlag nebenbei als stressinduzierte Tachykardie. Zum Teufel mit der Intelligenz!, dachte Hermine. Wobei der Teufel ihr vermutlich gerade gegenübersaß.
Blond und grauäugig, so hatte sie ihn sich eigentlich nie vorgestellt. Doch die Art, auf die er sich über die ebenmäßigen weißen Zähne leckte und wie sich die Grübchen unter seinem siegessicheren Lächeln vertieften … Es war das Engelsgleiche, das ihn besonders gefährlich machte.
„Sie opfern Ihre eigene Frau? Sie Bastard!“, zischte Hermine und zerrte wild an ihrer Hand.
Sein Griff hingegen festigte sich. „Oh ja, hat Narcissa das bei ihrer Einladung nicht erwähnt?“ Er schnalzte mit der Zunge. „Die Frau wird immer vergesslicher. Ein Jammer …“
Hermine wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Stattdessen versuchte sie weiter, ihre Hände unter seinen hervorzuziehen. Doch er war eiskalt und entspannt, seine Handflächen staubtrocken und hart wie Eisen. Es gab nichts, das ihr half, sie kämpfte allein gegen Windmühlen. Und dass sie verlieren würde, hatte schon von Anfang an festgestanden.
Über ihre anschwellende Panik verpasste Hermine beinahe die nächsten Worte des Todessers auf der anderen Seite des Tisches: „Oder bin ich derjenige, der vergesslich ist?“
Es dauerte einen Moment, bis die Bedeutung seiner Worte in ihren Verstand gesickert war. Und dann riss ihr Widerstand plötzlich ab und sie starrte ihn aus großen Augen an. Seine Stimme klang, als würde er gerade jetzt verrückt werden. Obwohl sie mehrmals kurz davor gewesen war, selbst verrückt zu werden, glitt ihre Selbstbeherrschung im Angesicht des blonden Teufels durch ihre Hände wie Wasser.
„Vielleicht ist Narcissa aus dem Schneider, weil der Zeuge des Unbrechbaren Schwurs sich nicht mehr daran erinnern kann? Haben Sie mal darüber nachgedacht, dass so etwas einen Einfluss haben könnte?“
Hermine schluckte und wenn es möglich gewesen wäre, wäre sie noch blasser geworden.
„Das haben Sie nicht“, säuselte Lucius. „Und jetzt sitzen Sie in der Klemme. Schon wieder. Was war es noch, das Sie sich das letzte Mal wegen mangelnder Überlegung eingebrockt haben?“ Er runzelte die Stirn, als würde er nachdenken. „Ach ja! Diese wunderschöne Kette, die Sie um den Hals tragen. Hat Ihnen niemals jemand gesagt, dass Fehler dazu da sind, um aus Ihnen zu lernen?“
Während aus ihren Fingern allmählich das Gefühl wich, hatte sich über ihren Mund eine ganz andere Art der Lähmung gelegt. Es war dieselbe, die auch ihren Verstand außer Kraft setzte. Sie konnte ihn nur ansehen wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
„Ich denke, wir sollten diese Lektion noch einmal wiederholen.“ Er ließ ihre linke Hand los und zog seinen Zauberstab hervor. Ehe Hermine auf die plötzliche Freiheit ihrer Hand reagieren konnte, hatte er schon einen Zauber gesprochen, der sie von ihrem Stuhl hob und bewegungsunfähig in der Luft schweben ließ. Das Verrückte war, obwohl Lucius jetzt unter ihr war, kleiner und weiter weg als zuvor, war er doch nicht weniger Angst einflößend.
Ihr Mund war wie zugenäht, die Stimme außer Kraft gesetzt. Sie hatte keine Möglichkeit, sich zu bewegen,keine Möglichkeit, Hilfe zu bekommen. Seitdem sie den Schutz ihres Elternhauses verlassen hatte, im Alter von süßen elf Jahren, hatte sie gekämpft. Für ihre Freunde, für ihre Noten, für das Leben, das sie führen wollte. Und jetzt war sie am Ende angelangt. Nicht stark genug.
Was Hermine allerdings am meisten überraschte, war, dass diese Erkenntnis nicht wehtat. Eher im Gegenteil. Das Eingeständnis, dass es nicht gereicht hatte, dass sie den Anforderungen nicht entsprochen hatte, war eine Erleichterung. Endlich durfte sie resignieren. Endlich durfte sie aufgeben.
Die Luft, die sie vorher hektisch in ihre Lungen gesogen hatte, entwich langsam aus ihrer Nase und ihr Blick ruhte auf dem Gesicht, das etwa einen halben Meter unter ihr lag. Lucius schien den Umschwung in ihrer Stimmung zu bemerken, wusste jedoch nicht, was er davon halten sollte.
„Es gibt nichts, was dich retten wird“, erinnerte er sie, die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen.
Sein Zauberstab zuckte kurz und Hermine spürte, wie ihre Fähigkeit zu sprechen zurückkehrte. Anscheinend erwartete er eine Antwort. „Ich weiß.“
„Niemand weiß, dass du hier bist. Niemand wird in den Raum platzen und dich befreien.“
„Ich weiß“, wiederholte sie. Der Anhänger lag warm auf ihrer Haut und zum ersten Mal war sie entspannt genug, um die schwarze Magie zu spüren, die von dort aus in ihren Körper sickerte. Ein leichtes Brennen wie nach einem zu langen Sonnenbad, verwoben mit eisiger Kälte.
„Warum bist du dann so ruhig, Schlammblut?“ Er streckte die Hand aus und stupste mit der Spitze des Zauberstabes ihr Kinn an, gerade so, als wolle er ihren Kopf in eine bessere Position bringen.
„Weil mir nichts anderes übrig bleibt.“
Vermutlich hatte sie damit seine Befürchtungen entkräftet, egal welcher Art sie gewesen waren. Das Lächeln kehrte auf seine schmalen Lippen zurück und er nickte. „Das stimmt. Aber falls dich das irgendwie beruhigt, dein Tod bringt den Dunklen Lord zu neuem Leben. Dein Körper wird ihm ein neues Zuhause sein.“ Er unterbrach seine kleine Rede, um mit der Zunge zu schnalzen. „Ein Jammer, dass mich das um das Vergnügen bringt, dich angemessen zu verabschieden. Adieu, Schlammblut.“
Dann beendete er den Zauber, der sie in der Luft hielt, und sprach den Avada Kedavra. Der grüne Fluch traf Hermine, kurz nachdem sie auf dem Boden aufgekommen war. Die Vermutungen über diesen Fluch waren richtig: Es tat nicht weh.
Chapter 7: Kapitel 3: Die Theorie – Teil II
Chapter Text
Als Hermine aus dem Schlaf schreckte, war ihr Nacken steif. Sie stöhnte leise und verzog das Gesicht, während sie versuchte, ihren Kopf wieder in eine normale Position zu drehen. Sie blinzelte mehrmals und kniff dann die Augen zu, bis der grässliche Schwindel sich gelegt hatte.
Langsam richtete sie sich auf und streckte den Rücken durch. Dann probierte sie es noch einmal mit dem Sehen – und erstarrte.
Ihr gegenüber, auf der anderen Seite des Tisches, saß Lucius Malfoy und beobachtete jede einzelne Bewegung, die sie machte. Seine Augenbrauen zuckten nach oben, als er ihre Reaktion sah. „Haben Sie angenehm geschlafen?“, fragte er.
„Ähm …“ Hermine leckte sich über die trockenen Lippen, um sich etwas Zeit für die Antwort zu verschaffen. Sie kam sich vor, als würde sie ein Déjà-vu erleben.
Ein paar Bilder aus ihrem Traum kehrten zurück und ihr Herz schlug mehrere Male heftig gegen ihre Rippen. Er hatte sie umgebracht! Wenigstens in ihrem Traum. Dafür aber ziemlich kaltherzig. Das war Grund genug, Angst zu haben, oder? So unauffällig wie möglich zog sie ihre Hand unter den Tisch und tastete nach dem Griff ihres Zauberstabes.
„Wie auch immer“, gab er es in diesem Moment auf, auf ihre Antwort zu warten. „Wir haben viel zu tun und da es bereits jetzt recht spät ist, sollten wir anfangen, bevor wir vom Abendessen unterbrochen werden.“ Er stützte sich mit den Händen auf der Tischplatte auf, um sich weiter vorne auf den Stuhl zu setzen.
Wie lange hatte er sie schon beobachtet? Verspätet stieg Hermine Hitze in die Wangen.
„Das heißt“, fuhr er mit seinem Monolog fort, „natürlich nur, wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen, der Recherche beizuwohnen.“ Er sah sie scharf an und die Ironie tropfte so deutlich von seinen Worten, dass sie eine Lache auf der dunklen Tischplatte hätte bilden können.
„Es geht mir gut“, murmelte Hermine schnell und drehte leicht den Kopf. Der Schmerz flammte erneut in ihrem Nacken auf, allerdings nicht mehr so schlimm wie vorher. Die Verspannungen lösten sich allmählich, ebenso wie ihr Griff um den Zauberstab. Es war nur ein Traum gewesen. Lucius würde nie das Leben seiner Frau riskieren.
Andererseits hatte Narcissa eine Affäre. Wusste er davon? Oder anders gefragt: Konnte er es nicht wissen, wenn selbst sie es schon herausgefunden hatte? Ihr Kopf schwirrte von den Möglichkeiten, die sich vor ihr auftaten.
Davon abgesehen hatte sie noch immer Probleme, ein Gefühl für die Uhrzeit zu bekommen. Betreten sah sie auf das Buch hinunter, das ihr als Kopfkissen gedient hatte. Über die Seite zog sich ein großer Knick.
Reflexartig fuhr ihre Hand in ihr Gesicht und sie ertastete den Abdruck des Knicks mühelos auf ihrer Wange. Es wurde noch wärmer unter ihren Fingerspitzen und so unauffällig wie möglich blätterte sie zwei Seiten weiter – auch wenn Lucius die Auswirkungen ihres Schläfchens zweifellos gesehen haben musste.
Doch mit jeder Minute, die sie in der Peinlichkeit des jetzigen Moments verbrachte, schwanden mehr Details aus dem Traum. Mühsam versuchte Hermine, wenigstens das eine oder andere festzuhalten. Lucius, der ihr überraschend friedlich Gesellschaft leistete, schien ihre Absichten nicht zu bemerken.
Erst verspätet sah Hermine, woran das lag. Er hatte sich ihren Notizblock geschnappt und war mit gerunzelter Stirn in ihre Aufzeichnungen vertieft.
„Nehmen Sie sich immer fremdes Eigentum, ohne um Erlaubnis zu fragen?“
„Immer“, erwiderte er gelangweilt, ohne von der Seite aufzusehen. „Normalerweise finde ich dabei allerdings weitaus interessantere Dinge heraus. Haben Sie eigentlich irgendetwas getan heute?“
„Was verstehen Sie denn unter irgendetwas?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
„Theorien, Denkansätze oder wenigstens vage Vermutungen. Um nur einiges zu nennen.“ Er warf den Block auf den Tisch zurück und schürzte die Lippen.
„Ich weiß ja nicht mal, wonach ich suchen soll. Ein Tag ist kaum genug, um all diese Bücher zu lesen und genauere Anhaltspunkte habe ich nicht bekommen.“
Lucius feixte. „Ich ahnte bereits, dass Sie Ihre Intelligenz maßlos überschätzen.“
Hermine seufzte. „Hat dieses Gespräch irgendeinen Sinn, Mr Malfoy?“
„Ja. Ich verbitte es mir, dass Sie meine Bücher als Schlafunterlage benutzen!“ Eine tiefe Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen.
Da er mit dieser Verärgerung dummerweise im Recht war, blieb Hermine nichts anderes übrig, als sich ihm zu fügen: „Es wird nicht wieder vorkommen.“
„Gut. Bevor Severus überstürzt mein Haus verließ, sagte er, dass nur etwas, das nicht aus unserer Welt stammt, die Magie im Anhänger endgültig vernichten könnte. Er hielt es nicht für nötig, mir genauere Informationen zu geben.“
Hermine runzelte die Stirn. „Haben Sie eine Theorie?“
„Mehrere. Aber vorher würde es mich interessieren, was Sie davon halten.“
„Sie meinen, was mir in den fünfzehn Sekunden, seitdem Sie mir diese Information haben zukommen lassen, eingefallen ist?“
„Ja. Falls Sie über entscheidendes Vorwissen verfügen, steht es Ihnen natürlich frei, dieses ebenfalls anzuwenden.“
„Wie großzügig“, antwortete Hermine langgezogen.
„Eine meiner guten Eigenschaften.“ Er lächelte nonchalant.
„Jaah, genauso wie Ihre Offenheit für die Bedürfnisse magischer Geschöpfe.“
„Touché. Könnten wir dann zum Thema zurückkehren? Mittlerweile sind aus den fünfzehn schon fünfunddreißig Sekunden geworden. Die Erwartungen steigen.“
In Gedanken ging Hermine alles durch, das ihr zum Thema 'nicht aus dieser Welt' einfiel. Letztendlich stoppte sie bei dem einzigen Gedanken, der sinnvoll war – und der ihr eine Gänsehaut bereitete: „Der Vorhang in der Halle des Todes.“
Lucius kniff die Augen zusammen. „Wie kommen Sie darauf?“
„Es gibt nicht vieles in dieser Welt, das nicht aus dieser Welt stammt, Mr Malfoy. Und alles davon befindet sich in der Mysteriumsabteilung. Ich bezweifle, dass die Gehirne im Raum des Denkens uns behilflich sein werden.“
Er sah sie an und nickte dann, als würde er ihren Gedanken in Erwägung ziehen.
„Wie sehen denn Ihre Theorien aus?“, fragte Hermine spitz.
„Weniger leicht umzusetzen. Ich denke, wir sollten zuerst Ihre testen.“ Es war nicht zu erkennen, ob er sie gerade äußerst geschickt angelogen hatte, oder ob er wirklich Theorien gehabt hatte, die in den Bereich der unbequemen schwarzen Magie führten. Doch letztendlich war es Hermine egal. Sie hatte ihm bewiesen, dass man ihr nicht umsonst eine überdurchschnittliche Intelligenz nachsagte und das tat selbst acht Jahre nach Hogwarts noch gut.
„Soll mir recht sein“, fügte sie sich deswegen. „Doch um den Vorhang nutzen zu können, müssen wir erst mal einen Weg finden, damit ich diesen Anhänger abnehmen kann.“
„Sie müssen ihn nicht abnehmen, nur öffnen.“
„Nur …“, spottete Hermine.
„Ihn zu öffnen, wird tatsächlich das kleinste Problem sein.“
„Ach wirklich? Wie öffnet man ihn denn?“
„Entweder so, wie Sie ihn geschlossen haben …“ Hermine runzelte die Stirn und Lucius verdrehte die Augen, ehe er sagte: „Wenn Sie ein Schloss mit schwarzer Magie verschließen, brauchen Sie auch schwarze Magie, um es wieder zu öffnen. Oder etwas, das noch mächtiger ist.“
„Was schlagen Sie also vor?“, fragte sie zähneknirschend.
„Schwarze Magie ist so … kostspielig.“ Die Art, wie er es sagte, verriet ihr, dass er nicht von Geld sprach. „Deswegen interessiere ich mich mehr für etwas, das noch mächtiger ist, als die Magie, die diesen Anhänger verschlossen hat.“
„Und das wäre?“ Sie wurde allmählich ungeduldig; er genoss es viel zu sehr, sie zu belehren.
„Horkruxe. Es würde mich brennend interessieren, wie Sie und Ihre Freunde es damals geschafft haben, die Dinger zu zerstören. Denn was einen Horkrux zerstören kann, kann auch dieses Schloss öffnen.“ Dabei deutete er wenig gentleman-like mit dem Zeigefinger auf Hermines Dekolleté.
„Wir haben also die Wahl zwischen dem Dämonsfeuer, dem Schwert Gryffindors und dem Zahn eines Basilisken“, präzisierte Lucius etwa eine halbe Stunde später.
„Ich denke, theoretisch würde es auch der Avada Kedavra tun. Ihrer Frau würde der allerdings nicht gut bekommen“, fügte Hermine hinzu.
„Danke, das wäre mir doch glatt entfallen.“ Lucius rümpfte die Nase. Dann setzte er sich anders hin und seufzte. „Ich bezweifle, dass ich an das Schwert von Gryffindor kommen kann, geschweige denn, dass es mir zu Diensten sein würde. Und einen Basilisken zu finden, der bereit ist, uns seinen Zahn zu leihen, dürfte sich ebenfalls als schwierig erweisen.“
„Was, Sie haben keinen im Keller versteckt?“, murmelte Hermine leise.
„Nein“, sagte Lucius lakonisch, „die sind mir zu teuer im Unterhalt.“ Seine Blicke hätten sie töten können, aber möglicherweise verbarg er etwas hinter der Hand, mit der er sich über den Mund fuhr. „Wie es aussieht, ist das Dämonsfeuer noch unsere beste Option.“
„Die beste im Sinne von beschaffbar. Aber bestimmt nicht die beste im Sinne von beherrschbar.“
„Wenn man es richtig anstellt, ist auch ein Dämonsfeuer gut unter Kontrolle zu halten“, tat er ihren Einwand ab.
„Da bin ich aber gespannt. Vom Raum der Wünsche ist nicht mehr viel übrig geblieben, nachdem Crabbe dort so leichtsinnig herumgezündelt hat.“ Sie schluckte bei der Erinnerung an das Inferno, dem sie damals nur knapp entkommen waren.
„Haben Sie eine bessere Idee?“
Hermine holte tief Luft, während sie versuchte, eine Alternative aus dem Ärmel zu schütteln, die ihr Leben weniger aufs Spiel setzen würde. Glücklicherweise wurde sie von einer Antwort erlöst, als ein Hauself neben ihnen auftauchte und vor Lucius auf ein Knie sank.
„Das Dinner ist angerichtet, Mr Malfoy, Sir.“ Die lange Nase des kleinen Wesens berührte fast den Boden und Hermine kräuselte die Lippen, als sie sah, wie ein leichtes Zittern durch den zierlichen Körper fuhr.
„Nicht jetzt!“, polterte der Herr des Hauses.
„Natürlich jetzt!“, fuhr Hermine barsch dazwischen. Lucius sah sie entrüstet an, schwieg jedoch. „Ich habe Hunger. Und das Essen wird sonst kalt. Wir können später weiter über die beste Art, dieses Ding zu öffnen, diskutieren.“
Sie konnte sehen, wie seine Kiefermuskeln arbeiteten; vielleicht zählte er gerade bis zehn, um nicht vor ihren Augen die Fassung zu verlieren. Hermine mochte die Vorstellung und konnte sich ein Schmunzeln nur schwer verkneifen.
„Meinetwegen!“, sagte er schließlich mit scharfer Stimme. „Gehen wir essen.“
Ihr kleiner Triumph sorgte dafür, dass sie aufrecht und stolz an ihm vorbeigehen konnte.
Was im Hause Malfoy lapidar als Dinner bezeichnet wurde, war ein Mahl, wie Hermine es seit der Hochzeit von Ginny und Harry nicht mehr gegessen hatte. Wobei … Nein, das stimmte nicht. Selbst das reichte nicht heran an das Menü, durch das sie sich an diesem Abend aß. Bei Weitem nicht.
Als Vorspeise fand sie auf ihrem Teller ein künstlerisch drapiertes Toast mit Morcheln. Während ihre Augen einige Nuancen größer wurden, nahm das Ehepaar Malfoy es einfach als gegeben hin und begann zu essen. Ein Hauself stand die ganze Zeit neben dem Tisch und überwachte das Geschehen aufmerksam, vermutlich immer darauf bedacht, die Bedürfnisse der anwesenden Gesellschaft zu sehen, noch bevor sie sich derer bewusst wurden.
Wessen Hermine sich allerdings überdeutlich bewusst war, waren die wachsamen Blicke, die sie von der gegenüberliegenden Seite des Tisches streiften. Narcissas blaue Augen lagen häufiger auf ihr als auf dem Toast, was eine absolute Verschwendung war, wie Hermine fand. Es schmeckte wunderbar.
Doch wenn sie diejenige gewesen wäre, die am Vortag von einem Hausgast mit ihrer Affäre gesehen worden wäre, dann hätte sie vermutlich auch keine Augen für die Morcheln gehabt.
„Seid ihr mit den Nachforschungen weitergekommen?“, fragte Narcissa schließlich, während die Teller verschwanden. Dabei flogen ihre Blicke zwischen Lucius und Hermine hin und her, so dass diese nicht wusste, ob sie nun antworten sollte oder nicht.
Dank Lucius' einnehmendem Wesen hielt die unangenehme Stille allerdings nicht lange an: „Wir sind dabei, einen Plan aufzustellen.“ Er sah sie kurz an, die Augenbraue in die Stirn gezogen.
„Ja, wir kommen voran“, stimmte Hermine zu und lächelte flüchtig.
Narcissa nickte kurz und das Gespräch verstummte mit der Ankunft des nächsten Ganges. Hermine roch den Salbei beinahe, bevor der Teller vor ihr abgestellt wurde. Ein Kalbsschnitzel mit spärlicher Beilage blickte sie von dem reinweißen Porzellan an. Aßen die Malfoys wirklich immer so, oder taten sie es nur, weil Hermine hier war? Kochten sie sich nie ein halbes Pfund Nudeln mit Tomatensoße, damit sie gleich für zwei Tage was zu essen hatten?
Die Stirn über diese elementaren Fragen tief gerunzelt, nahm Hermine das nächste Besteck auf und machte sich über das zarte Kalbsfleisch her.
„Wie war dein Tag?“, war es wieder Narcissa, die zwischen zwei Bissen das leise Klappern zu durchbrechen versuchte.
Doch entweder war Lucius zu wütend, um es zu bemerken, oder er wollte nicht mal Smalltalk in Hermines Gegenwart betreiben. Denn alles, was er sagte, war: „Gut.“ Ohne von seinem Teller aufzusehen.
„Wir war Ihr Tag denn?“, erhob schließlich Hermine die Stimme und lächelte Narcissa bemüht an.
Allerdings ohne die gewünschte Wirkung, denn die schien unter ihrem sorgfältigen Make-up eine Nuance blasser zu werden und griff geziert nach dem Wasserglas, um ihr erstes Entsetzen zu verbergen. „Danke, ebenfalls gut.“ Sie betupfte sich den Mund mit der Serviette und schielte flüchtig zu Lucius, der mit seinen Gedanken jedoch woanders war. Daraufhin entschied sie, dass – selbst wenn Hermine etwas über Horatio hätte sagen wollen – Lucius es ohnehin nicht mitbekommen hätte, und fuhr fort: „Ich habe mich mit einer Freundin zum Brunch getroffen. Im Quo Vadis, falls Ihnen das etwas sagt?“
„Ja, ich kenne es“, erwiderte Hermine gleichmütig. Natürlich hatte sie das Restaurant in Soho niemals betreten; abgesehen von ihrer mangelnden Zeit lagen die Preise jenseits dessen, was sie sich leisten konnte. Doch sie hatte davon gehört.
Falls Narcissa über diesen Umstand überrascht war, so verbarg sie es gut. „Wir hatten einen netten Vormittag.“
„Freut mich.“ Hermine legte ihr Besteck auf den Teller und trank einen Schluck von dem Rotwein, den die Elfen ihnen zum Kalb serviert hatten. Er schmeckte voll und süß, so wie sie ihn am liebsten mochte.
Pünktlich zum Dessert schrak dann auch Lucius wieder aus seinen Gedanken, in welche Richtung sie auch immer gegangen sein mochten. „Und, haben Sie schon eine Idee, wie wir um das Dämonsfeuer herumkommen?“, fragte er mit einer guten Portion Ironie.
„Dämonsfeuer?“ Narcissa klang etwas atemlos, als sie lediglich dieses Wort in den Raum warf.
„Die einzige praktikable Möglichkeit, den Anhänger zu öffnen“, erklärte ihr Mann kurz.
„Zumindest behaupten Sie, es wäre die einzige“, präzisierte Hermine. Der Ärger, den sie aus der Bibliothek mit an den Tisch gebracht hatten, brach sich nun Bahn.
„Es ist auch so!“
„Das ist Wahnsinn, Lucius!“, fuhr Narcissa dazwischen. Über die Siruptorte hinweg legte sie sich eine Hand auf das Dekolleté und verriet dadurch mehr von ihrer Angst vor dem Tod, als ihr vermutlich lieb war.
„Man kann es beherrschen“, beharrte er und sah sie wütend an.
Hermine runzelte die Stirn, als ihr ein Gedanke kam. „Den Tod auch“, murmelte sie gedankenverloren.
„Was?“, fragte Lucius scharf.
Sie sah ihn an. „Der Anhänger wird sich doch öffnen, wenn ich sterbe, oder?“
Lucius schnaubte. „Ja. Aber inwiefern ist der Tod weniger tödlich als das Dämonsfeuer?“
„Indem man es richtig anstellt. Ein Trank, der einen Herzstillstand verursacht. Wirkt zuverlässig, aber langsam genug, damit Sie mir einen Gegentrank verabreichen können, sobald Voldemorts Macht den Anhänger verlassen hat.“ Sie war sich nicht ganz sicher, wann genau ihr diese Idee gekommen war. Vielleicht irgendwann in den letzten zwanzig Minuten, in denen Lucius sie nicht mit seinem Spott provoziert hatte. Vielleicht war sie auch schon eher in ihrem Kopf gewesen. Es könnte funktionieren. Nun, da sie genauer darüber nachdachte, kam ihr sogar schon ein Trank in den Sinn.
„Glauben Sie wirklich, ich hätte die Zeit, Sie wiederzubeleben, während die Macht des Dunklen Lords durch den Raum des Todes schwirrt?“
„Ach! Aber Zeit, um ein Dämonsfeuer unter Kontrolle zu bringen, bleibt Ihnen, ja?“ Hermine zog die Augenbrauen zusammen und steckte wütend ihren Löffel in die Siruptorte, um die Hände frei zu haben. Sie wusste zwar nicht exakt wofür, doch falls sie sich dazu entschließen sollte, dem aristokratischen Mistkerl den Hals umzudrehen, wollte sie auch sofort dazu in der Lage sein.
„Ein Dämonsfeuer hat man entweder von Anfang an unter Kontrolle, oder gar nicht, Miss Granger! Ich mache keine halben Sachen!“
„Und ich liefere mich keinem schwarzmagischen Feuer aus! Lieber falle ich einem Trank zum Opfer!“
Hermine glaubte zu hören, wie Narcissa sich leise räusperte, doch da Lucius bereits weiterredete und sie es nicht wagte, den Blick von seinem wutverzerrten Gesicht abzuwenden, war sie sich dessen nicht sicher.
„Dann sind Sie also nur zu feige! Ein erstklassiges Zeugnis für eine angeblich geborene Gryffindor!“
„Zeigen Sie mir nur eine Person, die freiwillig das Dämonsfeuer einem Trank vorziehen würde, Mr Malfoy, und ich werde es auch tun. Aber solange werde ich nach einem Trank suchen, der unseren Zwecken entspricht, und Sie werden nach einem verdammten Schutzzauber suchen, der stark genug ist, um Voldemorts Magie von uns fern zu halten, bis Sie mich wiederbelebt haben!“ Sie riss sich die Serviette vom Schoß und knüllte sie zusammen, ohne den Blick von Lucius' Gesicht zu nehmen. „Ich wünsche eine angenehme Nacht!“, fügte sie hinzu und warf den weißen Stoff achtlos auf den Tisch. Es klirrte gedämpft.
Mit vor Wut rasendem Herzschlag verließ Hermine den Tisch, um in ihr Zimmer zu gehen. Ob sie es alleine fand, wusste sie nicht. Doch bevor sie um Hilfe bat, verbrachte sie die Nacht lieber auf dem Flur.
„Ihnen ist aber schon bewusst, dass ich nur warten muss, bis die Zeit mein Problem mit Ihnen löst, oder?“, rief Lucius ihr hinterher.
Hermine wandte sich nicht um, während sie antwortete: „Schön! Dann warten Sie! Ich werde mir für den entscheidenden Moment ein Plätzchen in einem dicht besiedelten Land suchen gehen. Frankreich vielleicht. Es ist nett dort. So gastfreundlich!“
Daraufhin blieb er still.
Als Lucius am nächsten Abend die Bibliothek betrat, sah Hermine nicht von ihrer Lektüre auf. Sie wusste, dass sie sich stur und albern verhielt, aber momentan fühlte sich stur und albern genau richtig an. Vorsorglich zog sie ihren Notizblock an sich und ließ ihn auffällig unauffällig auf ihren Schoß gleiten.
Lucius setzte sich an den Tisch und legte die Arme so vor sich ab, dass er die halbe Tischplatte für sich beanspruchte. Hermine blinzelte, zog die Augenbrauen etwas zusammen, arbeitete jedoch weiter. Sie hatte sich vorgenommen, sich heute nicht von ihm aus der Fassung bringen zu lassen. Eigentlich wollte sie sich gar nicht mehr von ihm aus der Fassung bringen lassen, doch in den letzten Jahren hatte sie gelernt, sich kleine Ziele zu stecken. Und ein Abend wäre schon eine reife Leistung.
So saßen sie lange beieinander, stumm und unbeweglich. Zuerst knisterte die Luft regelrecht vor unterschwelliger Wut und Frustration. Später beruhigten sie sich beide und nach einer knappen Stunde beschlich Hermine der Verdacht, dass Lucius sich tödlich langweilte.
Sie verbarg ihr Lächeln mühsam unter nachdenklichem Kauen auf ihrer Unterlippe und blätterte eine Seite nach der anderen um. Als sein Stuhl unter einer vorsichtigen Bewegung knackte, zuckte sie zusammen.
Lucius stieß zischend die Luft aus seinen Lungen, doch Hermine widerstand mühsam der Versuchung nachzusehen, ob er dabei schon Staub aufwirbelte. Sie hatte Zeit und sie hatte schon weitaus länger schweigend in einer Bibliothek gesessen. Sie war überzeugt, den längeren Atem zu haben.
Letztendlich wurde der Wettkampf zwischen ihnen rüde unterbrochen, nämlich wie am Vorabend vom Auftauchen des Hauselfen. „Das Dinner …“, begann der kleine Kerl nichtsahnend.
„Nicht jetzt!“, fuhren Hermine und Lucius unisono dazwischen – er wohl aus Gewohnheit, sie im Affekt.
Der Elf zuckte zusammen, machte einen Satz nach hinten und verschwand mit einem lauten Plopp. Sofort überkam Hermine das schlechte Gewissen und als sie den Blick zurück auf das Buch senkte, sahen die vor Angst weit aufgerissenen Augen des Elfen sie aus den Buchstaben heraus an. Sie schloss die Augen, schüttelte den Kopf und versuchte es dann noch einmal. Aber die Augen blieben. Daraufhin schlug sie das Buch laut zu. „Wir werden einen Trank nehmen!“
„Gut“, lenkte Lucius prompt ein.
Und brachte Hermine damit komplett durcheinander. „Bitte?“, fragte sie irritiert.
„Ich sagte gut! Es ist Ihre Wahl, wie Sie sterben. Hauptsache Sie tun es.“
„Vielen Dank“, erwiderte sie spitz.
„Keine Ursache.“
„Sie werden sich um einen Schutzzauber kümmern.“
Lucius rümpfte die Nase. „Ich muss nicht darum kümmern, ich kenne genug davon. Können wir uns dann dem nächsten Teil des Plans widmen?“ Er schien nicht sonderlich an ihrer Antwort interessiert, denn nebenbei klatschte er zweimal in die Hände und ein anderer Hauself tauchte neben seinem Stuhl auf. „Bring uns einen Krug …“ Er stockte und sah Hermine fragend an.
„Ähm … Kürbissaft?“ Das war das erste, was ihr angesichts seiner unerwarteten Höflichkeit einfiel.
„Kürbissaft“, wiederholte Lucius, „und einen Teller Häppchen.“
„Sofort, Sir.“ Und der Elf verschwand wieder.
Hermine versuchte, sich ihre Missbilligung nicht anmerken zu lassen. „Und, was hatten Sie sich für den nächsten Teil vorgestellt?“
„Ein Versteckspiel.“ Er lächelte zufrieden, als er die offensichtliche Verwirrung auf ihrem Gesicht sah. „Die Magie des Dunklen Lords empfängt keine Sinneseindrücke wie wir. Doch sie kann potentielle Wirte erspüren. Sie richtet sich dabei nach der Aura eines Menschen. Ich werde Ihnen beibringen, wie Sie Ihre Aura verbergen können.“
Hermines Augen wurden fast unmerklich größer. Sie hatte vom Erspüren und Beherrschen der Auren gehört, doch bisher hatte sie nie genug Interesse dafür aufgebracht, um sich näher damit zu beschäftigen. Dass ausgerechnet Lucius Malfoy diese Kunst beherrschte, überraschte sie.
Nicht genug jedoch, als dass sie sich nicht schnell wieder gefasst hätte. „Die Aura zu verbergen, ist kein kompletter Schutz gegen Voldemorts Macht. Er kann uns auch einfach durch Glück finden.“
Er schnalzte mit der Zunge. „Ein Restrisiko, das wir nicht ausschalten können. Sie gehen ihm besser aus dem Weg.“
„Wir können es ausschalten“, widersprach Hermine und richtete sich etwas auf. „Auf dieselbe Weise, auf die ich mich schon seit einigen Jahren gegen die Magie schütze, die aus der Kette sickert – durch Okklumentik.“
Sie konnte beobachten, wie sich Lucius' Gesicht verschloss. Der wackelige Waffenstillstand, auf den sie sich stumm geeinigt hatten, zerbrach wie fallen gelassenes Porzellan. „Das ist Zeitverschwendung“, zischte er.
„Das hält mich seit Jahren am Leben“, hielt Hermine dagegen.
„Wunderbar! Dann betreiben Sie es weiter! Ich kann meine Zeit sinnvoller verbringen.“ Er reckte das Kinn vor, die Zähne fest aufeinander gebissen.
„Er könnte Sie umbringen, wenn Sie Ihren Verstand nicht verschließen!“
„Ich weiß, wie ich einer ziellosen Magie aus dem Weg zu gehen habe, Miss Granger! Man macht einfach einen Schritt zur Seite.“ Seine Blicke fixierten sie auf eine beunruhigende Art. Zusammenhanglose Bilder aus ihrem Traum vom Vortag flatterten durch Hermines Kopf und ihr Herzschlag beschleunigte sich.
„Das ist leichtsinnig. Wenn Sie nur einen Fehler machen, hat Voldemort seinen neuen Wirt. Glauben Sie etwa, dass ich ihn alleine aufhalten kann? Kurz nachdem ich einen Abstecher ins Jenseits gemacht habe?“
„Ich mache keine Fehler“, erwiderte er stur, anscheinend ohne an ihr Horrorszenario auch nur einen weiteren Gedanken zu verschwenden.
„Sie sind ein dummer Mann, Mr Malfoy.“
„Das aus Ihrem Mund zu hören, trifft mich hart“, säuselte er mit falscher Stimme. Dann wurde er wieder ernst. „Verschwinden Sie aus meiner Bibliothek.“
Hermine blinzelte mehrmals. Sein Rausschmiss traf sie auf eine unerwartete Art heftig, beinahe wie eine Ohrfeige. Sie brauchte einige Sekunden, ehe ihre Muskeln ihr wieder gehorchten. Sie überlegte kurz, sich ihm zu widersetzen, verwarf den Gedanken allerdings. Bei einem Lucius Malfoy wusste man besser, wann man den Rückzug antrat.
Also nahm sie ihren Notizblock und stand auf. Als sie die Tür ansteuerte, stolperte sie beinahe über den Elfen, der mit Kürbissaft und einem Tablett Häppchen zurückgekehrt war. „'Tschuldigung“, murmelte sie, als er zurückweichen und heftig mit seinem Ballast balancieren musste.
Sie sah nicht zu Lucius zurück, bis sie bereits auf dem Flur stand. Erst als sie die Tür hinter sich ins Schloss ziehen wollte, wagte sie einen kurzen Blick. Er starrte ihr böse hinterher, mehr Todesser als sie es jemals bei ihm erlebt hatte.
Später am Abend saß Hermine mit gerunzelter Stirn und angezogenen Beinen in ihrem Zimmer vor dem Kamin. Sie hatte einen der Stühle in einen alten, aber durch und durch bequemen Ohrensessel verwandelt, inspiriert von denen, die in Hogwarts im Gryffindor-Gemeinschaftsraum gestanden hatten. Es gab kaum etwas Beschützenderes, als diese warme Umarmung.
Nichtsdestotrotz fühlte sie sich nicht wohl. Und das hatte nichts mit den allmählich abebbenden Nachwirkungen ihrer Erkrankung zu tun. Während der Diskussionen, die sie in den letzten beiden Tagen mit Lucius geführt hatte, hatte sie aus den Augen verloren, wer er war. Das Ende des heutigen Gespräches hatte sie wieder daran erinnert.
Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinunter, gerade als es an der Tür klopfte. Hermine zuckte kurz zusammen, dann schielte sie an der Rückenlehne des Sessels vorbei und rief laut: „Herein!“
Die Tür öffnete sich und ein gelber Streifen flackernden Lichts fiel in ihr Zimmer. Dem folgte Narcissa Malfoy. „Guten Abend“, sagte sie leise und sperrte das Licht mit einem Klicken wieder aus. „Darf ich?“, fragte sie dann.
„Natürlich.“ Hermine wandte den Blick wieder in die Flammen. Sie bot Narcissa keinen Stuhl an; immerhin wohnte sie hier, wenn sie sich setzen wollte, sollte sie es tun.
Doch sie blieb neben dem Sessel stehen und leistete Hermine einige Momente beim Starren Gesellschaft. Dann zog sie einen Brief aus dem weiten Ärmel ihres Umhanges und hielt ihn ihr vor die Nase. „Der kam vorhin mit einer äußerst verwirrten Eule.“
Hermine erkannte die Handschrift von Ginny sofort und nahm den Brief entgegen. „Horace ist nicht verwirrt, sondern verrückt“, murmelte Hermine, während sie die Nachricht zwischen ihr Bein und die Lehne des Sessels steckte. Sie würde ihn nicht lesen, wenn Narcissa neben ihr stand.
„Möglich“, räumte Narcissa ein, „Hauselfen drücken sich nicht besonders differenziert aus.“
„Weil es ihnen niemand beigebracht hat.“
Narcissa holte tief Luft. Sie ging ein paar Schritte und lehnte sich neben dem Kamin an die Wand. Dabei verschmolz sie beinahe vollständig mit den Schatten, die dort über den Stein tanzten. „Wissen Sie, was das größte Problem zwischen Ihnen und meinem Mann ist, Hermine?“
Überrascht durch die Benutzung ihres Vornamens sah Hermine auf und kniff die Augen zusammen. „Er hat sich der Magie Voldemorts freiwillig ausgesetzt, ich nicht.“
„Davon abgesehen“, fuhr Narcissa fort, als wäre es ihr Argument gewesen, „sind Sie genauso stur wie er. Er ist es nicht gewohnt, dass ihm jemand widerspricht. Und er hasst es, dass Sie es tun.“
„Mein Beileid“, warf Hermine bitter ein. Sie hatte nicht das geringste Mitgefühl für Lucius' verzogenen Charakter. Immerhin hatte sie ihre Abneigung gegen das Beschäftigen von Hauselfen unter unangemessenen Bedingungen, sowie ihre Angst vor den Anhängern des Dunklen Lords überwunden, um dem Spuk endlich ein Ende zu bereiten. Da sollten ihn ein paar verlorene Diskussionen nicht aufhalten.
Narcissa seufzte. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah kurz zu ihren Füßen hinunter. Hermine konnte nicht erkennen, was sie dazu veranlasst hatte, doch es ließ ihr die langen blonden Haare ins Gesicht fallen. „Ich kann verstehen, warum Sie so stur sind. Aber wenn es um Okklumentik geht, möchte ich Ihnen raten, das Thema ruhen zu lassen.“
„Es ist zu wichtig“, beharrte Hermine.
„Ich weiß. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass Lucius es nicht kann.“ Einen Moment schwieg sie, damit Hermine diese unerwartete Information verarbeiten konnte. „Severus hat oft versucht, Lucius zumindest marginale Okklumentikkenntnisse beizubringen. Er ist immer gescheitert. Lucius hat es mehrmals versucht, weil er Severus vertraute. Dieses Vertrauen bringt er Ihnen nicht entgegen. Glauben Sie mir, es hat keinen Sinn.“
Es dauerte einige Sekunden, ehe Hermine bemerkte, dass ihr Mund ein Stück offen stand. Sie klappte ihn zu und schluckte, dann hatte sie ihre Gedanken soweit geordnet, dass sie wieder an dem Gespräch teilnehmen konnte: „Weiß Ihr Mann, dass Sie hier sind?“
Ein flüchtiges Lächeln huschte über Narcissas Gesicht. „Natürlich. Irgendjemand musste Ihnen doch den Brief bringen.“
„Oh ja, in einem Haushalt mit geschätzten fünfzig Hauselfen gehört das natürlich zu den Aufgaben der Hausherrin.“
„Sie sind eine intelligente Frau, Hermine. Und Lucius ist heute Abend glücklicherweise zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um diese Offensichtlichkeit zu bemerken.“ Sie löste sich von der Wand und kam zwei Schritte in den Raum. Das Licht des Feuers streifte ihre Silhouette und ließ ihre Haare wie Gold glänzen. „Sich in Okklumentik zu verrennen, wird Sie keinen Schritt weiter bringen. Lenken Sie dieses eine Mal ein, es wird sich für Sie auszahlen.“
„Sie meinen, wenn ich jetzt klein beigebe, fühlt er sich genötigt, sich durch andere Kompromisse bei mir zu revanchieren?“ Hermine zog eine Augenbraue hoch.
„Es mag ihm nicht bewusst sein, aber ja, so ist es. Ich lebe seit fünfundzwanzig Jahren mit ihm zusammen. Vertrauen Sie mir.“
Hermine rümpfte die Nase. „Diese Art der Manipulation und des … Hintergehens erscheint mir doch eher Ihre Art des Umgangs mit anderen zu sein, Mrs Malfoy.“
Auf diese Äußerung hin verschwand die vertrauliche Note des Gesprächs sofort und Narcissas Gesichtsausdruck wurde wieder hart und abweisend. Sie nickte knapp. „Ja, es scheint so. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nacht, Miss Granger.“ Narcissa blieb noch einige Sekunden mitten im Raum stehen, dann durchquerte sie ihn mit steifen Bewegungen und ließ den Lichtstreifen einen weiteren kurzen Blick in das dunkle Zimmer werfen. Dieses Mal knallte sie die Tür beinahe, als sie sie hinter sich schloss.
Hermine seufzte schwer und sank ein Stück in sich zusammen. Die Stille war so angenehm wie ein Wattebausch auf einem entzündeten Ohr. Für mehrere Minuten ließ sie sich bereitwillig davon trösten.
Dann erinnerte sie sich daran, dass Ginny ihr geschrieben hatte und ein scharfer Stich durchfuhr sie. Es war lange her, dass sie irgendetwas außer ihrer Freiheit vermisst hatte. Aber gerade jetzt hätte sie einiges dafür gegeben, zu ihr flohen zu können.
Mit einem Kloß im Hals zog sie den Brief hervor und öffnete ihn. Durch das Flackern der Flammen war die Schrift auf dem Pergament nur schwer zu lesen, doch Hermine genoss es, dass sie sich dadurch mehr Zeit lassen musste. Früh genug würde die Brutalität ihrer momentanen Lage sie wieder einholen.
Chapter 8: Kapitel 4: Der Machtkampf – Teil I
Chapter Text
Am nächsten Morgen griff Hermine als erstes nach ihrem Zauberstab. „Lumos!“, murmelte sie und die Spitze begann zu leuchten. Gut, ihre Magie war also endlich wieder da. Zufrieden steckte sie den Zauberstab weg und ging ins Bad.
Nach dem Frühstück wurde ihr Zimmer von einer Horde Hauselfen in Beschlag genommen, die putzten, als steckte der Teufel in jedem einzelnen Staubkorn. Sie ergriff die Flucht, holte sich ein paar Bücher aus der Bibliothek und suchte sich ein ruhiges Plätzchen in einem weniger dunklen Raum. In einem Raum, der sie weniger wütend machte, weil er sie weniger an Lucius' Sturheit erinnerte.
Schließlich fand sie eines im Salon. Ein großer Tisch stand unter den Fenstern und die lichtüberflutete freie Tischplatte war perfekt zum Recherchieren. Mit einem Lächeln ließ sie ihre Last auf die dunkle Oberfläche fallen, wobei der Stapel zur Seite rutschte und sich wie ein Fächer ausbreitete, und setzte sich dann so, dass sie die Fenster zu ihrer Linken und den restlichen Raum zu ihrer Rechten hatte. Auf diese Weise saß sie dem Licht nicht im Weg.
Harry und Ron hatten früher oft geklagt, dass es ihnen beim Lernen vorkam, als würde sich die Zeit wie Kaugummi ziehen. Für sie rasten die Stunden hingegen davon wie ein Gaul, der einen Klapps auf sein Hinterteil bekommen hatte.
So kam es, dass es schon auf die Mittagszeit zuging, als Hermine das erste Mal unterbrochen wurde. Es waren Schritte, die sich über den Flur näherten, und instinktiv versteifte sich ihre Haltung, obwohl sie die Schritte weder als die von Narcissa noch als die von Lucius identifizieren konnte. Für einen Hauselfen waren sie allerdings zu schwer. Erst als es schon zu spät war, kam ihr der Gedanke, dass Draco seinen Eltern einen unangemeldeten Besuch abstatten könnte. Dass sie hier seelenruhig saß und arbeitete, war etwas, das er vielleicht besser nicht sah.
Doch es war nicht Draco, wie sie erleichtert feststellte. Es war Horatio.
Der dunkelhäutige Mann sah sich mit aufmerksamen Augen um und stutzte, als er sie entdeckte. Er musterte sie interessiert und kam auf sie zu. „Ich glaube, wir kennen uns noch nicht“, stellte er in einer erfrischend direkten Art fest.
Hermine starrte zu ihm hinauf, als wenn der Schock über den plötzlichen Besuch sich dazu entschieden hätte, ihr jetzt doch noch die Sprache zu rauben. Sie brauchte einen Moment, ehe sie antworten konnte: „Doch. Ähm, ich meine, nein …“ Hitze stieg ihr ins Gesicht und sie schüttelte den Kopf. Dann fand sie unter der Verlegenheit ihren Anstand wieder und fügte hinzu: „Hermine Granger.“ Dabei streckte sie ihm die Hand entgegen und versuchte so etwas wie ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zerren.
Horatio ergriff die ihm dargebotene Hand und erwiderte das Lächeln, so dass das Sonnenlicht seine weißen Zähne blitzen ließ. „Horatio McGuff. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Trotzdem sah er sich um, nachdem Hermine ihre Hand zurückgezogen hatte, und kratzte sich am Kopf. „Ich bin auf der Suche nach der Dame des Hauses. Sie wissen nicht zufällig, wo sie ist?“
Hermine schüttelte den Kopf. „Haben Sie schon mal einen der Hauselfen gefragt?“
Er lachte kurz auf. „Allerdings. Der kleine Kerl ist verschwunden und nie wieder aufgetaucht.“
„Das sieht ihnen gar nicht ähnlich“, murmelte Hermine, mehr zu sich selbst, und sah sich im Raum um, als könnte sich besagter Hauself hinter einem Stuhlbein verstecken.
Horatio atmete langsam aus. „Ich denke, das Problem bin ich. Sie mögen mich nicht besonders. Mit dem Schicksal muss ich leben.“ Er zuckte mit den Schultern und lächelte; anscheinend betrübte ihn dieser Umstand nicht übermäßig. Dann hielt er inne und sah sich noch einmal um, ehe er eine Entscheidung traf: „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
Hermine nickte rasch. „Natürlich. Ich bin ja selbst nur Gast hier.“
Horatio, der von Nahem ein noch viel interessanteres Gesicht hatte als über die Distanz von gut fünf Metern und einer massiven Holztür, zog die Augenbrauen in die Stirn. „So? Was führt Sie hierher?“
Plötzlich beschlich Hermine der Verdacht, dass sie zu viel gesagt haben könnte. Wie viel durfte sie von dem erzählen, was sie mit Lucius plante?
Andererseits, wenn Narcissa eine Affäre mit Horatio hatte – und das anscheinend nicht erst seit gestern – dann schien er durchaus in der Lage zu sein, ein Geheimnis für sich zu bewahren. Jedenfalls hielt sie ihn für vertrauensvoll genug, um ein paar vage Andeutungen zu machen: „Ich habe mit Mr Malfoy zu tun. Geschäftlich. Ich brauche seine Hilfe und er bekommt dafür etwas, das er schon seit langem haben möchte.“
Horatio gab einen lang gezogenen Laut von sich. „Jaah, ich erinnere mich. Die Kette, nicht wahr?“ Er deutete auf Hermines Hals. „Narcissa hat mir ein bisschen davon erzählt.“
„Oh, na dann …“ Anscheinend war Narcissas Vertrauen in diesen Mann noch größer, als Hermine gedacht hatte.
„Und, wie gefällt es Ihnen hier, Miss Granger?“ Er stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab und sah sie aufmerksam an.
Hermine rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum, kaute auf der Innenseite ihrer Lippe. Er hatte etwas an sich … Sie schaffte es nicht, höflich zu lügen. Die Wahrheit rutschte ihr wie von allein heraus: „Es ist … anstrengend.“ Gedankenverloren tippte sie mit der Spitze ihres Kugelschreibers auf die aufgeschlagene Seite ihres Notizbuchs.
„Das glaube ich Ihnen sofort. Aber der Salon ist auch nicht unbedingt der beste Ort, um in Ruhe zu arbeiten. Hat Lucius Ihnen nichts Ruhigeres angeboten?“
„Doch, hat er.“ Und bevor Horatio nachfragen konnte, fügte sie hinzu: „Es ist kompliziert.“
Ihr Gegenüber lächelte wissend. „Anstrengend und kompliziert. Ich sehe schon, Sie sind nicht zu beneiden, Hermine Granger.“
„Nein, bin ich nicht“, sagte sie und strich sich die Haare hinter die Ohren.
Horatio sah aus, als wollte er ihr noch weiter auf den Zahn fühlen. Doch zu Hermines Erleichterung wurden sie vom Auftauchen einer Elfe unterbrochen. „Mister Horatio.“ Ihre Stimme hatte einen Unterton, den Hermine noch nie bei einem Hauselfen gehört hatte. Beinahe mütterlich. Als ob sie Horatio schon gut kannte.
Auch Horatio schien den Unterton vernommen zu haben. Ohne die Elfe anzusehen, grinste er und sagte an Hermine gewandt: „Meine einzige Verbündete in diesem Haus.“
„Das sollten Sie sich nicht verderben.“
„Ich habe nichts dergleichen geplant.“ Er stand auf und hielt Hermine seine Hand hin. Für einen Moment faszinierte sie der Kontrast des dunklen Rückens zu der hellen Fläche. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, Hermine Granger.“
„Danke, das wünsche ich Ihnen auch, Horatio McGuff.“ Sie konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen und nachdem er sich der Elfe zugewandt hatte und ihr folgte, ließ sie es ihre Gesichtszüge erhellen.
„Warum hat das heute eigentlich so lange gedauert, Sunny?“, fragte Horatio im Gehen und die Elfe machte einen kleinen Sprung.
„Sunny hat noch mehr zu tun, als Mister Horatio durch Malfoy Manor zu führen, Mister Horatio.“
Lucius Malfoy war eine Schlange durch und durch. Er saß in seinem Korb aus Geld, so sehr aufgerollt, dass niemand sagen konnte, wie groß er wirklich war. Ab und zu ließ er seine gespaltene Zunge tanzen und lockte mit seinem geheimnisvollen Muster jeden an, der gar zu neugierig war. Er duldete viele in seiner Nähe und sie kamen in Scharen. Doch gerade wenn man glaubte, dass es warm und sicher war, dann biss er zu – unerwartet und unbarmherzig.
Als Hermine später an diesem Tag an die Tür zur Bibliothek klopfte, fühlte sie sich nicht warm und sicher. Das ließ sie hoffen, dass sie den Nachmittag überleben würde.
Anstatt einer verbalen Antwort auf ihr Klopfen schwang die Tür lautlos nach innen auf und Hermine steckte vorsichtig den Kopf in den staubigen, nach Büchern riechenden Raum. Zuerst sah sie auf der Suche nach Lucius in die falsche Richtung, doch sie konnte seine Geschäftigkeit hören. Ein leises Schaben und das Geräusch von schnellem Blättern in alten Seiten ließ sie vermuten, dass er einige Bücher sortierte.
„Es kostet nicht mehr, wenn Sie ganz hereinkommen, Miss Granger“, ließ er sich nach einigen Momenten doch noch dazu herab, das Wort an sie zu richten. Ansehen tat er sie dabei nicht und Hermines Gesicht nahm einen säuerlichen Ausdruck an.
Dennoch trat sie über die Schwelle und verlagerte das Gewicht ihrer Bücher auf eine Hüfte, um die Tür hinter sich zu schließen. „Wie viel bin ich Ihnen denn schuldig, Mr Malfoy?“, fragte sie spitz und stieg die drei Stufen hinunter, die in den Raum führten.
Er schnaubte und wischte mit der Hand über ein leicht eingestaubtes Buch; das Licht fing sich in einem Ring, den er am Mittelfinger trug. Ein Siegelring mit dem Wappen der Familie Malfoy – natürlich. Hermine hatte ihn nur selten aus der Nähe gesehen.
„Das lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken“, antwortete er schließlich auf ihre Frage.
„Bedauerlich.“ Sie ließ die Last ihrer Bücher lauter als nötig auf die Tischplatte fallen, doch nicht einmal dieser unerwartete Knall ließ ihn sich erschrecken. Er schien sich seiner Sache äußerst sicher zu sein. „Wie geht es weiter?“
Lucius drehte sich endlich um und zog eine Augenbraue in die Stirn. „Wie, Sie haben keine eigenen Pläne, die Sie wie die Löwin, die Sie doch sind, zu verteidigen gedenken? Das ist eine wahre Enttäuschung.“
Hermine versuchte seinen Blick auf eine möglichst gelangweilte Art zu erwidern, obwohl ihr das Herz ihr bis zum Hals schlug. „Ich habe Ihnen gesagt, was ich in den letzten Jahren herausgefunden habe. Und ich habe Ihnen gesagt, was ich für den sinnvollsten Weg halte. Nachdem Sie jeden Vorschlag abgeschmettert haben, liegt es nicht länger an mir, einen Plan zu präsentieren. Ich bereite mich lieber darauf vor, Ihre Vorschläge abzulehnen.“ Nachdem sie geendet hatte, breitete sich ein falsches Lächeln auf ihren blassen Lippen aus. Sie setzte sich selbstgefällig an den Tisch. „Also, ich höre!“
Während sie die Arme vor der Brust verschränkte und aufmerksam zu ihm hinaufblickte, schnaubte er abfällig. Bis ihm offenbar der Ernst ihrer Worte bewusst wurde; er presste die Lippen aufeinander. Dann zuckte sein Blick zur Kette an Hermines Hals und er erinnerte sich daran, dass sie trotz allem, was er zu besitzen und zu beherrschen glaubte, doch am längeren Hebel saß. Immerhin war es ihr Leben, das unter der Last der schwarzen Magie zu zerbrechen drohte. Und das würde die Rückkehr eines Mannes zur Folge haben, der mit Lucius vielleicht noch das eine oder andere Hühnchen zu rupfen hatte.
Als er an diesem Punkt der Gedankenkette angekommen war, nahm sein Gesicht einen ebenso säuerlichen Ausdruck an wie das ihre und seine Kiefermuskeln verspannten sich. Widerwillig trat er vom Bücherregal weg und auf den Tisch zu, um Hermine das Buch zu geben, das er noch immer in der Hand hielt. Nein, falsch, er gab es ihr nicht, er legte es auf den Tisch und überließ es ihr, es sich zu nehmen. „Vorerst werden Sie dieses Buch lesen. Es ist nicht übermäßig umfangreich; ich erwarte, dass Sie morgen früh damit fertig sind. Dann werde ich Ihnen erklären, wie es weitergeht.“
Hermine legte die Hand flach auf den textilen Umschlag des alten Buches und zog es zu sich heran, während sie ihn finster ansah. Die Ecken waren mit Metall beschlagen und der Zahn der Zeit hatte so sehr am Stoff des Umschlages genagt, dass der Titel nicht mehr zu erkennen war. Nur einige verblichene rote Spuren zeigten, dass dort jemals etwas gestanden hatte.
Mit der Neugierde, mit der sie schon im Alter von fünf Jahren die Bücher ihres Vaters unter die Lupe genommen hatte – hauptsächlich bestehend aus zahnmedizinischer Fachliteratur – schlug sie auch dieses Buch auf und blätterte vorwärts, bis sie die Seite erreichte, auf der der Titel stand.
‚Die unsichtbare Magie‘
Hermine brauchte sie nur eine Sekunde, um diesen Titel mit dem Gespräch vom Vortag zu verbinden: „Ein Buch über die Magie der Auren?“
„So ist es. Meinen Sie, Sie können das bis morgen lesen?“ Er schien äußerst zufrieden mit sich und seiner Art, sie für die nächsten Stunden zu beschäftigen – denn im Gegensatz zu seiner Schätzung würde Hermine nicht bis zum nächsten Morgen brauchen, um dieses Buch zu lesen.
Einen Moment lang überlegte sie, ob sie ihm das sagen sollte. Aber sie entschied sich dagegen. Er würde es merken, wenn sie heute am frühen Abend wieder an seine Tür klopfte. Vermutlich noch vor dem Dinner. „Natürlich“, sagte sie knapp. Sie legte das Buch auf den Stapel ihrer eigenen und schob diesen von der Tischplatte zurück in ihre Arme.
Obwohl Lucius sehen musste, dass sie unter dem Gewicht beinahe in die Knie ging, kam er nicht einmal auf die Idee, ihr beim Tragen zu helfen. Stattdessen beobachtete er ihre Bemühungen mit einem geringschätzigen Blick.
Mistkerl!, dachte sie.
Während Hermine versuchte, die Tür zum Flur möglichst elegant zu öffnen, reckte sie das Kinn vor und biss die Zähne aufeinander.
Im Laufe des Nachmittags verfiel Hermine mehr als sonst in alte Hogwarts-Muster. Sie saß am Tisch in ihrem Zimmer (die Hauselfen hatten ihre Putzorgie beendet, ohne dass man es der Ordnung ihrer Unterlagen anmerkte) und las stur eine Seite nach der anderen, während sie sich nebenbei Notizen machte. Dabei nahm sie sich nicht einmal die Zeit, um zum Schreiben den Blick vom Buch abzuwenden. Sie hatte ihr Notizbuch mit einem Zauber belegt, der die Worte ordentlich auf die Linien schob, so dass sie nichts übereinander oder schief schrieb.
Normalerweise nutzte sie diesen Zauber nur ungern; er versetzte das Papier in leichte Vibrationen, die mit der Zeit ihre Hand erst summen und dann taub werden ließen. Doch um das Buch noch vor dem Dinner durchzuarbeiten, war ihr jedes Mittel recht.
Obwohl ihre Gedanken hauptsächlich damit beschäftigt waren, sich Lucius' Reaktion auf ihr verfrühtes Erscheinen auszumalen, blieb ein Großteil der Fakten doch hängen. Alles andere steckte in ihren Notizen, in denen sie es später nachlesen konnte.
Die Autorin des Buches berichtete von einem Zauber, der die eigene Aura sichtbar machte, so dass man lernen konnte, sie zu deuten. Man konnte auf diese Art Krankheiten erkennen, bevor sie sich manifestierten. Man konnte heilen, bevor man erkrankte. Alles, was danach kam, baute auf diesem Zauber auf, denn ohne einen Blick auf die eigene Aura – so hieß es – ergab das ganze Studium keinen Sinn.
Normalerweise hätte Hermine sich mit Feuereifer daran gemacht, den beschriebenen Zauber zu erlernen und anzuwenden. Heute allerdings verschwendete sie darauf keine einzige Überlegung – auch wenn sie neugierig war, wie ihre Aura nach acht Jahren unter dem Einfluss der schwarzen Magie aussah, ihr fehlte die Zeit.
Also schrieb und las sie weiter, hob hier und da die Augenbrauen über Dinge, die sie nicht erwartet hatte, und schloss das Buch pünktlich zehn Minuten vor dem Dinner.
Eifer hatte ihre Wangen gerötet und während sie sich das Buch unter den Arm klemmte und den Weg zu Lucius' Büro antrat, wärmte sie sich abwechselnd die rechte und die linke Hand an ihrem erhitzten Gesicht. Das Herz schlug ihr bis zum Hals – wie früher, wenn sie Harry und Ron damit verblüffen konnte, ihre Hausaufgaben perfekt und in Rekordzeit bearbeitet zu haben.
Als sie schließlich vor der dunklen Tür ankam, wischte sie sich einige Haarsträhnen hinter die Ohren und klopfte dreimal hektisch an. Bevor Lucius sie hereinbitten konnte, atmete sie tief durch und beschwor einen Ausdruck grenzenloser Ruhe und Gelassenheit auf ihr Gesicht.
„Herein!“, erklang kurz darauf eine gedämpfte Stimme aus dem Büro und Hermine griff nach der kühlen Türklinke.
Er sah sie über die Schulter hinweg an und sein Gesichtsausdruck änderte sich prompt. Er zog die Oberlippe auf der einen Seite ein kleines Stück nach oben. Aber so schnell, wie dieser Ausdruck des Verdrusses gekommen war, war er auch wieder verschwunden. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte er stattdessen und die Worte klangen, als wären sie durch ein Ölbad gezogen worden, ehe er sie aussprach. Er stellte ein Buch zurück ins Regal und wandte sich ihr dann zu.
„Das kommt darauf an, wie der weitere Plan aussieht.“ Hermine trat die drei Stufen hinab und legte das in Leinen gebundene Buch auf den Tisch. „Ich habe es gelesen und ich habe es verstanden.“
Das Oberhaupt der Malfoy-Familie zog die Augenbrauen in die Stirn und steckte eine Hand in die Hosentasche. „Der weitere Plan sieht so aus …“, begann er. Er hielt inne, um sie einen Moment lang feixend anzusehen. „… dass Sie alles das vergessen, was Sie in diesem furchtbaren Buch gelesen haben. Nichts davon ist irgendetwas wert.“
Hermine stand da und überlegte einen Moment lang ernsthaft, wie sie darauf reagieren sollte. Sie starrte ihn an, die schwarze Weste und das weiße Hemd, das er darunter trug. Die Kette der goldenen Uhr, die ihm aus der Tasche baumelte. Die langen blonden Haare und die Augen, die die gleiche Farbe hatten wie der Himmel an einem Sturmtag an der Nordsee.
Dann besann sie sich auf den Ausdruck falscher Ruhe, den sie sich im Laufe der Arbeit im St.-Mungos – vor allem auf der Entbindungsstation – antrainiert hatte. Sie lächelte und verbarg ihre brodelnde Wut und die beißende Entrüstung hinter derselben Fassade, hinter der sie Komplikationen unter der Geburt vor den werdenden Eltern versteckte. „Gut. Dann werde ich den Rest des Abends dazu nutzen, mein Gedächtnis von den falschen Angaben in diesem Buch zu reinigen und bin gespannt, was Sie dagegen zu setzen haben.“
Lucius neigte den Kopf. „Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit, Miss Granger.“
Hermine überging diese Bemerkung und sagte stattdessen: „Ich sehe Sie dann gleich beim Dinner.“
Sie wollte sich gerade umdrehen und das Büro verlassen, ehe sie doch noch ihre Fassung verlieren würde, als ihr Blick auf das knisternde Feuer im Kamin fiel. Abrupt blieb sie stehen und je weiter ihre Gedanken liefen, desto mehr schürzte sie ihre blassen Lippen. „Wissen Sie, Mr Malfoy“, sagte sie schließlich und nahm das Buch über die Unsichtbare Magie wieder in die Hand, „wenn das Wissen dieses Buches doch nichts wert ist, meinen Sie dann nicht, wir sollten es vernichten? Nicht, dass noch irgendjemand es für bare Münze nimmt und damit übel auf die Nase fällt.“
Ehe er auch nur die Chance hatte, etwas zu sagen – geschweige denn einzugreifen – war Hermine bereits zum Kamin gegangen und warf das Buch direkt in die gelben Flammen. Am trockenen Stoff des Umschlages loderten sie sofort in die Höhe und die Brandstellen breitete sich darauf aus wie Rotwein, den man über ein weißes Tischtuch geschüttet hatte.
Hinter ihr hörte sie eine hektische Bewegung und als Hermine sich nach Lucius umsah, stand er mit verzerrtem Gesicht an seinem Schreibtisch, den Blick verbissen in den Kamin gerichtet.
„Bis gleich“, hauchte Hermine süßlich. Dann nahm sie die Beine in die Hand.
Am nächsten Morgen fand Hermine eine Notiz auf ihrem Nachtschrank, die von Lucius persönlich unterzeichnet war. Er informierte sie darüber, dass er geschäftlich zu tun hatte und erst spät am Abend zurückkehren würde, so dass sie ihre Vorbereitungen am nächsten Tag fortsetzen mussten.
Hermine zog die Augenbrauen in die Stirn, während sie die spitze Schrift las. Dann schnalzte sie missbilligend mit der Zunge und schüttelte den Kopf. „Das ist eine schwache Revanche für jemanden, der sich seit seiner Kindheit selbst zu beschäftigen weiß.“
Ungerührt warf sie das Pergament ins Kaminfeuer, ehe sie sich mit ihrem Tagebuch – das eher ein persönliches Protokoll ihrer Zeit mit dem Anhänger war – an den kleinen Tisch setzte.
Nun, zumindest hatte sie das geplant. Denn an dem Ort, an dem sie es am Vorabend abgelegt hatte, fand sie nur ein weiteres Stück Pergament.
Zum Zeitvertreib und zur allgemeinen Unterhaltung, stand darauf.
Daraufhin stieß Hermine empört die Luft aus ihren Lungen. „Verdammter Mistkerl!“, fluchte sie mit hoher Stimme und ließ sich auf ihr Bett sinken.
„Miss Granger.“
„Kein Interesse!“
„Miss Granger!“
„Ich sagte doch, kein Interesse!“
„Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich Interesse an Ihnen habe, oder?“
Auf diese Frage hin unterbrach Hermine ihr Tun und sah zu Narcissa auf, die in der Tür zum Büro ihres Mannes stand wie ein Racheengel auf Erdmission. „Nicht wirklich, nein“, erwiderte sie dann und fuhr ungerührt fort, die Papiere und Dokumente zu durchsuchen, die sie gefunden hatte, nachdem sie sich mit der Begeisterung eines passionierten Taschendiebes auf die Banne gestürzt hatte, die den Inhalt des Schreibtisches vor genau solchen Übergriffen schützen sollten.
„Und dennoch stehe ich hier und versuche Ihnen klar zu machen, dass Sie auf diesem Schreibtisch nichts finden werden, das Ihnen nützlich sein könnte.“
Hermine verzog das Gesicht über die Frequenz von Narcissas Stimme. Sie hatte Kopfschmerzen und diese entsetzliche Frauenstimme trug nicht zur Linderung bei. „Nützlich wofür?“, fragte sie dennoch und setzte sich auf den schwarzen Stuhl, der sonst nur den Allerwertesten Lucius' kannte.
Irritiert durch Hermines Frage, schwieg Narcissa für einige Momente, dann sagte sie: „Nützlich für das, was Sie damit vor haben. Erpressung?“
Hermine lachte kurz auf. „Ich habe nicht vor, irgendwen zu erpressen, Mrs Malfoy.“
„Was erhoffen Sie sich dann dort zu finden?“ Die blonde Frau war offensichtlich verwirrt.
„Etwas, das ihrem Mann wichtig genug ist, damit es ihn ärgert, wenn ich es an mich nehme.“
„Diebstahl also“, schlussfolgerte Narcissa.
„Nein, eher … Geiselhaft.“ Sie wandte sich ab und pulte mit den Fingernägeln an einer Tür im Schreibtisch, die aber offensichtlich durch gesonderte Banne geschützt war. Leichte Stromstöße zuckten durch ihre Finger und Hermine griff wieder nach ihrem Zauberstab, der bis dato auf der Tischplatte gelegen hatte.
„Geiselhaft? Wären Sie unter Umständen so freundlich, mich darüber aufzuklären, was hier vor sich geht?“ Nun trat sie doch die Stufen zur Bürofläche hinunter und stellte sich Hermine gegenüber an den Schreibtisch, machte jedoch noch immer keinerlei Anstalten, sie von ihrem Tun abzuhalten.
„Wenn's denn sein muss …“, seufzte Hermine und verstummte, bis sie das Schloss klacken hörte. Mit einem triumphierenden Laut öffnete sie die Tür und kniete sich davor auf den Boden, um den Inhalt des Schrankes unter die Lupe zu nehmen. Währenddessen spulte sie die Ereignisse des letzten Tages herunter: „Ihr Mann gab mir den Auftrag, eines seiner Bücher zu lesen, was ich auch tat. Dann sagte er mir, dass ich alles, was darin steht, wieder vergessen sollte. Als Revanche für die vergeudete Zeit habe ich das Buch in den Kamin geworfen.“ Sie klang nicht einmal ansatzweise beschämt. „Dafür wiederum hat ihr Gemahl mir heute morgen mein Protokoll entwendet und ich suche jetzt nach etwas, der ihm ähnlich viel bedeutet, damit der nächste Punkt auf mein Konto geht.“
„Sie zählen Punkte?“, fragte Narcissa pikiert.
„Nein, eigentlich nicht“, gestand Hermine und schob dabei mit ihrem Zeigefinger ein Pergament nach dem anderen von dem Stapel, den sie gerade in der Hand hielt, so dass sie sich in völligem Durcheinander auf dem Boden wiederfanden. „Ich will nur das letzte Wort haben.“
Narcissa seufzte schwer und rieb sich die Stirn. Einen Moment lang stand sie mit geschlossenen Augen vor dem Schreibtisch, dann sagte sie: „Sie sollten die Statue mitnehmen.“
Hermine sah irritiert auf und Narcissa deutete mit einem Ruck ihres Kopfes auf ein formloses Ding am anderen Ende des Schreibtisches. „Was ist das?“, fragte Hermine.
„Ich habe keine Ahnung, aber er liebt sie.“
Hermine musterte sie mit schmalen Augen. Narcissa erwiderte ihren Blick offen. „Okay“, beschloss Hermine also und stand mit knackenden Kniegelenken vom Boden auf. Sie griff nach der Statue und watete dann aus dem Chaos, das sie auf der Tischplatte und dem Boden drum herum verursacht hatte. Das konnte Lucius selbst aufräumen, es gab Zauber dafür.
Die er aber nicht verwenden würde, wie ihr dann einfiel. Er würde einen Hauselfen damit beauftragen. Mit mürrischem Gesichtsausdruck schüttelte Hermine ihren Zauberstab aus dem Ärmel und beseitigte die Unordnung selbst, allerdings ohne die Banne wieder zu errichten. Er durfte ruhig wissen, dass sie sie alle geknackt hatte. Dann wandte sie sich ab und nickte Narcissa zu, während sie einmal mit der Statue durch die Luft wedelte. „Danke für den Tipp!“
„Wie auch immer“, erwiderte diese gleichgültig.
Hermine ging ihr voraus aus dem Büro und Narcissa zog die Tür hinter sich zu. „Wenn Sie meinem Mann sagen, dass der Tipp von mir kam, ist es mir gleichgültig, was ich Ihnen geschworen habe“, sagte sie.
Hermine schluckte. „Verstehe.“
Narcissa nickte ihr knapp zu und wandte sich ab. Ihre Schritte klangen durch die hochhackigen Schuhe selbst auf dem Teppich laut.
Hermine gab sich Mühe, an diesem Nachmittag so selbstgefällig und zufrieden wie möglich zu wirken. Ruhig und entspannt. Doch sie konnte nicht mal sich selbst davon überzeugen.
Stattdessen zog sie ein Buch nach dem anderen hervor, las hier ein paar Seiten und dort wenige Sätze, ehe sie ihre Runden durch Malfoy Manor drehte.
Nachdem sie mit Narcissa zu Mittag gegessen hatte (eine schweigsame Angelegenheit), ergriff sie die Gelegenheit und fragte nach dem Garten. Schon des Öfteren hatte sie an einem westlich gelegenen Fenster gestanden und hinausgeblickt. Sie hatte sich allerdings bisher nie getraut, nach draußen zu gehen.
Doch die Dame des Hauses hatte keine Einwände und so machte Hermine sich mit der Statue in einer Umhangtasche auf, den parkähnlichen Garten zu erkunden.
Über die Schwelle der Verandatür hinaus zu treten war, wie nach einer Doppelschicht die sterile Luft des St.-Mungos hinter sich zu lassen. Alles strömte auf sie ein, das Zwitschern der Vögel, die kalte klare Luft und das Gefühl grenzenloser Freiheit und großer Erleichterung. Dass die letzten beiden Aspekte dieses Schrittes reine Illusion waren, ignorierte sie dabei.
Die nasskalten Oktobertage, die momentan an ihr vorbeizogen wie die Landschaft am Fenster eines Zuges, hatten den Bäumen ihr Blätterkleid ausgezogen. Wie verwinkelte Wegweiser deuteten die nackten Äste nun in den grauen Himmel und Hermine folgte ihnen, indem sie den Kopf in den Nacken legte und das zu finden versuchte, was sie ihr zeigen wollten.
Ohne dass sie sich dessen bewusst war, zog sie ihre Augenbrauen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie schlenderte langsam weiter und hauchte weiße Wolken in die Luft. Ob es wohl schneien würde in diesem Winter? Noch sah es nicht danach aus. Die Feuchtigkeit sammelte sich in kleinen Pfützen und als Tropfen auf den letzten Blättern der Beetpflanzen.
Die Stille drückte schwer auf ihre Ohren; nur der Kies knirschte unter ihren Füßen und aus einigen Kilometer Entfernung bildete sie sich ein, das unterschwellige Rauschen einer Schnellstraße zu hören. Vermutlich geprägt durch die Erinnerungen an den Garten ihrer Oma, der gerade weit genug vom dichten Verkehr der Londoner Innenstadt entfernt gelegen hatte, dass man ihn nicht hatte sehen können.
Hermine versetzte einem großen Kieselstein einen Stoß mit dem Fuß und lauschte auf das klackernde Geräusch, mit dem er über den Weg hüpfte und schließlich raschelnd im Laub verschwand.
Das Knurren hinter ihr registrierte ihr abgelenkter Verstand erst verzögert.
Mit plötzlich heftig pochendem Herzen wirbelte sie herum und das Gewicht der Statue schlug hart gegen ihren Oberschenkel. Doch jeder Gedanke an die Machtkämpfe der letzten Tage verschwand, als sie in die gelben Augen eines ausgewachsenen Löwen blickte. Der einzige Gedanke, der übrig blieb, war der, den sie laut aussprach: „Oh ja, wirklich witzig!“
Chapter 9: Kapitel 4: Der Machtkampf – Teil II
Chapter Text
Etwa zehn Minuten später lag sie atemlos und mit erhitzten Wangen im kalten Gras und starrte hinauf in die Wolken, die vor dem grauen Himmel kaum zu erkennen waren. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell und ihre kalten Finger hatten nicht einmal mehr genug Kraft, um ihren Zauberstab richtig festzuhalten. Er lag locker in ihrer Hand.
Ein Zauber war es gewesen, dem sie aufgesessen war. Ein körperloser Löwe, dem sie versucht hatte, die Stirn zu bieten. Eigentlich hätte sie darauf kommen können; Narcissa hätte kaum ihr eigenes Leben riskiert, nur um ihr zu zeigen, dass … ja, was eigentlich? Warum hatte sie es ihr erlaubt, in den Garten zu gehen, wenn dieser Schutzzauber sie hier erwartete?
Hermine schnaufte leise. Sie hatte nicht erwartet, dass sie sich in einer solchen Situation an so viele Flüche aus Kriegszeiten erinnern würde. Doch sie hatte einen nach dem anderen auf das Tier gejagt, ohne dass sie darüber hätte nachdenken müssen.
Aber vermutlich würde sie jetzt eine Weile lang wieder gar nicht zaubern können. Adrenalin pulsierte durch ihre Adern und sie schloss die müden Augen, um etwas zur Ruhe zu kommen. Langsam begann sie zu frösteln, der Boden war kalt und die Feuchtigkeit sickerte durch ihren Umhang. Aber aufstehen stand gerade nicht zur Debatte.
Im nächsten Moment fiel etwas auf ihren Bauch und Hermine erschrak heftig. Sie riss die Augen auf und fuhr trotz ihrer Erschöpfung in die Höhe, wobei ihr der Gegenstand in den Schoß rutschte. Im Affekt packte sie ihren Zauberstab fest und deutete darauf, ehe sie erkennen konnte, was es eigentlich war.
„Wie ich sehe, haben Sie Bekanntschaft mit einem unserer Schutzzauber gemacht“, sagte eine kühle Stimme hinter ihr gerade in dem Moment, in dem sie den Gegenstand als ihr Protokollbuch erkannte. „Interessant, dass Ihre größte Angst sich als Löwe darstellt.“
Hermine hob es auf und drehte dann den Kopf zu Lucius um. „Netter Zauber“, stellte sie trocken fest. „Hat mich einmal quer durch den Garten gejagt. Ich denke, ich habe alles gesehen.“
„Wenn es mich interessieren würde, würde ich Ihnen widersprechen. Wie kommt es, dass Sie noch immer hier sind? So unbehelligt vom Zauber …“
Mühsam kämpfte Hermine sich auf die zitternden Beine, ohne dass Lucius auch nur die leisesten Anstalten machte, ihr behilflich zu sein. „Ich weiß, wie man den Zauber außer Kraft setzt. Sie sollten sich unbedingt überlegen, ob Sie sich nicht lieber ein anderes System einrichten lassen.“ Das stimmte nur halb; sie hatte durch Zufall herausgefunden, wie der Zauber beendet wurde. In dem Moment, in dem ihre Lungen kurz vor dem Zerreißen gestanden hatten und ihre Beine nicht bereit gewesen waren, auch nur noch einen Schritt zu tun. Der Löwe war direkt auf sie zugelaufen – agil und kräftig wie zu Beginn der Verfolgungsjagd – und Hermine hatte sich schon mit dem Schlimmsten abgefunden (irgendwie getröstet durch den Gedanken, dass Narcissa es bereuen würde). Doch er war nur eine Illusion gewesen. War durch sie hindurch gesprungen und verschwunden. Sie hatte sich ihrer Angst gestellt und sie besiegt. Zumindest hier in diesem Garten.
„Ich werde Ihren Rat beherzigen“, erwiderte Lucius mit einer Stimme, die das Gegenteil versprach. „Bekomme ich nun meine Statue wieder, oder wollen Sie sich doch noch des Diebstahls strafbar machen?“
Hermine blinzelte und nahm einen absolut ernsten Ausdruck auf dem spitzen Gesicht wahr, den sie bei ihm bisher so noch nicht gesehen hatte. Diese Statue schien ihm wirklich einiges zu bedeuten. Vielleicht noch mehr als ihr das Buch, das er ihr entwendet hatte.
Deswegen zog sie besagtes Stück aus ihrer Umhangtasche und hielt es Lucius hin. Er nahm ihr die unförmige Statue ab, achtete allerdings sorgfältig darauf, ihre Hand nicht zu berühren.
„Was soll sie darstellen?“, fragte sie.
Lucius rümpfte die Nase. „Das geht Sie nichts an. Ich erwarte Sie morgen früh in der Bibliothek, damit wir mit der Arbeit fortfahren können.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und kehrte zur Verandatür zurück.
Hermine sah ihm finster hinterher. Obwohl sie so restlos erschöpft war, stieg Wut in ihr auf. Es war wirklich nicht zu fassen! Nicht mal Ron hatte sie so schnell so wütend machen können. Verdammter Mistkerl!
Sie folgte ihm langsamer und als sie das Haus betrat, sah sie Narcissa am Tisch sitzen. Sie hielt die aktuelle Ausgabe des Tagespropheten in Händen und schielte über den oberen Rand hinweg zu Hermine. Ihre Miene war ausdruckslos. Das Einzige, das Hermine in dieser Situation nicht die Gesichtszüge entgleiten oder die Fassung verlieren ließ, war, dass der Löwe sie auch durch diverse Blumenbeete gejagt hatte. Sie hinterließ unschöne Fußabdrücke auf dem wertvoll wirkenden Boden und trat noch mal so fest auf, als sie über einen der Läufer hinauf in ihr Zimmer stapfte.
Ihre Zufriedenheit über die dreckige Rache vom Vortag war ihr jedoch vergangen, noch ehe sie die Dusche betreten hatte. Da hatte sie sich nämlich an die Hauselfen erinnert und das schlechte Gewissen war ihr wie ein Stein in den Magen gefallen. Unter keinen Umständen würde Narcissa persönlich sich mit Wasser und Bürste vor die Läufer knien, um die Flecken zu entfernen.
Reumütig wie Hermine nun einmal war, hatte sie in ihrem Zimmer also die Schuhe gewechselt und war den Weg zurück gelaufen. So leise sie konnte war sie von Tür zu Tür geschlichen, hatte um Ecken geschielt und selbstentzündende Leuchter verflucht in der Hoffnung, dass die Elfen noch nicht zum Putzen gekommen waren.
Doch so unglaublich es angesichts der vergangenen Zeit von vielleicht zehn Minuten auch war, sie kam zu spät. Die Elfen von Malfoy Manor hatten ihren Dreck bereits beseitigt und so kehrte Hermine mit hängenden Schultern in ihr Zimmer zurück.
Dementsprechend verstimmt war sie auch, als sie nun an die Tür der Bibliothek klopfte und auf eine Antwort wartete.
„Pünktlich wie eine Hauselfe“, sagte im nächsten Moment jemand hinter ihr.
Hermine fuhr zusammen und schloss kurz die Augen, während sie ihre Zähne so fest aufeinander biss, als wollte sie sie in ihren Kiefer zurücktreiben. „Ich halte nichts von aristokratischer Verspätung“, erwiderte sie, als Lucius sie erreicht hatte und mit einem spöttischen Lächeln auf sie herabsah.
„Das hat nichts mit dem Status zu tun, sondern allein mit der Frage, ob man es sich leisten kann.“ Er legte die Hand auf den Türknauf und nachdem dieser seinen Besitzer erkannt hatte (er hatte die Banne anscheinend nach ihrem gestrigen Übergriff verfeinert), ließ er sich drehen und gab den Weg ins Innere der Bibliothek frei. „Nach Ihnen“, sagte er und trat zur Seite.
Hermine zischte ein widerwilliges „Danke“ durch ihre Lippen und lief die wenigen Stufen hinunter, während sie versuchte, das Blut aus ihren Wangen durch reine Willenskraft in ihren restlichen Körper zurückzudrängen.
So bemerkte sie erst verspätet, dass der Raum entgegen ihrer Erwartung wohlig warm war und vom Geruch aromatischen Holzes erfüllt wurde. Sie drehte sich zur Quelle der Wärme um und sah ein Kaminfeuer, das wie David gegen das triste Licht des gerade angebrochenen Novembers ankämpfte. Zumindest in diesen vier Wänden war es damit erfolgreich.
Verwundert sah Hermine zu ihrem Zwangsverbündeten auf, doch Lucius schenkte ihr keinerlei Beachtung. Zumindest würdigte er sie keines Blickes. Stattdessen legte er seinen Umhang ab und löste die Kette der Taschenuhr, um das leise tickende Gerät auf die Schreibtischplatte zu legen.
„Wie wollen Sie nun vorgehen?“, fragte Hermine schließlich. In ihrer Stimme lag ein scharfer Unterton und eine leichte Betonung auf dem Sie. Immerhin war Lucius es gewesen, der indirekt behauptet hatte, es besser zu wissen als die Autorin des Buches Die unsichtbare Magie.
„Auf meine Art“, erwiderte er lakonisch und während er die Knöpfe an den Ärmeln seines Hemdes öffnete, trat er um den Schreibtisch herum und sah sie an wie eine Schlange ihre Beute.
„Also werde ich meine eigene Aura nicht zu sehen bekommen?“ Sie ließ es ironisch klingen, aber ein kleines bisschen Hoffnung hielt sich hartnäckig.
Er schnaubte spöttisch. „Nein, Miss Granger, das werden Sie nicht. Es gibt keinen Zauber, der eine Aura sichtbar machen kann. Entweder man sieht sie von Geburt an, oder man wird sie niemals sehen.“
Bedauerlich. „Also, was soll ich tun?“
„Sie tun bereits genau das Richtige. Bleiben Sie einfach nur dort stehen.“ Mit langsamen Schritten kam er auf sie zu.
Die Bibliothek war zwar für eine Privatsammlung recht beeindruckend, aber nicht riesig. Vermutlich gab es irgendwo in diesem Anwesen noch eine größere Bibliothek. Der Raum maß vielleicht acht Meter in der Länge. Während Lucius die etwa vier Meter, die zwischen ihnen lagen, Schritt für Schritt verringerte, gab Hermine sich redlich Mühe, nicht den Blick von seinem spitzen Gesicht zu nehmen. Er wollte sie offensichtlich provozieren und sie hatte nicht vor, dieses Spiel mitzuspielen.
Trotzdem wurde sie nervös. Je näher er kam, desto größer wurde der Drang nach hinten auszuweichen. Ihr blieben vielleicht drei, vier Schritte, ehe sie mit dem Rücken gegen ein Bücherregal stoßen würde. Es war kein Fluchtweg, nur eine traurige Rückzugsmöglichkeit.
Schließlich stand er so dicht vor ihr, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen sehen zu können. Etwa zwanzig Zentimeter mochten sie noch voneinander trennen und sie stand nach wie vor mit beiden Beinen fest auf dem Boden, machte keinerlei Anstalten zurückzuweichen. Obwohl die Luft zwischen ihnen prickelte, als wäre sie statisch aufgeladen. Obwohl sie die Wärme seines Körpers noch intensiver zu spüren glaubte als die Hitze des Kaminfeuers.
Erst als er noch näher kommen wollte, hob Hermine reflexartig die Hände und presste sie gegen seine Brust. „Stopp!“, sagte sie dabei und verengte ihre Augen.
Lucius lächelte, nur ein wenig überheblich. „Da, Miss Granger, ist Ihre Aura. Ich freue mich außerordentlich, Sie miteinander bekannt machen zu dürfen.“
„Das Eindringen eines anderen Menschen in die eigene Aura ist unangenehm“, erklärte Lucius wenige Minuten später, nachdem Hermine am Tisch Platz genommen hatte und sich über die massive Barriere freute. „Außer man wünscht es sich. Die eigene Aura ist es, die die meisten Menschen davon abhält, ihrem Sexualtrieb ungezügelt nachzugeben. Allein der Gedanke daran, gewissen Mitmenschen zu nahe zu kommen, hält einen davon ab, es überhaupt zu versuchen.“ Bei diesen Worten warf er ihr einen intensiven Blick zu.
„Ich habe Sie nicht darum gebeten, mir so nahe zu treten“, erinnerte Hermine ihn gleichmütig und nippte an dem Tee, der vor ihr auf dem Tisch stand. Sie würde sich nicht wieder von ihm provozieren lassen.
„Sie haben mich allerdings auch nicht daran gehindert.“ In seinen Augen stand das Amüsement über etwas, das sich Hermine bisher noch nicht erschlossen hatte. Doch er entschied, sie ohne weitere Nachfragen an seiner Freude teilhaben zu lassen: „Denn so unangenehm das Überwinden der Auren sein kann, so angenehm wird es bei Menschen, zu denen man sich hingezogen fühlt. Die gegenseitige Anziehungskraft ist ein Zeichen für die … Gleichartigkeit zweier Auren. Je ähnlicher sich die Auren sind, desto besser fühlt es sich an, wenn sie sich einander näheren. Bekannter.“ Er zog die Augenbrauen in die Stirn.
Hermines Herz begann ohne ersichtlichen Grund schneller zu schlagen. „Wenn das so ist, könnte sich meine Aura nicht gravierender von der Ihren unterscheiden.“
„In der Tat“, erwiderte Lucius mit einer Millisekunde Verspätung. Dann stand er auf und begann durch den Raum zu gehen. „Im Moment tragen Sie Ihre Aura in einem Radius von etwa zwanzig Zentimetern um Ihren Körper herum. Dies zu ändern, ist das Ziel. Sie müssen sie dicht bei sich tragen, am besten unter Ihrer Haut. Nur so werden Sie für den Dunklen Lord unsichtbar.“
Hermine rieb sich die Stirn. „Mr Malfoy, bitte erklären Sie mir doch noch einmal, warum ich mich nicht mit Okklumentik gegen die Magie wehren kann.“
Er sah sie scharf an. Das Licht des Feuers fing sich in seinen Augen, so dass sie aussahen, als würden sie in Flammen stehen. Seine Stimme klang ungeduldig, als er sagte: „Mit Okklumentik können Sie verhindern, dass die Magie in Ihren Geist eindringt und Ihren Körper besitzt. Aber wenn Sie lernen, Ihre Aura unter der Haut zu tragen, werden Sie für die Magie unsichtbar. Meinetwegen wählen Sie die Okklumentik und lassen Sie die Magie des Dunklen Lords an sich nagen, bis Sie die Kraft verlassen wird. Oder springen Sie mit der Magie zusammen durch den Schleier, das würde mir viel Ärger ersparen. Oder lassen Sie …“
„Dann zeigen Sie mir“, unterbrach Hermine ihn mit lauter Stimme und mürrischer Miene, bevor er ihr noch mehr Vorhaltungen machen konnte, „wie ich meine Aura … unter der Haut trage.“
Kurz darauf stand Hermine erneut mitten in der Bibliothek, die Arme vor dem Körper verschränkt. Lucius umrundete sie wie ein schwingendes Pendel, das irgendwo über ihrem Kopf festgemacht war. Wenn er das noch lange machte, kam ihr bei der dritten oder vierten Runde seinerseits in den Sinn, werde ich den Verstand verlieren!
Doch von dieser drastischen Reaktion brachte er sie ab, indem er endlich zu sprechen begann: „Es gibt zwei Möglichkeiten. Die angenehme und die deutliche.“ Er ließ diese Feststellung im Raum stehen wie die Neugierde in seinen Augen.
Hermine sah ihn verdrossen an. „Gehört Ihre Wanderschaft zu der angenehmen oder zu der deutlichen Variante?“
„Zu der angenehmen.“
Das hatte sie befürchtet, doch dieser Gedanke spiegelte sich weder auf ihrem Gesicht noch in ihrer Stimme wider, als sie sagte: „Gut. Nachdem Sie mir ausreichend demonstriert haben, dass dieser Raum groß genug für uns beide ist“, zumindest räumlich betrachtet, fügte sie in Gedanken hinzu, „könnten wir dann vielleicht beginnen?“
„Das haben wir bereits. Die menschliche Aura hat die lästige Angewohnheit, sich auszudehnen, wenn sie ausreichend Raum dafür hat. Ist man alleine, beansprucht man also mehr Raum, als wenn man sich in einer großen Menschenmenge befindet. Indem ich Sie umrunde, gebe ich Ihnen das Gefühl, auf eingeschränktem Raum zu stehen. Was auch Ihre gereizte Stimmung erklärt …“
„Ich bin nicht gereizt!“, warf Hermine ein.
„… und Ihre Aura zieht sich zurück“, vollendete Lucius seinen Vortrag, ohne auf ihre Bemerkung zu achten. „Wenn Sie weniger auf mich und mehr auf sich selbst konzentriert wären, hätten Sie die Veränderung bemerkt, Miss Granger.“
„Ich bin ständig auf mich konzentriert, Mr Malfoy.“
Er schnaubte. „Sie leugnen es also nicht einmal. Interessant …“
„Ja. Genauso interessant wie die Tatsache, dass Sie an einer Statue hängen, als stecke der Geist Ihrer Mutter darin.“ Auf diese Antwort hin trat kurzes Schweigen ein und Hermine erwiderte seinen scharfen Blick herausfordernd.
„Wie auch immer“, fand Lucius schließlich seine Sprache und seine Überheblichkeit wieder, „jetzt konzentrieren Sie sich ausschließlich auf sich, oder wir gehen zur deutlichen Variante über.“
„Ist das eine Drohung?“
„Wenn es Ihnen hilft … Ansonsten ist es ein gut gemeinter Ratschlag.“ Er schob sich die Haare über die Schulter und nahm eine noch stolzere Haltung an, dann begann er wieder, um sie herumzugehen.
Hermine verdrehte die Augen zur Decke und verlagerte das Gewicht auf das andere Bein. Wenn das noch lange so weiterging, würde sie doch den Verstand verlieren!
„Würde meine Aura sich nicht automatisch verkleinern, wenn ich mich hinsetze?“, fragte Hermine eine halbe Stunde später, während sie unruhig von einem Bein aufs andere trat, um den Blutfluss etwas anzuregen.
„Würde sie“, stimmte Lucius zu, doch bevor sie auch nur auf den Gedanken kommen konnte, ihrem dringlichen Wunsch nachzukommen, fügte er hinzu: „Ich bezweifle allerdings, dass Sie es schaffen würden, den Dunklen Lord im Sitzen zu bekämpfen.“
„Wenn Sie wüssten …“, murmelte Hermine leise. Dennoch blieb sie stehen und verteilte ihr Gewicht gleichmäßig auf beide Beine in der Hoffnung, dass das lange Stillstehen so weniger an ihren Kräften zehren würde.
Sie hatte die Augen geschlossen und ließ die Arme locker hängen. Ihre Gedanken hatten zu fließen aufgehört, sie biss sich fest an dem Erspüren ihrer Aura. Selbst ihre immer heftiger schmerzenden Beine rückten in den Hintergrund. Die reale Welt schrumpfte zusammen bis sie nur noch aus dem warmen Raum zwischen ihrem Körper und den Wänden der Bibliothek bestand, sowie dem leisen Geräusch teurer Schuhe auf dem Fußboden.
„Jetzt?“, fragte sie mit leiser Stimme.
„Nein“, kam die unbarmherzige Antwort. Lucius streckte ihr seine Hand entgegen (sie hätte nicht einmal die Augen öffnen müssen, um das zu wissen) und zeigte ihr erneut, wo ihre Aura begann – etwa fünfzehn Zentimeter vor ihrem Pullover.
Hermines Zähne knirschten, als sie sie aufeinander presste und tief durchatmete. Sie war frustriert. Ihre Aura war da. Sie konnte sie inzwischen tatsächlich spüren. Aber sie konnte sie nicht beherrschen. Für sie, die sich jahrelang mit Rationalität und Disziplin über die Bedürfnisse ihres Körpers hinweggesetzt hatte, war diese Tatsache gerade kaum zu ertragen.
Der Schweiß rann ihr an den Schläfen herab und über ihre hart angespannte Kiefermuskulatur. Sie spürte das Kitzeln so deutlich wie das Kribbeln ihrer Aura. Stunden, so kam es ihr vor, stand sie nun schon starr im Raum. Lucius' Bewegungen waren so mit der Ruhe verschmolzen, dass sie sie kaum mehr bemerkte. Er war einfach da, mal rechts, mal links von ihr, mal hinter ihr, mal direkt vor ihrem Gesicht. Ihre Aura jedoch rückte keinen Zentimeter dichter an sie heran.
„Hätte ich geahnt, dass Sie so absolut talentfrei sind, hätte ich Sie den Auswirkungen des Medaillons überlassen.“
„Hätte ich geahnt, dass Sie so absolut ungeduldig sind, hätte ich mir weniger Mühe gegeben“, erwiderte Hermine mit einer guten Portion Sarkasmus.
Sie öffnete blinzelnd ihre Augen und sah, wie Lucius sich auf einen Stuhl setzte. Der Himmel hinter dem Fenster war merklich dunkler geworden; es musste bereits auf den Abend zugehen.
Als befänden sich in ihren Knien und Hüften kleine eingerostete Zahnräder, machte Hermine zwei anstrengende Schritte nach vorne und taumelte etwas. Anscheinend fühlte es sich nicht nur so an, als hätte sie über Stunden versucht, Lucius' Anweisungen zu folgen. Erleichtert sank sie auf einen anderen Stuhl.
„Zeigen Sie mir die deutliche Variante“, bat sie nach ein paar verschwiegenen Minuten.
Er sah missmutig zu ihr auf. „Morgen. Sonst dreh ich Ihnen noch den Hals um.“ Mit diesen Worten stand er auf und verließ die Bibliothek.
Hermines Mund stand einige Sekunden lang offen, ehe sie schnaubte. „Mistkerl!“, fluchte sie leise, während sie sich mit dem Ärmel über das Gesicht wischte.
An diesem Abend saß Hermine wieder mit angezogenen Beinen im Sessel vor dem Kamin und hatte die Augen geschlossen. Nachdem sie den ganzen Nachmittag damit beschäftigt gewesen war, sich auf ihre Aura zu konzentrieren und alles andere auszublenden, war es sehr erholsam, ihre Gedanken einfach schweifen zu lassen. Von Malfoy Manor hinaus ins kalte England bis nach London zu ihrer verlassenen Wohnung. Zu Ginny und Harry. Ins St.-Mungos. Und noch weiter. Nach Australien. Zu ihren Eltern.
Eine steile Falte bildete sich über all diese Gedanken auf Hermines Stirn. Sie war entsetzlich müde und auch das Pochen zwischen ihren Schläfen rief ihr die ganze Zeit nur einen Befehl entgegen: Geh ins Bett, beende diesen Tag.
Sie kannte sich jedoch lange genug, um zu wissen, dass sie trotz aller Erschöpfung und Müdigkeit nicht in den Schlaf finden würde, solange ihr soviel durch den Kopf ging.
Ein leises Ploppen riss sie wenige Minuten später aus ihren Gedanken. Mit einem tiefen Atemzug hob sie den Kopf von der Lehne des Sessels und blinzelte in den nur schwach beleuchteten Raum. Eine kleine Gestalt, die sie erst verzögert als Hauselfen identifizierte, marschierte geschäftig zwischen dem Kamin und einem kleinen Regal mit Holzscheiten hin und her; ohne dass Hermine es bemerkt hatte, war das Feuer nahezu komplett erloschen.
Sie beobachtete das Tun des Elfen mit gemischten Gefühlen. Einerseits war da das Verlangen aufzustehen und selbst das Feuer neu zu entfachen; andererseits wusste sie nur zu gut, dass ein solches Eingreifen von Hauselfen oft als Missbilligung ihrer Leistungen angesehen wurde. Hermine hatte schon vor geraumer Zeit gelernt, dass sie im Grunde nur eines gegen die Versklavung von Hauselfen tun konnte: sich keine zulegen.
Nichtsdestotrotz schien der fleißige Elf sie und die Gefahr, die von ihr ausging, gut zu kennen. Seine Blicke huschten immer wieder zu ihr und beschämt auf die Holzscheite zurück, wenn er sah, dass sie ihn beobachtete.
„Ich werde dich nicht von deiner Arbeit abhalten“, sagte sie deswegen nach einigen Momenten und zog die Füße noch tiefer unter ihren Körper.
Der Elf machte einen Satz in die Höhe und wandte sich eilig zu ihr um, ehe er sich so tief verbeugte, dass seine Nase beinahe den Boden berührte. „Das hat Lonny auch nicht erwartet, Missus“, antwortete er mit leiser Stimme. Seine dünnen Finger waren vor dem Körper verschränkt und bewegten sich unablässig, so als würde er an einem unsichtbaren Pullover stricken.
Hermine runzelte die Stirn. Ihre Skepsis war geweckt: „Weswegen siehst du dich dann immer wieder zu mir um?“
Der Elf mit dem Namen Lonny schielte vorsichtig nach oben, ohne den Kopf weiter als unbedingt nötig aus seiner demütigen Haltung zu heben. Das flackernde Licht des wachsenden Feuers hinter ihm ließ die Schatten auf seiner gräulichen Haut tanzen. Ohne sagen zu können warum, lief ihr eine Gänsehaut den Rücken hinunter. „Darüber darf Lonny nicht sprechen.“
Hermine blinzelte einmal und als sie die Stelle, an der der Elf eben noch gestanden hatte, erneut fixierte, war dort nicht mehr als der nackte Fußboden.
Als Hermine am nächsten Morgen in alter Erschöpfung die Bibliothek betrat, blieb sie wie angewurzelt stehen, noch ehe sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. Sie blinzelte einmal, und sie tat es auch noch ein zweites Mal. Dennoch schaffte sie es nicht, ihren Mund zu schließen – geschweige denn einen sinnvollen Satz zu formulieren.
„Bevor Sie auf die falschen Gedanken kommen …“, erklang eine ihr mittlerweile viel zu bekannte Stimme aus der Ecke, in der der Schreibtisch stand.
„Zu spät“, warf sie ein, ehe Lucius seinen angefangenen Satz beenden konnte.
Was konnte er auch anderes erwarten angesichts des … fragwürdig vorbereiteten Raumes?
Es war dunkel, abgesehen vom Tisch. Über der Massivholzplatte war eine magische Lichtquelle installiert, die lediglich diese zwei Quadratmeter der Bibliothek in warmes Licht hüllte. Auf der Tischplatte lagen eine Wolldecke und ein Kopfkissen, was sehr nach einem improvisierten Nachtlager aussah. In der Luft hing der Geruch von Frühlingsblumen.
Lucius stieß scharf die Luft durch seine Nase und weitete das Licht mithilfe seines Zauberstabes auch über den restlichen Raum aus. „Ich habe nichts dergleichen vor! Doch wie ich bereits gestern erwähnte, ist die zweite Art, Ihnen mit der Beherrschung Ihrer Aura behilflich zu sein, eine … deutliche.“
„Wie deutlich?“ Sie stand noch immer in der Tür und hatte auch nicht vor, die drei Stufen hinunterzugehen, ehe Lucius ihr detailliert erklärt hatte, wie sein Plan für den weiteren Tag aussah.
„Sie stellen die falschen Fragen, Miss Granger.“
„Das zu beurteilen, überlassen Sie besser mir.“ Ihre Augen wurden eine Nuance größer.
Seine Augen hingegen wurden schmal. „Ich habe nicht vor, mich Ihnen auf irgendeine unsittliche Art zu nähern. Falls es Ihnen jedoch lieber sein sollte, werde ich jegliche Annehmlichkeiten, die ich für das weitere Vorgehen als angemessen erachtet habe, verschwinden lassen.“
„Ich bitte darum“, erwiderte Hermine und ihre Stimme klang etwas heiser. Sie bezweifelte zwar, dass das Fehlen von Decke und Kissen ihn wirklich aufhalten könnte, doch sie selbst fühlte sich ohne diesen Luxus sicherer.
Mit einem Schnipsen seines Zauberstabs lösten sich die benannten Dinge in Luft auf und Hermine spürte, wie sich der Knoten, der ihre Brust eingeschnürt hatte, löste. Sie schluckte angestrengt und versetzte der Tür einen kleinen Stoß, so dass sie ins Schloss fiel. Dann ging sie langsam die Stufen hinunter.
„Sie sind eine sonderbare Frau“, stellte Lucius fest, doch seiner Stimme fehlte die übliche Schärfe. Vielleicht nahm er sich zurück, um sie nicht noch mehr zu reizen.
„Ich fasse das als Kompliment auf“, entgegnete Hermine und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wenn Sie sich damit wohler fühlen …“ Er verstummte und sah sie forschend an. „Sie müssen mir vertrauen, Miss Granger.“
Sie schnaubte, ehe sie sich davon abhalten konnte. Eine tief verwurzelte, absolut ehrliche Reaktion auf eine ungeheuerliche Bitte – wenn man es denn als solche bezeichnen wollte. „Warum sollte ich das tun, Mr Malfoy? Sie haben mir nie auch nur den kleinsten Grund dafür gegeben. Sie haben mich beschimpft, Sie haben es zugelassen, dass ich gefoltert wurde, Sie haben mir Drohbriefe geschrieben, Sie haben mir in dunklen Gassen aufgelauert, Sie haben mich verspottet und bestohlen. Ich vertraue Ihnen nicht. Niemals.“ Sie zählte seine Verfehlungen an ihren Fingern ab und spürte, wie ihr das Blut glühend heiß in den Wangen pochte.
Lucius seinerseits hatte nicht einmal den Anstand verlegen auszusehen. Er wandte nicht den Blick ab und auch von der Härte seiner grauen Augen ging nichts verloren. Im Gegenteil, die Züge seines Gesichts schienen noch schärfer zu werden. Hermine biss die Zähne aufeinander und reckte das Kinn vor.
Erst nach mehreren Augenblicken reagierte er auf ihre Vorwürfe, indem er eine Frage stellte: „Sind Sie jemals durch meine Hand zu Schaden gekommen?“ Als sie bereits den Mund öffnete, fügte er hinzu: „Körperlich.“
Hermine holte Luft, um ihm eine weitere Aufzählung zu präsentieren. Sie war überzeugt, auf Anhieb unzählig viele Beispiele finden zu können; wenn sie ihn nur ansah, keimte die Furcht vor dem, was er verkörperte, was er getan hatte, in ihr auf wie die Saat eines bösen Geistes. Doch als sie genauer nachdachte, fiel ihr keine einzige Gelegenheit ein, in der sie körperlich durch ihn verletzt worden war, weder jetzt, noch während ihrer Schulzeit. Emotional hatte er sie oft verletzt, ja, aber niemals körperlich.
Deswegen schloss sie ihren Mund wieder und senkte den Blick. Die Blöße, seine Frage zu verneinen, gab sie sich jedoch nicht.
„Nun“, war es also erneut er, der das Wort ergriff (mit unüberhörbarer Genugtuung in der Stimme), „wenn Sie dann so freundlich wären …“ Er deutete auf den Tisch und dämpfte das Licht wieder.
Hermine trat unwillkürlich einen Schritt zurück. „Was wollen Sie von mir, Mr Malfoy?“, fragte sie, die Stimme rau. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und am liebsten wäre sie geflohen. Wären da nicht das Gewicht der Kette an ihrem Hals und die dunkle Magie, die stetig in ihren Körper sickerte, hätte sie das längst getan.
Er holte tief Luft, vermutlich um seine Ungeduld zu zügeln, und legte seinen Zauberstab hinter sich auf dem Schreibtisch ab. „Ich verlange nicht mehr und nicht weniger, als dass Sie sich auf diesen Tisch legen und meinen Anweisungen folgen. Wenn Sie es wünschen, werde ich auch einen antiken Keuschheitsgürtel auftreiben!“
Ein Teil von Hermines Angst löste sich unerwartet in Heiterkeit auf. Dennoch fixierte sie die eisgrauen Augen einige Sekunden lang und war merklich angespannt, als sie dann zum Tisch ging und sich auf die Kante setzte. „Warum soll ich mich hinlegen?“
„Weil Sie dann entspannter sind.“
Sie nickte, auch wenn sie dem nicht unbedingt zustimmte. „Und warum auf diesen Tisch?“
Er zog eine Augenbraue in die Stirn. „Ich dachte, dass ein bequemes Bett in Überbreite unter Umständen die falschen Assoziationen in Ihnen wecken könnte.“
Hermine sah ihn verdrossen an. „Haben Sie Ihren Sarkasmus von Professor Snape erlernt?“
„Nein, umgekehrt.“
Nach dieser unerwarteten Antwort schwiegen sie und sahen sich nur an. Es war ein sonderbarer Moment, unerwartet irgendwie. Erst nachdem Hermine sich überwunden und auf die harte Tischplatte gelegt hatte, verschwand das Gefühl.
Lucius überwand die wenigen Schritte, die er vom Tisch entfernt gestanden hatte, und kam zu ihr. Seine langen blonden Haare rutschten ihm über die Schulter, als er auf Hermine herabsah, und er wischte sie ungeduldig zurück.
„Welch ein Wunder“, murmelte er, „Kooperation von Seiten der Löwin.“
„Treiben Sie es nicht zu weit“, mahnte sie im Gegenzug und schluckte. Ihr Herz schlug heftig und in ihrem Magen kitzelte es. Sie mochte es nicht, so vor ihm zu liegen. Selbst ohne seinen Zauberstab war er ihr körperlich überlegen und in dieser Position noch mehr als sonst.
Er erwiderte ihren Blick ein paar Herzschläge lang, dann nickte er. „Versuchen Sie, sich zu entspannen. Besinnen Sie sich wieder auf Ihre Aura“, kehrte er zum Thema zurück, „Wenn es Ihnen hilft, schließen Sie die Augen.“
„Was werden Sie tun?“ Hermine wusste, dass er ihre Angst sehen konnte. Dafür brauchte er nicht einmal ihre Aura zu sehen. Ihr Herz schlug so heftig, ihr Atem ging so schnell – er hätte blind sein müssen, um ihre Angst nicht zu bemerken.
„Ich werde nur eines tun.“ Er wandte den Blick von ihrem Gesicht und ließ ihn ein Stück an ihrem Körper hinabgleiten. An ihrem Hals blieb er einen Moment hängen und einige Muskeln in seinem Gesicht zuckten. An der Kette, die offen im Ausschnitt ihres Pullovers lag, stoppte er schließlich. „Ich werde Ihnen Ihre Aura noch bewusster machen.“
Neben dem Tisch knackte es laut und Hermine zuckte zusammen. Erst als Lucius seine rechte Hand hob, wurde ihr bewusst, dass er mit den Fingerknöcheln geknackt hatte, und sie schloss für einen Moment die Augen. „Tun Sie das nie wieder“, hauchte sie.
Er antwortete nicht darauf; Entschuldigungen gab es nicht in seinem Wortschatz. Stattdessen legte er seine linke Hand flach in die Luft, etwa zwanzig Zentimeter über ihrem Brustbein. „Spüren Sie es?“
Hermine starrte seine Hand an, als wäre sie ein Pfeil, der jeden Moment auf ihre Brust niederrasen könnte. Lucius hingegen war die Ruhe selbst. Kein Zittern, kein Zucken fuhr durch seine Finger. Hermine konzentrierte sich auf ihre Aura. Obwohl seine Hand sie nicht berührte, obwohl sie so weit von ihrem Körper entfernt war, konnte sie sie spüren. Da war Wärme und ein leichtes Kribbeln. Sie nickte.
„Wie fühlt es sich an?“, fragte er weiter.
Sie schluckte mühsam und zwang sich, ihre eigenen Hände – die sie bisher zu Fäusten geballte hatte – zu entspannen und flach auf die kühle Tischplatte zu legen. „Wie ein … warmes Prickeln.“
„Ist es unangenehm?“
Flüchtig flog ihr Blick von seiner Hand zu seinen Augen, doch er sah nicht sie an, sondern starrte verbissen auf eine Stelle mitten in der Luft; vermutlich betrachtete er ihre Aura. Ein Anblick, der sich für Hermine wohl nie eröffnen würde.
„Etwas“, sagte sie schließlich. Wenn auch nicht so sehr, wie sie vor zehn Minuten noch befürchtet hatte. Und je länger seine Hand ruhig über ihr schwebte, je länger dieser absolut unerwünschte Zustand des Ausgeliefertseins anhielt, umso mehr verlor das Adrenalin seine Wirkung. Die unmittelbare Gefahr, vor der ihr Körper sie zu warnen versuchte, verschwand, da offensichtlich nichts passierte.
„Wenn es doch unangenehm ist, Miss Granger, warum weichen Sie mir dann nicht aus?“, war seine nächste Frage. Unschuldig wie die eines kleinen Kindes, andererseits so absolut logisch, dass sie im ersten Moment keine Antwort darauf fand.
Bis ihr eine Gegenfrage in den Sinn kam: „Wie mache ich das?“
„Wie weichen Sie denn normalerweise aus?“
Hermine runzelte die Stirn. „Ich gehe woanders hin.“
„Ja, das dachte ich mir. Das sollten Sie hier ebenfalls tun.“
Ein weiteres Mal sah sie ihm ins Gesicht und dieses Mal begegneten sich ihre Blicke. Seine Augen sahen sie so eindringlich an, als wollte er ihr sagen, dass die Lösung ihres Problems direkt vor ihr lag. Hermine ertrug diesen Blick nicht lange. Sie schloss die Augen und holte tief Luft. In einem langgezogenen Atemzug stieß sie sie wieder aus und spürte, dass sich etwas änderte. Sie ließ los. Ihre Wut und ihre Abneigung und das Bedürfnis, sich ihm niemals wieder verletzlich zu zeigen. Das Bedürfnis, stark zu sein, groß zu sein unter seinen Augen. Das alles ließ sie los und etwas veränderte sich.
Es war, als würde sich ihr Körper mit ihrer Aura verbinden. Auf eine Art, die über die natürliche Verbundenheit hinausging. Von einem Moment auf den anderen war ihre Aura nicht mehr ein vages Konstrukt, das sie nur spüren und nicht begreifen konnte. Sie war wie ein Mantel, der in einiger Entfernung um ihren Körper lag, sie wärmte und schützte.
Es war nun keine Herausforderung mehr für Hermine, danach zu greifen und ihn ganz fest um sich zu schlingen. Instinktiv wusste sie plötzlich, wie es ging. Die Vorstellung, wie das wohl aussehen mochte, war vor ihrem inneren Auge so absurd, dass sie blinzelte und in die reale Welt zurückkehrte. Sie sah wieder Lucius' Hand, groß und mit feinen blonden Härchen bewachsen, die im magischen Licht glänzten.
Während Hermine spürte, wie sie ihre Aura an sich heranzog, sank seine Hand hinunter als wäre sie ihm zu schwer geworden. Sie bezweifelte, dass er sich seines Handelns bewusst war, denn er stoppte auch dicht über ihrem Brustbein nicht, sondern legte seine Handfläche – warm und gepflegt wie sie war – direkt auf ihre rosige Haut, begrub den Anhänger unter sich.
Erst in diesem Moment schien er wieder zu realisieren, was er eigentlich tat. Sein Kopf zuckte nach oben und er starrte sie mit großen Augen an. Entsetzen stand in den schwarzen Pupillen und sie hielt die Luft an, während sie darauf wartete, dass er irgendetwas tat.
Stattdessen tat der Anhänger etwas. Als hätte Voldemorts Magie seinen Gefolgsmann erkannt, begann er zu vibrieren und wurde wärmer. Hermine spürte ihn, wie sie es niemals zuvor getan hatte. Das Gefühl schnürte ihr den Hals zu und sie schnappte entsetzt nach Luft. Ihre Hände schossen in die Höhe und sie packte Lucius' Handgelenk.
Der Griff ihrer kalten Hände schien ihn aus einer Art Starre zu reißen und er trat einen Schritt zurück. Mit dem Rücken gegen das Bücherregal gepresst, beobachtete er, wie Hermine sich aufsetzte und nach Luft rang. Sie presste sich die Hände flach auf ihre Brust und keuchte, als hätte sie gerade einen Marathon hinter sich gebracht.
„Was war das?“, fragte sie kraftlos, als der Schrecken allmählich abklang.
„Ein Fehler“, sagte er hohl. „Aber ich gratuliere Ihnen, Sie haben es endlich begriffen.“ Mit diesen Worten ging er zum Schreibtisch, nahm den Zauberstab auf und tauchte die Bibliothek in helles Licht.
Noch ehe Hermine auch nur Luft holen konnte, war er verschwunden.
Chapter 10: Kapitel 5: Die Praxis – Teil I
Chapter Text
Die Umstände, die dazu geführt hatten, dass Hermine am späten Abend mit einem Tablett voll benutzten Geschirrs und heruntergelassener Hose auf der Toilette saß, nur um sich mit einer Hauselfe zu unterhalten, waren Umstände, die sie niemals freiwillig jemandem erzählen würde.
Dabei hatte alles recht harmlos angefangen.
Das doch sehr verwirrende Ende ihrer letzten Trainingsstunde hatte in Hermine das Verlangen geweckt, das Geheimnis des Hauselfen Lonny zu lüften. Anscheinend wusste der Elf etwas, das ihr entgangen war. Etwas, das sie betraf. Und in einem Haushalt wie dem der Malfoys, in dem sie nur geduldet, jedoch nicht willkommen war, wusste sie besser alles, was sie betraf.
Deswegen hatte sie kurzer Hand beschlossen, mit dem Elfen, der ihr das Abendessen bringen würde (das offizielle Dinner zusammen mit Narcissa und Lucius war aus Gründen, die sich Hermines Verständnis entzogen, abgesagt worden), einen Pakt zu schließen. Sie wusste noch nicht, was sie selbst anzubieten hatte, gedachte jedoch die gewünschten Informationen dafür zu erhalten.
Dummerweise hatten die Elfen des herrschaftlichen Hauses mit einem solchen Plan wohl gerechnet, denn nachdem sie sich den Schweiß des Tages von der Haut gewaschen hatte (eigentlich weit vor der Zeit fürs Essen) stand ihre Mahlzeit bereits fertig angerichtet im Zimmer auf dem kleinen Tisch. Samt Vorspeise und Dessert.
Nachdem Hermine sich aus ihrer überraschten Starre gerissen hatte, hatte sie mehrmals versucht, Lonny selbst herbeizurufen. Auch mit Sunny hatte sie es versucht. Doch keiner der beiden tauchte auf. Sie mussten ihr nicht gehorchen und zogen es offensichtlich vor, das auch nicht zu tun.
Also setzte sie sich und begann zu essen. Dabei kam ihr der Gedanke, dass das Geschirr nach dem Essen auch wieder abgetragen werden musste und sie fasste den Entschluss, den ehemals blütenweißen Tellern und Schüsseln Gesellschaft zu leisten, bis einer der Elfen es abholen würde.
Nun hatte die Natur den Menschen nicht dafür erschaffen, länger als einige Stunden an ein und demselben Ort zu verharren – und schon gar nicht nach einem so reichhaltigen Mahl. Es meldete sich also Hermines Blase und als sie es beim besten Willen nicht länger aushalten konnte, bediente sie sich ihrer Magie und verwandelte eines ihrer Bücher – Merlin möge ihr verzeihen – in ein Tablett, auf das sie hastig alles Geschirr stapelte und es ins Bad hinüber balancierte.
So hatte sie sich also in eine der prekärsten Situationen manövriert, die sie nach ihrer Verwandlung in eine Katze in ihrem zweiten Schuljahr jemals erlebt hatte, denn die kugelrunden Augen Sunnys, die sich kurz vor Mitternacht schließlich doch noch erbarmt hatte, ihre Pflichten zu erfüllen, wurden bei Hermines entblößtem Anblick immer größer. Ihr Schock war anscheinend sogar so groß, dass sie nicht auf die Idee kam, sofort wieder zu verschwinden.
Erst als Hermine sich leise räusperte, erinnerte sie sich daran, dass es sich dann doch zumindest gehörte, in einem solchen Moment den Blick zu senken. Prompt machte ihre lange Nase Bekanntschaft mit dem Fliesenboden und an Hermines Ohren drang ein leises Jaulen, das vielleicht bedeutete: „Sunny bittet Missus Granger um Verzeihung, Missus! Sunny erwartet ihre Strafe!“ Dabei hatte sie die kleinen Hände bereits an ihre Ohren gelegt und zog die ohnehin schon zu großen Ohrmuscheln noch weiter in die Länge.
„Hör auf damit!“, befahl Hermine entsetzt und hätte im Affekt beinahe das Tablett von ihrem Schoß gestoßen.
Sunny tat, was Hermine ihr gesagt hatte, auch wenn diese sich nicht erklären konnte warum. Doch im Laufe ihrer Ausbildung in Hogwarts hatte sie widerwillig gelernt, dass es Dinge gab, die man besser einfach nur hinnahm.
„Gut“, besann sie sich deswegen und versuchte, so viel Nachdruck wie möglich in ihre Stimme zu legen (was ihr sicherlich einfacher gefallen wäre, wenn sie nicht mit ihrem nackten Hintern … na ja). Sie hasste sich zwar dafür, doch in ihrer momentanen Lage hatte Hermine keine Wahl. Also tat sie etwas, das sie sich geschworen hatte, niemals auch nur in Betracht zu ziehen: „Ich nehme an, du bist hier, um endlich das verdreckte Geschirr abzuholen.“
„Ja, Missus“, antwortete Sunny beflissen, aber sehr kläglich. Dabei knetete sie die Hände vor dem Körper.
„Reichlich spät“, stellte Hermine fest und war froh, dass die Elfe den Boden betrachtete, als würde er ihr einen Ausweg aus ihrer Bredouille verraten.
„Sunny ist untröstlich, Missus. Absolut … untröstlich …“
Hermine verzog das Gesicht und konnte sich nur schwer von einem ähnlichen Jammern abhalten wie das, das Sunny kurz zuvor ausgestoßen hatte. Gerade jetzt wäre sie am liebsten vor dem kleinen Wesen in die Knie gegangen und hätte es an sich gedrückt wie ein Kind, das sich verletzt hatte. Die übereinander gestapelten Schüsseln auf dem Tablett klapperten leise, als sie ihre zitternden Finger einen Moment lang nicht fest genug um die beiden Griffe schlang.
„Ich werde dir verzeihen“, fuhr sie dennoch fort, „wenn du mir einen Gefallen tust.“
Sunny schielte vorsichtig nach oben und blinzelte einmal. „Missus Granger muss Sunny nicht verzeihen für den Gefallen“, sagte die Elfe.
„Ich will es aber.“ Über ihren harschen Ton zuckte Sunny zusammen und Hermine sprach weiter, ehe sich ihre Fassade in Wohlgefallen auflösen konnte: „Ich möchte, dass du Lonny ein wenig auf den Zahn fühlst.“
„Zahn, Missus?“ Die Elfe schien restlos verwirrt.
„Was ich meine ist, er weiß etwas, das ich wissen muss. Und er weigert sich, mit mir darüber zu sprechen. Du sollst es für mich herausfinden.“
Sunny war davon anscheinend so entsetzt, dass sie Hermine tatsächlich anstarrte. „Hauselfen müssen Geheimnisse bewahren, Missus! Sunny kann nicht … unmöglich!“
„Dann muss ich deinen Fehler Mr Malfoy melden.“
Ein hohes Jammern durchriss die Stille im Badezimmer und hallte von den weißen Wänden wider. „Nicht Mr Malfoy, Missus!“
„Dann finde raus, was Lonny in Bezug auf mich herausgefunden hat!“ Hermine musste die Augen schließen, um nicht weich zu werden.
Doch sie hatte endlich erreicht, was sie wollte. Sunny nickte so heftig mit dem Kopf, dass ihre Ohren wild durch die Luft schlackerten. „Ja, Missus. Natürlich, Missus. Sunny wird … Lonny hat … Sofort!“ Die Elfe wollte sich schon auf dem Absatz umdrehen und das Bad verlassen, da fiel ihr Blick auf das Tablett, das noch immer auf Hermines Schoß stand. „Sunny muss …“, murmelte das kleine Wesen und deutete mit zitterndem Finger auf das benutzte Geschirr.
Hermine lief rot an. „Ähm … ja. Könntest du bitte … das Handtuch dort?“ Sie nickte zum Rand der Badewanne, über den sie nach dem Duschen das hellgraue Handtuch gehängt hatte.
Sunny eilte durch den Raum und brachte es Hermine. Bevor sie der Elfe das Tablett aushändigte, stopfte sie das Handtuch so gut es ging auf ihre Beine. „Danke“, nuschelte Hermine, lächelte verlegen und versuchte das Pochen in ihren Wangen zu ignorieren. Erst nachdem Sunny verschwunden war, sackte sie in sich zusammen und schüttelte beschämt den Kopf.
„Wussten Sie eigentlich schon, dass die Graubärtigen Klingelbachsen über England hergefallen sind?“
Hermine, die mit geschlossenen Augen am Tisch saß und ihre Aura verbarg, runzelte die Stirn. Lucius' Stimme hatte ihre Konzentration unerwartet durchbrochen und sie brutal in eine Welt zurückgezogen, der sie zu entfliehen gehofft hatte. Es gab keinen Ort, an dem sie sich sicherer fühlte als an dem, den sie mit ihren Gedanken erschuf.
Nun jedoch wiederholte sie seine Worte in Gedanken und blinzelte schließlich irritiert in das gelbe Licht der Bibliothek. Er grinste falsch und hielt eine Ausgabe des Klitterers in die Höhe. „Ausgezeichnete Lektüre, um Ihnen die Übung schwer zu machen“, stellte er dann fest.
Hermine stieß die Luft scharf durch ihre Nase und reckte ihr Kinn vor, ehe sie sich wieder auf ihre Aura konzentrierte.
Bereits seit zwei Stunden war sie damit beschäftigt, sich nicht von Lucius ablenken zu lassen. Ihre Aura, so hatte er gesagt, dürfte auch in extremen Situationen nicht ihrer Kontrolle entwischen. Und ein Gespräch war nun wirklich keine extreme Situation.
Dass sie ihm in dieser Sache so uneingeschränkt recht geben musste, machte ihre Schwierigkeiten nicht besser. Sie hatte zwar durchaus bemerkt, dass ihr das Lernen schwerer fiel, seitdem sie die Kette trug, doch dass sie sich so wenig auf ihre naturgegebenen Fähigkeiten verlassen konnte, kratzte gewaltig an ihrem Selbstbewusstsein. Früher war es ihr nie schwer gefallen, praktische Dinge zu lernen (von der Prüfung mit diesem unsäglichen Irrwicht einmal abgesehen).
Was die Sache noch schwieriger machte, war das Schweigen von Sunny. Seitdem sie den Deal mit der Elfe geschlossen hatte, hatte sie nichts mehr von ihr gehört. Das war zwei Tage her. Sie hoffte inständig, dass Sunny bloß Probleme damit hatte, Lonnys Geheimnis zu lüften, und sagte sich immer wieder, dass sie es bemerkt hätte, wenn Lucius davon erfahren hätte.
„Was sagen Sie dazu?“, fragte er in diesem Moment und ließ das Papier der Zeitschrift knistern. Der Geruch von Druckerschwärze flog zu Hermine herüber; anscheinend war die Ausgabe noch druckfrisch.
„Ich sage, dass es mich nicht interessiert“, knurrte sie und hielt gerade so eben ihre Aura fest, ehe sie ihr wieder entwischen konnte. Das Ding war mindestens so stur und eigensinnig wie … nun ja, sie selbst.
Lucius schnalzte mit der Zunge. „Das ist bedauerlich, Miss Granger. Wenn man diesem Artikel Glauben schenken darf, dann wird es unsere Welt für immer verändern.“ In seiner Stimme stand falsche Panik und sie machte sich nicht einmal die Mühe, die Augen zu öffnen.
„Ich würde Ihnen nicht empfehlen, den Worten Luna Lovegoods uneingeschränkten Glauben zu schenken, Mr Malfoy.“
„Reden Sie immer so schlecht über Ihre Freunde?“
Auf diese Frage hin riss sie doch ihre Augen auf und scherte sich nicht darum, wie weit ihre Aura sich ausbreitete. „Ganz im Gegenteil! Aber ich nehme nicht alles für bare Münze, das meine Freunde sagen. Ich bin ein eigenständig denkendes Wesen.“
„Ja, das ist wohl wahr. Ein Jammer …“ Er ließ seine Augenbrauen tanzen, während er die Zeitschrift wieder aufschlug und einen weiteren Artikel zu lesen begann. Vielleicht über die lilagescheckten Monster aus der Nachbarpfütze von Loch Ness.
Hermine war kurz davor, der Wut, die ihre Finger zittern ließ, freien Lauf zu lassen. Erst im letzten Moment konnte sie sich davon abhalten und ließ die angehaltene Luft langsam aus ihren Lungen strömen. Sie würde sich nicht provozieren lassen.
Seit dem sonderbaren Zwischenfall mit dem Anhänger hatte Lucius nämlich mehr denn je versucht, genau das zu tun. Und Hermine hatte sich auch nur selten zurückhalten können. Er war der Funke und sie der Zunder. Aber damit war jetzt Schluss.
Sie rutschte demonstrativ etwas auf ihrem Stuhl hin und her und schüttelte sich die Haare aus dem Gesicht. Dann konzentrierte sie sich wieder auf ihre Aufgabe und kehrte in die beschauliche Welt ihrer Konzentration zurück.
„Sieh mal einer an!“, kam es keine fünf Minuten später von der anderen Seite des Tisches. „Eine extra Doppelseite über die verschollenen Geister von Hogwarts!“
Ein Lächeln huschte über Hermines Gesicht, doch ihre Aura blieb, wo sie sein sollte.
Es war an einem Tag später in dieser Woche. Die kleine Bibliothek lag still da, staubig und so voll mit Geschichten, dass ein ganzes Leben nicht reichen würde, um sie alle zu lesen. Hermine saß auf eine Art am Tisch, über die Lucius missbilligend das Gesicht verzogen hatte – die Lehne zu ihrer Linken, den Rücken gegen die Wand hinter sich gelehnt und die Füße gegen die Kante der Sitzfläche des zweiten Stuhls vor ihr gestützt. Träge hatte sie den linken Arm auf die Stuhllehne gelegt und testete aus, wie viel Kontrolle sie mittlerweile wirklich über ihre Aura hatte.
Inzwischen hatte sie das Prinzip ziemlich gut verstanden und diese Übungen in absoluter Stille dienten lediglich noch der Ausdauer. Für gewöhnlich hasste sie die Stunden, die Lucius sie durchzuhalten zwang. Sie waren langweilig und zehrten so sehr an ihrem geschwächten Körper, dass sie mehr als einmal dabei eingeschlafen war.
Doch an diesem Nachmittag lernte sie zum ersten Mal die Vorzüge der Übungen kennen.
Er hatte sich mit etwas Arbeit an seinen Schreibtisch gesetzt, anstatt sie die ganze Zeit zu beobachten. Und während die Zeit dahin floss und Hermine ihre Aura verbarg, vergaß er tatsächlich, dass sie überhaupt da war.
Ohne ihre Aura war sie für einen abgelenkten Verstand nicht wahrzunehmen und selbst Lucius Malfoy persönlich, der die Kunst der Auren perfektioniert hatte, fiel dieser Nebenwirkung zum Opfer. Als Hermine sich dessen bewusst wurde, war sie so überrascht, dass sie beinahe die Kontrolle verloren hätte. Nur knapp schaffte sie es, sich über das heftige Schlagen ihres Herzens zusammenzureißen. Dann nutzte sie die Gelegenheit, die sich ihr bot.
Zuerst begann sie, ihn zu beobachten. Wie er präzise und trotzdem kaum leserliche Worte auf ein Blatt Pergament schrieb. Wie er die Spitze der Feder in das Tintenfass tauchte. Wie er sich die Haare über die Schulter strich. Wie er die Nase rümpfte und mit dem Zauberstab einen mikroskopisch kleinen Tintenklecks beseitigte.
Hermine hatte es schon während ihrer Schulzeit geliebt, ihre Mitschüler zu beobachten, während diese arbeiteten. Sei es bei Prüfungen, wenn sie früher fertig war, oder bei den Stunden, die sie im Gemeinschaftsraum über den Hausaufgaben gebrütet hatten. Erst hatte sie sich auf Ron und Harry beschränkt. Auf die ganzen kleinen Regungen in den Gesichtern der Jungs. Dann hatte sie auch die anderen Gryffindorschüler beobachtet. Sie konnte bis heute nicht erklären, was genau sie dabei entdeckt hatte, doch es kam ihr jedes Mal vor, als würde sie eine kleine Schatztruhe öffnen.
Bei Lucius war der Schatz größer, denn er war die widersprüchlichste Persönlichkeit, der sie jemals begegnet war. Sie konnte nicht verstehen, wie ein Mensch gleichzeitig so abweisend und so zugewandt sein konnte. Wie er sie ansah, wenn er sich auf seine Wertvorstellungen und seinen Status besann, jagte ihr eiskalte Schauer den Rücken hinunter. Aber wenn der Abend voranschritt und die Welt außerhalb dieser Bibliothek in Vergessenheit geriet, sah er sie manchmal ganz anders an. Irgendwie … offener.
Während sie ihn jetzt betrachtete und dabei kaum zu atmen wagte, versanken ihre eigenen Gedanken immer mehr und sie sah nur noch.
Das Bild eines Mannes.
Nach mehreren Minuten stellte sie leise ihre Füße auf den Boden und setzte sich gerade hin. Er reagierte nicht. Mit einem Mal war ihre Müdigkeit verschwunden und Hermine stand auf. Sie schaffte es, sich zwischen den beiden Stühlen durchzuschieben, ohne einen Laut von sich zu geben. Da die Dielen des Bodens an Stellen knarzten, die sie sich noch nicht gemerkt hatte, zog sie langsam ihren Zauberstab hervor und brachte sie mit einem stummen Zauber zum Schweigen. Die magische Welt konnte so einfach wie verlockend sein.
Wie ein Einbrecher setzte sie einen Fuß vor den anderen, balancierte auf einer unsichtbaren Linie, die sie direkt hinter Lucius' Stuhl führte. Die Haare glänzten, ein undefinierbarer, aber guter Geruch stieg von den hellen Strähnen auf und in ihren Fingern kribbelte es, ihn zu berühren. Hermine atmete so oberflächlich durch den Mund, dass ihr etwas schwindelig wurde, und starrte hinunter auf die Schulterblätter, deren zarte Bewegungen sie durch die Schichten von Stoff und Haaren nur erahnen konnte.
Merlin, dachte sie, das ist Magie.
Nachdem sie es geschafft hatte, Lucius unbemerkt so nahe zu kommen, glaubte Hermine, sie könnte jeder Ablenkung mühelos widerstehen und ihre Aura trotzdem kontrollieren.
Natürlich belehrte er sie eines Besseren.
Ihr Glaube an das Magische in diesem Mann verpuffte innerhalb von Sekunden, als er sie in den Garten hinaus führte und mit einem endlosen Vortrag über die Bepflanzungen beschallte. Inmitten von spärlichem Vogelgezwitscher, herbstlichen Windböen und dem Rascheln des Laubs auf den Wegen, gelang es ihr kaum länger als ein paar Minuten, ihre Aura zu kontrollieren. Von den verschiedenen Anweisungen, die Lucius ihr zwischen seinen ermüdenden Ausführungen zurief, ganz zu schweigen.
„Sie blüht nur einmal im Jahr für fünf Minuten. Ich hab es bisher nie gesehen“, erklärte er auf die gleiche Art, auf die Professor Binns seine Vorträge gehalten hatte, während besagte Pflanze – deren Name Hermine sich nicht hatte merken können – längst hinter ihnen zurückgeblieben war. „Rechts herum!“
Sie bog nach links und merkte es erst, als seine Stimme plötzlich leiser wurde. Für einen Moment überlegte sie, ob sie wirklich umdrehen und ihm folgen musste; vermutlich würde sie vor lauter abgestorbener Gehirnzellen das Sabbern anfangen, wenn sie ihm noch länger zuhörte. Aber dann riss sie sich zusammen und kehrte um. Sie hatte Professor Binns überlebt, sie würde auch Lucius-verdammt-noch-mal-Malfoy überleben!
Als sie wieder zu ihm aufgeschlossen hatte, musste sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass er es nicht einmal für nötig gehalten hatte, seinen Vortrag zu unterbrechen.
Die dunklen Dielenbretter hatten sich aufgewärmt, als Hermine ihr Gesicht darauf abgelegt hatte. Glatt und hart fühlten sie sich an, nicht nur unter ihrer Wange, sondern auch unter ihren Fingerspitzen. Sie konnte über die Oberfläche hinwegsehen und wünschte sich, sie könnte ebenso in den Boden sinken und herausfinden, was darunter war. Wie im Wasser, wenn man mit einem Auge unter der Wasseroberfläche war, mit dem anderen darüber.
Der Boden vibrierte heftig, als sich ihr schwere Schritte näherten. Mühsam drehte Hermine ihre Augen nach oben und erkannte durch ihre Erschöpfung hindurch Lucius' Gesicht. Er blieb stehen, keine zehn Zentimeter vor ihrem Arm, der nutzlos vor ihr lag. Dann ging er in die Hocke. Das Knacken seiner Kniegelenke war laut in der Stille der Bibliothek.
„Stehen Sie auf“, sagte er und klang dabei gar nicht so genervt, wie sie erwartet hatte.
Hermine antwortete nicht. Stattdessen schloss sie die Augen und hofft, dass er verstehen würde, was sie ihm damit sagen wollte. Dass sie zu müde war, um auch nur ihren Mund zu benutzen. Dass er es mit seinem Training so übertrieben hatte, dass vielleicht nicht einmal mehr die Kette sie würde umbringen müssen.
Doch entweder verstand er ihre stumme Mitteilung nicht, oder er ignorierte sie einfach. Hermine vermutete letzteres. „Miss Granger! Stehen Sie auf!“
Sie schloss mühsam ihren Mund, fuhr mit der Zunge über die Berge und Täler ihres Gaumens und schluckte den Speichel herunter, der sich in ihrer Wange gesammelt hatte. „Ich kann nicht“, zwang sie sich dann zu sagen und stellte erstaunt fest, dass es gar nicht so mühsam war, wie sie geglaubt hatte.
Er schnaubte. „Sie können sehr wohl, Sie sind bloß zu faul.“
Ein paar Falten furchten Hermines Stirn. Sie war niemals faul gewesen, ganz im Gegenteil. Ihre Mutter hatte sie immer gemahnt, kein faules Mädchen zu werden, das die Schule nur aus mangelnden Alternativen absolvierte und sich danach so bald wie möglich in die angenehme Sicherheit der Ehe mit anschließender Mutterschaft flüchtete. Diese Vorstellung war zu Hermines Albtraum geworden und sie hatte alles getan, um genau das zu verhindern. Sie wollte etwas erreichen, bevor sie sich fortpflanzte.
Und nun kam dieser … Mistkerl … und nannte sie ein faules Mädchen!
„Ich … bin nicht faul“, antwortete sie und ihre Stimme vibrierte vor Wut. Die Augen öffnete sie nur ein kleines bisschen – weit genug jedoch, um ihn ihre Wut sehen zu lassen.
„Beweisen Sie es mir!“ Er zog seine Augenbrauen hoch und feixte.
Hermines Wut verpuffte, als sie realisierte, dass er sie ganz und gar nicht für faul hielt, sondern lediglich wusste, wie er sie kriegen konnte. Dummerweise funktionierte es, obwohl sie ihn durchschaut hatte. Sie würde ihm diesen verdammten Beweis liefern, selbst wenn es das Letzte war, was sie tun würde!
Eine Antwort sparte sie sich. Stattdessen begann sie, systematisch ihre Muskeln anzuspannen. Zuerst zuckten ihre Finger, dann ihre Zehen. Dann hob sie ihren Arm, bis sie sich auf ihre Handfläche stützen konnte, winkelte die Beine an und vollbrachte die ungeheure Leistung, ihren Rumpf vom Boden zu heben. Als sich ihre Wange vom Dielenboden löste, war das ein unangenehm klebriges Gefühl und die Luft begann augenblicklich, ihre feuchte Haut zu kühlen. Die lockigen Haare fielen ihr ins Gesicht und verbargen den Ausdruck von purer Anstrengung vor Lucius.
Schließlich hatte sie sich auf alle Viere gestützt, verharrte dort einen Moment und wagte es dann, ihren Rücken anzuspannen, bis sie ihren Oberkörper in die Senkrechte gebracht hatte. Sie schüttelte ihre Haare zurück und sah trotzig zu ihm auf. Ein undefinierbarer Ausdruck lag in seinen Augen; irgendetwas zwischen Stolz und Hohn.
Als letzten Schritt musste sie nur noch auf die Füße kommen, das Zittern ihrer Muskeln und das Schreien ihres Körpers ignorieren. Sie stellte einen Fuß auf und zog den anderen nach, indem sie sich auf ihrem Knie abstützte.
Doch kurz bevor sie es geschafft hatte, knickte sie mit dem Fuß weg und begann zu schwanken. Ihre Arme ruderten durch die Luft und sie sah sich schon auf den elenden Boden zurückfallen, als zwei kräftige Hände sie packten und ihr das verlorene Gleichgewicht zurückgaben.
Hermine atmete keuchend aus und hob langsam den Blick. Lucius' Gesicht war keine fünf Zentimeter von ihrem entfernt. Sie konnte ein paar Muskeln zucken sehen, um seinen Mund und zwischen seinen Augenbrauen. Er ließ sie los, als sie sich stabilisiert hatte. Doch anstatt zurückzuweichen, wie Hermine es erwartet hatte, streckte er seinen Zeigefinger aus und fuhr damit über ihren Wangenknochen. „Darunter“, sagte er mit leiser Stimme und seine Augenbrauen zuckten in die Höhe, „ist Ihre Aura. Noch immer. Ich denke, Sie sind soweit.“
Bereits am nächsten Tag zog Hermine um – in die große Bibliothek. Sie hatte also recht gehabt mit ihrer Vermutung, dass dieses Anwesen mehr Bücher zu bieten hatte.
Das Ausmaß der großen Bibliothek stand der in Hogwarts um nichts nach. Allerdings hatte Lucius dankenswerterweise darauf verzichtet, einen Bücherdrachen wie Madame Pince einzustellen. Sie hatte den ganzen wundervollen Tag (und vielleicht auch noch weitere, wenn sie heute nicht das fand, was sie suchte), um sich hier zu vergnügen wie ein Pinguin im Südpolarmeer.
Zum ersten Mal seit Wochen, wenn nicht sogar Monaten, bekam Hermine rote Wangen vor Aufregung. Sie konnte es kaum abwarten, bis Narcissa den ganzen Sermon heruntergebetet hatte, den ihr Mann ihr auf einem Blatt Pergament zurückgelassen hatte, bevor er wieder seinen Geschäften nachgegangen war. Für einen Moment geriet sie sogar in Versuchung, ihre Aura zu verbergen und sich heimlich davon zu schleichen. Doch es gab schon so genug Konflikte zwischen Narcissa und ihr. Sie sollte ihr Glück besser nicht allzu sehr herausfordern.
So dauerte es zwar einige Minuten länger, ehe man sie auf die wundervolle Welt des geschriebenen Wortes losgelassen hatte, aber Hermines Begeisterung tat das nicht den geringsten Abbruch. Die erste Stunde in diesem atemberaubenden Saal huschte sie zwischen den Regalen hindurch, zog hier und dort ein Buch heraus und stieß unkontrollierte Laute der Ekstase aus, als sie Bücher fand, die sie für verschollen gehalten hatte.
Erst nach einiger Zeit sank ihr Adrenalinspiegel auf ein Maß, das ihr konzentriertes Arbeiten ermöglichte, und sie zog sich in eine Ecke der Bibliothek zurück und machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Trank.
Einem, der sie möglichst schonend um die Ecke bringen würde.
Es war bereits kurz vor zehn am Abend, als sie – abgesehen von Hauselfen, die ihr stumm das Essen servierten und wieder verschwanden, bevor Hermine einen von ihnen nach Sunny fragen konnte – zum ersten Mal Besuch bekam. Sie erkannte Lucius bereits an seinem Gang; die energischen Schritte hallten von den holzvertäfelten Wänden wider und schlugen über ihrem Kopf zusammen wie die Wellen in einer Sturmflut.
Hermine biss die Zähne aufeinander und versuchte verzweifelt, den Anflug von Nervosität niederzuringen. Bis er an ihrem Tisch angekommen war, erzielte sie immerhin einen Teilerfolg.
„Nun, Miss Granger, haben Sie sich für einen Trank entschieden?“ Er zog einen zweiten Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich.
Hermine hob den Blick von dem Chaos aus Pergamenten, das sich über den Tag hinweg angesammelt hatte. Die Flamme der magisch geschützten Kerze flackerte, als ihr Atem sie streifte. Seine Haare waren mit einem schwarzen Band zusammengebunden.
„Ich … habe einige Tränke gefunden, die infrage kommen, ja.“
Er zog seine Augenbrauen in die Stirn. „Einige Tränke? Wir brauchen einen Trank, Miss Granger!“
„Ich weiß. Aber ich lege Wert darauf, dass es einer ist, der mich möglichst wenig beeinträchtigt.“
„Er soll sie umbringen“, wandte er trocken ein.
„Danach“, spezifizierte Hermine und rümpfte die Nase über so viel unpassende Haarspalterei. „Immerhin fängt der Kampf dann erst an.“
„Ja“, sagte er, „ein Kampf, an dem Sie nicht teilnehmen werden.“
„Wie kommen Sie darauf?“
„So lautet der Plan.“ Er sprach äußerst präzise. Als hätte er an diesem Tag bereits vermehrt derartige Diskussionen führen müssen.
Hermine hielt das allerdings nicht davon ab, noch eine weitere zu beginnen: „Das ist mein Kampf, Mr Malfoy! Sie ermöglichen ihn mir lediglich.“
„Wie wollen Sie einen Kampf gegen den Dunklen Lord gewinnen?“ Er lachte spöttisch. „Sie haben es ja bereits beim ersten Mal vorgezogen, ihn hinterrücks außer Gefecht zu setzen, ohne einen wahren Sieg davon zu tragen.“
Hermine spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Sie holte tief Luft. „Beim ersten Versuch war ich achtzehn Jahre alt und hatte keine Ahnung, was ich tat!“
„Und Sie glauben, dass Sie jetzt auch nur einen Schritt weiter sind als damals?“
„Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie sprechen …“ Ihre Stimme war leise, klang gepresst. In diesem Moment, in dem sie in das blasierte Gesicht des arroganten Mannes auf der anderen Seite des Tisches blickte, der ihr jedes der unzähligen Bücher aberkannte, die sie gelesen, nein, regelrecht inhaliert hatte, um einen Ausweg aus ihrem Dilemma zu finden, hätte sie über den Tisch springen und ihn mit bloßen Händen erwürgen können.
„Ich denke, das gilt für uns beide. Also, finden Sie einen Trank, der nur halbwegs dienlich ist. Sonst erledigt die Kette das vorher.“ Mit diesen Worten stand er auf und verließ die Bibliothek, die auf einmal viel zu klein schien, um Hermines Wut fassen zu können.
Nachdem die Türen sich hinter ihm geschlossen hatten, sprach sie einen Isolationszauber und schrie, so laut sie konnte. Danach ging es ihr besser.
Schon aus Trotz hatte Hermine nach Lucius' Ermahnung einen weiteren Stapel Bücher an ihren Tisch geholt und begonnen, noch weitere Tränke herauszuschreiben, die ihr nützlich schienen. Die ganze Zeit über stand eine steile Falte zwischen ihren Augenbrauen und von ihr unbemerkt flüsterte sie wüste Beschimpfungen vor sich hin, immer unterbrochen von der Feststellung: „Es ist mein Leben, das er da mal so eben beenden will! Da steht es mir ja wenigstens zu, die Art des Todes selbst auszuwählen!“
Erst weit nach Mitternacht war sie müde genug geworden, um wieder dem in einer Bibliothek üblichen Schweigen anheim zu fallen. Mit bleierner Monotonie blätterte sie ein Tränkelexikon nach dem anderen durch und markierte spezielle Seiten mit Schnipseln eines Pergaments, das sie für diesen Zweck zerrissen hatte.
Sie fühlte sich so angenehm abgeschottet von allem, das sie stören könnte, wie man es vielleicht im Inneren einer Seifenblase wäre. Die Welt um sie herum verschwamm in den bunten Schlieren der Seife, die sich langsam über die hauchdünne Oberfläche zogen. Geräusche drangen nur gedämpft an ihre empfindlichen Ohren.
Bis …
„Miss Granger!“
Hermine erschrak so heftig, dass sie glaubte, ihr würde das Herz aus der Brust springen. Ihr Kopf zuckte in die Höhe und der Stuhl, auf dem sie saß, rutschte knarrend einen halben Meter über den Boden. Sie blinzelte mühsam durch die juckende Schwere ihrer Augenlider und sah sich im Dämmerlicht der Bibliothek um.
Es war niemand zu sehen.
Doch sie war sich sicher, dass jemand ihren Namen genannt hatte. Und dieser Jemand hatte nicht Lucius' Stimme besessen. Ein Prickeln breitete sich in ihrem Nacken aus und Hermine schluckte schwer, ehe sie sich langsam, ganz langsam auf ihrem Stuhl umdrehte.
Im ersten Moment konnte sie auch dort nichts erkennen. Doch nach und nach schälten sich die Konturen eines hageren Mannes aus den Schatten, der seinen gesamten Körper, vom Gesicht abgesehen, in Schwarz gehüllt hatte.
Die Wurzel allen Übels. Severus Snape.
„Das ist nicht wahr“, krächzte Hermine entsetzt und stand plötzlich auf den Füßen. Sie wich einen Schritt zurück, bis sich die Tischkante gegen ihren Po presste. Das unnachgiebige Holz vermittelte trotz aller Absurdität einen gewissen Trost.
„Sind Sie sich da sicher?“, schnarrte der dunkle Mann mit derselben Stimme, mit der er früher jede ihrer Behauptungen infrage gestellt hatte, nur um sie zu irritieren.
„Absolut“, erwiderte sie. „Ich muss träumen oder irgendetwas dergleichen. Sie sind tot.“
Snape setzte sich langsam in Bewegung und kam aus den Schatten im hinteren Bereich der Bibliothek, bis das diffuse Licht auch ihn einhüllte. „So scheint es. Dennoch … habe ich Sie nicht eben bereits geweckt?“ Er zog die Augenbrauen in die Stirn und ließ ihr einen scharfen Blick zukommen.
„Das beweist gar nichts.“ Sie reckte trotzig ihr Kinn vor und verschränkte die Arme vor der Brust. Wenn sie jetzt auch noch anfing, daran zu glauben, dass Professor Snape am Leben war, dann würde sie vollkommen den Verstand verlieren.
Er schnaubte. „Wie dem auch sei. Ob Sie nun wachen oder schlafen, tut nichts zur Sache. Der Grund meiner Anwesenheit lässt sich besprechen, selbst wenn sie komatös wären.“
Hermine runzelte die Stirn. „Warum?“, fragte sie dann. „Weil Sie nicht … wirklich Sie sind?“
Er schnalzte mit der Zunge. „Was hat mich verraten?“
„Severus Snape fordert immer volle Konzentration. Er würde niemals etwas besprechen, wenn der Gesprächspartner nicht absolut wach ist“, erklärte Hermine triumphierend.
„Wenn Sie sich da mal nicht täuschen …“, wandte Snape – oder wer auch immer er war – dennoch ein. Erst nachdem er sie einen Moment lang hatte zappeln lassen, fuhr er fort: „Nichtsdestotrotz hast du recht. Ich bin nicht er. Ich bin du.“
Diese letzten Worte sorgten dafür, dass Hermine sämtliche Gesichtszüge entglitten. „Hoffentlich nicht mein zukünftiges Ich“, murmelte sie hohl.
Er verzog seinen Mund zu einem flüchtigen Lächeln, was ihn sofort um einiges freundlicher wirken ließ. Vermutlich hatte der wahre Snape deswegen niemals gelächelt. „Nicht das zukünftige, nein. Das gegenwärtige. Ich bin … dein Unterbewusstsein.“
Sie blinzelte mehrmals. „Freut mich, dich … kennenzulernen?“, hauchte sie schließlich. Dann tastete sie mit einer fahrigen Hand nach ihrem Stuhl „Ich glaube, ich muss mich setzen.“ Der Schwindel, der sie eben überkommen hatte, legte sich. Ihr Unterbewusstsein hatte die Gestalt von Severus Snape? Warum? Was … wie … konnte das sein? Sie runzelte die Stirn. „Sag mir bitte, dass ich träume.“
„Du träumst“, sagte Snape.
Hermine atmete auf. „Moment mal!“, fiel ihr dann ein. „Kannst du lügen?“
„Nein. Aber du kannst mich ignorieren.“
Sie lachte kurz auf, was ziemlich hysterisch klang. Es war absolut verrückt, einen Severus Snape derartige Dinge sagen zu hören – auch wenn es nicht Snape war, mit dem sie sich unterhielt. Sie brauchte einige Sekunden, bis sie sich wieder gefasst hatte. „Okay. Ich träume also, dass ich ein Zwiegespräch mit meinem Unterbewusstsein führe. Was … ähm … will mein Unterbewusstsein denn von mir?“
Snape machte eine Bewegung mit der Hand, die Hermine beängstigend gut von sich selbst kannte. „Hauptsächlich will ich, dass du endlich aufhörst, mich zu ignorieren. Das nervt gewaltig!“
„Kann ich mir vorstellen“, erwiderte Hermine langsam. „Hilft es dir, wenn ich dir sage, dass ich es nicht absichtlich getan habe?“
„Nein.“
„Oh.“
„Ein Versprechen deinerseits, es nicht wieder zu tun, würde mir mehr helfen.“
Hermine konnte nicht anders, sie starrte die Snapegestalt unverhohlen an. „Gut“, riss sie sich schließlich aus ihrer Starre, „ich verspreche, es nicht wieder zu tun.“
„Schön!“ Snape … Ihr Unterbewusstsein … Es schien wirklich begeistert. „Aber da ich jetzt schon mal hier bin …“
„Ja?“ Hermine zog den Kopf ein.
„Ich hab echt Angst vor dem, was da auf uns zukommt.“ Die dunkle Stimme klang auf einmal schwach.
„Ich weiß“, hauchte Hermine. „Ich auch.“
„Ach nein – wie unerwartet! Aber je länger du es hinauszögerst, desto größer wird unsere Angst.“ Nun klang es wieder sehr nach dem Tränkemeister, der ihr sieben Jahre lang Beine gemacht hatte. „Also such endlich einen dieser verdammten Tränke aus und bring es hinter uns!“
„O-Okay.“
„Wunderbar! Und vergiss dein Versprechen nicht.“ Er deutete mit einem Finger auf sie und der intensive Blick ging Hermine durch und durch.
„Werd ich nicht.“
Im nächsten Moment schrak sie erneut von einem Buch auf, doch als sie sich nun in der dunklen Bibliothek umsah, war sie alleine. „Abgefahren …“, murmelte sie.
Chapter 11: Kapitel 5: Die Praxis – Teil II
Chapter Text
Nachdem Hermine diese sehr lange, sehr verwirrende Nacht in der großen Bibliothek verbracht hatte, kostete das Aufstehen nach nur drei Stunden Schlaf sie beinahe mehr Kraft, als sie aufbringen konnte. Aber die Nacht hatte sich gelohnt. Aus einem der alten Bücher hatte sie das Rezept für einen Trank herausgeschrieben, der mit kleinen Modifikationen genau das war, das sie gesucht hatte.
Nachdem sie das Jucken in ihren Augen wegzureiben versucht hatte, ließ sie sich eiskaltes Wasser über die Hände laufen. Erst als sie auch nach geraumer Zeit noch im Stehen hätte einschlafen können, biss sie in den sauren Apfel und wusch sich das Gesicht damit. Ihr Schrei verrutschte zu einem kehligen Stöhnen, da ihr die Kälte die Luft zum Atmen nahm.
„Zwei Wochen ohne Nachtschicht und meine hart antrainierten Fähigkeiten sind verschwunden“, murmelte sie missmutig, während sie die dunklen Ringe unter ihren Augen betastete und zum wiederholten Male froh darüber war, dass der Spiegel hoch genug hing, damit sie ihre Kette nicht sehen konnte.
Nach einem ausgiebigen Frühstück ließ sie sich dann von Lucius in das hauseigene Labor führen und staunte ein weiteres Mal über die Ausmaße, die dieses Anwesen hatte. Das Labor konnte von der Größe her zwar nicht mit den Schülerlaboren in Hogwarts konkurrieren, doch die Ausstattung entsprach dafür eher einem Labor, das für professionelle Zwecke genutzt wurde. Sie bedauerte es, dass sie nicht genug Zeit hatte, um alles auszuprobieren.
„Severus hat es für den Dunklen Lord genutzt“, erklärte Lucius, ohne dass Hermine danach gefragt hatte. „Aber ich denke, es ist auch für den gegenteiligen Zweck zu gebrauchen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!“ Ohne eine Antwort von Hermine abzuwarten oder ihr auch nur zu erklären, wo sie was fand, wandte er sich um und ging.
„Dann muss ich mich wohl selbst einweisen“, stellte sie seufzend fest und begann, einen Schrank nach dem anderen zu öffnen auf der Suche nach Instrumenten, Zutaten und Kesseln.
Mit dem Handrücken wischte sie sich Stunden später einen Schweißtropfen von der Schläfe, während sie mit der Pipette in der Hand darauf wartete, dass der elende Trank endlich anfing, Blasen zu werfen.
„Nun mach schon … Koch endlich!“, zischte sie dem klaren Gebräu zu, das so tödlich war, dass vermutlich schon die Dämpfe sie umbringen könnten. Ein Zauber ließ eben diese in kleinen Blasen zu Boden sinken und aus dem geöffneten Fenster schweben.
Gerade als die ersten feinen Bläschen am Boden des Kessels erschienen, sich aber noch nicht recht dazu entscheiden konnten, gen Oberfläche zu steigen, wurde die Tür zum Labor geöffnet. Hermine riss entsetzt ihren Kopf herum. „Tür zu! Mund halten!“, wies sie Lucius barsch an und fuhr dann fort, den Trank zum Kochen zu starren.
Ihr unfreiwilliger Gastgeber schien wenig begeistert über ihre Anweisungen, doch er kam ihnen nach. Erst schloss er die Tür, dann trat er leise an den Kessel heran und starrte mit ihr zusammen auf die ruhige Oberfläche. Die Dämpfe, die über den Boden wanderten, bemerkte er erst verzögert. Er zog die Augenbrauen hoch.
Hermine spürte, wie ihr noch heftiger der Schweiß ausbrach. Ihr Gesicht kribbelte, von ihrem Nacken ganz zu schweigen. Sie hatte Mühe, ihre Finger unter seinen Blicken ruhig zu halten. Erst als sie glaubte, es nicht länger ertragen zu können, löste sich endlich die erste Luftblase vom Kesselboden und trieb überraschend träge nach oben. Hermine senkte die Pipette hinab und ließ einen Tropfen des Schlagengifts direkt in die Blase fallen, als diese sich an der Oberfläche des Trankes öffnete.
Als sie dies geschafft hatte, nahm der Trank eine hellgelbe Farbe an und war damit vollendet. Hermine warf die Pipette auf den Tisch und ließ sich erschöpft auf einen Stuhl neben sich fallen. Das Labor drehte sich um sie und für einen Moment glaubte sie, vor Erschöpfung das Bewusstsein zu verlieren.
Sie hörte, wie Lucius sich bewegte und den Wasserhahn bediente. Kurz darauf presste er ihr ein kleines Becherglas in die Hand, das mit frischem, kühlem Wasser gefüllt war. „Trinken Sie!“, wies er sie an und begann, den noch heißen Trank in Phiolen abzufüllen. Als er damit fertig war, stellte er sie zu den Phiolen mit dem Gegengift, das sie wiederbeleben würde, nachdem der Anhänger die Magie des Dunklen Lords freigesetzt hatte.
„Danke“, nuschelte Hermine und tat währenddessen, was er ihr befohlen hatte. Das Wasser fühlte sich so gut an auf ihrer Zunge, dass sie leise stöhnte.
Lucius schnaubte und warf ihr einen kurzen Blick zu. „Wann haben Sie das letzte Mal etwas getrunken?“
„Zum Frühstück“, erwiderte Hermine, nachdem sie auch den letzten Tropfen in ihren Mund hatte fallen lassen. Sie stand auf und füllte sich nach. „Seitdem war einfach keine Zeit mehr.“
„Für so etwas sollte immer Zeit sein. Vor allem wenn man den Dunklen Lord am Hals hat.“ Er kühlte die Temperaturen im Labor auf ein normales Maß hinunter, allerdings so plötzlich, dass Hermine unwillkürlich zu schaudern begann.
„Wenn ich immer an den Bastard gedacht hätte, hätte ich gar kein normales Leben mehr führen können“, sagte sie düster und stellte das Becherglas beiseite. Dabei klapperte der Glasboden mehrmals über die gekachelte Oberfläche des Labortisches, weil ihre Finger zitterten.
Lucius drehte sich mit gerunzelter Stirn zu ihr um und sah gerade noch, wie sie ihren dünnen Umhang so fest um ihren Körper schlang, dass er beinahe zweimal herumreichte. Wortlos hob er die Temperatur wieder ein wenig an.
„Danke.“ Sie lehnte sich hart gegen den Tisch hinter sich und schloss für einen kleinen Moment die Augen.
„Gehen Sie schlafen, Miss Granger. Ich werde hier aufräumen.“
„Nein, es geht mir gut. Ich räume meine Sachen immer selber auf.“ Sie stieß sich vom Tisch ab und ging zu ihm hinüber. Ohne ihn anzusehen, sammelte sie die Geräte ein, die sie im Laufe des Tages gebraucht hatte, und balancierte sie zur Spüle hinüber. Nach einem Tag wie diesem würde sie nicht mehr zaubern können.
Sie war so fokussiert darauf, aufrecht stehen zu bleiben und sich ihre Schwäche nicht anmerken zu lassen, dass sie den Stuhl übersah, der ein Stück vom Tisch abgerückt stand. Hermine stolperte über das Stuhlbein und hätte sich vermutlich den Kopf an der Kante der Spüle aufgeschlagen, hätte Lucius sie nicht im Auge behalten und aufgefangen. Die Geräte, die sie in den Händen gehalten hatte, fielen zu Boden, ein Glaskolben zerbrach mit einem hellen Klirren und die Scherben verteilten sich quer über die Fliesen.
Aber alles, was Hermine gerade bemerkte, waren die kräftigen Hände, die sie an den Oberarmen festhielten. So fest, es tat beinahe weh. Langsam hob sie den Blick und sah die grauen Augen, die gerunzelte Stirn, die zusammengezogenen Brauen. Ihre Beine gaben plötzlich unter ihr nach.
Er reagierte auch dieses Mal und bugsierte sie zu dem Stuhl herüber, über den sie eben beinahe gestolpert wäre. Hermine schloss die Augen, sobald sie die Lehne in ihrem Rücken spürte. „Es tut mir leid“, murmelte sie und wischte sich über das Gesicht in der Hoffnung, so wieder halbwegs klar zu werden.
„Es gibt nichts, das Ihnen leid tun müsste. Abgesehen vielleicht von der Weigerung, meinen Anweisungen zu folgen“, antwortete er. Er hielt sie noch immer mit einer Hand aufrecht.
„Ich hasse es, anderer Leute Anweisungen zu folgen.“ Hermine rümpfte die Nase, stellte jedoch erstaunt fest, dass er über ihre Bemerkung lächelte.
„Das habe ich bemerkt.“ Er ging vor ihr in die Hocke. Ihr Herz machte einen Satz, Wärme strich auf einmal über sie und durch sie hindurch. Wie eine warme Sommerbrise. Hermine schluckte. „Ich halte es trotzdem für sinnvoller, wenn Sie sich etwas ausruhen, während ich hier aufräume. Ich hole Sie später zum Dinner ab und danach besprechen wir, wie es weitergeht.“
Sie hatte an seinen Lippen gehangen, während er gesprochen hatte, verloren in dem sanften Klang, den sie noch niemals zuvor aus seinem Mund gehört hatte. Dieser Mann war wirklich ein Teufel, dachte sie. Ein gutaussehender, faszinierender Teufel und … sie sollte nicht so über ihn denken. Aber sie war zu müde, um anders zu denken und sie konnte den Blick nicht abwenden und seine Hand an ihrer Schulter fühlte sich so gut an … Merlin, vermutlich war er einfach dabei, sie mit sich in die Hölle zu ziehen.
Hermine schluckte. „Einverstanden“, hauchte sie und wandte endlich den Blick ab. Widersprach nicht einmal, als Lucius zwei Hauselfen herbeirief, die sie zurück auf ihr Zimmer brachten.
Hermine hatte sich kaum auf ihrem Bett zusammengerollt, um ein wenig zu dösen, als sie von einem leisen Tapsen wieder in die harte Realität gerissen wurde. Sie stöhnte leise und konnte sich mehrere Minuten lang trotz des penetranter werdenden Geräusches nicht dazu bringen, wieder aufzustehen. Erst als Horace – als den sie ihren ungelegenen Besucher identifiziert hatte – empört zu kreischen begann, rollte sie sich widerwillig aus dem Bett.
„Manchmal bist du wirklich blöd, Horace“, maulte sie halbherzig, nachdem sie das Fenster geöffnet hatte und von einem entrüsteten Kreischen begrüßt worden war. Er schoss an ihr vorbei ins Zimmer, als hätte sie ihn stundenlang in der Luft flattern lassen. „Da ist ein Fenstersims, falls du es nicht bemerkt haben solltest“, informierte sie ihn über den Lärm hinweg. „Es hat dich niemand gezwungen, in der Luft zu flattern.“
Er kreischte erneut und fauchte ihre Hand an, als sie ihm den Brief vom Bein lösen wollte. Dabei breitete er seine Flügel aus und stellte die Federn auf. „Willst du ihn wieder mitnehmen?“, fragte Hermine gelangweilt. Daraufhin schüttelte Horace sich und ließ sie doch an sein Bein. „Du kannst froh sein, dass ich ein Herz für Posteulen habe. Sonst hätte ich dir jetzt keinen Keks gegeben.“
Hermine warf den Brief aufs Bett und suchte in ihrem Nachtschrank nach der Belohnung, während Horace plötzlich wieder sehr lieb war und ein leises Schuhuhen vernehmen ließ. „Charmeur!“, nannte sie ihn, ehe sie den Keks in die Luft warf und beobachtete, wie er ihn geschickt auffing. Mit leisen knackenden Geräuschen machte er sich über seinen Lohn her und Hermine schnappte sich den Brief von Ginny.
Die kleinen Nachrichten aus ihrem Leben erfüllten sie gleichermaßen mit Hoffnung, wie auch mit Angst. Hoffnung darauf, bald wieder ehrlich zu ihren Freunden sein zu können. Angst davor, dass sie diese Zeit nicht mehr erleben würde. Doch für die Minuten, in denen sie die Worte ihrer Freundin las, waren sie nur eines: eine kleine Flucht vor dem, was sie erwartete.
Während das letzte Dinner so kurzfristig abgesagt worden war, hielt Lucius heute sein Versprechen und holte sie pünktlich von ihrem Zimmer ab. Hermine fiel einen halben Schritt hinter ihm zurück, während sie ihm durch die Flure von Malfoy Manor folgte; ihr kleiner Ausfall im Labor war ihr nach wie vor unangenehm. Aber er erwähnte es mit keinem Wort. Er ging nur etwas langsamer als sonst.
Die Freude über sein Schweigen währte allerdings nicht lange, denn spätestens nachdem sie die Vorspeise in derselben Stille eingenommen hatten, begann sie sich unwohl zu fühlen. Ihre Blicke flogen von Narcissa zu Lucius, die so taten, als säßen sie alleine am Tisch, zurück zu ihrem Teller, der viel zu gut gefüllt war, als dass sie ihn jemals leeren könnte.
So verbrachte sie den Großteil der Zeit damit, die Speisen von einer Seite zur anderen zu schieben und nur ab und an einen kleinen Bissen zu nehmen. Sie atmete erleichtert auf, als Narcissa ihr Besteck beiseite legte, ebenfalls ohne ihren Teller geleert zu haben.
„Wie war dein Tag?“, erkundigte sie sich höflich bei ihrem Mann, doch ihr Blick zeugte nicht von großem Interesse.
„So wie jeder andere. Ich informiere dich rechtzeitig bevor wir Bankrott gehen.“
„Darum bitte ich“, erwiderte Narcissa und verdrehte die Augen. „Draco hat sich für das Wochenende angekündigt.“ In ihren Worten schwang die stumme Frage über Hermines Anwesenheit mit.
„Sag ihm, dass ich mich freue“, war seine eintönige Antwort.
Hermine schluckte. Sie wusste nicht, ob es immer so zwischen den beiden war, aber wenn, dann war es keine Atmosphäre, in der sie sich wohl fühlen würde. Ihr verknotete sich schon jetzt der Magen angesichts der Kälte, die zwischen ihnen herrschte. Dracos verkorkster Charakter wurde immer verständlicher für sie.
Als die Hauselfen die Vorspeise abtrugen und mit dem Hauptgang erschienen, entschied sie, dass sie unter keinen Umständen auch nur noch einen Bissen essen konnte, ohne ihre beschämende Vorstellung vom ersten Abend zu wiederholen. „Entschuldigen Sie mich“, murmelte sie deswegen, schob ihren Stuhl zurück und flüchtete aus dem Salon.
Ihre Schritte trugen sie durch das riesige Anwesen, bis sie einen Raum durchquerte, der – so wie der Salon selbst – über eine Tür zum Garten verfügte. Hermine öffnete sie und trat hinaus in die kühle Herbstluft. Atmete tief durch. Mehrmals. Verschränkte die Arme vor der Brust und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Die weniger guten Tage erwischten sie noch immer mit einer Heftigkeit, die ihr die Luft zum Atmen nahm. Sie fühlte sich zittrig und ihr war immer noch übel. Sie hatte sich vorhin zu sehr verausgabt.
„Sie werden sich verkühlen“, sagte eine dunkle Stimme hinter ihr und bevor Hermine sich zu Lucius umdrehen konnte, legte er ihr einen Umhang um die Schultern.
„Wäre nichts neues“, erwiderte sie lakonisch, zog den Stoff aber vor ihrer Brust zusammen. Ein herber, warmer Geruch stieg ihr in die Nase. Es war sein Umhang.
„Geht es Ihnen gut?“ Er klang, als würde es ihn Überwindung kosten, diese Frage zu stellen. Selbst in Hermines Ohren klangen die Worte falsch.
„Ja.“
„Sie lügen.“
„Und Sie sind nicht an der Wahrheit interessiert.“ Hermine sah ihn scharf an und war überrascht, als er missmutig den Blick abwandte. Sie seufzte. „Aber ich habe nicht wirklich gelogen. Ich brauche nur einen Stärkungstrank, dann geht es wieder.“
„Ich werde einen besorgen lassen.“
„Nicht nötig, ich hab einen da.“ Sie hatte ihre in den letzten Jahren beträchtlich angewachsene Hausapotheke mitgebracht, als sie nach ihrer Krankheit wieder hergekommen war. „Warum sind Sie mir gefolgt?“, fragte sie nach einer Weile.
„Damit Sie nicht schon wieder die Banne aktivieren. Ich habe sie aufpoliert.“ Er sah sie herausfordernd an.
„Soll ich sie testen?“, bot Hermine freimütig an.
„Nicht bevor wir den Dunklen Lord los sind.“
Sie setzte sich langsam in Bewegung und hörte, wie Lucius ihr folgte. „Darf ich Sie etwas fragen?“
„Sie dürfen.“
„Und werden Sie mir darauf antworten?“
„Das überlege ich mir, wenn ich die Frage kenne.“
„Hätte ich mir denken können.“ Sie bog um eine Ecke und runzelte die Stirn.
„Lassen Sie es dennoch darauf ankommen. Ich bin ein neugieriger Mann.“
„Nur, wenn Sie mir eine Antwort versprechen. Eine ehrliche Antwort!“
„Warum sollte ich?“ Prompt erinnerte sein herablassender Ton sie wieder daran, welche Stellung sie seiner Meinung nach in der Hierarchie der magischen Welt einnahm. Und vor allem in der Hierarchie des Hauses Malfoy.
Hermine rümpfte die Nase. „Ich bin nicht zu Ihrer Unterhaltung hier, Mr Malfoy. Ich werde meine Frage nicht stellen, nur damit Sie Ihre Neugier befriedigen können.“ Sie gelangten an eine Rasenfläche, in deren Mitte ein steinerner Tisch mit zwei Bänken stand. Hermine wich vom Weg ab und ging direkt darauf zu. Sie setzte sich und stützte den Kopf in die Hand.
Er folgte ihr zögernd, ließ sich dann aber ihr gegenüber auf die Bank sinken. „Was wollen Sie wissen, Miss Granger?“
„Ist das ein Versprechen?“, vergewisserte sie sich mit schmalen Augen.
„Ist es“, sagte er missmutig. „Nun?“
„Was war das eben zwischen Ihnen und Narcissa?“ Sie fixierte sein Gesicht, das zunehmend in der Dunkelheit des Abends versank. Nur seine blonden Haare, die ihm offen über die Schultern hingen, schienen noch immer regelrecht zu leuchten.
Seine verbissene Miene machte deutlich, dass er sich für sein Versprechen schon jetzt am liebsten geohrfeigt hätte. „Auch wenn ich nicht weiß, was Sie das angeht …“, begann er mit einer guten Portion Verachtung in der Stimme. „Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit. So etwas kommt vor in einer Ehe.“
„Eine Meinungsverschiedenheit meinetwegen?“, hakte sie nach.
„Das ist nun schon eine zweite Frage“, stellte er fest. „Ich weigere mich, auch diese zu beantworten.“
„Ihr gutes Recht“, erwiderte Hermine ruhig, ohne den Blick abzuwenden.
Lucius beugte sich ein Stück über den Tisch. „Sie sind ein ziemlich hinterhältiges Wesen, Miss Granger. Hat der Sprechende Hut es eigentlich in Erwägung gezogen, Sie nach Slytherin zu schicken?“
„Nein, nicht eine Sekunde lang.“
Lucius schnaubte leise. „Natürlich nicht.“
„Und selbst wenn, hätte ich mich dagegen entschieden.“
„Warum?“
„Wegen meiner Loyalität zwei Jungs gegenüber, denen ich bis dahin nur einmal kurz über den Weg gelaufen war.“
„Haben Sie es jemals bereut, so loyal gewesen zu sein?“
„Nicht eine Sekunde“, wiederholte sie. Hielt seinem Blick stand, auch wenn sie kaum noch erkennen konnte, wo seine Augen lagen. „Das waren nun schon drei ehrliche Antworten, Mr Malfoy. Meinen Sie nicht, Sie wären mir noch etwas schuldig?“
„Nein“, sagte er unbekümmert. „Ich hab Sie schließlich nicht um Antworten gebeten.“
Hermine presste die Lippen aufeinander. „Bei Ihnen hat der Hut bestimmt nicht gezögert.“
„Nicht eine Sekunde“, sagte auch er und der Stolz darüber lag deutlich hörbar in seiner Stimme.
Für einen Moment kehrte Schweigen ein zwischen ihnen, eine angenehme Stille, aus der Hermine auf sonderbare Weise Kraft zog. Die Frage stolperte aus ihrem Mund, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte: „Wissen Sie, dass Ihre Frau eine Affäre mit einem anderen Mann hat?“
Für einen Moment entglitten seine Gesichtszüge und in Hermines Brust schwoll etwas an, das ihr die Luft abschnürte. Doch er fasste sich rasch wieder und nickte. „Das weiß ich in der Tat. Horatio ist ein guter Freund.“
Hermine wusste nicht, was sie erwartet hatte, doch es erleichterte sie, dass er es wusste. „Freut mich“, entgegnete sie mit einem zarten Lächeln.
Lucius senkte den Blick, dann stand er auf. „Lassen Sie uns in mein Büro gehen, um alles weitere zu besprechen. Ich befürchte, hier draußen wird es allmählich kühl.“
Erst als er sie darauf aufmerksam machte, wurde Hermine die Gänsehaut bewusst, die ihr über die Arme lief. Sie folgte ihm zurück ins Haus.
Nachdem Lucius ihr den Stuhl vor seinem Schreibtisch angeboten und Hermine Platz genommen hatte, rief er Sunny herbei, um ihnen einen Tee zu servieren. Sie trug immer noch seinen Umhang und zog den Stoff enger um sich. „Welche Sorte bevorzugen Sie?“, fragte er und sah sie erwartungsvoll an.
„Earl Grey“, entgegnete Hermine. Ihr Blick kreuzte den der Elfe, die sichtbar nervös wirkte.
Lucius hingegen schien es nicht aufzufallen. „Bring uns eine Kanne Earl Grey“, befahl er und nachdem Sunny sich tief verbeugt hatte, verschwand sie mit einem leisen Plopp. „Also … Kommen wir zu Ihrem Problem.“ Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
„Ich dachte, es wäre unser aller Problem?“
„Vornehmlich ist es Ihr Problem“, beharrte er. „Aber da es für den Rest der magischen Gesellschaft nicht gerade unwichtig ist, was mit diesem hässlichen Schmuckstück passiert …“ Er ließ seinen Satz unbeendet und schnalzte stattdessen mit der Zunge.
Hermine ihrerseits griff fahrig nach dem Anhänger. Sie hatte ihn niemals als schön empfunden und bezweifelte auch, dass das überhaupt möglich war. Er sonderte so viel schwarze Magie ab, dass die Schönheit dabei auf der Strecke blieb. Doch als hässlich hatte ihn nie jemand bezeichnet, wenn vielleicht auch nur aus Rücksicht auf ihre Gefühle. Mittlerweile gehört das lästige Ding auf eine so verquere Weise zu ihrem Körper, dass es direkt ein bisschen wehtat. „Wie feinfühlig“, presste sie hervor und schoss ihm einen bösen Blick zu.
„Ich habe manchmal solche Anwandlungen“, räumte Lucius ein und verzog das Gesicht, als hätte sie eines seiner größten Laster entlarvt.
In diesem Moment kehrte Sunny zurück und stellte ein Tablett auf den Schreibtisch, goss ihnen Tee ein und verschwand mit einer Verbeugung wieder. Hermine griff nach ihrer Tasse und legte die kalten Finger um das warme Porzellan.
„Wie auch immer“, fuhr Lucius fort, „Ich dachte daran, es morgen zu beenden.“
„Morgen?“, keuchte Hermine entsetzt. „Halten Sie das nicht für etwas überstürzt?“
„Nein. Sie haben Ihre Aura unter Kontrolle, der Trank ist fertig. Sie sagten, es würde Ihnen nach einem Stärkungstrank wieder gut gehen. Es gibt keinen Grund, noch länger zu warten. Allerdings einen äußerst guten, sich zu beeilen.“
„Und der wäre?“
„Die Magie des Dunklen Lords richtet Sie immer weiter zugrunde. Wenn wir noch lange warten, werden Sie zu schwach sein, um Ihre Aufgabe in diesem Plan zu erfüllen.“
„Wenn wir es zu früh machen, bin ich noch nicht in der Lage, es durchzuhalten“, hielt Hermine dagegen. Allein der Gedanke daran, schon morgen dem Bastard zu begegnen, den sie seit acht Jahren mit sich herumschleppte wie einen ermüdenden Virus, erfüllte sie mit kaltem Grauen.
Lucius lehnte sich vor und stützte die Unterarme auf den Tisch. „Ich denke, Sie unterschätzen Ihre Fähigkeiten, Miss Granger.“
„Ich habe mich nie unterschätzt. Ich weiß, was ich leisten kann.“
Er sah sie lange an, dann schnaubte er kurz. „Sie haben nur Angst. Wenn es nach Ihnen ginge, würden Sie doch noch in zehn Jahren mit der Kette herumlaufen, selbst wenn Sie Ihre Aura pausenlos verbergen könnten.“ Nun griff auch er nach seiner Tasse und trank einen Schluck, ehe er sie wieder wegstellte.
„Das ist nicht wahr“, murmelte sie hohl. Aber das war gelogen. Ihr Unterbewusstsein – selbst wenn es nur ein Traum gewesen war – hatte dasselbe gesagt.
Er schien ebenfalls zu bemerken, dass er – mal wieder – ins Schwarze getroffen hatte. Denn er fuhr fort: „Wie auch immer, wir müssen es morgen machen. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass wir unbemerkt in die Mysteriumsabteilung gelangen, noch einmal bekommen wir diese Möglichkeit nicht. Angesichts meiner … Vorstrafen … würde ich mich ungern unbefugt dort herumtreiben.“
„Ich dachte, das gehöre bei Voldemorts Sippe zum guten Ton“, erwiderte Hermine schnippisch und nippte an ihrem Tee.
„Und ich dachte dasselbe über … wie nannten Sie sich noch gleich? Ach ja, Dumbledores Armee“, war die ebenso spitze Antwort.
Sie spürte, wie sie unwillkürlich lächeln musste und senkte rasch den Blick, bis sie ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte. „Wir mussten halt die Möglichkeiten nutzen, die wir hatten.“
„Äußerst gewinnbringend, wie ich zugeben muss. Mr Potter und seine Freunde haben uns mehr als einen Stein in den Weg gelegt.“
„Wir hatten eben das Glück auf unserer Seite.“
„Dennoch“, fügte Lucius unbeeindruckt hinzu, „hätte ich nicht erwartet, dass ausgerechnet Sie den Dunklen Lord stürzen würden. Nicht nach der Prophezeiung. Nicht …“ Er unterbrach sich.
„… bei meiner Abstammung?“, ergänzte sie mit blitzenden Augen.
„Nicht in Ihrem damaligen Alter“, erwiderte Lucius jedoch und lächelte nonchalant.
„Gut gerettet.“
Er zog die Augenbrauen hoch und verschränkte seine Hände ineinander, eine Geste, die sie immer an Professor Dumbledore erinnerte, egal bei wem sie sie sah.
„Wie soll das Ganze denn ablaufen?“, fügte sie sich nach kurzem Schweigen und hob ihren Blick von seinen schlanken Händen.
„Wir werden morgen am frühen Vormittag ins Ministerium gehen und uns dort mit Kingsley Shacklebolt treffen.“
„Mit dem Zaubereiminister?“, warf Hermine überrascht ein.
„Mit keinem geringeren. Er war oberflächlich interessiert an dem, was ich ihm berichtet habe, nachdem ich Sie gefunden hatte. Doch sein Vertrauen in dieser Sache zu gewinnen, war schwierig.“
Hermines Augen wurden eine Nuance größer. „Das sind also die Geschäfte gewesen, die Sie in den letzten Wochen ständig zu erledigen hatten.“
„Ja. Er wird uns jedenfalls in die Mysteriumsabteilung lassen“, fuhr Lucius fort. „Ich habe ihn nach langem hin und her dazu bringen können, uns dort alleine zu lassen.“ Er verzog das Gesicht. „Es fehlt die Zeit, um noch jemandem beizubringen, wie er seine Aura verbirgt, und wir werden ihn nicht brauchen. Er wird draußen warten, bis wir die Sache erledigt haben. Dann bringt er uns zu den Kaminen zurück und wir verlassen das Ministerium wieder.“
„Das war alles?“
„Hatten Sie etwas anderes erwartet? Eine Heldenfeier im Anschluss an die Vernichtung des Mannes, der schon seit acht Jahren als tot gilt?“
„Nein“, entgegnete Hermine und runzelte die Stirn. „Aber das klingt … einfach.“
„So einfach wird es wohl nicht werden“, gab er zu, „aber letztendlich wird es keine große Sache sein.“
„Waren Sie schon immer so optimistisch?“
„Nur in Ausnahmesituationen“, erwiderte er mit einem kaum erkennbaren Lächeln auf den Lippen.
„Interessant.“ Über dieses Urteil hob Lucius seine Brauen, doch Hermine gedachte nicht, ihre kryptische Äußerung genauer zu erläutern: „Wie sieht der Plan für den Teil zwischen dem Betreten und dem Verlassen der Mysteriumsabteilung aus?“
„Genauso unspektakulär. Sie trinken Ihren Trank, die Magie des Dunklen Lords wird freigelassen, ich schütze uns mit einem Schutzzauber und hole Sie in die Welt der Lebenden zurück und während Sie sich in eine Ecke setzen und brav Ihre Aura verbergen, werde ich das, was vom Lord übrig ist, dazu bringen, durch den Schleier zu gehen.“
„Hoffentlich funktioniert das so reibungslos, wie Sie es jetzt darstellen“, murmelte Hermine.
„Das wird es.“ Seine Stimme klang so überzeugt, dass sie sich für einen Moment ihrer Skepsis schämte.
„Vielleicht sollte ich dann jetzt schlafen gehen, damit ich Ihren Anforderungen morgen auch entsprechen kann.“ Sie stellte ihre Tasse weg, ohne viel von dem Tee getrunken zu haben.
„Zweifeln Sie etwa doch an sich selbst?“
„Ja“, antwortete Hermine schlicht. „Denn ich weiß nicht nur, was ich kann, sondern vor allem, wo meine Grenzen liegen. Ich befürchte, dass Sie mich ziemlich dicht heranführen werden.“
„Falsch. Ich werde Sie darüber hinausführen“, versprach er.
„Das hilft mir jetzt weiter“, murmelte sie hohl.
Lucius lachte leise auf, sehr dunkel und sehr sonor – ein Ton, der Hermines Rückgrat vibrieren ließ. „Es wird Ihnen weiterhelfen, wenn Sie es geschafft haben. In jeder Hinsicht.“
Da sie dieser Feststellung kein angemessenes Argument entgegensetzen konnte, kapitulierte sie mit dem Senken ihres Blickes. Sie stand auf und nahm seinen Umhang ab, hängte ihn über die Stuhllehne. „Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nacht, Mr Malfoy.“
„Die wünsche ich Ihnen auch.“
Sie spürte, wie sein Blick ihr zur Tür folgte und konnte dem Drang, sich zu ihm umzudrehen, nur schwer widerstehen. Obwohl sie müde und erschöpft war, wünschte sie sich, sie könnte noch eine Weile hier bleiben. Doch es war alles gesagt. Sie legte die Hand auf die Türklinke.
„Miss Granger?“
Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Lippen, ehe sie sich zu ihm umdrehte. „Ja?“
„Fühlen Sie sich eigentlich wohl hier?“ Eine steile Falte stand zwischen seinen Augenbrauen.
Hätte sie nicht die stabile Tür in ihrem Rücken gehabt, wäre Hermine vermutlich vor lauter Überraschung einen Schritt zurückgetaumelt. So jedoch lehnte sie sich nur noch etwas fester gegen das glatte Holz. Sie nahm sich einen Moment, um über die Antwort auf seine Frage nachzudenken. „Wohler als am Anfang“, sagte sie schließlich und hoffte, dass das ein diplomatischer Kompromiss zwischen dem war, was er vielleicht hören wollte, und dem, was sie empfand.
Er nickte nachdenklich und fixierte dabei die Tischplatte. Dann sah er sie wieder an. „Verlangt es Sie sehr nach Ruhe, oder können Sie noch eine halbe Stunde entbehren?“
Er hatte ihr seinen Umhang zurückgegeben und sie hinauf auf das Dach des Anwesens geführt. Am höchsten Punkt maß das Gebäude vier Stockwerke und bot bei Tageslicht mit Sicherheit einen beeindruckenden Ausblick auf die umliegende Landschaft. Jetzt, nach Einbruch der Dunkelheit, hatte dieser Punkt einen gänzlich anderen Charme.
„Ich habe so etwas damals auch für Draco eingerichtet“, erklärte er, nachdem er ein paar Zauber gesprochen hatte. „Das war noch in unserem alten Haus. Kurz bevor er nach Hogwarts ging, entdeckte er eine mir absolut unbegreifliche Faszination für die Sterne.“ Lucius schnaubte über das für ihn anscheinend unbegreifliche Interesse seines Sohnes, während er den Kopf in den Nacken legte und nach oben sah.
Hermine, die Dracos Interesse angesichts der Namenstradition der Black-Familie gar nicht so unbegreiflich fand, tat es ihm gleich und staunte einmal mehr über die Möglichkeiten der Magie. Die Nacht war – wie viele andere im englischen Herbst auch – alles andere als sternenklar. Wolkenberge türmten sich kilometerhoch übereinander und versprachen Regen und Hagel, vielleicht sogar die ersten Boten des nahenden Winters.
Nicht so jedoch über dem Dach des Malfoyschen Anwesens. Als stünden sie unter einer Käseglocke, hielten einige Zauber die Wolken fern und eröffneten einen atemberaubenden Blick auf den Nachthimmel. Und nicht nur das, die Magie holte ihnen die Sterne auch so dicht heran, dass Hermine farbenfrohe Staubschleier, irrwitzig geformte Nebel und ferne Galaxien erkennen konnte. Sie war für Minuten so gefesselt, dass sie mit offenem Mund hinauf starrte und kein Wort herausbrachte.
„Ich habe lange nicht mehr an diese Möglichkeit gedacht“, fuhr Lucius schließlich fort und steckte die Hände in die Taschen seines Umhangs. „Aber ich dachte mir, dass ein … neugieriger Geist wie der Ihre vielleicht auch Gefallen daran finden könnte.“
„Absolut!“, stimmte Hermine zu und warf ihm einen kurzen Blick zu. Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Warum machte er das für sie? Warum zeigte er ihr die Sterne?
„Sie sind nicht unwillkommen, Miss Granger“, beantwortete er ihr die ungestellten Fragen. „Doch das, was Sie am Hals tragen, erfüllt das gesamte Haus mit … kaltem Grauen.“
Sie sah ihn an und schluckte. Er sah blass aus im spärlichen Nachtlicht und es stand ein Zug um seine Augen, der sie erschreckte. Weil er so aufrichtig war, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Und weil sie nicht darüber nachgedacht hatte, was ihre Anwesenheit hier für ihn und seine Frau und vermutlich auch für die Hauselfen bedeuten musste. „Es tut mir leid.“
„Es ist nicht Ihre Schuld“, sagte Lucius. „Ich bin es, der dieses Grauen hierher gebracht hat. Schon bevor Sie überhaupt geboren waren. Deswegen ist es mir so wichtig, es endgültig zu beenden.“
Hermine lächelte. „Morgen haben Sie die Chance dazu.“
Chapter 12: Kapitel 6: Der Tag X – Teil I
Chapter Text
Hermine hatte noch immer die atemberaubenden Bilder des Weltraums vor Augen, als sie sich zum Schlafen umzog. Natürlich hatte auch sie als Kind eine Faszination für dieses Thema gehabt und ihre Eltern hatten nicht lange gezögert, ihr zu geben, was sie ihr ermöglichen konnten. Einen so lebensechten Einblick in die Materie, wie Lucius sie seinem Sohn eröffnet hatte, war es zwar nicht gewesen, doch entsprechende Literatur aus der Bibliothek und diverse Besuche in Planetarien hatten ihre Neugier damals wenigstens annähernd befriedigt.
Ein breites Lächeln stand auf ihren Lippen, als sie sich nun an den Asteroiden erinnerte, den sie durch einen Nebel hatte fliegen sehen – bis er auf einmal wie vom Erdboden verschluckt gewesen war.
„Schwarze Löcher“, hatte Lucius neben ihr gesagt und mit der Zunge geschnalzt.
Sie biss sich auf die Unterlippe, während sie das T-Shirt, das sie unter ihrem Pullover getragen hatte, ohne hinzusehen über die Stuhllehne hängen wollte. Erst verzögert wurde ihr bewusst, dass jemand es ihr abnahm. Hermine wirbelte erschrocken herum.
„Sunny!“, keuchte sie und presste eine Hand auf die Stelle ihrer Brust, hinter der ihr Herz heftig pochte. Etwas verzögert angelte Hermine nach ihrem Nachthemd und zog es sich über den Kopf.
„Entschuldigen Sie, Missus. Sunny wollte Sie nicht erschrecken.“ Die Elfe ließ die Ohren hängen und wartete offensichtlich auf ihre Strafe.
„Schon gut“, tat Hermine den kleinen Schrecken mit einer wegwischenden Bewegung ab. „Hast du etwas von Lonny erfahren?“, fragte sie stattdessen und setzte sich auf die Kante ihres Bettes.
Prompt knickten die Beine der Elfe ein und sie setzte sich auf ihre Beine. „Ja, Missus. Aber Sunny versteht nicht die Bedeutung.“
„Erzähl es mir trotzdem“, bat Hermine und rutschte vom Bett auf den Fußboden.
Sunnys Augen wurden groß und sie überlegte offensichtlich, wie sie sich nun noch tiefer stellen sollte. Sie beäugte den Boden, als wolle sie ihn dazu bringen, sie ein Stück hineinsinken zu lassen.
„Denk nicht mal dran, dich hinzulegen“, sagte Hermine mit schmalen Augen und beugte sich ein Stück vor. „Es ist richtig, genau so wie es ist.“
„Nein, Missus, das ist es nicht. Aber wenn Missus es wünschen, bleibt Sunny so.“
Hermine stöhnte. „Warum müsst ihr eigentlich immer alles, was man tut, zu einem Befehl verdrehen?“
„Hat Sunny etwas … falsch … gemacht?“ Sie sprach das böse Wort so leise aus, dass Hermine es kaum verstehen konnte. Ein Schaudern lief durch ihren Körper.
„Nein, Sunny, du hast nichts falsch gemacht“, entgegnete Hermine seufzend. „Erzähl mir von Lonny.“
„Natürlich, Missus.“ Sunny schluckte schwer an dem Vertrauensbruch. „Lonny hat Sunny nicht erklärt, was es bedeutet. Aber Lonny hat große Augen gemacht. Muss wichtig sein.“
„Was was bedeutet?“, hakte Hermine nach und runzelte die Stirn.
„Du verstehst es nicht, hat er zu ihr gesagt.“
„Wer? Lonny?“ Hermine war verwirrt.
„Nicht Lonny, Master Malfoy!“ Ihre Augen wurden so groß wie Handteller.
„Zu wem hat er das gesagt?“
„Zu Mistress Malfoy. Lonny hat es gehört. Du verstehst es nicht und ihre ist der meinen so ähnlich wie keine andere jemals zuvor.“
Ein kleiner Adrenalinstoß durchfuhr Hermine. „Und weiter?“
„Kein weiter, Missus. Dann hat Mistress Malfoy Lonny gesehen und Master Malfoy hat nicht weiter geredet.“ Sie sank enttäuscht auf ihre Füße zurück; trotz ihres pflichtbewussten Charakters schien sie irgendwo tief in sich doch eine Frau zu sein. „Sunny versteht nicht den Sinn.“
„Ich … auch nicht“, murmelte Hermine abwesend und war froh, dass eine Hauselfe sie niemals der Lüge bezichtigen würde. Denn sie hatte eine ziemlich gute Ahnung, was Lucius gemeint hatte. Sie fragte sich nur, woher Lonny so viel über Auren wusste, dass er die Bedeutung dieser Worte verstand.
Das Frühstück am nächsten Morgen fand ohne Narcissa statt. Hermine verbarg ihr Erstaunen darüber, so gut es ihr möglich war. Was nicht besonders gut war. Man konnte ihr viel zu viel an der Nasenspitze ablesen.
Erschwerend kam hinzu, dass sie Lucius plötzlich mit anderen Augen sah. Sie hatte kaum schlafen können letzte Nacht, was nur bedingt an ihrem heutigen Vorhaben gelegen hatte. Jetzt beobachtete sie ihn verstohlen, von unten herauf und durch die Haarsträhnen, die sie sich absichtlich nicht aus dem Gesicht gebunden hatte. Wann immer sie sein Gesicht betrachtete, sah er zum Glück gerade woanders hin.
Ihr Wissen über die Magie der Auren war noch immer lückenhaft; sie wusste nur, was Lucius ihr erzählt hatte, da er ihr keine Literatur darüber zur Verfügung gestellt hatte (von dem Buch, das sie sofort wieder hatte vergessen sollen, einmal abgesehen). Doch sie hatte verstanden, dass ähnliche Auren auf ähnliche Menschen schließen ließen. Oder zumindest auf zueinander passende Menschen. War sie Lucius Malfoy, einem Mann, der sich dem Bösen verschrieben und dafür getötet hatte, wirklich so ähnlich, dass ihre Aura der seinen glich? War sie selbst – von der Kette an ihrem Hals einmal abgesehen – so böse?
Oder war er es nicht?
In diesem Moment erwischte er sie dann doch und zog eine Augenbraue hoch. Sie sog scharf die Luft ein. „Wo ist Ihre Frau?“, fragte Hermine, bevor er etwas sagen konnte.
„Zum Brunch verabredet“, entgegnete er. „Sie hat das Haus bereits verlassen.“
Hermines Blick flog zur Uhr. Es war kurz vor neun. „Ein ziemlich zeitiger Brunch“, murmelte sie leise und biss von ihrem Toast ab.
Obwohl sie überzeugt war, dass Lucius ihren Einwand verstanden hatte, antwortete er nicht darauf. Stattdessen hob er das Kinn ein Stück an und wandte den Blick aus dem Fenster zu seiner Linken. Im fahlen Licht der Wintersonne sah er noch blasser aus als sonst.
Wie seine Haut sich wohl anfühlte? Sie sah aus, als wäre sie aus Marmor.
Hermine zuckte unmerklich zusammen, als sie sich ihrer Gedanken bewusst wurde, und senkte den Blick auf ihren Toast. Ihr Herz schlug schneller und sie versuchte wirklich, woanders hinzusehen. Aber ihr Blick wanderte wieder nach oben, als würde er von ihm magnetisch angezogen werden. Diesmal sah er sie aus schmalen Augen an.
„Könnten Sie bitte aufhören, mich anzustarren?“, zischte er und Hermine wandte den Blick ab. Hitze stieg ihr in die Wangen.
„Entschuldigung.“ Als sie nach ihrer Kaffeetasse griff, kippte sie sie beinahe um. Das Klirren war so laut, dass sie die Zähne aufeinander biss. Als würde das irgendwie helfen.
Daraufhin beendete er sein Frühstück und stand auf. „Ich erwarte Sie in einer halben Stunde reisefertig am Kamin.“ Er ging an ihr vorbei aus dem Raum und nachdem ein Hauself eilig sein Geschirr abgetragen hatte, war es, als wäre er nie hier gewesen. Nicht mal ein Geruch lag in der Luft.
Hermine seufzte leise und rieb sich über die Augen. Hatte sich das, was Lonny gehört hatte, wirklich auf ihre Aura bezogen? Er musste sich getäuscht haben. Lucius war offensichtlich nicht interessiert an ihr, sondern nur an der Zerstörung der Kette. Und vielleicht war das auch alles, was sie miteinander gemein hatten: Den Einfluss schwarzer Magie auf ihr Leben.
In ihrem Magen kitzelte es, als sie daran dachte, was sie später tun würden. Sie schob den Teller von sich und stand auf. Ihr war der Appetit vergangen.
Hermine stand bereits am Kamin, als Lucius eintraf. Er trug einen feinen schwarzen Umhang, der seine Statur um einiges breiter wirken ließ, als sie wirklich war. Nachdem sie ihn inzwischen ein paar Mal im Hemd gesehen hatte, fiel ihr das besonders auf. An seinen Ärmeln blitzten silberne Manschettenknöpfe und die Haare waren wieder mit einem breiten schwarzen Band zusammengebunden.
Er räusperte sich vernehmlich. Als Hermines Blick zurück zu seinem Gesicht glitt, sah er sie verstimmt an. „Ist mein äußeres Erscheinen der Dame genehm?“
Hermine spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. „Natürlich“, murmelte sie. „Mir war nur nicht bewusst, dass wir Voldemort in unserer Sonntagskleidung in den schwarzmagischen Hintern treten würden.“ Sie blickte achselzuckend an sich herab, auf den alten Umhang, der schon mehr grau als schwarz war, die Jeans, die stellenweise hervorblitzte, und die alten Turnschuhe, die zwar bequem, aber alles andere als fein waren. Sie hatte es nicht für nötig gehalten, sich an diesem Tag herauszuputzen.
„Wenn das Ihre Montagskleidung ist …“, sagte er und musterte sie auf eine Art, die Hermine durch und durch ging. „… dann besitze ich nur Sonntagskleidung.“ Er wandte sich dem Kamin zu. „Wie dem auch sei, mir genügt es, dass Sie nicht nackt sind.“
„Ich zog das in Erwägung, fand es aber etwas frisch heute und habe deswegen darauf verzichtet“, entgegnete Hermine lakonisch und trat hinter ihn.
Er sah sie überrascht an und dass sie seinen Blick ungerührt erwiderte, schien ihm nicht zu gefallen. „Schön, dass Ihnen nach Scherzen zumute ist, Miss Granger. Ich hatte befürchtet, Atemübungen mit Ihnen machen zu müssen.“
„Danke, atmen kann ich. Aber Ihr Sohn hatte so seine Schwierigkeiten. Er musste sich im Nebenraum hinlegen, als Ihr Enkel geboren wurde. Vielleicht sollten Sie einmal mit ihm üben“, sagte sie, während er nach der Schale mit dem Flohpulver griff.
Sein Blick war gleichzeitig eiskalt und heiß vor Wut. „Beeilen Sie sich!“, zischte er. Wenige Sekunden später war er verschwunden.
„Als ob man im Flohnetzwerk trödeln könnte“, murmelte Hermine seufzend, aber ihre Wangen waren warm. Sie nahm mehr von dem feinen grünen Pulver, als nötig gewesen wäre und bereute das, als sie mit solcher Wucht im Ministerium aus dem Kamin stolperte, dass sie direkt in Lucius' Armen landete. Sie wich zurück, als hätte sie sich an ihm verbrannt, und strich ihren Umhang glatt.
Er holte scharf Luft und von der sanften Art, mit der er sie im Labor gestützt hatte, war nichts mehr übrig. „Reißen Sie sich zusammen!“, sagte er und wandte sich in die entgegengesetzt Richtung.
Hermine sparte sich eine Antwort; sein Verhalten war so typisch für ihn, dass jedes Wort daran verschwendet gewesen wäre. Sie verbarg ihre Enttäuschung hinter einem gereckten Kinn und folgte ihm durch die Gänge des Ministeriums.
Sie trafen Kingsley Shacklebolt vor dem Eingang zur Mysteriumsabteilung. Ihn in einem schlichten schwarzen Umhang zu sehen, war ungewohnt. Seit der Zeit des Ordens hatte sie ihn nur noch als Zaubereiminister bei offiziellen Anlässen oder in der Zeitung gesehen und die Umhänge, die er dabei zu tragen pflegte, entsprachen vermutlich dem, was Lucius als Kleidung für feierliche Anlässe bezeichnen würde. Harry hatte so was nicht mal auf seiner Hochzeit getragen.
Er lächelte, als er sie erkannte und streckte ihr die Hand entgegen. „Hermine Granger“, sagte er und es klang, als hätte er mit jemand anderem gerechnet.
„Kingsley Shacklebolt“, antwortete sie in demselben Tonfall. Sie freute sich nach der Zeit in Malfoy Manor wirklich, jemanden aus dem Orden wiederzusehen – auch wenn sie ihm damals kaum einmal über den Weg gelaufen war. „Sie sind in Ihrer Montagskleidung kaum wiederzuerkennen“, sagte sie und beobachtete Lucius aus dem Augenwinkel. Er presste die Lippen aufeinander.
Kingsley verzog das Gesicht. „So soll es sein. Ich bin zwar Zaubereiminister, aber die Unsäglichen haben es trotzdem nicht gerne, wenn man sich hier herumtreibt.“
„Wir werden uns so wenig wie möglich herumtreiben“, versprach Hermine.
„Ich bitte darum“, entgegnete er mit einem Lächeln. Dann wurde sein Blick wieder ernst, er runzelte die Stirn. „Darf ich?“, fragte er und deutete auf die Kette, die halb aus dem Ausschnitt von Hermines T-Shirt hervor lugte.
Sie griff danach und hielt ihm den Anhänger entgegen, soweit es mit der sich sofort zusammenziehenden Kette möglich war. Er nahm das Schmuckstück in die Hand und betrachtete es mit verkniffener Miene. „Nicht zu fassen“, murmelte er schließlich.
„Nicht loszuwerden trifft es eher.“ Hermines Blick glitt an ihm vorbei und traf auf Lucius. Er stand noch immer schweigend neben ihnen, hatte jedoch mittlerweile die Arme vor der Brust verschränkt. „Ich denke, wir sollten dann mal“, beendete Hermine deswegen die kurze Unterhaltung und verbarg die Kette wieder unter ihrer Kleidung.
„Ja“, stimmte Kingsley widerstrebend zu und wandte sich zu Lucius um. „Lucius!“, sagte er knapp und die Herzlichkeit, mit der er Hermine begegnet war, gefror zu Eis.
„Nur keine falsche Eile“, entgegnete dieser, „ich organisiere euch auch gerne noch eine Tasse Tee.“
„Danke, nein. Aus deiner Hand wird er mit Sicherheit bitter“, entgegnete Kingsley und verschaffte sich mit Hilfe seines Zauberstabes Zugang zur Mysteriumsabteilung.
Hermine blinzelte irritiert über das Du und blickte neugierig zu Lucius hinauf, doch seine Miene war ausdruckslos. Er bedeutete ihr lediglich vorzugehen.
Als Hermine den runden Raum mit den vielen Türen betrat, schauderte sie unwillkürlich. Erinnerungen an die Nacht am Ende ihres fünften Schuljahrs stiegen in ihr auf. Damals hatte sie die Mysteriumsabteilung in ziemlich desolatem Zustand wieder verlassen. Ein kleiner Adrenalinstoß durchfuhr sie, als ihr einfiel, wer damals dafür gesorgt hatte, dass sie wieder gesund wurde: Severus Snape. Sie schluckte.
„Ich werde hier auf euch warten“, erklärte Kingsley, nachdem er die Eingangstür hinter sich geschlossen hatte.
Hermine wurde schwindelig, als die Türen zu rotieren begannen. Dennoch hätte sie nicht damit gerechnet, Lucius' Hand in ihrem Rücken zu spüren. So unauffällig, dass Kingsley es gar nicht bemerkte. Sie zwang sich, nicht zu ihm aufzuschauen.
„Solltet ihr Hilfe brauchen, schickt einen Patronus.“
„Was auch sonst?“, entgegnete Lucius. „Welche Tür ist die richtige?“ Er sah sich mit schmalen Augen um.
„Diese dort.“ Kingsley deutete an Hermines linker Schulter vorbei zu einer Tür, die genauso aussah wie alle anderen auch. Nichts, aber auch wirklich gar nichts war anders. Trotzdem kam sie überhaupt nicht auf die Idee, an seiner Anweisung zu zweifeln. „Passt auf euch auf!“
Sie schenkte dem Zaubereiminister ein Lächeln, ehe sie Lucius folgte. Seine Schritte auf dem gefliesten Boden hallten laut von den Wänden wider.
Dieses Mal ging Lucius als erstes durch die Tür, sah sich nach links und rechts um und wies Hermine mit einem Kopfnicken an hineinzugehen. Für einen Moment überlegte sie, was er denn in diesem Raum zu finden befürchtet hatte, aber vielleicht waren seine Erinnerungen an die Nacht hier unten auch nicht die besten.
Sie blieb nicht stehen, um auf ihn zu warten, sondern schritt forsch den schmalen Gang zum Raum des Todes entlang. Der Raum war in der Zaubererwelt das gewesen, was für die Muggel der Richtplatz gewesen war. Bevor man darauf umgestiegen war, die zum Tode verurteilten den Dementoren auszuliefern, hatte man sie durch den Schleier gestoßen. Niemand wusste, wie es war, auf diese Art zu sterben. Und da die Dementoren einem zwar die Seele nahmen, einen jedoch nicht kaltblütig umbrachten, hatte das Ministerium sich vor etwa einhundert Jahren dazu entschieden, die Methoden zu ändern.
Dennoch strahlte der Raum etwas Unheimliches aus. Die Bänke an den Wänden, die als Tribünen für die Schaulustigen errichtet worden waren, das stumme Flattern des Vorhangs in der Mitte, die drückende Stille. Hermine fröstelte. Als würden tote Hände nach ihr greifen.
Sie steuerte auf den ersten Platz in der Nähe der Tür zu und zog sich den Umhang von den Schultern. Mit der Akribie eines Häftlings, der zum Schafott geführt werden sollte, legte sie den abgenutzten Stoff zusammen und strich abschließend noch einmal über die Falten.
Lucius wartete ihr Tun ungeduldig ab und dennoch schlug Hermine das Herz bis zum Hals, als sie sich zu ihm umdrehte. Er hatte seinen Umhang nicht abgelegt, doch die unnahbare, eiserne Miene hatte sich ein kleines bisschen aufgelockert. „Sind Sie bereit?“, fragte er mit dunkler Stimme.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, bin ich nicht. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr.“
„Benötigen Sie doch Atemübungen, Miss Granger?“, fragte er.
Sie schnaubte. „Nein. Sterben krieg ich auch so hin.“ Ohne ihn weiter zu beachten, ging sie auf den Schleier zu und umrundete ihn im Abstand von einem Meter. Sie spürte weder einen Luftzug, noch hörte sie den dünnen Stoff flattern. Nur ein leises Wispern drang an ihre Ohren. Der Torbogen entzog sich jedem Verständnis. Niemand wusste, wie er erschaffen wurde, wohin er führte und was tatsächlich passierte mit jenen, die hineinfielen. Würde es nicht ihren Tod bedeuten, wäre sie gerne hindurch gegangen, nur um Antworten auf all ihre ungestellten Fragen zu bekommen.
„Hat das Tragen dieser Kette eigentlich meine Aura verändert?“
Lucius schien überrascht von ihrer Frage. Er schwieg ein paar Sekunden, ehe er sagte: „Das hat es.“
„Wie sieht sie aus?“
Sein Blick glitt fort von ihrem Gesicht, scheinbar in den leeren Raum, der sie umgab. Es war nur schwer vorstellbar, dass er etwas betrachtete, das sie umgab und das sich dennoch größtenteils ihrer Kenntnis entzog. „Dumpf, durchzogen von Grau und … sehr verängstigt.“
Sie schluckte. „Und wie sah sie früher aus?“
Lucius runzelte die Stirn, während er sich zu erinnern versuchte. „Als ich Sie das erste Mal sah, war Ihre Aura schillernd und hell. Sie hat pulsiert vor Energie. Und vor Angst.“ Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen.
Hermine spürte eine eigentümliche Trauer in sich aufsteigen. Seiner Beschreibung nach zu urteilen, hatte sie etwas verloren, das sie zwar niemals gekannt, dafür aber umso mehr geliebt hatte. „Wird sie jemals wieder so werden wie früher?“
Er neigte ein bisschen den Kopf zur Seite. „Auren verändern sich, wenn man heranreift. Jede Erfahrung verändert sie. Auch ohne die Magie des Dunklen Lords würde sie heute nicht mehr so aussehen wie damals, als sie noch ein Kind waren.“ Er unterbrach sich einen Moment lang und als er weitersprach, klang er anders. Weicher vielleicht. Auf jeden Fall weniger belehrend. „Ich denke, das Schillern und Pulsieren wird zurückkehren, sobald Sie sich erholt haben. Doch das Grau wird bleiben.“
Hermine nickte kurz, dann sah sie wieder den Schleier an. „Wir könnten Voldemort viel einfacher aus dem Weg schaffen, wenn ich zusammen mit der Kette durch diesen Vorhang gehen würde“, stellte sie nüchtern fest.
„Nur zu“, sagte Lucius, „ich werde Sie nicht aufhalten. Aber geben Sie mir ausreichend Zeit, um Shacklebolt aus dem Weg zu räumen. Er würde Ihren Tod bei dieser Sache als Anreiz sehen, meinen Prozess neu aufzurollen.“ Aus seiner Stimme sprach eine zarte Ironie, die Hermine unwillkürlich lächeln ließ.
„Diese Möglichkeit wird immer attraktiver“, flötete sie unschuldig. Er sagte nicht dazu, gab nur ein Zischen von sich und als Hermine sich zu ihm umwandte, stand ein verdrossener Ausdruck um seinen Mund. „Ich denke, wir bleiben besser beim alten Plan. Ich will sehen, wie der elende Bastard zugrunde geht.“
„Gute Entscheidung“, stimmte er zu und hielt ihr die Phiole mit dem Gift entgegen.
Sie entkorkte die kleine Flasche und hob sie bereits an ihre Lippen, als sie noch einmal stockte. Sie sah ihm in die Augen. „Wie viele Menschen hast du schon sterben sehen, Lucius?“
Er zog eine Augenbraue hoch, vielleicht weil sie ihn einfach duzte, vielleicht weil sie mit ihrer Frage zu weit gegangen war. Aber dann reckte er das Kinn und sagte: „Sechzehn.“ Unter seinem Auge zuckte ein Muskel.
Hermine schluckte. Sie klang heiser, als sie weiter fragte: „Und wie viele davon sind durch deine Hand gestorben?“
„Fünf.“
Sie schnaubte leise. „Hoffen wir, dass heute nur ein weiterer dazukommt.“ Dann setzte sie die Phiole an ihre Lippen und leerte sie in zwei großen Schlucken.
Hermine hatte diese Tunnelgeschichte immer belächelt. Obwohl es wissenschaftliche Erklärungen für dieses Phänomen gab, hatte sie sich nie vorstellen können, dass es wirklich so sein würde. Und zumindest für sie war es das auch nicht. Das einzige Licht, das sie sehen konnte, war das im Raum des Todes, das durch einen schmalen Spalt zwischen ihren Augenlidern drang.
Als sie wieder lebendig genug war, um etwas Kontrolle über ihre Muskeln zu erlangen, zwang sie sich, diesen Spalt zu vergrößern und sah einen verschwommenen hellen Fleck über sich auftauchen. Im nächsten Moment verschwand er wieder, sie hörte etwas klirren und spürte kurz darauf etwas Hartes, Kühles an ihren Lippen.
Das musste der Stärkungstrank sein, den Lucius ihr nach dem Gegengift geben sollte. Das Klirren war vermutlich die erste leere Phiole auf dem harten Boden gewesen. Sie öffnete ihren Mund ein Stück und hieß die wohltuende Wirkung des Trankes willkommen. Ein leises Stöhnen entrang sich ihrer Kehle, nachdem sie den letzten Schluck genommen hatte.
„Verbirg deine Aura und beweg dich nicht vom Fleck“, wies Lucius sie an. Erst als er diese Worte sprach, wurde ihr ein durchdringendes Sirren bewusst, das mal mehr, mal weniger laut aus allen Richtungen auf sie einzuwirken schien.
„Hat es geklappt?“, fragte sie schleppend.
„Hat es. Und jetzt musst du dich zusammenreißen, hörst du?“ Er festigte seinen Griff um ihre Schultern. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er sie stützte.
„Okay“, murmelte sie etwas verzögert und fand sich dann wie eine Puppe gegen eine der Bänke gelehnt. Ihre Arme gehorchten ihrem Willen noch nicht und rutschten an ihrem Körper hinab. Sie war so sehr damit beschäftigt, das hohe Sirren irgendwie auszublenden und wieder Kontrolle über sich zu bekommen, dass sie über eine sanfte Berührung an ihrem Gesicht zusammenzuckte und den Kopf hoch riss. Doch da war es schon wieder vorbei und sie sah nur noch, wie Lucius auf die Beine kam, den Schutzzauber verließ und in Richtung des Schleiers lief.
Der Stärkungstrank entfaltete nur langsam seine Wirkung. Hermine musste die Augen schließen, um ihre Aura vollständig verbergen zu können und vergaß darüber sogar ab und an das Atmen, bis der Reflex ihres Körpers sie nach Luft schnappen ließ. Jedes Mal, wenn sie glaubte, es geschafft zu haben, und vorsichtig die Augen öffnete, entwischte ihr ihre Aura wieder.
„Verdammt“, keuchte sie leise und verzog vor Anstrengung das Gesicht.
Aber sie hatte gesehen, was sie all die Jahre um ihren Hals getragen hatte. Eine schwarze Wolke aus fluoreszierender Magie, die sich manchmal in alle Richtungen auszudehnen schien, ehe sie sich wieder zu einem kleinen Ball zusammenzog. Sie verursachte das Sirren und strahlte so viel Macht aus, das ihr regelrecht schwindelig davon wurde.
„Deine Aura, Hermine!“, rief Lucius und es klang, als wäre er hunderte Meter weit weg, während das Sirren immer lauter wurde. Erschrocken riss sie die Augen auf und sah, wie ein schwarzer Ball direkt auf sie zugeschossen kam. Der Schutzzauber hatte sich aufgelöst.
Hermine schrie überrascht auf und wehrte sich instinktiv, indem sie ihren Verstand verschloss und die Hände vors Gesicht zog. Sie verschwendete keinen Gedanken an ihre Aura und daran, dass Okklumentik keine Lösung war. Eigentlich hatte sie überhaupt keine Gedanken mehr, sie reagierte nur noch.
Das, was von Voldemort übrig geblieben war, fiel über sie her wie ein tollwütiger Hund. Es griff sie von allen Seiten an, die es erreichen konnte, und jede Berührung mit ihrem Körper schmerzte wie ein Biss. Hermine kippte zur Seite und rollte sich zusammen wie ein Embryo im Mutterleib. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Macht des schwärzesten Magiers ihrer Zeit einsah, dass es Verschwendung wertvoller Zeit war, sie weiter zu traktieren. Ihre Okklumentikkünste waren zu ausgefeilt, als dass er ihnen in seinem Zustand etwas entgegenzusetzen hätte.
Hermines atmete heftig, während sie mit den Armen über dem Kopf auf auf den nächsten Angriff wartete. Erst als sie ein triumphierendes Lachen von Lucius hörte, wagte sie es, einen Blick zu riskieren. Hatte er es geschafft? War es vorbei?
Sie wimmerte, als sie feststellte, dass es ihm nur gelungen war, seinen früheren Meister an der Nase herumzuführen. Er befand sich im Moment in der falschen Position zum Schleier, stand daneben und nicht davor.
Doch Lucius schien trotz allem eine perfide Freude an dem Spiel zu haben. Er tänzelte leichtfüßig auf und ab und spielte mit seiner Aura wie mit einem Jo-Jo. Hermine spürte die Wirkung, ebenso wie Voldemorts Macht es spürte. Er schien vor ihren Augen zu verblassen, in weite Ferne zu rücken, wenn er seine Aura verbarg. Und er blühte regelrecht auf, wenn er sie wieder losließ. Gerade so als wäre er von einem Sonnenstrahl getroffen worden.
Der schwarze Ball tanzte nach seiner Pfeife wie eine Schlange den Befehlen ihres Beschwörers folgte. Er schwebte vor und zurück, trieb zu Lucius, wenn dieser seine Aura zeigte, und wollte sich wieder auf Hermine stürzen, wenn er es nicht tat.
Nachdem sie das Schauspiel einige Minuten lang beobachtet hatte, war Hermine wieder ausreichend bei Kräften, um sich in eine sitzende Position zu stemmen. Ihr Herzschlag begann heftig zu galoppieren über diese Anstrengung, so dass sie einen Moment im Sitzen pausierte. Dann zwang sie sich aufzustehen. Sie hatten das geübt, sie konnte aufstehen. Und sie brauchten zwei Positionen, um dieses Spiel gewinnen zu können.
Zuerst noch etwas wackelig auf den Beinen, aber dann immer standfester ging sie auf den Schleier in der Mitte des Raumes zu und hob die Hand, damit Lucius auf die aufmerksam wurde. „Ich mach mit“, erklärte sie mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen und stützte sich kurz auf ihren Knien ab.
Er zögerte nur einen kleinen Moment, dann nickte er. Hermine bemerkte, dass er seine Aura verbarg, und Voldemort orientierte sich um. Die fluoreszierende Masse flog einen Bogen um den Schleier und steuerte direkt auf sie zu. Hermine ballte die Hände zu Fäusten und zwang ihrer Aura ihren Willen auf. Das schlüpfrige Ding schnappte unter ihre Haut, als ihr Gegner gerade noch fünf Meter entfernt war. Sofort verlor er die Orientierung und schwebte um Haaresbreite an ihr vorbei.
Beinahe zeitgleich zog Lucius die Aufmerksamkeit wieder auf sich, sowohl Voldemorts als auch Hermines. Der Effekt, den dieses plötzliche Offenbaren seiner Aura hatte, war einfach großartig. Sie atmete heftig aus und spürte sich lächeln.
Ihr Lächeln verblasste allerdings, als sich auf der anderen Seite des Schleiers das Spiel von eben wiederholte. Lucius' Aura verschwand und Voldemort flog an ihm vorbei. Sie war wieder an der Reihe.
Einige Male hetzten sie den sirrenden Ball auf diese Art quer durch den Raum des Todes, doch er kam dem Schleier niemals nahe genug, um auch nur annähernd in Gefahr zu geraten.
„Es muss schneller gehen!“, rief Hermine quer durch den Raum, die Stirn gerunzelt. Zwar hatte sich die Schwäche ihres kurzzeitigen Ausflugs ins Jenseits vorerst verflüchtigt, aber dieses Beherrschen ihrer Aura kostete Kraft. Sie würden das nicht ewig spielen können und die Magie Voldemorts hatte definitiv mehr Kraft als sie.
Lucius nickte.
In den darauf folgenden Minuten schnellte Voldemorts Macht zwischen ihnen hin und her wie ein Tischtennisball. Unglücklicherweise ließ er sich auch von der angezogenen Geschwindigkeit nicht dazu verleiten, den direkten Weg zu nehmen und durch den Schleier zu fliegen. Er sauste entweder seitlich daran vorbei oder knapp darüber hinweg.
Hermine stieß einen frustrierten Laut aus, als er sie wieder einmal austrickste. Dann kam ihr ein neuer Gedanke und sie ging mehrere Schritte auf den Schleier zu. Lucius beobachtete es auf der anderen Seite skeptisch, doch als er sah, dass der schwarze Ball Probleme hatte, bei seiner momentanen Geschwindigkeit von Hermines Seite aus einen ausreichend großen Bogen zu fliegen, tat er es ihr gleich.
„Große Geschwindigkeit und wenig Platz …“, murmelte sie mit verbissener Miene. Sie hatte derweil einen Rhythmus mit Lucius gefunden, in den sie sich perfekt eingespielt hatten. Sie musste nicht mehr darauf achten, ob er seine Aura gerade verbarg oder nicht. Sie konzentrierte sich nur noch auf diesen Rhythmus, so wie ein Schlagzeugspieler es vielleicht tun würde. Zeigen – verbergen – zeigen – verbergen. Schon nach wenigen Minuten hatte sie es so verinnerlicht, dass sie sich nebenbei auf anderes konzentrieren konnte.
Ihre Blicke folgten dem Bastard, der sie jahrelang gequält hatte. Sie stellte sich so angestrengt vor, wie er sich durch den Schleier stürzte, dass allein ihre Willenskraft ihn schon beinahe dazu hätte zwingen müssen. Aber natürlich tat sie das nicht.
Dafür glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen, als die sirrende Macht plötzlich aufhörte, auf ihr Wechselspiel zu reagieren. Hermines Herz stolperte, als sie beobachtete, wie Lucius von einem schwarzen Nebel umhüllt wurde. „Lucius!“, rief sie entsetzt und entblößte instinktiv ihre Aura, ohne dass Voldemorts Magie Interesse daran zeigte.
„Mach weiter!“, rief er.
„Ich finde den Rhythmus nicht.“ Sie hatte für kurze Zeit aufgehört und bei dem Tempo, das sie zum Schluss gehabt hatten, konnte sie beim besten Willen nicht mehr sagen, wann sie an der Reihe war, Voldemort anzulocken.
Sie hörte ihn fluchen und ein zentnerschweres Gewicht fiel in ihren Magen. Sie hatte es verpatzt.
Hermines Gedanken rasten, während sie den Wirkungen des Adrenalins in ihrem Körper Herr zu werden versuchte. „Wir müssen ihn zu mir locken“, murmelte sie. Und lauter: „Verbirg deine Aura, Lucius!“ Sie wusste nicht, ob er ihrer Aufforderung Folge leisten würde, doch sie offenbarte sich Voldemort in ihrer ganzen Pracht – sofern man dumpf, grau und verängstigt denn als prachtvoll bezeichnen konnte. Sie dehnte ihre Aura aus, so gut sie es konnte.
Und es schien zu funktionieren. Der Nebel zog ab und bewegte sich direkt auf sie zu – bis er es plötzlich nicht mehr tat. Das Sirren zog an, als die Macht sich wieder zu dem kleinen Ball konzentrierte und sich offenbar nicht mehr durch etwas so simples wie eine verborgene Aura aufhalten lassen wollte. Er schoss mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit auf Lucius zu, von dem Voldemort anscheinend einfach wusste, dass er da war. Vielleicht band das Dunkle Mal Lucius immer noch stark genug an Voldemorts Magie, dass er ihn darüber erspüren konnte.
„Nein!“, keuchte Hermine, die Augen so groß wie Handteller. Sie streckte ihre Arme aus, als könne sie so aufhalten, was zu geschehen drohte. Doch anstelle ihres Körpers sandte sie etwas anderes, um Lucius zu helfen.
Sie hätte später nicht mehr sagen können, wie sie es gemacht hatte, doch ihre Aura dehnte sich aus wie ein Luftballon, weiter als jemals zuvor. Als Hermine verstand, was sie tat, formte sie instinktiv eine Art Arm daraus, der sich um den Schleier wand und Lucius in sich aufnahm, bevor Voldemort ihn erreicht hatte. Sie sah, wie er kurz stolperte und beinahe das Gleichgewicht verlor, dann sah er sie entsetzt an. „Das war eine sehr dumme Entscheidung“, hörte sie ihn sagen.
Aber Hermine nahm ihn kaum wahr. Sie war damit beschäftigt, sich Voldemort vom Hals zu halten. Denn ihre ausgedehnte Aura war natürlich auch wesentlich auffälliger. Die fluoreszierende Macht dehnte sich wieder zu dem Nebel aus und umhüllte sie. Hermine schaffte es gerade noch, ihren Verstand zu verschließen. Und – wie sie gehofft hatte – schützte sie damit auch Lucius.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er um den Schleier herumlief, ohne sich aus ihrer Aura zu bewegen. Nach wenigen Augenblicken stand er neben ihr und stützte ihren vor Anstrengung bebenden Körper. „Irgendwelche Ideen?“, fragte sie.
Sein Atem ging so schnell, dass sie ihn sogar über das Sirren hinweg hören konnte. Sein Körper strahlte enorme Hitze ab. Doch wenn sie nicht bewusst auf ihn achtete, war es, als ob er gar nicht da wäre. „Vielleicht …“, murmelte er nach einigen Sekunden und griff in ihren Ausschnitt.
Hermine kiekste überrascht, dann verstand sie. Die Kette. Sie stieß seine Hand zur Seite und griff selbst danach, zog sie sich über den Kopf.
„Sie ist so etwas wie sein Zuhause. Mach ihn darauf aufmerksam und wirf sie durch den Schleier. Vielleicht folgt er ihr.“
„Meinst du wirklich, das klappt?“ Ihre Stimme versagte, als sie von einem heftigen Schwindel erfasst wurde und in die Knie ging. Lucius war so abgelenkt, dass er es nicht schaffte, sie aufrecht zu halten. Stattdessen hockte er sich mit ihr auf den glatten, kühlen Boden der Halle.
„Ich hoffe es“, knurrte er.
Hermine lehnte sich etwas gegen ihn, fühlte sich sonderbar eng verbunden mit ihm in ihrer Aura. Als wäre er … ein Teil von ihr. Die Wärme seines erhitzten Körpers floss durch ihren Rücken und gab ihr die Kraft, die Hand mit dem Amulett zu heben. „Hey!“, rief sie schwach, während ihr Blick über den grauen Nebel wanderte, der ihre Aura umgab. Voldemort schaffte es nicht, diese Hürde zu überwinden, denn ihre Okklumentik war nach all den Jahren der Übung in diesem konzentrierten Zustand absolut dicht.
„Stoß ihn mit deiner Aura ein Stück weg, sonst bekommst du seine Aufmerksamkeit nicht“, wies Lucius sie an, ganz dicht neben ihrem Ohr. Sein warmer Atem strich über ihren Hals, Hermine schauderte.
Sie schloss kurz die Augen, ehe sie nickte und tat, was er gesagt hatte. Sie bildete eine Art Keil aus ihrer Aura, der die dunkle Macht ein Stück wegschob. Dann zog sie sie zurück und Voldemort reagierte tatsächlich so, wie sie es gehofft hatten: er ballte sich zusammen und schwirrte von einer Seite zur anderen.
Sie hob erneut die Kette in die Höhe und ließ sie vor ihrem Gegner pendeln. „Willst du sie?“, fragte Hermine süßlich, als sie sah, dass der Ball seine Bewegungen an die der Kette anpasste. Hin und her, hin und her. Er war wie hypnotisiert von dem Kristall, zu dem er noch immer eine starke Verbindung zu haben schien.
„Dann hol sie dir!“, ätzte Hermine schließlich, holte aus und warf die Kette direkt durch den Schleier. Um ihre Chancen auf Erfolg zu erhöhen, dehnte sie ihre Aura ein weiteres Mal aus, formte damit eine Art Baseballhandschuh, in dem Voldemort lag, und schob ihn direkt auf den Torbogen zu.
Mit weit aufgerissenen Augen und stockendem Atem beobachtete Hermine, wie die schwarze Magie dem Schub ihrer Aura nachgab und der Kette folgte. Im letzten Moment versuchte sie noch, einen Schlenker um das Tor zu ziehen, doch es war zu spät. Das Sirren hob zu einer beinahe unerträglichen Frequenz an, hielt diese für quälende Sekunden und erstarb dann urplötzlich.
Stille legte sich über den Raum des Todes. Hermine ließ die angehaltene Luft aus ihren Lungen entweichen und sackte erschöpft nach hinten.
Chapter 13: Kapitel 6: Der Tag X – Teil II
Chapter Text
Lucius gönnte ihr ganze zehn Minuten, um für die Begegnung mit Kingsley Kraft zu sammeln. „Ich wäre dir äußerst dankbar, wenn es nicht so aussehen würde, als hätte ich dich umgebracht“, informierte er sie, als er ihren Umhang von den Tribünen holte.
„Hast du aber“, entgegnete Hermine lakonisch. In ihrem Körper summte noch immer der Triumph, den sie eben errungen hatte. Sie konnte kaum die Finger von ihrem Hals nehmen, weil sie einfach nicht fassen konnte, dass die verdammte Kette weg war.
Dann überkam sie ein plötzlicher, heftiger Schmerz. Hermine schrie entsetzt auf und versteifte sich. „Was ist das?“, keuchte sie.
Lucius drehte sich auf halbem Weg zu ihr um und kam ein paar Schritte zurück. Der Schmerz erstarb so abrupt, wie er gekommen war. „Es ist deine Aura“, erklärte er. „Du musst sie ausdehnen, damit ich darin bleibe.“ Er wartete ab, bis sie seiner Anweisung Folge geleistet hatte. Tatsächlich blieb der Schmerz verschwunden, als er dieses Mal zu den Tribünen ging.
Hermine sah ihn mit großen Augen an. „Was hat das zu bedeuten?“
Er schwieg, griff dann nach dem Umhang und betrachtete ihn nachdenklich. „Du hast mich in deine Aura aufgenommen. Dadurch bin ich … so etwas wie ein Teil deines Körpers geworden. Wenn ich deine Aura abrupt verlasse, tut es so weh, wie wenn man dir einen Arm abnähme.“
Hermine schluckte schwer und versuchte zu verstehen, was er gerade gesagt hatte. Aber seine Worte schienen in ihrem Kopf gegen Wände zu laufen. „Ich … verstehe nicht …“, murmelte sie und kämpfte sich auf die Beine. Der Schwindel, der sie bereits vor wenigen Minuten in die Knie gezwungen hatte, kehrte zurück und sie hockte sich hin, so dass sie sich mit den Händen auf dem glatten Boden abstützen konnte.
Während sie ihre Augen geschlossen hielt, hörte sie Schritte näher kommen und direkt vor ihr ersterben. Zwei kräftige Hände fassten sie an den Armen und zogen ihren Körper in die Senkrechte. „Es ist nicht endgültig, Hermine. Es lässt sich rückgängig machen.“
„Dann mach es rückgängig“, bat sie leise. Etwas schnürte ihr den Hals ab.
Seine Gesichtszüge verhärteten sich. „Nicht hier. Wir werden erst nach Malfoy Manor zurückkehren. Kannst du bis zu den Kaminen alleine gehen?“
Sie schluckte angesichts der Kälte, die in seine Stimme zurückgekehrt war. Er hätte ihr nur mehr deutlich machen können, dass sie etwas Falsches gesagt hatte, wenn er sie wieder gesiezt hätte. „Ich versuche es.“
Er nickte ruckartig, dann ließ er sie los. Ihre Beine zitterten zwar noch, doch der Schwindel hatte sich soweit gelegt, dass sie es sich zutraute, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Bis zu den Kaminen war okay, sie konnte das.
„Was ist passiert?“ Narcissas Stimme klang von weit her. Wie durch einen Wattebausch, den man ihr auf die Ohren gepresst hatte. Hermine verstärkte den Griff, mit dem sie sich an Lucius' Hals festklammerte, während er sie durch sein Anwesen trug.
„Später“, sagte er knapp. Seine Stimme vibrierte durch ihren gesamten Körper. Sie drehte ihre Nase noch ein kleines Stück weiter nach links, presste sie tiefer in die Falten seines Umhanges und jetzt konnte sie ihn wahrnehmen, seinen Geruch. Herb und maskulin.
Bis zu den Kaminen hatte sie es tatsächlich geschafft, alleine zu gehen. Kingsley hatte sie beobachtet, aber im Laufe der letzten Jahren hatte sie es gelernt, sich ihre Schwäche nicht anmerken zu lassen. Sie hatte gelernt, ihrem Körper den letzten Rest Energie abzuverlangen, um gerade gehen zu können.
Zwei Korridore vor der Empfangshalle hatten sich dann ihre Wege getrennt, weil Kingsley es vermeiden wollte, sich zu einer so ungewöhnlichen Zeit dort zu zeigen. So hatte Lucius sich zusammen mit ihr in die etwas größeren Ministeriumskamine stellen können, um nach Malfoy Manor zurückzukehren.
Hermine hatte sich bemüht, ihm auf diesem engen Raum nicht allzu sehr auf die Pelle zu rücken. Diese unsanfte Art zu Reisen hatte sie dann allerdings ihrer allerletzten Kräfte beraubt und so war sie in sich zusammengesackt, kaum dass der Wirbel aus vorbeiziehenden Kaminen sich gelegt hatte. Die Erschöpfung war über ihr zusammengeschlagen wie eine meterhohe Welle.
Aber sie hatte nur Augenblicke am Boden gelegen, bevor Lucius sie aufgesammelt hatte wie eine Münze, die ihm vor die Füße gefallen war.
„Brauchst du etwas?“, hörte sie schließlich wieder Narcissa, die anscheinend neben ihnen herlief. Ein gleichmäßiges Klacken hoher Absätze auf Fliesen begleitete ihren Weg.
„Ein ruhiges, dunkles Zimmer und keine Störungen. Meinst du, das ist machbar?“ Seine Stimme klang unerwartet scharf.
Die Schritte erstarben und Hermine vernahm ein kühles „Natürlich.“ von einer Stelle irgendwo hinter seinem Rücken.
Sie wusste nicht, was er jetzt mit ihr vor hatte. Wo er sie hinbrachte und was auf sie zukam. Sie musste ihm vertrauen, es gab vermutlich wenig andere Menschen, die ihr hätten helfen können. Und keiner von ihnen steckte in ihrer Aura. Hermine schluckte.
„Bleib hier stehen“, sagte Lucius leise, nachdem er sie auf ihre eigenen Füße gestellt und gegen eine Wand gelehnt hatte. Hermine kam sich ein bisschen vor wie ein Möbelstück, dem ein Bein fehlte.
„Was ist bloß los mit mir?“, fragte sie matt, „ich war doch vorhin nicht so erschöpft.“ Sie rieb sich die Stirn.
„Meinst du bevor oder nachdem du deine Aura ausgedehnt hast wie einen verdammten Luftballon?“
Sie verzog das Gesicht.
„Bleib stehen!“
Hermine blinzelte und merkte, dass sie wieder zu schwanken begonnen hatte. Sie fing sich. „Hätte man mir das alles vorher gesagt, ich hätte das Ritual nicht durchgeführt“, sagte sie dumpf.
Er schnaubte. „Doch, hättest du. Das ist ja das Schlimme an euch Gryffindors!“ Während er sprach, änderte sich die Position, aus der sie seine Stimme hörte. Er musste sich im Raum bewegen.
„Lucius, was machst du da?“
„Ich versuche, dich aus der misslichen Lage zu befreien, in die du dich mal wieder so leichtfertig gestürzt hast. Man sollte meinen, du lernst aus deinen Fehlern.“
„Du hast doch gerade selbst gesagt, ich würde es jederzeit wieder tun“, erwiderte sie spitz. „Außerdem hab ich dir das Leben gerettet, was ist so falsch daran?“
Er sah sie scharf an. „Man sollte sich gut überlegen, wem man das Leben rettet.“
„Wärst du lieber die neue Hülle für Voldemorts Magie geworden?“
Er schnaufte. „Ich weiß es nicht.“
Hermine lachte freudlos auf. „Wow. Bedankst du dich eigentlich immer auf diese Art für einen Gefallen oder ist das ein Schlammblut-Bonus?“
Plötzlich war er bei ihr und drängte sie gegen die Wand in ihrem Rücken. „Wenn du für mich noch immer nicht mehr als ein Schlammblut wärst, hätte ich dich mitsamt der Kette durch diesen Schleier gestoßen!“, zischte er dicht an ihrem Gesicht.
Hermine Puls schoss in die Höhe. Ihre Haut kribbelte und ihr Mund war ganz trocken. „Warum hast du nicht? Das würde doch viel eher deiner Philosophie entsprechen.“
„Meine Philosophie sind die Auren. Sie sind das Einzige, auf das man sich verlassen kann. Und das hier …“ Er ließ sie los und zog den Ärmel seines Umhanges hoch, knöpfte die Manschette auf und schob auch den Hemdsärmel über seinen Ellbogen. Das Dunklen Mal setzte sich dunkel gegen seine blasse Haut ab. „Das habe ich schon verraten, als der Dunkle Lord noch einen eigenen Körper hatte.“
„Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass es dich nicht stört, dass meine Eltern Muggel sind.“ Trotz ihres geschwächten Zustands schaffte sie es, ihn spöttisch anzusehen.
„Dass deine Eltern Muggel sind, hat mich nie gestört. Was mich gestört hat, war, dass du eine Hexe bist!“
Hermine blinzelte überrascht. „Gestört hat?“
Er rümpfte die Nase, dann wandte er sich ab und machte weiter, mit was auch immer er da vorher getan hatte.
„Was meinst du mit 'gestört hat'?“, fragte sie laut.
„Nichts“, war die knappe Antwort.
„Das ist nicht 'nichts'!“
„Stimmt, es ist überhaupt nichts!“, schnappte er.
„Lucius!“
„Halt den Mund!“, fuhr er sie an. Und als ob ihm erst da bewusst wurde, mit wem er sprach, schloss er kurz seine Augen, sammelte sich und wechselte auf einmal das Thema: „Ich belege deine Ecke des Zimmers mit Bannen.“
„Was? Warum?“ Hermine schwirrte der Kopf.
„Damit du dort bleibst.“
Adrenalin schoss durch ihren Körper. „Was meinst du damit?“, fragte sie mit hoher Stimme. Sie wusste nicht, woran es lag, aber seine Worte machten ihr Angst.
Im nächsten Moment legten sich seine Hände an ihr Gesicht und zogen es hoch, bis er ihr direkt in die Augen sehen konnte. Das Grau schien dunkler geworden zu sein. „Es tut mir leid, Hermine. Aber ich kann das nicht auf die langsame Art.“ Dann wandte er sich von ihr ab und flüchtete mit großen Schritten in die gegenüberliegende Ecke des Zimmers.
Der Schmerz war allumfassend. Er war überall, nicht nur in ihrem Körper, auch drum herum. Er schlug auf sie ein und vibrierte in ihr als wäre sie eine verdammte Kirchenglocke. Hermine riss die Augen auf, sie schrie und fiel auf die Knie. Krümmte sich zusammen und versuchte, ihre Aura auszudehnen. Das musste aufhören! Aufhören! Aber sie konnte die Banne nicht überwinden. Verzweifelt krabbelte sie vorwärts, versuchte in seine Nähe zu kommen. Ihr drehte sich der Magen um vor Schmerz. Niemals zuvor hatte sie so etwas empfunden.
Sie flehte. Sie hustete. Sie keuchte. Sie stieß sich den Kopf an der Barriere, die einer seiner Banne errichtet hatte, und legte ihre Hände flach gegen den Widerstand, der nur durch Magie erschaffen worden und gerade deswegen so stabil war. Der Raum verschwamm vor ihren Augen.
Hermine wollte ihn anschreien, aber sie konnte nicht. Sie durchwühlte sämtliche Taschen, die sie in ihrer Kleidung finden konnte – erfolglos. Er hatte ihr unbemerkt den Zauberstab abgenommen.
Ihr Körper summte, jeder einzelne Nerv stand in Flammen. In ihrem Kopf tobte ein ungeheurer Lärm. Ihre Lungen brannten.
Erst als sie spürte, wie sie das Bewusstsein verlor, schaffte sie es, die eine Frage zu stellen, die ihr den Verstand raubte: „Warum tust du das?“
Sie hatte auf der Entbindungsstation die Erfahrung gemacht, dass ein Mann, der bei der Entbindung seines Kindes das Bewusstsein verloren hatte und wieder zu sich kam, grundsätzlich zuerst fragte: „Wo bin ich?“ Hermine hatte das nie nachvollziehen können. Egal wann und egal wo sie jemals das Bewusstsein verloren hatte, sie hatte beim Aufwachen immer gewusst, wo sie war – nämlich in einer Situation, in sie nicht sein wollte.
Ein gleichartiger Gedanke kam ihr auch, als sie dieses Mal ihre Augen aufschlug und sich auf dem Boden wiederfand. Auf einem bekannten Boden. Sie hatte hier schon mal gelegen. Oder war es ein anderes Zimmer? Aber diese Art Boden kannte sie. Der glatte, harte Holzfußboden presste sich fest gegen ihre Wange und ihre Hand lag keine zehn Zentimeter von ihrer Nase entfernt. Reglos und kalt.
Ihr Blick tastete sich weiter vorwärts, es dauerte lange Sekunden, bis sie scharf sehen konnte. Sie sah die Weitläufigkeit des Raumes, in dem sie lag, die Schatten, die von einem weichen, weißen Licht geworfen wurden, und die wenigen Möbel. Nein, dieses Zimmer kannte sie noch nicht. Nur den Boden.
Dann sah sie etwas, das jeglicher geometrisch fassbarer Form entbehrte. Das keine Ecken oder Kanten hatte (jedenfalls nicht solche wie die Möbelstücke). Es dauerte noch mehr lange Sekunden, bis ihr Verstand diesem Objekt einen Namen zugeordnet hatte. Doch als es dann in ihrem Kopf klickte, zuckte sie mit dem Finger.
Während sie Lucius betrachtete, bewegte sie ihre Zunge, was einfacher klang, als es war. Sie tastete ihren Gaumen ab und die weiche Innenseite ihrer Wangen und war froh, als etwas Speichel zu fließen begann und die pelzige Trockenheit linderte. Vorsichtig leckte sie sich über die Lippen.
Lucius saß in der schräg gegenüberliegenden Ecke des Zimmers auf dem Boden, ein Bein angewinkelt und gegen die Wand zu seiner Rechten gelehnt, das andere von sich gestreckt. Seine Hände lagen in seinem Schoß und sein Kopf war erschöpft nach hinten gefallen. Dennoch konnte sie sehen, dass er sie anstarrte, ohne zu blinzeln. Die Haare, zu Beginn des Tages noch sauber zu einem Zopf gebunden, hingen ihm strähnig über die Schultern.
Obwohl Hermine sich schon seit Minuten darauf vorbereitete, ihn anzusprechen, war er es schließlich, der vernehmlich Luft holte und sagte: „Weil ich dich von mir befreien musste.“ Seine Stimme klang dunkel und belegt. „Darum … habe ich es getan. Du sollst nicht an einen Menschen wie mich gebunden sein.“
Für ein paar Sekunden stockte Hermine der Atem. Etwas schnürte ihr die Kehle zu, ihre Augen brannten. Wenige heiße Tränen liefen über ihre Nasenwurzel und ihre Schläfe und ihre Stimme war nur ein Flüstern, als sie sagte: „Danke.“
Eine halbe Stunde später hatte Hermine genug Kraft gefunden, um sich mit dem Rücken gegen die Barriere zu lehnen, so dass sie nicht mehr Lucius, sondern die Tür zum Büro ansah. Ihren Kopf hatte sie zurückgelegt und die Beine etwas angewinkelt. Von den Schmerzen, die sie vor gar nicht so langer Zeit hatten schreien lassen, war ein dumpfes Echo zurückgeblieben. Aber jetzt schrie jede einzelne Faser ihres Körpers nach dem Mann, der etwa vier Meter hinter ihr saß. Das tat fast genauso sehr weh, nur anders.
„Erklär es mir nochmal“, bat sie ihn. Es fiel ihr leichter, mit ihm zu reden, wenn sie ihn nicht ansehen musste. Das unerträgliche Ziehen in ihrer Brust war dann weniger.
Zuerst bekam sie nur ein leises Seufzen zur Antwort. Dann begann er von Neuem: „Als du mich in deine Aura aufgenommen hast, hatte ich meine verborgen, um mich für die Macht des Dunklen Lords unsichtbar zu machen. Dadurch hat deine Aura mich als einen Teil deines Körpers angenommen.“
„Das verstehe ich“, wandte Hermine ein und runzelte ihre Stirn.
„Von dem Moment an, in dem ich mich in deiner Aura befand, war ich als eigenständige Person quasi nicht mehr existent. Ich musste meine Aura die ganze Zeit verbergen, sonst hätte es uns beide umgebracht.“
„Heißt das, ich habe dich … verschluckt?“
„Mit Haut und Haaren“, bestätigte er und seine Stimme büßte etwas von ihrem Ernst ein, während er es sagte. „Je länger dieser Zustand anhielt, desto mehr habe ich mich in dir verloren. Desto mehr bin ich ein Teil von dir geworden. Das … konnte ich nicht zulassen.“
Hermine schluckte und schloss ihre Augen angesichts des gequälten Tons, der in seinen Worten mitschwang. „Weil ich ein Schlammblut bin?“, fragte sie leise.
Sie hörte ihn leise zischen. Dann lauter: „Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass immer du dieses Thema ansprichst?“
„Irgendeiner muss es ja tun“, erwiderte sie tonlos.
„Falsch! Ich habe vor Jahren aufgehört, derartige Unterschiede zu machen. Diese Art zu denken geriet nach der Rückkehr des Dunklen Lords immer mehr in Verruf. Es war geschäftsschädigend, so zu denken.“
„Natürlich, die Geschäfte haben dich überzeugt“, murmelte Hermine düster.
Er schnaubte. „Ja, vorerst waren es die Geschäfte. Ich bin mit diesem Denken aufgewachsen! Das schaltet man nicht einfach ab.“ Er schwieg einen Moment. Dann fuhr er fort: „Es fiel mir schwer und es hat lange gedauert, um dieses Denken aus meinem Kopf zu bekommen. Aber im Gegensatz zu meinem Vater habe ich es geschafft.“
Hermine schloss die Augen, drei, vier, fünf Herzschläge lang. Okay. Der Schmerz war kein Schlammblut-Bonus gewesen. „Gab es … keinen weniger brutalen Weg, das Ganze rückgängig zu machen?“
„Doch, natürlich.“ Stille. „Aber es hätte zu lange gedauert. Tage, im schlimmsten Fall Wochen. Ich hätte mich langsam immer weiter von dir entfernen müssen. Du hättest … die ganze Zeit in meiner Nähe sein müssen. Überall. Immer. Das hätte zu lange gedauert.“
„Zu lange …“, wiederholte sie nachdenklich, „für dich oder für mich?“
Daraufhin schwieg er. So lange, dass sie sich schon zu ihm umdrehen wollte. „Für mich“, sagte er dann.
Sie nickte langsam und genauso wie die drei Male, die er ihr das Ganze vorher schon erklärt hatte, würgte sie auch jetzt entsetzlich an seinen Worten. Nur schwer konnte sie sich gegen den Drang wehren, ihn um eine nochmalige Erklärung zu bitten.
„Lucius?“, fragte sie stattdessen nach einer langen Zeit der Stille.
„Ja“, sagte er hohl.
Sie bog die Finger ihrer linken Hand nach oben, soweit es ihr möglich war, und schlug mehrmals mit der Handfläche auf den Boden. Dann verharrte sie urplötzlich in der Luft und schluckte schwer. „Wird diese Sehnsucht nach dir jemals verschwinden?“
„Ich weiß es nicht.“
Etwas in ihr stürzte ein. Ohne, dass sie es verhindern konnte, stiegen ihr wieder Tränen in die Augen und liefen in geraden Linien über ihre erhitzten Wangen. Sie ballte ihre noch immer frei schwebende Hand zu einer Faust, so fest, dass sich ihre Fingernägel in die Handfläche bohrten, dann wischte sie sich ihre widerspenstigen Locken aus dem Gesicht. „Merlin, i-ich … würde a-alles … g-geben“, hauchte sie, immer wieder von Schluchzern unterbrochen.
„Wofür?“, fragte er, als sie nicht weitersprach.
„D-dafür, dir wieder so … nahe z-zu sein.“ Sie biss sich auf ihren Daumennagel in der Hoffnung, dadurch etwas Beherrschung wiederzufinden. Aber es half nicht. Stattdessen bebte sie unter den Tränen.
Durch ihr Weinen hörte sie nicht, dass Lucius sich erhob. Sie hörte auch nicht, dass er sich ihr näherte. Sie bemerkte es erst, als er links an ihr vorbeiging, gerade so als würde die magische Barriere, an der sie lehnte, gar nicht existieren. Vor ihr blieb er stehen und streckte ihr die Hand entgegen.
Hermine hielt die Luft an. Sie hickste mehrmals und sah aus geschwollenen Augen hinauf in das Gesicht des Mannes, der Qual und Erlösung gleichermaßen bedeutete. Er sah so verbissen aus, dass sie es nicht wagte, seine Hand zu ergreifen.
Aber er streckte sie ihr noch etwas weiter entgegen und sie gab sich einen Ruck, legte ihre kalte Hand in seine und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. Hermine stolperte in Lucius' Arme und fand sich in einer so festen Umarmung wieder, dass ihr aus gänzlich anderen Gründen die Luft wegblieb.
„Ist das nahe genug?“, fragte er und verlieh seiner Frage Nachdruck, indem er ihr Gesicht fest in die Kuhle an seinem Hals presste. „Ist das genug?“, wiederholte er, allerdings leiser.
Hermine begann wieder zu weinen, sie konnte nichts dagegen tun. Nein, eigentlich war das immer noch nicht nah genug. Sie wollte am liebsten eins sein mit ihm, ihn unter ihrer Haut tragen und sich in ihn einwickeln wie in eine Decke. Aber es war etwas besser.
Sie krallte ihre Finger in den Stoff seines Umhangs und als ihre Beine wieder unter ihr nachgaben, sank er mit ihr auf die Knie und hielt sie, wie sie noch niemals zuvor jemand gehalten hatte.
Der Schlaf, der auf diese Ereignisse folgte, war der erholsamste, den Hermine in den letzten neun Jahren bekommen hatte. Während das Amulett sie sonst mindestens einmal pro Nacht mit einem Albtraum geweckt hatte, schwebte sie nun in einer wundervollen Schwärze, in der sie sich so geborgen fühlte wie ein Fötus im Mutterleib.
Und diese Geborgenheit riss auch nicht ab, als sie langsam wieder aufwachte.
Sie hatte in den Armen des Mannes geschlafen, nach dem sie sich mehr sehnte, als nach jedem anderen Menschen auf der Welt. Es erschreckte sie, wie viel Macht die Aurenmagie hatte. Ihr Bedürfnis, Lucius das Leben zu retten, hatte dafür gesorgt, dass sie sich so heftig nach ihm sehnte … Es zerriss sie förmlich. Selbst jetzt, wo sie in seinem Arm lag und ihm eigentlich nicht mehr näher sein konnte, tat es noch weh.
Während sie blinzelte, reckte sie ihren Kopf nach oben und versuchte herauszufinden, ob Lucius noch schlief. Sie lächelte, als sie sein völlig entspanntes Gesicht sah.
Die Hand, die auf ihrer Schulter lag, geriet durch ihre Bewegungen ins Rutschen und fiel neben ihr auf die Bettdecke. Hermine stützte ihren Kopf in die Hand und sog die wenigen Minuten, in denen sie diesen Anblick genießen durfte, in sich auf wie ein Schwamm das Wasser. Die Stille des Raumes, in dem er das Bett für sie aus einer Kommode erschaffen hatte, hüllte sie ein wie eine dicke Schicht Watte.
Deswegen legte sie auch rasch einen Finger auf seine Lippen, als er leise seufzend erwachte und zum Sprechen ansetzte. Seine Augen wurden eine Nuance größer, dann bildete sich eine steile Falte zwischen seinen Brauen.
Hermine nahm langsam ihren Finger fort und betastete stattdessen eben jene Falte, bis sie sich glättete. Ihn anzufassen, seine Haut mit ihrer Haut zu berühren, linderte, was sie zu zerreißen schien. Wie Diptam-Essenz auf einer Schürfwunde. Sie atmete auf.
Lucius tat es ihr gleich und hob seine Hand. Seine Fingerkuppen waren etwas rau, als er damit über ihre Lippen strich. Hermine griff nach seinem Handgelenk, hob es ein Stück hoch und küsste ihn, direkt auf die Handfläche, die sich warm und trocken gegen ihren Mund presste, einen eigentümlichen Geruch verströmte.
Er stieß scharf die Luft aus seinen Lungen. „Du wirst das später bereuen“, sagte er leise.
„Ja, werde ich“, murmelte sie.
„Wir sollten das lassen. Du solltest in dein Zimmer gehen und ich … in meines.“
Eine Faust schien sich um sie zu schließen und zu zerquetschen. „Das kann ich nicht“, sagte sie atemlos. „Das bringt mich um.“ Sie suchte seinen Blick. „Kannst du es?“
Sein Blick sprang zwischen ihren Augen hin und her, sein Gesicht sah merkwürdig offen, beinahe wund aus, als er den Kopf schüttelte. Dann machte er sich aus ihrem Griff los, ließ seine Finger in ihre Haare gleiten und zog ihren Kopf zu sich herunter. In dem Moment, in dem sich ihre Lippen trafen, glaubte Hermine, ihre Aura anschwellen und pulsieren zu spüren. Bereits dieser Kuss tat so gut, dass sie wimmerte und jeder Widerstand von ihr abfiel. Ja, das war Lucius-verdammt-nochmal-Malfoy, der sie gerade küsste, aber in diesem Moment hätte er auch Merlin persönlich sein können, so erlösend fühlte es sich an.
Sie lehnte sich ihm entgegen und schwang ihr Bein über seinen Körper. Ihre Haare rutschten über ihre Schulter und hüllten sie ein wie ein Vorhang, während sie ihre kühlen Finger an sein Gesicht legte und diesen Kuss andauern ließ. Jede Berührung durchfuhr sie wie ein kleiner Stromstoß, ließ sie vibrieren und beben. Ihre Auren vermischten sich miteinander und in diesem Moment konnte Hermine sich zum erste Mal vorstellen, dass sie sich tatsächlich ähnelten. Sie glaubte, sich an ihm wiederzuerkennen. Er war ihr gleichzeitig vertraut und absolut fremd.
Lucius legte seine Hände auf ihre Hüften und glitt langsam ihren Oberkörper hinauf. Erst als der Stoff sich unter ihren Armen staute, richtete sie sich auf und ließ ihn den Pullover über ihren Kopf ziehen. Mit pochenden Wangen und schwerem Atem sah Hermine hinab auf diesen Mann. In ihrem Kopf war er noch immer verbunden mit Erniedrigungen, Tatenlosigkeit und verachtenswerten Überzeugungen. Aber ihre Aura … ihre Aura konnte ihm gar nicht nah genug sein. Sie konnte es kaum abwarten, noch mehr von seiner Haut zu spüren. Sie wollte ihn.
Mit zitternden Fingern begann sie, die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. Einer nach dem anderen schlüpfte durch das Loch. Als sie an seinem Hosenbund angekommen war, zögerte sie einen Moment. Er hatte Ginnys Leben riskiert. Er hatte versucht, Hagrid aus Hogwarts zu vertreiben. Er hatte versucht, sie und ihre Freunde in der Mysteriumsabteilung umzubringen. Er hatte Voldemort unterstützt. Er hatte nichts getan, als Bellatrix sie gefoltert hatte.
Hermine schluckte. Sie sah auf und begegnete seinem Blick. Vielleicht stand in ihren Augen, welchen inneren Kampf sie gerade mit sich ausfocht, denn er holte tief Luft, presste die Lippen aufeinander und wartete. Er war, wer er war. Nichts, was er getan hatte, ließ sich rückgängig machen. Auch nicht, dass er ihr das Leben und die magische Gemeinschaft vor der Rückkehr des Dunklen Lords gerettet hatte.
Sie atmete scharf aus und zog den dünnen Hemdstoff aus seiner Hose. Mit einem dunklen Schnauben hob Lucius sein Becken an. Sie schlug das Hemd auf und keuchte leise, als sie die blasse, unbehaarte Brust sah. Sie berührte. Spürte, dass sie gar nicht wie Marmor war. Sie war warm und weich und spannte sich straff über seine Muskeln. Und er roch so gut. Hermine atmete tief ein und legte den Kopf in den Nacken.
Lucius lachte leise und Hitze stieg ihr ins Gesicht. Um ihn abzulenken, wählte sie die Flucht nach vorn. Sie öffnete die Häkchen ihres BHs und streifte sich die Träger von den Schultern. Ohne darauf zu achten, wo das Ding landete, warf sie ihn von sich.
Er strich an ihren Seiten hinauf und über ihren Rippenbogen bis zu ihren Brüsten. Schon die kühle Luft hatte gereicht, damit sich ihre Brustwarzen aufrichteten, doch das Kitzeln seiner rauen Finger ließ sie genussvoll die Augen schließen. Ein paar wundervolle Momente lang verwöhnte Lucius sie auf diese Art, dann hielt er inne und griff nach ihren Handgelenken. Sie blinzelte überrascht und sah ihm in die Augen. Mit einem Zucken seiner Brauen schien er sie zu fragen, ob sie sich ihrer Sache wirklich sicher war. Hermine nickte, ohne lange zu zögern. Es tat so gut, ihn zu berühren, dass nichts sie jetzt davon hätte abhalten können, es weiterhin zu tun.
Daraufhin packte er ihre Hüften und beförderte sie mit einem Ruck auf den Rücken. Hermine keuchte erschrocken auf, während sie auf der Matratze ein paar Mal auf und ab federte. Im nächsten Moment war er über ihr, zog sich das offene Hemd von den Armen und sah gierig auf sie hinab. Seine Haare rutschten ihm über die Schultern. Er zog ihren Kopf ein Stück nach hinten, so dass Hermine einen kehligen Laut ausstieß. Dann beugte er sich herunter und fuhr mit seiner Zunge über ihren Hals. Von ihrem Schlüsselbein über das Pochen ihrer Halsschlagader bis hinauf zu ihrem Ohr. Sein warmer Atem rauschte in ihrer Muschel.
Hermine fuhr mit ihrer Hand über seinen muskulösen Oberarm, ihr Blick glitt flüchtig über die schwarzen Linien des Dunklen Mals. Dann fand sie den Weg zwischen ihren und seinen Körper und nestelte am Knopf seiner Hose. Der Reißverschluss ratschte laut, als sie ihn nach unten zerrte, und Lucius ließ von ihrem Hals ab.
Er sah sie auf eine sonderbare Art an, so als würde ihm jetzt erst bewusst werden, wer sie war und was sie im Begriff waren zu tun. Und als könnte er nicht glauben, dass das wirklich passierte. Sie sah ihn schlucken, als sie ihm die Hose von den Hüften zerrte, ohne ihren Blick abzuwenden. Sie wollte ihn. Ihre Aura wollte ihn und um alles andere würde sie sich später kümmern. Ja, sie würde sich morgen dafür hassen. Sie würde ihn dafür hassen. Aber das war erst morgen. Und jetzt brauchte sie, was er mit ihr und ihrer Aura tun konnte.
Als Lucius sich zu ihr herabbeugte und sie küsste, konnte Hermine seine Erektion an ihrem Bauch spüren, ein kleines Stück über dem Bund ihrer Hose. Ihr Schoß pochte, sie stöhnte. Sie zog ihn noch dichter an sich und strich ihm mit einer Hand die langen Haare aus dem Gesicht. Es war ein bisschen feucht vom Schweiß.
Dann machte er sich aus ihrem Griff los, befreite sich von seiner Hose und tat das gleiche mit ihr. Hermine hob ihr Becken an, um ihm zu helfen, genauso wie er es kurz zuvor getan hatte. Mit der flachen Hand fuhr er ihr nacktes Bein hinauf, vom Knöchel bis zum Oberschenkel. Eine Gänsehaut lief über ihren Körper. Dann wanderten seine Finger zwischen ihre Beine, glitten durch die lockigen Haare ihrer Scham und tauchten in die Hitze darunter. Hermine riss die Augen auf, sie wimmerte und greinte, als er mit zwei Fingern in sie glitt und mit dem Daumen ihre Klitoris massierte. Ihre Nägel bohrten sich in seine Schultern, sie schob sich ihm entgegen und zog ihn zu sich herunter zu einem gierigen Kuss, während er sie beinahe auf einen Höhepunkt trieb.
Aber nur beinahe. Er hörte auf, bevor sie ihn erreichte. Ohne dass er nachhelfen musste, spreizte sie ihre Beine noch ein bisschen weiter. Lucius küsste ihre Wange, strich mit der Spitze seiner Zunge über ihren Kieferknochen und kehrte zur empfindlichen Haut an ihrem Hals zurück wie ein Vampir, der nach ihrem Blut dürstete. Dabei hob er ihr linkes Bein an seine Hüfte und rückte ein Stück dichter an sie heran.
Hermine griff in seine Haare und presste seinen Mund fester gegen ihren Hals, während er in sie eindrang. Sie schnappte nach Luft. Es war so lange her, dass sie jemandem nahe gewesen war. Jahre der Einsamkeit lagen hinter ihr. Jahre, in denen sie es vermieden hatte, jemanden zu berühren. Jahre, in denen sie nicht mal eine echte Umarmung hatte zulassen können aus Angst, jemand könnte die schwarze Magie spüren, die von dem Anhänger ausgegangen war. Sie schluchzte und Lucius rückte ein Stück von ihr ab, runzelte die Stirn. „Tue ich dir weh?“, fragte er.
„Nein. Hör nicht auf!“
Während Tränen in ihre Haare liefen, begann er wieder sie zu küssen und bewegte sich in ihr. Sein Oberkörper rieb sich gegen ihren, Hermines empfindliche Brustwarzen sandten Schauer der Erregung durch ihren Körper. Ein lustverhangener Ausdruck hatte das sonst sehr helle Grau seiner Augen getrübt, seine normalerweise blassen Lippen waren dunkelrot. Sie konnte nicht anders, sie musste einfach davon kosten. Ihre Nase rieb sich gegen seine, ihr Stöhnen vermischte sich miteinander und er schmeckte so unglaublich gut, dass sie leise wimmerte.
Seine Stöße wurden härter und ließen ihren gesamten Körper beben, ihr schlug das Herz bis zum Hals und die Decke über ihr verschwamm vor ihren Augen. Je weiter sich die Erregung in ihrem Schoß aufbaute, desto weniger war sie in der Lage, richtig Luft zu holen. Sie streckte ihren Bauch in die Höhe, so dass sich ihr Rücken von der Matratze hob, und als er sie das kleine bisschen zu weit reizte, begann ihr ganzer Körper zu zucken und pulsieren. Ihre Finger gruben sich in seinen Nacken, sein leises Zischen drang allerdings nur gedämpft an ihre Ohren.
Ein paar Stöße später kam auch Lucius und Hermine beobachtete ihn. Diesen sonderbaren Mann, den sie nicht leiden konnte, aber gerade so dringend brauchte wie die Luft zum Atmen. Er schloss die Augen, sein Mund stand ein Stück offen und seine Unterlippe zitterte, bis er hinein biss. Er sah so verletzlich und pur aus, dass es ihr für einen Moment den Atem raubte.
Kurz danach lag sie dann zerschlagen und auf merkwürdige Art entrückt neben Lucius im Bett und blinzelte träge zur Decke hinauf. Der Gedanke, dass sie gerade mit dem Mann geschlafen hatte, der einst Ginnys Tod in Kauf genommen hatte, war so abwegig, dass sie ihn nicht wirklich erfassen konnte. Träge drehte sie ihren Kopf zu ihm und begegnete seinem Blick. Die Falte stand wieder zwischen seinen Augenbrauen.
„Kann ich einschlafen, ohne befürchten zu müssen, dass du dich dann davon schleichst?“, fragte sie.
Er dachte einen Moment nach. Dann nickte er. „Jetzt ist es eh zu spät.“
„Gut.“ Hermine drehte sich auf die Seite, das Gesicht ihm zugewandt, und zog die Decke über ihren nackten Körper. Trotz aller Gründe, die gegen ihn sprachen, tat es gut, in genau diesem Moment hier zu sein.
Chapter 14: Kapitel 7: Die Entscheidung – Teil I
Chapter Text
Während Hermine in der vergangenen Nacht noch befürchtet hatte, dass sie am Morgen diejenige wäre, die alleine in einem großen Bett aufwachte, so war es dann doch anders herum. Sie wachte bereits sehr früh auf, vermutlich weil sie es nach all den Jahren einfach nicht mehr gewohnt war, länger als sechs Stunden am Stück zu schlafen.
Da es ihr inzwischen etwas besser ging, wollte sie es nicht darauf ankommen lassen, die letzte Nacht zu wiederholen. Leise stand sie auf und schlüpfte in ihre Kleidung. Dann holte sie sich einen Stuhl, verwandelte ihn mit Lucius' Zauberstab in einen bequemen Sessel (sie hatte absolut keine Ahnung, wo er mit ihrem Zauberstab abgeblieben war, war aber doch überrascht, wie gut sein Zauberstab für sie funktionierte) und wartete darauf, dass er ebenfalls aufwachte.
Die Ruhe des frühen Morgens presste sich wie Watte auf ihre Ohren. Sie glaubte, den Sinn für die Realität zu verlieren, während sie den blonden Mann im Bett anstarrte und zu verstehen versuchte, was letzte Nacht mit ihr geschehen war. Versuchte das Entsetzen darüber zu beherrschen und das Verlangen nach ihm zu ignorieren. Doch schon die feine Haarsträhne, gegen die er mit jedem Atemzug pustete, kostete sie sämtliche Selbstbeherrschung, die sie aufbringen konnte; sie einfach zwischen ihre Finger nehmen und hinter sein Ohr streichen, die weiche Haut berühren, seinen Körper so intensiv riechen wie den Raps im Frühjahr.
Als der Druck in ihrer Brust übermächtig wurde, schloss sie die Augen und atmete tief durch. Er war wie eine Sucht. Sie hasste ihn dafür. Und begehrte ihn.
Als Lucius erwachte, flogen seine Blicke zuerst auf die leere Seite des Bettes. Er erstarrte, als er sie dort nicht fand. Während er seine Blicke strategisch von der rechten Wand aus durch das Zimmer gleiten ließ, trat ein verbissener Ausdruck auf sein Gesicht. Er entspannte sich erst, als er sie entdeckt hatte. „Ist das Ding bequemer als das Bett?“, fragte er.
„Nein. Aber es ist weniger gefährlich“, antwortete sie dumpf.
Er setzte sich auf. Die dünne Bettdecke rutschte von seiner nackten Brust und Hermine konnte ihren Blick nicht von den Brustwarzen wenden, die sich dunkel gegen seine blasse Haut absetzten. Diese verlockende, unbehaarte, warme Haut. „Viel weniger gefährlich“, murmelte sie, ehe sie sich mit einem Kopfschütteln in die Realität zurückholte. „Also“, begann sie mit nachdrücklicher Stimme, „wie geht es jetzt weiter? Willst du mich in eine ähnliche Geschichte verwickeln wie Narcissa Horatio?“
Er sah sie spöttisch an. „Wenn ich mich richtig erinnere, hast eher du mich verwickelt. Ich hab sogar versucht, dich davon abzuhalten.“ Er rieb sich über die Augen und wischte die zerzausten Haare zurück.
„Das war …“, begann Hermine, während sie rot anlief, „… nur meine verdammte Aura! Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie sehr …“ Sie brach ab.
„Ja“, sagte er einfach, „Sonst hätte ich kaum mitgemacht.“
Sie biss ihre Zähne so fest aufeinander, dass sie knirschten. Wie sie ihn und seine ekelhafte Art hasste. „Und jetzt? Komplimentierst du mich auf Nimmerwiedersehen zur Tür hinaus und machst eine weitere Kerbe in deinem Bettpfosten?“
Lucius schnaubte. „Mein … Bettpfosten besteht aus Mahagoni. Den werde ich bestimmt nicht mit Kerben verunstalten.“
„Oh, entschuldige! Natürlich …“ Sie drehte die Augen zur Decke.
„Aber der Teil mit dem auf Nimmerwiedersehen vor die Tür komplimentieren hat einen gewissen Reiz …“, überging er ihren Einwand.
Hermine starrte ihn mit großen Augen an. Dann fand sie ein Stück ihrer Selbstachtung wieder und stand auf. „Das kannst du dir sparen! Ich gehe freiwillig“, erklärte sie kühl und wollte gerade das Zimmer verlassen, als er sich blitzschnell nach vorne lehnte und ihr Handgelenk ergriff. „Lass mich los!“, sagte sie scharf, jetzt schon weniger beherrscht, doch Lucius ließ sich davon nicht beeindrucken. Ganz im Gegenteil: Er nutzte seine überlegene Kraft, um sie zu sich zu ziehen, bis Hermine an der Bettkante das Gleichgewicht verlor und auf seinen Schoß fiel. „Du elender Mistkerl! Niemals habe ich dieselbe Aura wie du!“, fluchte sie und wollte mit der freien Hand auf ihn einschlagen, doch auch dieses Handgelenk bekam er zu fassen.
„Lonny hat getratscht“, stellte Lucius fest. „Das wird dieser elende Hauself bereuen!“
„Nein!“, fuhr Hermine dazwischen und bäumte sich erneut auf. „Ich hab ihn erpresst. Er kann nichts dafür.“
„Der einzige, von dem Lonny sich erpressen lassen darf, bin ich. Also kann er etwas dafür.“
„Komm nicht auf die Idee, ihn deswegen zu bestrafen!“, drohte sie.
„Sonst was?“
„Sonst …“ Er sah sie spöttisch an, als ihre Stimme sich verlor. Hermine reckte das Kinn vor. „Wenn dir auch nur das kleinste bisschen an mir liegt, lässt du Lonny in Ruhe.“
Lucius rümpfte die Nase. „Woher willst du wissen, dass mir etwas an dir liegt?“
„Ich weiß es nicht.“
„Genau, du weiß es nicht. Und wenn du nicht sofort aufhörst, dich wie eine Furie zu benehmen, werde ich dich wieder in eine Zimmerecke bannen!“ Trotz seines entblätterten Äußeren schaffte er es, sie durch einen Blick zum Schweigen zu bringen.
Allerdings nur für eine Sekunde. Dann stellte sie fest, dass sie das Verlangen nach mehr Berührungen ignorieren konnte, wenn sie sich auf ihre Wut konzentrierte. Wie konnte er es wagen, ihr zu drohen? Sie begann wieder, ihn mit allen Flüchen, die sie von gebärenden Frauen aufgeschnappt hatte, zu beschimpfen und kämpfte dabei so besessen gegen seinen Griff, dass sie völlig außer Atem geriet. Letztendlich blieb ihr doch nichts anderes übrig, als zu kapitulieren. Schwer atmend und krebsrot im Gesicht lag sie quer über seinen Beinen und starrte wütend gegen die Decke.
„Können wir jetzt wie zwei erwachsene Menschen miteinander reden?“
„Pah!“, machte sie. „Bis eben hast du es noch vorgezogen, mich wahlweise in eine Ecke zu sperren oder rauszuschmeißen!“
„Das ist Auslegungssache“, tat er ihren Einwand ab. „Mir kommt es eher so vor, als ob du einen Rausschmiss provozieren willst.“
Auf diesen Vorwurf hin mobilisierte Hermine erneut ihre verbliebenen Kräfte und versuchte, seinen schraubstockartigen Griff um ihre Handgelenke zu lösen. „Wie konnte ich bloß … mit dir … ins Bett gehen?“, schimpfte sie.
Lucius lachte dreckig auf. „Du wolltest es! Und du würdest es immer wieder wollen!“
„So gut warst du auch wieder nicht“, sagte sie und brachte ihn damit für den Bruchteil einer Sekunde so aus dem Konzept, dass sie sich aufsetzen konnte. Aber er reagierte schnell und plötzlich saß sie wieder auf dieselbe Weise auf seinem Schoß wie letzte Nacht. Ihr Gesicht war seinem plötzlich so nahe, dass ihr sein herber Geruch in die Nase stieg. Sie schluckte schwer. „Warum hast du mir das bloß angetan?“, fragte sie und ihre vorherige Wut war verschwunden. Stattdessen wurde sie sich der Tatsache bewusst, dass nur eine dünne Decke sie von seinen nackten Beinen trennte. Sie biss sich verzweifelt auf die Unterlippe.
„Ich habe dir nichts angetan, Hermine. Aber ich wünschte tatsächlich, du hättest deine Aura bei dir behalten.“
Sie schloss die Augen und ließ mutlos ihren Kopf sinken. „Jedes Mal, wenn ich dich nur ansehe, wünsche ich mir so sehr, dich zu berühren, dass es wehtut“, erklärte sie mit leiser Stimme. „Die Vorstellung, wieder nach Hause zu gehen ohne die Aussicht, dass wir uns wiedersehen werden … ich gehe lieber lebenslänglich nach Askaban.“
„Nein, tust du nicht“, sagte er düster.
Sie versuchte zu schlucken, aber ihr Mund war wie ausgetrocknet. „Wird das immer so bleiben?“
Vielleicht weil sie nun nicht mehr den Eindruck machte, als wolle sie mit Zähnen und Krallen auf ihn losgehen, ließ Lucius ihre Handgelenke los und strich ihr stattdessen die Haare aus dem Gesicht. „Ich kann es dir wirklich nicht sagen. Ich hab das noch nie erlebt. Aber ich hoffe, dass es nachlässt.“ In seinen Worten steckte eine kaum wahrnehmbare Note von Verzweiflung, die in Hermine eine Saite zum Klingen brachte.
Sie lehnte sich wie fremdgesteuert vor und nippte an seinen Lippen. Rau und warm fühlten sie sich an, schmeckten nach Schlaf und wie das Tor zum Paradies. In ihrer Brust schwoll etwas an, das ihr die Luft zum Atmen nahm. Erst seine Hände, die ihr Gesicht umfassten und es von seinem schoben, beendeten den Kuss.
Schwer atmend sah sie ihn an, gerade so als würde sie ihn das erste Mal sehen. „Geht es dir auch wie mir?“ Sie schluckte schwer. „Bitte sag, dass es nicht nur mir so geht.“
Lucius rümpfte die Nase, schloss die Augen. „Es geht mir genauso“, sagte er hohl.
Hermine holte erstickt Luft und sackte ein Stück in sich zusammen. In dem kleinen Moment, der ihr im Raum des Todes für ihre Entscheidung geblieben war, hatte sie nicht erwartet, dass sie damit derartige Folgen heraufbeschwören würde. „Es tut mir so leid.“
Er schnaubte abfällig. „Dadurch wird es auch nicht besser.“
„Dann sag mir, was ich tun soll!“
Er beugte sich ein Stück vor, so dass seine Nasenspitze nur Zentimeter von ihrer entfernt war. „Am besten nimmst du deine verdammte Aura und deine … Grübchen und … deine ganze Art und verschwindest dahin zurück, wo du hergekommen bist!“
Sie blitzte ihn an. „Wirst du eigentlich pro Gemeinheit bezahlt, oder bringt dir das einfach nur Spaß?“
„Weder noch. Das ist meine Art!“
„Mistkerl!“
„Furie!“
„Ich hasse dich!“
„Nein, tust du nicht.“ Bevor sie dem etwas entgegensetzen konnte, zog er sie an sich und küsste sie erneut.
Hermine keuchte atemlos, als er sich endlich wieder zurückzog, und lehnte ihre Stirn gegen seine. „Siehst du, genau deswegen habe ich da drüben gesessen.“
„So kommen wir nicht weiter.“ Er schob sie von sich herunter und flüchtete aus dem Bett. Während er in seine Hose stieg und sich das Hemd über den blassen Oberkörper zog, befreite Hermine sich aus den Kissen und dem verdrehten Bettlaken und beobachtete sein Tun. „Ich erwarte dich in einer halben Stunde zum Frühstück.“ Mit einem Ratschen schloss er den Reißverschluss seiner Hose und wandte sich zur Tür um.
„Lucius, warte!“, rief sie ihm hinterher, doch er achtete nicht darauf. Mit einem Knall fiel die Tür ins Schloss. „Wie komme ich denn von hier aus in mein Zimmer?“, fragte sie daher die Stille, die nach seinem Abgang übrig geblieben war.
Seufzend sackte sie in sich zusammen, während etwas in ihr sich zusammenzog. Er war fort und gerade fühlte es sich an, als könnte sie nicht mehr atmen. Als würde etwas sie unter Wasser drücken. Tränen stiegen ihr in die Augen. Das letzte Mal hatte sie sich so gefühlt, als … Nein, sie hatte sich noch nie so gefühlt. So als würde ein Teil ihrer Seele fehlen. Sie zog das dünne Laken an sich und atmete tief ein.
Hermine war schließlich nichts anderes übrig geblieben, als sich von den warmen, wohlriechenden Laken zu trennen und sich von einem Hauselfen in ihr Zimmer führen zu lassen. Sie war erleichtert, dass es weder Lonny noch Sunny gewesen war, sondern ein ihr bisher völlig fremder Hauself. Er verzog keine Miene über ihr Aussehen und auch nicht über ihren rückblickend betrachtet sonderbaren Wunsch. Er bedeutete ihr lediglich, ihm zu folgen, und führte sie dann zwei Türen weiter den Flur hinunter. „Ihr Zimmer, Missus“, erklärte er und verneigte sich tief, bevor er wieder verschwand.
Hermine blinzelte irritiert und blickte den Gang hinauf und hinunter. Jetzt, wo sie direkt vor der Tür zu ihrem Zimmer stand, erkannte sie auch, dass sie nur wenige Meter davon entfernt genächtigt hatte. Etwas verlegen betrat sie es und begann sich herzurichten.
Als sie sich kurze Zeit später auf den Weg in den Salon machte, wusste sie nicht, ob ihre Finger vor Nervosität oder Vorfreude zitterten. Jedenfalls atmete sie bei Lucius' Anblick auf, als hätte sie gerade die Wasseroberfläche durchbrochen. Ihr Knie wurden weich und beinahe hätte sie wieder angefangen zu weinen.
Er ließ sich eine ähnliche Erleichterung nicht anmerken, als er sie anwies, Platz zu nehmen. Überhaupt wirkte er in seiner korrekten Kleidung äußerst reserviert. „Ist Narcissa wieder zum Brunch eingeladen?“, fragte Hermine daher spitz, während sie nach einer Kanne griff und sich Kaffee eingoss.
„Nein. Aber sie hat schon heute Morgen gefrühstückt.“ Er warf einen vielsagenden Blick zur Wanduhr. Es war bereits kurz vor zwölf.
„Oh“, machte Hermine und steckte die Nase in die Tasse. „Also, wie können wir das Problem jetzt lösen?“, kehrte sie dann zu dem Thema zurück. Was interessierte sie Narcissa? Sie konnte sich kaum davon abhalten, mit ihrem Fuß unter dem Tisch nach seinem verdammten Bein zu tasten, das war ein Problem!
„Du wirst jetzt nach Hause zurückkehren und diese aurendiktierte Sucht überwinden. Nun, da es dir keine körperlichen Schmerzen mehr bereitet, von mir getrennt zu sein …“
Sie schnaubte unwillkürlich.
„… ist es alles eine Sache des Willens“, fuhr Lucius unbeeindruckt fort.
„Und was, wenn ich nicht genug Willen aufbringen kann?“, fragte Hermine. Denn jetzt gerade war alles, was sie wollte, ihm so nahe wie möglich zu sein.
„Dann tust du es eben gegen deinen Willen.“
„Willst du mich etwa zu Hause auch mit Bannen einsperren?“
„Wenn das nötig ist …“
Hermine presste die Zähne aufeinander und rieb sich die Stirn.
Er verdrehte die Augen. „Tu nicht so, als würde ich dich mit dem Cruciatus bedrohen. Gestern um diese Zeit hättest du keine zwei Minuten gezögert, wenn ich dir gesagt hätte, du sollst nach Hause gehen.“
„Gestern ist nicht heute“, sagte sie und kämpfte gegen die Tränen an, die ihr in die Augen stiegen, indem sie den Blick senkte. Sie atmete ein paar Mal ruhig ein und aus, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. „Was wenn es nicht hilft? Was wenn ich dich danach immer noch …“ Sie brach ab, biss sich auf die Zunge.
Lucius sah sie an, so offen und frei von jeder Ablehnung, dass die Sehnsucht sich in ihr wieder aufbäumte wie ein tollwütiges Tier. „Es wird helfen“, sagte er.
„Ich weiß. Aber … was wenn nicht?“ Sie lehnte sich zurück, ballte die Hände zu Fäusten und verschränkte die Arme vor der Brust, nur um sich davon abzuhalten, über den Tisch hinweg nach seiner Hand zu greifen. Ihre Haut kribbelte und nur seine Berührungen würden es lindern können, das wusste sie ganz genau.
„Darum kümmern wir uns, falls es dazu kommen sollte.“
„Nein“, sagte sie einfach. „Ich kann jetzt nicht nach Hause gehen und nur hoffen, dass das hier …“ Sie hielt ihre Hand flach in die Luft; sie zitterte wie Espenlaub. „… einfach aufhören wird, ohne den Plan B zu kennen.“
Lucius schluckte. „Was für einen Plan B willst du hören, Hermine?“
Sie fing seinen Blick ein und obwohl sie kaum atmen konnte, obwohl ihr Herz so heftig schlug, dass sie glaubte, es müsste ihr aus der Brust springen, zwang sie sich zu sagen: „Wirst du mich im Stich lassen, wenn es nicht aufhört? Werde ich alleine damit klarkommen müssen, dich so zu vermissen? Oder darf ich … wiederkommen?“
„Wiederkommen wofür?“, fragte Lucius und zog eine Augenbraue hoch. „Sex? Nähe? Anregende Diskussionen über mein Fehlverhalten?“ Er presste kurz die Lippen aufeinander, bevor er abfällig hinzufügte: „Liebe?“
Hermine sah ihn an, während etwas ihr die Kehle zuschnürte. Tränen waren es keine, aber es war auch keine reine Wut. Es war … irgendetwas Undefinierbares dazwischen. Ihre Aura und ihr Verstand wurden sich nicht einig und es schien sie auseinander zu reißen. „Wohl kaum Liebe“, presste sie schließlich hervor. „Und ich bin bestimmt kein Betthäschen, das gelegentlich mal in deinem Kamin auftaucht. Ich bin nicht …“ Sie brach ab.
„Horatio?“, bot Lucius freizügig an.
Sie rümpfte die Nase und wandte den Blick ab.
Lucius lehnte sich nach vorn. „Wie kommst du auf die Idee, dass Narcissa und Horatio sich nicht lieben würden?“
„Weil nicht mal Draco von seiner Existenz weiß!“, sagte sie scharf. „Man kann es wohl kaum Liebe nennen, wenn man einander so verleugnet!“
Er schnaubte und schüttelte den Kopf.
„Was?“, fragte Hermine scharf.
Lucius sah sie abschätzend an. „Glaubst du, ich würde Horatio in meinem Haus dulden, wenn Narcissa ihn nicht lieben würde? Liebe kommt in mehr als einer Form, Hermine. Aber vermutlich bist du noch zu jung, um das zu verstehen.“
„Zu jung?“
Er sah sie scharf an. „Ja, zu jung! Jedenfalls benimmst du dich gerade wie ein kleines Kind.“
Sie stand plötzlich auf den Füßen, der Stuhl rutschte laut über den Boden, das Geschirr vor ihr klirrte. „Wie kannst du es wagen?“, fragte sie scharf.
Aber er ließ sich davon nicht beeindrucken. Er rieb sich die Stirn und sagte: „Setz dich.“ In einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Was Hermine natürlich nicht davon abhielt, stehen zu bleiben. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Was auch immer du mir zu sagen hast, ich höre auch im Stehen sehr gut.“
Lucius sah zu ihr auf und zum ersten Mal während dieses Gesprächs sah er nicht aufgeräumt und kontrolliert aus. In seinen grauen Augen tobte ein Sturm, seine Lippen waren blasser und schmaler als sonst. „Wenn du einen Plan B von mir hören willst, dann musst du mir sagen, was du von mir willst, Hermine. Wofür willst du wiederkommen?“
Sie schluckte und spürte ihre Wut schwinden. „Ich … weiß es nicht“, sagte sie.
Er seufzte kaum hörbar. „Und trotzdem unterstellst du mir, ich wüsste nicht, was Liebe ist.“
Hermine wollte etwas darauf antworten, etwas, das ihr spontan in den Kopf kam. Aber sie schluckte die Worte. Sah ihn an und versuchte zum ersten Mal, ihn mit anderen Augen zu sehen. Mit den Augen eines Menschen, der ihn nicht als Todesser kennengelernt hatte. Der nicht an das Wort Schlammblut, ein altes Tagebuch und geduldete Cruciatus-Flüche dachte, wenn er in seine Augen sah. Sie schluckte. „Können wir nicht … später entscheiden, wofür ich wiederkomme?“, fragte sie mit belegter Stimme. „Wenn ich das darf.“
„Willst du denn wiederkommen?“, fragte er mit dunkler Stimme. „Kannst du es wirklich mit dir vereinbaren, einem Menschen wie mir nahe zu sein?“
„Kannst du es?“, fragte sie.
Während er ihrem Blick vorher problemlos standgehalten hatte, wandte er ihn nun ab und sah aus dem Fenster. Er biss die Zähne aufeinander, bis seine Kiefermuskeln hervortraten. Auch sein Atem ging jetzt schneller. „Mein Verstand nennt mich einen Narren, aber … ja.“
„Einen Narren wofür?“, fragte sie und setzte sich nun doch wieder.
„Einen Narren dafür, mich auf … etwas mit dir einzulassen. Einem Mädchen, das so alt ist wie mein eigener Sohn. Einer unverbesserlichen Gryffindor, die ihre Grenzen nicht kennt und die nicht das geringste weiß von der Welt, in der ich lebe. Einem Gutmenschen, der … in mir immer den Todesser sehen wird, der ich seit Jahren nicht mehr sein will.“
„Warum?“
„Warum was?“, fragte er scharf.
„Warum willst du kein Todesser mehr sein? Du hast sogar deinen eigenen Sohn zu einem Todesser gemacht. Warum willst du plötzlich keiner mehr sein?“
„Warum willst du das wissen? Sensationslust? Schadenfreude?“
„Interesse“, sagte Hermine einfach.
Lucius lachte freudlos. „Du hast Interesse an mir?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Du hast ja offensichtlich auch welches an mir. Zumindest hast du mal eine Meinung von mir.“
Er reckte das Kinn ein bisschen vor. „Genauso wie du von mir.“
„Stimmt. Jetzt hast du die Chance, meine Meinung zu ändern.“
Es dauerte lange, ehe er sich entscheiden konnte, ob er ihr antworten wollte. Seine Kiefer mahlten, er wurde noch ein bisschen blasser, obwohl sie das nicht für möglich gehalten hatte, und traktierte sie mit Blicken, die ihr durch und durch gingen. Die sie sich noch mehr wünschen ließen, sie dürfte ihn berühren. Es war, als würde ihre Aura sich von allein zu ihm ausdehnen. Als würde sie angezogen von seiner. Und als Lucius' Blick ins Leere glitt und etwas ansah, das irgendwo auf der Tischplatte zwischen ihnen war, bestätigt das ihre Vermutung. „Es tut mir leid“, sagte sie, „Ich kann es nicht beeinflussen.“
Er schluckte. Und was auch immer er dann tat, es half. Es war, als würde sich Wärme gegen ihre Aura lehnen. Als würde er sie streicheln, ohne sie überhaupt zu berühren.
„Was tust du?“, fragte Hermine atemlos.
„Ich dehne meine Aura aus und … lehne sie gegen deine“, sagte er leise und ohne sie anzusehen. Und als Hermine Luft holte, um etwas zu sagen, hob er die Hand und brachte sie zum Schweigen. „Ich will kein Todesser mehr sein, weil …“ Seine Stimme verlor sich. Dann hob er den Blick. „Weil ich nicht mehr so angesehen werden will, wie du mich ansiehst.“
„Wie sehe ich dich an?“
„Als würdest du mich gleichzeitig zutiefst verabscheuen und zutiefst bedauern. Als würde ich nicht verstehen, wie diese Welt funktioniert. Als könntest du mich nicht ernst nehmen.“ Seine Augen wurden ein bisschen größer, als er das sagte.
Hermine konnte kaum atmen. Das. Genau das war es, was sie empfand, wenn sie ihn ansah. Ihre Aura zwang sie dazu, auch anderes wahrzunehmen, aber ihr Verstand … es war genau das.
Und Lucius schien ihr anzusehen, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Er rümpfte die Nase und sagte: „Wenn du zurückkehrst …“ Er unterbrach sich, setzte sich aufrechter hin und begann von Neuem: „Solltest du zurückkehren, möchte ich, dass dir etwas klar ist.“
„Nämlich?“
„Was auch immer du dann von mir willst – ich kann dir keine offizielle Beziehung bieten. Alles, was ich dir bieten kann, ist tatsächlich eine Affäre, so wie Narcissa und Horatio sie führen. Offiziell kenne ich dich nur als Dracos frühere Schulkameradin und als Heilerin von Astoria.“
Hermine presste die Lippen aufeinander, während sie ihm zuhörte. „Warum?“
Wieder lachte er auf diese freudlose Art, so als würde er es einmal mehr bereuen, sich mit einer unverbesserlichen Gryffindor zu unterhalten. Er fuhr sich über den Mund. „Weil der Erfolg meiner Geschäfte, mein Ansehen in der Gesellschaft und mein ganzer Ruf darauf basieren, eine erfolgreiche Ehe zu führen. Wenigstens das. Und an diesen Dingen hängt zu viel, um es leichtfertig …“ – Bei diesem Wort zuckte Hermine zusammen. – „… aufzugeben. Das Wohl meiner Frau, meines Sohnes, meiner Schwiegertochter, meines Enkels … Das Erbe der letzten und die Absicherung der folgenden Generationen. Ich habe in meinem Leben weitaus mehr Verantwortung auf mich genommen, als du dir vorstellen kannst. Alles, was ich dir geben könnte, wäre eine Beziehung, die in kompletter Verschwiegenheit stattfindet.“
„Was genau bedeutet 'komplette Verschwiegenheit'?“
„Versuchst du zu handeln?“ Er zog eine Augenbraue hoch.
„Nein. Ich will nur alle Details kennen. Ich werde bald viel Zeit zum Nachdenken haben und ich hasse es, wenn ich nicht alle Eventualitäten durchdenken kann.“
Er nickte und sagte: „Ich könnte dich niemals irgendwohin begleiten. Weder auf einen Geburtstag deiner Freunde, noch auf eine Preisverleihung. Nicht mal zu deiner Familie.“
Hermine nickte und machte eine wegwischende Bewegung mit der Hand. Sie war es gewohnt, mit Freunden und Arbeitskollegen auszugehen, das wäre für sie nichts neues. „Was noch?“
„Wir könnten uns nur hier in Malfoy Manor treffen. Nicht in deiner Wohnung, nicht draußen, in keinem Café, keinem Theater, nicht in der Winkelgasse.“
Wieder ein Nicken. „Was noch?“
„Wir könnten niemals Kinder bekommen.“
Hermine schluckte und wandte den Blick ab. „Ich kann sowieso keine Kinder bekommen“, sagte sie dumpf.
„Stand das schon fest, bevor du das Ritual durchgeführt hast?“
„Nein, aber …“
„Dann weißt du nicht, ob es so bleiben wird. Schwarze Magie ist ein Gift für den Körper. Die Fähigkeit zur Fortpflanzung bleibt als erstes auf der Strecke. Du musst dich erneut untersuchen lassen, wenn du dich vollständig erholt hast.“
Hermine presste ihre Lippen aufeinander und kämpfte gegen das Brennen hinter ihren Lidern an. „Okay“, hauchte sie.
Er stand auf und kam um den Tisch herum. Unerwartet zärtlich legte er seine Hand an ihre Wange und strich mit seinem Daumen über ihre Schläfe. Hermine wollte es gar nicht, aber sie lehnte sich in diese Berührung, als würde ihr Leben davon abhängen. Das Kribbeln auf ihrer Haut wurde ein bisschen weniger. Er war da, er berührte sie. Nicht mehr nur seine Aura, er. „Wenn der Abstand nicht helfen sollte und du dich dafür entscheidest zurückzukommen, dann musst du weiterhin lügen und schweigen. War es nicht das, was du nach all den Jahren beenden wolltest?“
Hermine nickte. Dann sah sie zu ihm auf, ein klägliche Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. „Ich hab Angst, Lucius.“
Er verzog das Gesicht. „Ich weiß. Pack deine Sachen und fahr nach Hause, Hermine. Kehr zurück in dein altes Leben und lebe es. Warte ab, bis deine Aura sich von mir gelöst hat und entscheide mit klarem Verstand, ob ich es wert wäre, so viele deiner Träume aufzugeben. Ich werde dir in ein paar Tagen eine Eule schicken. Sie bringt dir einen Portschlüssel, der dich herführt, sofern du das möchtest.“
Sie nickte. Trotzdem rollten zwei Tränen über ihre Wangen, als sie die Augen schloss. „Ich sehne mich so fürchterlich nach dir“, hauchte sie.
„Das gibt sich“, erwiderte er und seine Stimme klang irgendwie anders als sonst. Als sie ihm ins Gesicht sah, waren seine Augen dunkel und ein paar Muskeln zuckten, als bereite dieser Moment ihm körperlich Schmerzen. Lucius beugte sich zu ihr herunter und küsste sie, ganz kurz nur. „Ein … Detail solltest du noch wissen“, murmelte er, keine zwei Zentimeter von ihrem Mund entfernt. „Es gibt mindestens genauso viele glückliche Paare, die völlig unterschiedliche Auren haben wie solche, deren Auren sich verblüffend ähneln. Mach eine etwaige Entscheidung nicht davon abhängig.“ Dann küsste er sie noch einmal, wandte sich ab und verließ den Salon, ohne auch nur einen Bissen gegessen zu haben.
Hermine begann zu frösteln, als seine Aura verschwand.
Die Rückkehr in ihr altes Leben war schwer. Hermine konnte sich kaum dazu bringen, in Malfoy Manor den Kamin zu betreten. Alles zog sie zurück in die Räume, in denen sie die letzten Wochen verbrachte hatte. Es war, als hätte sie einen gewaltigen Magneten in ihrem Körper. Erst der abwartende Blick des Hauselfen zu ihren Füßen war es, der sie den letzten Schritt ins Feuer treten ließ. „Richte Lonny und Sunny bitte aus, dass es mir leid tut“, sagte sie zu dem Hauselfen, bevor sie ihr Ziel nannte und verschwand.
Bevor sie bei sich aus dem Kamin stolpern konnte, streckte sie eine Hand aus und stützte sich an der Rückseite des Schachts ab, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Seufzend trat sie in ihr Wohnzimmer und ließ ihre Tasche auf den Boden fallen.
Dem dumpfen Poltern folgte ein leises Kreischen, dann ein lauter werdendes Flattern. Wenige Sekunden später flog Horace direkt auf sie zu, setzte sich auf ihre Schulter und kniff sie eine Spur zu fest ins Ohr. „Ich hab dich auch vermisst“, murmelte sie und strich der Eule über das weiche Gefieder. Hatten die Hauselfen ihn nach Hause geschickt? Sie hatte in den letzten Tagen kaum an ihn gedacht, es war so viel anderes in ihrem Kopf gewesen.
Horace krächzte leise und drehte sich einmal um sich selbst, so dass seine Schwanzfedern an ihrer Wange entlang strichen. Dann wippte er mit dem Kopf auf und ab und breitete die Flügel aus.
„Du kriegst erst einen Eulenkeks, wenn ich mich vergewissert habe, dass du nichts angestellt hast“, informierte Hermine ihn daraufhin.
Das wiederum schien nicht im Mindesten seiner Vorstellung zu entsprechen; er stieß einen sehr lauten, sehr hellen Schrei aus, der in ihren Ohren klingelte, und flatterte quer durchs Zimmer, bis er auf ihrer Stehlampe zum Sitzen kam. Das Windspiel klimperte. Dort schüttelte er sein Gefieder aus und drehte ihr demonstrativ den Rücken zu.
„So schön ist's nur zu Hause“, seufzte Hermine und ging träge mit ihrer Tasche ins Schlafzimmer hinüber.
Zwei Tage hatte Hermine sich Zeit genommen, um wieder in ihrem alten Leben anzukommen. Sie hatte geweint und sich nach Lucius gesehnt und sich zu einem Ball zusammengerollt, weil es sich anfühlte, als würde sie innerlich auseinanderfallen. Und dann hatte sie noch ein bisschen mehr geweint. Zwischen all den Tränen hatte sie darum gekämpft, ihre Tasche auszupacken und die dreckige Kleidung zu waschen. Nur den Pullover, den sie beim Kampf gegen Voldemort getragen hatte, der, der so sehr nach Lucius duftete, der, den er ihr ausgezogen hatte, den hatte sie aufgehoben. Er lag in ihrem Bett, direkt neben dem Kopfkissen. Sie hatte ihn mit einem Zauber belegt, damit er seinen Geruch behielt.
Doch letztendlich war es so gekommen, wie Lucius vorhergesagt hatte. Die unerträgliche Sehnsucht, die sie am ersten Tag mehrmals an den Kamin getrieben hatte, nur um festzustellen, dass sie Malfoy Manor ohne Einladung nicht betreten konnte, ließ ein wenig nach. Sie hörte auf zu weinen. Ihre Haut hörte auf, so entsetzlich zu kribbeln. Sie konnte ein bisschen besser atmen.
Schweren Herzens hatte sie sich also auf der Entbindungsstation zurückgemeldet, diverse Komplimente über ihre endlich einmal wieder einigermaßen gesunde Gesichtsfarbe bekommen und Jasper im Labor einen Besuch abgestattet. Letzteres hatte sie eigentlich dafür nutzen wollen, um Magnus McMulish zu fragen, ob er sie mit wiederhergestelltem Immunsystem zurücknehmen würde, doch er war nicht da gewesen. Also unterhielt sie sich stattdessen lange genug mit Jasper, um die Erlebnisse der letzten Tage für eine Weile zu vergessen.
An diesem Samstag schließlich hatte sie entschieden, dass sie mittlerweile selbst genug an die erfundene Geschichte ihres angeblichen familiären Notfalls bei ihren Eltern in Australien glaubte, um sie Ginny überzeugend erzählen zu können. Also besuchte sie sie, während Harry seine Wochenendschicht absolvierte.
„Schön, dass du wieder da bist“, begrüßte Ginny sie mit einem strahlenden Lächeln und schloss sie herzlich in die Arme. „Du warst zwar nicht im Urlaub bei deinen Eltern, aber du siehst gut aus!“
Hermine lächelte. „Ja, es tat trotz allem gut, dort zu sein.“
„Was war eigentlich los?“, fragte Ginny, während sie Hermine voraus ins Wohnzimmer ging. Ein Quietschen verschluckte den Anfang von Hermines Antwort; James stand am Gitter seines Laufstalls und wippte auf seinen stämmigen Beinchen hoch und runter.
Hermine seufzte. „Meine Mutter war krank. Ernsthaft krank“, begann noch einmal, nachdem sie den kleinen Jungen ausgiebig begrüßt und sich letztendlich doch dazu erbarmt hatte, ihn aus seinem mit bunten Stofftieren ausgestatteten Gefängnis zu befreien. Jetzt saß er auf ihrem Unterarm und streckte die feisten Händchen nach ihren Haaren aus, während ein Speichelrinnsal in den Falten seines Halses versickerte. „Lass das nicht das Ministerium wissen, aber ich hab ihr ein paar Tränke zubereitet und bin dort geblieben, bis sie wieder vollständig gesund war.“
„Also geht es ihr wieder gut?“, fragte Ginny und schenkte ihnen Kaffee ein.
„Ja, zum Glück. Sie haben sich jetzt auch endlich entschieden, dort zu bleiben.“
Ginny schmunzelte. „Es stand immer noch zur Debatte, dass sie zurückkommen? Nach all den Jahren?“
„Anscheinend schon.“ Ihre Mutter hatte es ihr in einem Brief geschrieben, der in dem Berg von Post in ihrem Briefkasten gesteckt hatte. Hermine hatte schon seit langem nicht mehr damit gerechnet, dass ihre Eltern zurückkehren würden. Sie hatte sich inzwischen ohnehin daran gewöhnt, dass sie am anderen Ende der Welt lebten. Der räumliche Abstand war auch nicht größer als der kulturelle zur magischen Gesellschaft. „Ba-ba-ba-ba“, machte sie dann die Laute nach, die James vor sich hinbrabbelte, während er auf seinen Fingern kaute. Unwillkürlich begann sie zu lächeln. Er strahlte etwas aus, das … sie fand keine Worte dafür. Oder doch. Inzwischen fand sie Worte dafür. Er musste eine wunderschöne Aura haben.
Der Moment, auf den Hermine insgeheim von Anfang an gewartet hatte, kam schneller, als sie gedacht hatte. James hatte seine feuchten Finger überall, mit besonderer Begeisterung in ihren Haaren. Doch als er sich auf ihrem Arm umzudrehen versuchte, weil Midgie, die Posteule, einen melodischen Pfiff ausgestoßen hatte, blieb er an Hermines Bluse hängen und zog den Stoff ein Stück auseinander. Ginnys Blick huschte automatisch über das Malheur ihres Sohnes – und erstarrte überrascht.
„Wo hast du denn deine Kette gelassen?“
Hermine spürte, wie ihr Herzschlag plötzlich schneller wurde. Zwanghaft versuchte sie die Erinnerung an die dramatischen Ereignisse und das daraus entstandene Gefühlschaos zu verdrängen. Sie rutschte James auf ihrem Arm höher und zuckte mit den Schultern. „Meine Mutter war so traurig, als ich wieder abgereist bin, da hab ich sie ihr dagelassen. Nachdem Malfoy ein Auge darauf geworfen hatte, ist es vielleicht auch besser so.“
„Ich dachte, du hängst so daran.“ Ginny runzelte die Stirn, während sie die Arme nach James ausstreckte, der nun anscheinend wieder etwas mütterliche Nähe brauchte und auf Hermines Arm zu quengeln begonnen hatte.
„Na ja, ich hab auch an meiner Schulzeit gehangen und trotzdem war es irgendwann an der Zeit loszulassen. Außerdem ist sie bei meiner Mutter in guten Händen.“
„Ja, da hast du wohl recht“, murmelte Ginny und drückte James einen Butterkeks in die Hand, um ihn wenigstens zeitweise zu beschäftigen. „Wirst du mir jemals erzählen, was es mit dieser Kette auf sich hat und warum du die Anzeige gegen Malfoy zurückgezogen hast?“
Hermine senkte den Blick.
„Das heißt wohl nein“, schlussfolgerte Ginny und seufzte.
„Es tut mir leid.“
An diesem Abend stand Hermine in dem schmalen Spalt zwischen ihrer Fensterbank und der Rückenlehne ihrer Couch, die Arme vor der Brust verschränkt und den Blick in den dunkler werdenden Himmel gerichtet. Die Luft, die kühl an ihr vorbeizog, ließ sie frösteln.
Die Sehnsucht nach Lucius zog ihr immer noch die Brust zusammen, wenn sie sich nicht ausreichend ablenkte. Drei Tage war es jetzt her, dass sie Malfoy Manor verlassen hatte. Drei Tage, in denen sie ihn nicht gesehen, nicht mit ihm gesprochen, ihn nicht berührt hatte. Nein, es fühlte sich nicht mehr so grausam an wie am Morgen ihres Abschieds. Aber es fühlte sich … leer an. Als wäre die Kette immer noch da. Als würde etwas sehr Dunkles sie immer noch zu Boden ziehen.
Früher an diesem Abend war James auf ihrem Arm eingeschlafen, während sie mit Ginny über alles gesprochen hatte, was sich in den letzten Wochen aufgestaut hatte. Dass der Schwangerschaftstest dieses Mal negativ ausgefallen war, die nächste Chance aber mit Sicherheit kommen würde. Dass Harry zwei Mitarbeiter entlassen musste, weil sie die Gefahren ihrer leichtsinnigen Aktionen einfach nicht einsehen wollten. Dass Arthur beim jährlichen Gesundheitscheck des Ministeriums ein erhöhtes Herzinfarktrisiko gezeigt hatte und nun regelmäßig Tränke einnehmen musste. Und dass Molly ihn seitdem noch aufopfernder umsorgte (Ginny hatte dafür allerdings das Wort 'bemuttern' genutzt, zusammen mit einem sehr genervten Augenrollen).
Während Ginny dann damit beschäftigt gewesen war aufzuräumen, hatte Hermine James ins Bett gebracht. Als sie im halbdunklen Schlafzimmer von Harry und Ginny gestanden und den schlafenden Jungen beobachtet hatte, hatte ihr etwas die Kehle zugeschnürt. Kinder waren immer ein Teil ihrer Lebensplanung gewesen. Eigentlich Rons Kinder, aber dafür war es zu spät. Ron hatte eine andere Frau zur Mutter seiner Kinder gemacht.
Seit ein paar Jahren hatte sie versucht, sich von diesem Wunsch zu verabschieden und es war ihr leidlich gelungen. Was war ihr auch anderes übrig geblieben? Aber jetzt … Was, wenn Lucius recht hatte? Was, wenn es nur an der dunklen Magie gelegen hatte, dass sie nicht schwanger geworden war? Könnte sie für einen Mann wie Lucius auf Kinder verzichten?
Ja, vielleicht war es zu früh, sich darüber Gedanken zu machen. Es waren erst drei Tage und vielleicht würde die Sehnsucht noch weiter nachlassen. Vielleicht würde es sich in ein paar Tagen nicht mehr anfühlen, als würde ein schweres Gewicht auf ihren Schultern liegen, das nur er ihr abnehmen konnte. Vielleicht würde sie diese Entscheidung nie treffen müssen.
Hermine seufzte leise und zupfte mit den Zähnen etwas Haut von ihrer Unterlippe. Wie dem auch sei, gerade jetzt war sie überzeugt, dass sie diesen Preis ohnehin nicht würde zahlen können, auch wenn die Sehnsucht nach ihm noch so sehr schmerzte. Sie wünschte sich, dass die Eule mit seiner Einladung kommen möge, solange sie sich dieser Entscheidung sicher war.
Doch der Himmel über London blieb eulenfrei.
„Hermine Granger“, sagte Magnus McMulish langsam und schüttelte den Kopf über sie, als hätte sie etwas ausgefressen. Dabei stand sie lediglich hier, in ihrem ehemaligen Labor, das Kinn gereckt und die Schultern gestrafft. „Wenn du dir bei diesem Besuch wieder irgendetwas einfängst, ist es nicht meine Schuld“, erklärte er und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Mit einer Pipette setzte er einen Tropfen klarer Flüssigkeit auf einen Objektträger und betrachtete ihn unter dem Mikroskop.
„Ich werde mir schon nichts einfangen“, tat Hermine seinen Einwand ab und konnte sich nur schwer davon abhalten, selbst wieder zur Pipette zu greifen. Es kribbelte in ihren Fingern und ihr Verstand arbeitete bereits auf Hochtouren, ohne signifikante Details erfahren zu haben. Sie brauchte diese Spannung, die geistige Erregung. Wenigstens für eine kurze Zeit wurde ihre Sehnsucht so erträglich.
„Das hast du damals auch gesagt.“
„Damals wusste ich auch noch nicht, dass ich unter einer Immunschwäche litt“, log sie, ganz ohne rot zu werden. „Das ist jetzt anders. Ich bin vollständig diagnostiziert und therapiert und in wenigen Wochen wird mein Immunsystem absolut wiederhergestellt sein.“
„Glückwunsch“, war seine nüchterne Antwort, während er an dem Rädchen drehte, um das Bild scharfzustellen.
„Ich will meinen Job zurück“, entschied Hermine daher, in die Vollen zu gehen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn entschlossen an, als er über das Okular schielte.
„Du willst …“, begann er, dann lachte er lauthals auf. „Du setzt mir keinen Fuß mehr in dieses Labor!“
„Warum nicht?“
„Weil sie mir die Abteilung dicht machen, wenn sich noch einmal jemand mit einem Keim aus unserer Forschung ansteckt! Und ich gedenke nicht, das zu riskieren.“ Als seine Worte nichts an ihrer Miene änderten, seufzte er und stellte sich wieder aufrecht hin. „Ich mag dich, Hermine. Und ich schätze deine Leistungen. Aber das Risiko ist mir zu hoch.“ Er zuckte mit den Schultern, bevor er sich wieder auf das Mikroskop konzentrierte.
Sie ließ ihren Blick schweifen und begegnete dem von Jasper, der sie mit einer Geste aufforderte, nicht aufzugeben. Sie nickte ihm verschwörerisch zu und fragte: „Unter welchen Bedingungen würdest du mir eine zweite Chance geben, Magnus?“
„Unter gar keinen“, brummte er.
„Oh, komm schon! Du willst mich doch. Und du schuldest mir was! Du würdest heute noch an deinen Testreihen sitzen, wenn ich nicht die Nächte durchgemacht und ein aufmerksames Auge gehabt hätte.“ In ihren Worten schwang der Vorwurf mit, dass die Lorbeeren für die Erfolge, die sie gemeinsam erzielt hatten, größtenteils an ihn gegangen waren. Hermine störte sich daran nicht; das waren eben die Vorzüge, die man als Leiter einer Forschungseinrichtung genoss. Doch sie schreckte auch nicht davor zurück, es für ihre Zwecke auszunutzen.
Mit Erfolg, wie es schien. Magnus tauchte mit missmutiger Miene wieder auf und ließ sie in den Genuss seiner vollen Körpergröße kommen – die locker die eins neunzig hinter sich ließ. Hermine kannte diese Art der Machtdemonstration schon von ihm und zeigte sich unbeeindruckt. Sie tat etwas, das sie vor kurzem perfektioniert hatte: sie zog eine Augenbraue in die Stirn.
„Ich will einen medizinischen Nachweis deiner Immunstärke. Ich will deine Wochenenden. Ich will deine absolute Verfügbarkeit zu jeder möglichen und unmöglichen Uhrzeit. Und ich will volle Leistung.“
Hermine entgegnete: „Den Nachweis kriegst du, außerdem jedes zweite meiner Wochenenden. Verfügbar bin ich, sofern es nötig ist und das zu entscheiden obliegt nicht nur dir allein! Und meine volle Leistung hast du immer gehabt.“
Magnus kniff die Augen zusammen, knirschte hörbar mit den Zähnen und nickte dann steif mit dem Kopf. „Du kannst anfangen, sobald du deinen Kram auf der Weiberstation geklärt hast.“
Ein Strahlen breitete sich auf Hermines Gesicht aus, selbst Jasper klatschte in die Hände. Für einen Moment spiegelte sich in Magnus' Miene die Angst davor, dass sie ihn umarmen könnte. Doch in Gedenken an die Hygienebestimmungen bremste sie sich. „Danke!“, sagte sie stattdessen, „Du wirst es nicht bereuen!“
„Das hoffe ich für dich!“, rief er ihr hinterher, während Hermine bereits das Labor verließ – um ihren Dienst auf der Entbindungsstation für immer zu quittieren. Ein weiteres Band zu ihrem Leben mit dem Medaillon war gekappt.
Als sie sich bei Einbruch der Dämmerung dann wieder an ihr Fenster stellte, waren die Überlegungen, die durch ihren Verstand kreisten, gänzlich andere. Gesetz den Fall, diese Sehnsucht würde nicht weiter nachlassen … Mit der Zusage von Magnus hatte sich ihr eine Tür geöffnet, die sie mit so verführerischen Versprechen lockte, dass sie alles andere dafür im Stich gelassen hätte. Sie hatte das Zeug dazu, die magische Medizin zu revolutionieren, dessen war sie sich sicher. Während sie sich gestern Abend nichts sehnlicher gewünscht hatte als ein eigenes Kind, rückte der Gedanke an eine Familie angesichts dieser Möglichkeiten auf einmal in weite Ferne.
Nein, ein Kind würde vorerst keinen Platz haben in ihrem Leben. Zumindest nicht, wenn sie ihrer Leidenschaft genug Raum geben wollte. Und nachdem sie sie schon einmal auf so schmerzliche Art verloren hatte, würde sie das nicht noch einmal riskieren.
Doch würde sie in ein paar Jahren noch genauso darüber denken?
Aber was definitiv Platz hatte neben der Forschung, in die sie sich so gerne stürzen wollte, war eine geheime Beziehung. Sie versuchte sich vorzustellen, was Lucius zu ihrem Erfolg sagen würde. Ob er sich für sie freuen würde? Ob er sie beglückwünschen würde? Ob er sie genauso sehr vermisste wie sie ihn? Wieder war sie sich ihrer Entscheidung sicher.
Und wieder blieb der Himmel über London eulenfrei.
Hermine seufzte in die Stille hinein. „Was soll ich bloß tun?“
Chapter 15: Kapitel 7: Die Entscheidung – Teil II
Chapter Text
„Geht es dir gut?“, fragte Tonks und sah sie mit gerunzelter Stirn an. In ihrer Hand hielt sie ein Eis, das trotz der kühlen Winterluft langsam zu schmelzen begann. Vermutlich, weil die Sonne für diesen Novembertag ungewöhnlich hoch am Himmel stand.
„Ja“, entgegnete Hermine und schlang die Hände um ihren Eiskaffee. Sie schloss die Augen und genoss das Licht, die Wärme, das Prickeln auf ihrer Haut. Wo war der Sommer bloß geblieben?
Tonks gab einen skeptischen Laut von sich, ließ es aber dabei bewenden. Schweigend leisteten sie sich auf der magisch aufgewärmten Bank vor Florean Fortescues Eissalon Gesellschaft, wie schon so viele Male zuvor.
Nach ein paar Momenten blinzelte Hermine und beobachtete das Treiben in der Winkelgasse. Es war wenig los. Die Ferien begannen erst in über einem Monat, die Rabattaktionen nach dem Schuljahresbeginn waren vorbei und das Weihnachtsgeschäft noch eine Weile hin. Nur die Schlange vor Weasley's Zauberhafte Zauberscherze reichte bis auf die Straße. Hermine betrachtete das Gedränge.
„Vermisst du ihn?“, fragte Tonks in ihre Gedanken hinein.
Hermines Puls schoss in die Höhe. „Wen?“
„Na, Ron.“ Sie nickte zu dem Gedränge hinüber.
Hermine entspannte sich. „Nein, eigentlich nicht.“ Ihre Sehnsucht galt einem anderen Mann. Und es gab keinen Menschen auf dieser Welt, vor dem sie das freiwillig zugeben würde. Außer Lucius persönlich vielleicht. Aber auch das nur ungern.
Und dann blieb Hermine das Herz stehen.
Ein blonder Haarschopf war in der Menge aufgetaucht, so charakteristisch, dass sie nicht eine Sekunde lang zweifelte. Sie keuchte und lehnte sich ein Stück vor, ihre Beine standen unter Spannung, so als wollten sie gleich aufspringen und quer durch die Menge zu ihm laufen.
Lucius, dachte sie, fühlte sie, beinahe rief sie es sogar und ihr Brustkorb zog sich vor Sehnsucht zusammen. So heftig, als wäre sie eben gerade erst aus Malfoy Manor abgereist. So heftig, als wären die letzten Tage niemals passiert.
Doch Lucius bemerkte sie gar nicht. Mit zügigen Schritten ging er durch die Menge und verschwand schließlich hinter einer Kurve. Das Gefühl, eine Chance verpasst zu haben, breitete sich in Hermine aus wie Eis. Und so, überlegte sie, sollte es jedes Mal sein, wenn sie sich zufällig begegneten? Könnte sie das ertragen?
„Wie viel würdest du aufgeben, um mit dem Mann zusammen sein zu können, nach dem du dich sehnst?“, fragte sie nachdenklich an Tonks gewandt, die von Hermines Verhalten gar nichts mitbekommen hatte.
„Alles“, antwortete sie ohne nachzudenken.
Hermine runzelte die Stirn. „Im Ernst?“
„Klar. Es gibt nichts wichtigeres, als so lange wie möglich mit denen zusammen zu sein, die man liebt. Die Zeit vergeht sowieso viel zu schnell.“
„Nein, ich meine …“ Hermine unterbrach sich, zögerte. „Keine Liebe, nur … Sehnsucht.“
Tonks sah sie an, ziemlich irritiert. „Du sehnst dich nach jemandem, ohne ihn zu lieben?“
Hitze stieg ihr ins Gesicht. „Ja“, sagte sie und zuckte mit den Schultern.
Tonks sah auf ihr Eis nieder, von dem nur noch ein Stück Waffel mit weißer Creme in der Spitze übrig geblieben war. „Ich glaube nicht, dass das eine ohne das andere möglich ist.“ Sie steckte sich die Waffel in den Mund und kaute geräuschvoll.
„Hm“, machte Hermine und ließ ihren Blick wieder über die Winkelgasse schweifen. Sie fühlte sich immer noch kribbelig, nur weil sie Lucius kurz gesehen hatte. Konnte ihre Aura wirklich immer noch so heftig auf ihn reagieren? Oder hatte Tonks recht? War es längst nicht mehr nur ihre Aura?
Aber konnte es etwas anderes als ihre Aura sein? Nein, wirklich nicht. Egal, was Lucius Malfoy sein oder nicht mehr sein wollte – er war … schlecht. Er war nach Voldemort so ziemlich der schlechteste Mensch, den sie kannte. Skrupellos und brutal und manipulativ. Er hasste Menschen wie sie. Er war bereit gewesen, Menschen wie sie zu töten und hätte nicht mal ein schlechtes Gewissen deswegen gehabt. Er war der Teufel. Niemals könnte sie ihn lieben.
Hermine schlug das Herz bis zum Hals, während sie mit ihrem Eiskaffee in der Hand auf die Stelle starrte, an der Lucius eben verschwunden war. War er wirklich noch dieser Mann? Dieser Mann, der so ziemlich der schlechteste Mensch war, den sie kannte? Er hätte sie einfach sterben lassen können. Sowohl mit der Konsequenz, Voldemort zurückzubringen, als auch ohne sie. Er hätte sie mitsamt der Kette durch den Schleier stoßen können. Merlin, er hätte sie mit dem Imperius belegen können und sie wäre freiwillig hindurchgegangen! Nicht mal Kingsley hätte das gemerkt. Lucius hätte einfach behaupten können, es wäre nicht anders gegangen. Ein Opfer, um Voldemorts Rückkehr zu verhindern … Es wäre bitter gewesen, aber Kingsley hätte es vermutlich geglaubt und vertuscht.
Lucius hatte trotzdem den unbequemen Weg gewählt. Er hatte ihr beigebracht, ihre Aura zu verbergen. Er hatte sie wiederbelebt und mit einem Zauber geschützt, bis sie wieder in der Lage gewesen war, auf sich selbst aufzupassen. Er hatte sich mit ihr zusammengesetzt und einen Weg gefunden, um sie lebend durch diese Sache zu bringen. Sie. Ein Schlammblut. Skrupellos war das nicht gewesen.
Zugegeben, die Art wie er sich von ihrer Aura getrennt hatte, die war brutal gewesen. Es zog sich immer noch alles in ihr zusammen, wenn sie an diese Schmerzen dachte. Die Sehnsucht, die übrig geblieben war, war wie ein schwaches Echo davon. Beinahe schmerzhaft. Beinahe. Quälend aber definitiv und dagegen gab es keinen Trank.
Aber Manipulationen konnte sie ihm tatsächlich nicht unterstellen. Er war es doch gewesen, der sie weggeschickt hatte, obwohl jede Faser ihres Seins danach geschrien hatte, in seiner Nähe zu sein. Und immer noch schrie, mal mehr, mal weniger laut. Er hätte sie so oft ausnutzen, erpressen oder auch einfach umbringen können, aber er hatte es nicht getan. Außerhalb Malfoy Manos hätte nicht mal Narcissa Konsequenzen durch den Unbrechbaren Schwur fürchten müssen. Aber er hatte es nicht getan. Und sie hatte es ihm weiß Merlin nicht leicht gemacht.
Aber reichte das aus, um ihn zu lieben?
„Hermine?“
„Hm?“ Sie schrak zusammen und sah Tonks an.
„Ist alles okay?“
„Ja“, sagte sie. Nein, korrigierte sie in Gedanken. Nichts war okay. Aber nichts konnte sie Tonks erzählen.
Die Einladung, die Lucius ihr versprochen hatte, ließ solange auf sich warten, dass Hermine zwischenzeitlich befürchtet hatte, er hätte ihr die Entscheidung abgenommen. Erst zwei lange Wochen nach ihrer Rückkehr aus Malfoy Manor wartete der Uhu auf sie, als sie nach der Arbeit nach Hause kam, und streckte ihr elegant das Bein entgegen.
„Danke“, murmelte Hermine, suchte ihm einen Eulenkeks heraus und nahm gleich einen zweiten für Horace in die Hand. Die Waldohreule, die bereits empört zu kreischen begonnen hatte, als Lucius' Bote mit der Belohnung im Schnabel aus dem Fenster flog, war rasch besänftigt und so konnte sie sich in Ruhe hinsetzen und die kurze Nachricht lesen.
'Sofern Du das noch möchtest, erwarte ich Dich morgen Abend um acht zum Dinner. Der Brief ist der Portschlüssel. Lucius'
Sofort war alles wieder da. Das Gewicht. Das Kribbeln. Das Gefühl, in der Mitte auseinander gerissen zu werden. Diese alles verschlingende Sehnsucht. Hermines Hände zitterten, als sie den Brief wieder zusammenfaltete.
„Er scheint weniger gerne zu schreiben, als er sich reden hört“, murmelte sie und verstaute ihn außer Reichweite von Horace. Sie wusste nicht, ob sie morgen zu Lucius gehen sollte, aber sie wollte sich die Chance nicht nehmen lassen, indem Horace den Brief vorher zerlegte.
Es war kurz vor sieben, als es am nächsten Abend an ihrer Tür klopfte. Hermine, deren Haare gerade in wilden Strähnen abstanden, weil der Frisierzauber noch nicht abgeschlossen war, steckte mit großen Augen den Kopf aus dem Bad. Er würde doch nicht etwa …
„Moment!“, rief sie und wartete ungeduldig darauf, dass ihre Haare endlich fertig waren. Dann lief sie rasch durch den Flur und öffnete die Tür.
Nein, er würde nicht. Es war nicht Lucius, der vor ihrer Tür stand. Es war … „Horatio?“
„Hi!“, erwiderte er mit einem breiten Grinsen. „Ich hoffe, ich störe nicht.“
„Ähm … na ja …“
„Es dauert nicht lange“, versprach er, bevor sie sich auf ihre anerzogene Höflichkeit besinnen konnte.
„Komm rein!“ Hermine trat einen Schritt zur Seite. Der groß gewachsene Mann ging an ihr vorbei und sah sich neugierig um. In Malfoy Manor war er ihr weniger groß vorgekommen. In ihrer Wohnung hingegen … Er wirkte so deplatziert, dass sie ihn einen Moment lang verstört anstarrte. Mit ihm in ihrer Wohnung kollidierten zwei Welten.
„Hübsche Wohnung“, riss er sie endlich aus ihrer Starre.
„Ähm … na ja …“, sagte sie wieder und er grinste. Hermine stieg Hitze in die Wangen. „Man kann hier leben, aber es ist nichts Besonderes.“ Vor allem im Vergleich zu Malfoy Manor.
Tatsächlich hatte sie es in den vier Jahren, die sie schon hier wohnte, nicht geschafft, die wenigen Räume wirklich einzurichten. Sie wusste aber zugegebenermaßen auch nicht, wo sie noch etwas hätte einrichten sollen. Bücherregale standen überall dort, wo noch zwei Quadratzentimeter Platz an einer Wand gewesen waren – von diversen Stapeln auf Tischen und den selten genutzten Stühlen ganz zu schweigen. „Was führt dich her?“ Hermine bot ihm einen Platz an und er setzte sich aufs Sofa.
„Ich würde ja sagen, ich war gerade in der Gegend, aber diese herrliche Ausrede ist leider schon zu oft missbraucht worden.“
„Viel zu oft“, stimmte Hermine zu. „Außerdem … woher weißt du eigentlich, wo ich wohne?“
Er zog die Augenbrauen hoch.
„Verstehe“, murmelte Hermine. Narcissa hatte es ihm gesagt. „Weiß er, dass du hier bist?“
„Nein.“
„Lass mich raten: Er erfährt es auch besser nicht?“
„Wieso nicht? Ich bin ein freier Mann, ich darf besuchen, wen ich will.“ Er zwinkerte. Aber dann wurde er wieder ernst. „Ich bin hier, um dir zu helfen. Du bist mir sympathisch und die Entscheidung, die Lucius von dir verlangt … Ich hab sie vor fast achtzehn Jahren selbst treffen müssen und hätte mir gewünscht, jemanden fragen zu können, der sie schon mal getroffen hat.“
Hermine blinzelte mehrmals, ihr Mund war auf einmal wie ausgetrocknet. „Möchtest du auch einen Tee?“, fragte sie tonlos und trat bereits den Weg in die Küche an, bevor er ihr geantwortet hatte.
Die Minuten, die sie während der Zubereitung des Tees hatte, nutzte Hermine, um einen klaren Kopf zu bekommen. Sie hatte diesen Abend die letzten vierundzwanzig Stunden lang verdrängt – und mit ihm die Ratlosigkeit, mit der sie nicht umgehen konnte, weil sie ihr so völlig fremd war. Es war ihr nie schwer gefallen, eine Entscheidung zu treffen; sei es nun rational oder aus dem Bauch heraus. Eine der Alternativen hatte sich ihr immer aufgedrängt, auch wenn diese nicht immer die richtige gewesen war. Doch sie hatte sich entscheiden können.
In diesem Fall allerdings … Die Sehnsucht war immer noch da. Stärker als sie es für den Rest ihres Lebens aushalten wollte. Sie hatte versucht, Bücher zur Aurenmagie zu finden, aber es gab kaum welche und die, die sie gefunden hatte, hatten völlig andere Dinge behauptet, als sie mit Lucius erlebt hatte. Sie wusste nicht, ob sie sich einfach nur noch mehr Zeit geben musste oder ob ihre Aura sich für immer nach seiner sehnen würde. Und sie wusste nicht, ob sie eine heimliche Beziehung würde führen können. Das einzige, was sie wusste, war, dass sie heute zu ihm gehen würde. Sie brauchte Antworten und offensichtlich war er der einzige, der sie ihr geben konnte.
Die Fragen, die sie sich tatsächlich gerade stellte, würde Horatio ihr jedenfalls kaum beantworten können. Und sie wusste nicht, ob sie die Antworten, die er ihr bieten konnte, wirklich hören wollte.
Schließlich kehrte sie mit dem Tablett, auf dem eine Kanne Tee, zwei Tassen, ein Kännchen Milch und eine Schale Gebäck standen, wieder ins Wohnzimmer zurück. „Wie bereitwillig hat Narcissa dir verraten, wo ich wohne?“
„Es hat ein bisschen gedauert“, gab er zu und nahm sich einen Keks.
„Sie ist nicht angetan von mir“, sagte Hermine und schenkte ihnen ein.
„Nein, ist sie nicht.“
„War vielleicht nicht meine beste Idee, sie zu einem Unbrechbaren Schwur zu zwingen.“
„Oh, ich glaube, das hat sie eher beeindruckt. War sehr slytherin für eine Gryffindor.“
Hermine zog die Augenbrauen hoch.
„Nae ist eher … eifersüchtig. Das nervt sie. Und da du der Grund für ihre Eifersucht bist, nervst du sie erst recht. Das ist übrigens tatsächlich etwas, von dem sie besser nicht erfährt, dass ich es dir gesagt habe. Hast du auch Zucker?“ Er rührte mit dem Löffel in seinem Tee, der durch die Mengen an Milch, die er sich hineingegossen hatte, schon ganz weiß war.
„Ja, natürlich.“ Hermine stand auf und holte den Zucker aus dem Schrank. Sie hob die Schutzzauber auf, die sie wegen Horaces Geschick im Öffnen von Schranktüren darüber gesprochen hatte, und reichte Horatio die Schale.
„Danke!“ Seine weißen Zähne stachen extrem aus dem dunklen Gesicht hervor.
„Hat Narcissa … also …“ Sie räusperte sich. „Empfindet sie noch etwas für Lucius?“
„Ja. Eine Menge sogar.“ Er wirkte nicht sonderlich betrübt darüber.
„Oh“, machte Hermine und senkte den Blick. Sie sollte sich fernhalten von diesem Wespennest.
„Aber nicht das, was du denkst“, fügte Horatio in diesem Moment zu und jetzt wirkte er äußerst vergnügt.
„Sondern?“
Er seufzte und schlug ein Bein über das andere, während er sich zurücklehnte. „Narcissa und Lucius haben geheiratet, weil ihre Eltern es für günstig hielten. Die Beiden waren schon als Kinder gute Freunde und weil es einen in den gehobenen Kreisen schlechter erwischen kann, als mit einem Freund vor den Altar zu treten, haben sie sich nicht dagegen gewehrt. Narcissa hat mir erzählt, dass es eine Phase der Verliebtheit zwischen ihnen gab, kurz nach der Hochzeit. Dann trat Lucius den Todessern bei, ohne Narcissa in diese Entscheidung mit einzubeziehen.“ Er schnalzte mit der Zunge.
„Und Draco?“, wandte Hermine ein.
„Er stammt aus eben dieser Zeit kurz nach der Hochzeit.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Warum haben sie sich nicht scheiden lassen?“
Horatios Augenbrauen zuckten milde überrascht. „Hat Lucius dir nicht seinen Vortrag über die Geschäfte, die Ehre, die Verantwortung und die Ungerechtigkeit der Welt an sich gehalten?“
„Doch“, gab sie zu und lächelte.
„Ich denke, das ist nur einer der Gründe. Natürlich wäre es ein Skandal und diese Ehe zu scheiden …“ Er stieß einen leisen Pfiff aus. „Das hätte vermutlich mehr Nach- als Vorteile.“ Er nippte an seinem Tee.
Hermine verzog das Gesicht. Für sie würde Ehrlichkeit vermutlich nie ein Nachteil sein. „Welches sind die anderen Gründe?“, konzentrierte sie sich dann aber auf ein Thema, das weniger mit Horatios persönlichen Moralvorstellungen zu tun hatte. Das ging sie nichts an.
„Reue. Narcissa erzählt nicht viel von dem, was im Krieg passiert ist, aber ich kann mir vorstellen, dass es furchtbar war. Lucius versucht es wiedergutzumachen.“
„Und das will Narcissa sich nicht entgehen lassen.“ Hermine runzelte die Stirn.
„Nein, neben allen anderen Vorteilen, die ihr das Leben an Lucius' Seite bietet, will sie sich auch das nicht entgehen lassen. Sie ist verletzt, sehr verletzt. Narcissa findet, Lucius hätte die Schuld seiner Familie gegenüber noch immer nicht abgetragen. Und damit hat sie wohl recht; er wird niemals wiedergutmachen können, was seine Familie wegen seiner Entscheidungen erdulden musste.“ Er holte tief Luft. „Aber das sollte kein Grund für dich sein, sich gegen ihn zu entscheiden.“
„Das wohl nicht“, stimmte Hermine zu, „aber alles andere, das daran hängt, schon.“
„Meinst du die Geheimniskrämerei? Die Treffen, die bis ins kleinste Detail geplant werden müssen, die Einschränkungen, die damit zu tun haben, die schrägen Bemerkungen von Freunden und Familie, weil du immer alleine kommst?“
„Zum Beispiel.“
„Man gewöhnt sich daran“, sagte er. „Nach ein paar Wochen war ich selbst schon Experte im Geheimniskrämen und Planen. Die Einschränkungen nimmt man irgendwann hin wie das schlechte Wetter hier in England. Und was Freunde und Familie betrifft … Als es mir zu bunt wurde, hab ich mich mit einer Freundin zusammengetan, der es ähnlich ging wie mir. Sie hat keinen heimlichen Liebhaber, aber sie will einfach keine Beziehung. Und seitdem wir unsere Scheinbeziehung begonnen haben, haben sich alle anderen schon dreimal wieder getrennt.“ Er zog die Augenbrauen hoch und Hermine erwiderte es.
„Bei dir klingt das alles so einfach.“
„Letztendlich … ist es das. Ich hab meine Entscheidung in all den Jahren nicht einmal so sehr bereut, dass ich sie hätte rückgängig machen wollen.“
Sie fuhr sich erschöpft mit der Hand über die Stirn. „Aber was ist, wenn ich das später mal nicht behaupten kann?“
„Dich jetzt für Lucius zu entscheiden, ist keine Entscheidung für die Ewigkeit. Du kannst gehen, wann immer du willst, und musst niemals zurückkehren, wenn du es nicht möchtest.“
„Ich möchte aber nicht mit einem Schlupfloch in diese Beziehung gehen.“
„Dann schalte für einen Moment deinen Verstand ab und hör auf das, was dein Herz dir sagt. Damit bist du immer auf der richtigen Seite.“
„Von wegen“, grollte sie, „Die letzte Entscheidung, die mir mein Herz diktiert hat, hat mich das Leben gekostet.“ Und sie war sich immer noch nicht sicher, wie viel ihr Herz tatsächlich zu diesen Gefühlen beitrug. Was sie bräuchte, wären mal fünf Minuten Sendepause von ihrer Aura, aber sie hatte nicht herausfinden können, ob das überhaupt möglich war.
„Oh, stimmt, diese zwei Minuten müssen dich traumatisiert haben“, sagte Horatio in ihre Gedanken hinein.
Hermine spürte das Echo der Furcht ihr Rückgrat hinunterlaufen und schluckte schwer. „Sagen wir so, ich bin nicht scharf darauf, diese Erfahrung zu wiederholen.“
Er seufzte leise und lehnte sich ihr entgegen. „Der Trick an der Sache ist, dass du nicht als erstes darüber nachdenken darfst, was du opfern musst. Aus diesen Überlegungen kommst du nicht wieder raus. Stell dir stattdessen vor, was du gewinnen kannst. Und wenn du soweit bist, das unbedingt haben zu wollen, dann kannst du entscheiden, ob es den Preis wert ist.“
Der Portschlüssel führte Hermine wie immer vor die Tore des Anwesens. Horatios Worte kreisten ihr immer noch im Kopf herum, obwohl sie sie so hartnäckig zu verdrängen versuchte. Das ging ihr alles viel zu schnell, sie war noch gar nicht bereit, über eine heimliche Beziehung mit Lucius Malfoy nachzudenken. Sie wollte … nur endlich wieder sie selbst sein. Ohne diese Sehnsucht. Und sie hatte Angst, dass es niemals dazu kommen würde.
Ein Hauself führte sie durch das Anwesen und inzwischen hatte sie schon eine vage Vorstellung davon, wo sie sich befand und wohin er sie brachte. Ihre Schritte klangen dumpf auf dem mit Teppich ausgelegten Flur, die Porträts beäugten sie abschätzig und ihr Herz schlug so schnell, dass sie befürchtete, es könnte gleich einfach stehen bleiben.
Und dann stand sie auf einmal in einem Salon und Lucius stand am Fenster und ihre Aura … Es fühlte sich an, als würde sie sich elektrisch aufladen. Als müsste sie so sehr glühen, dass jeder es sehen konnte, nicht nur Lucius.
Er wandte sich zu ihr um und als er sie sah, glitt sein Blick in den leeren Raum um sie herum und er schluckte. „Du bist gekommen.“
Hermine verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, ihre Aura ein bisschen an sich heranzuziehen. Er hatte ihr das doch beigebracht, verdammt nochmal! „Ja“, sagte sie.
„Die Sehnsucht hat nicht nachgelassen?“
Sie presste die Lippen aufeinander. „Doch, etwas. Aber … nicht genug, um damit leben zu können.“ Sie seufzte, als ihr ihre Aura entglitt. Sie spürte, dass sie sich ausdehnte. „Deine?“, fragte sie, als könnte sie ihn damit davon ablenken, dass sie diesen Raum einnahm wie ein schlechter Geruch.
Und obwohl sie Lucius' Blick auswich, spürte sie, dass er ihre Aura mit seiner berührte. Eine Sommerbrise mitten im Winter, die über sie hinwegstrich. Hermine schloss die Augen. „Nein“, sagte er mit dunkler Stimme.
Hermine wimmerte. „Heißt das jetzt, wir … werden einander für immer vermissen?“
Er senkte den Blick. „Möglicherweise.“
Sie fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. „I-Ich weiß nicht, ob ich das kann, Lucius! Ich hab dich letztens in der Winkelgasse gesehen und ich … ich konnte mich kaum davon abhalten, zu dir zu laufen! Es zerreißt mich! Es zerreißt mich, in deiner Nähe zu sein, und es zerreißt mich noch mehr, es nicht zu sein. Kann man das nicht irgendwie … abstellen?“
Über die Entfernung von bestimmt fünf Metern sah er sie an mit einem Ausdruck, den Hermine noch nie bei ihm gesehen hatte. „Ich weiß es nicht, Hermine. Aber ich weiß, was du meinst.“ Er runzelte die Stirn.
„Ach ja? Du hast mich doch in der Winkelgasse gar nicht gesehen“, murmelte sie.
„Nein, aber gespürt!“, entgegnete er heftig. „Zwischen den hunderten von Auren, die an diesem Tag in der Winkelgasse unterwegs waren, hab ich deine gespürt, als würdest du direkt neben mir stehen. Weiterzugehen und mich nicht nach dir umzudrehen …“ Er schnaubte und wischte sich über den Mund.
Hermine zwang sich, ein paar Schritte weiter in den Raum zu gehen. Auf ihn zu. Sie teilten dieses Problem offensichtlich. Sie hatten es beide nicht darauf abgesehen, mehr als nötig miteinander zu tun zu haben. „Wie kann es nur sein, dass unsere Auren sich so … anziehen, während wir uns gar nicht leiden können?“, fragte sie.
Lucius steckte die Hände in die Hosentaschen und sah sie an. „Es gibt mehr als einen Weg, sich zueinander hingezogen zu fühlen. Für die meisten ist der emotionale der einzig wahre. Man muss sich lieben, damit es echt ist.“ Er sagte es in einem abfälligen Ton. „Aber die Zuneigung der Auren ist genauso stark und genauso echt. Sie ist nur anders.“
„Also kannst du mich leiden?“, fragte Hermine provokant.
„Jetzt gerade? Nicht besonders“, gab er zu. „Aber die Auren lügen nicht. Wenn sie trotz der Trennung noch so heftig aufeinander reagieren, muss das etwas bedeuten.“
Sie schluckte. „Was sollen wir also tun?“
Lucius ging zum Tisch und zog einen Stuhl hervor. „Wir werden jetzt essen und uns kennenlernen. Reden.“ Er presste kurz die Lippen aufeinander, dann fuhr er fort: „Ehrlich sein. Vorausgesetzt du kannst dich darauf einlassen, werden wir versuchen, herauszufinden, ob wir tatsächlich so gut miteinander funktionieren, wie unsere Auren es behaupten.“
Einige Sekunden lang sah sie ihn und den Stuhl in seinen Händen an, ohne sich zu bewegen. Sie wog ihre Alternativen ab. Sie könnte gehen und weiterleben mit der Sehnsucht nach diesem Mann. Sie könnte versuchen, doch noch Literatur zu finden. Oder sie ließ es darauf ankommen. Wenn ihre Aura recht hatte, gab es in Lucius Malfoy vielleicht einen Schatz zu finden, auf den sie nicht verzichten sollte. Und wenn nicht … nun, sie würde das vermutlich irgendwann spüren.
Also ging sie zu ihm und setzte sich, ließ sich von ihm den Stuhl zurechtrücken und sah angespannt zu ihm, als er sich zu ihrer Rechten an den Tisch setzte. Seit ihrer ersten Geburt war sie nicht mehr so nervös gewesen. Ihre Blicke kreuzten sich nur für den Bruchteil einer Sekunde, ehe sie wieder wegsah. Dafür waren ihre Auren permanent in Kontakt. Seitdem sie Malfoy Manor vor zwei Wochen verlassen hatte, hatte sie sich nicht mehr so gut gefühlt.
Und nachdem das Essen aufgetragen worden war und zwei Hauselfen synchron die Hauben von ihrem und Lucius' Tellern hoben, verschwand jedes Gefühl von Nervosität wie mit einem Fingerschnippen. Vor ihr lag ein Berg Nudeln mit Tomatensauce.
Hermine blinzelte überrascht, dann sah sie auf. Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel und sie konnte nicht anders, sie lachte laut auf. „Woher wusstest du das?“, fragte sie.
„Ich wusste es nicht. Ich hab nur gesehen, wie du auf die bisherigen Mahlzeiten hier reagiert hast. Du und deine Aura. Das hier war nur ein Versuch.“
„Ein ziemlich guter“, gab sie zu und nahm Gabel und Löffel in die Hand.
Lucius sah sie nachdenklich an. „Mein ganzes Leben ist eine Aneinanderreihung von guten Versuchen. Und ein paar schlechten.“
Hermine schluckte hohl. Sie wusste, welche Gedanken ihm gerade durch den Kopf gingen. Dass auch diese Geschichte mit ihnen beiden nicht mehr war als ein Versuch und ob er sich als gut oder schlecht erweisen würde, stand in den Sternen.
Drei Jahre später
„James ins Bett zu bringen, war leichter, als er noch in meinen Armen eingeschlafen ist“, seufzte Hermine, als sie aus dem Zimmer des quirligen Jungen zurückkehrte und sich erschöpft neben Horatio auf die Couch fallen ließ. „Ich musste ihm drei Geschichten vorlesen und dann noch einmal erzählen, wie ich dir in der Schule den Hintern gerettet habe.“ Bei ihren letzten Worten deutete sie auf Harry und grinste vergnügt.
„Welches Mal?“, fragte der und alle lachten.
„Ich bin seine Heldin“, triumphierte Hermine.
„Aber auch nur, weil du ihm nie sagen musst, dass er seinen Bruder nicht an den Haaren ziehen soll“, erwiderte Harry und ließ sich von seiner schmunzelnden Frau über die Schulter streichen.
„Du wirst immer der coolste Dad überhaupt für ihn sein“, versicherte Ginny und küsste ihn zärtlich.
Horatio legte den Arm um Hermine und zog sie an sich. Sie lehnte sich gegen ihn, angenehm müde vom guten Essen und dem Wein, den sie getrunken hatte. Und ein bisschen wehmütig, weil sie niemals ihre eigenen Kinder ins Bett bringen würde. Das hatte die Magie Voldemorts ihr genommen. Für immer.
Erst als sie schon halb weggedöst war, riss sie sich in die Realität zurück und setzte sich auf. „Ich glaube, wir sollten dann auch mal gehen. Bevor er gleich wieder aufwacht und das alles von vorne anfängt.“ Sie verzog das Gesicht, stand auf und strich ihre Hose glatt.
„Stimmt. Du solltest die Flucht ergreifen, solange du noch kannst“, sagte Ginny und schloss sie kurz in die Arme. „Kannst du mich nicht mitnehmen?“
„Klar. Unsere Couch steht immer für dich bereit.“ Sie tauschte einen Blick mit Horatio, der zustimmend nickte.
„Ich hol dir auch die Bettdecke aus dem Keller“, bot er großzügig an.
„Das kommt überhaupt nicht infrage!“, fuhr Harry dazwischen. „Irgendjemand muss mir doch die Kinder vom Hals halten.“
Ginny riss empört den Mund auf. „Wir werden sehen, wer heute Nacht wem die Kinder vom Hals hält …“
Leise lachend und ausnehmend gut gelaunt verließ Hermine kurz darauf mit Horatio die Wohnung ihrer Freunde und spazierte durch die nächtlichen Straßen Londons. Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Uhr. Es war schon kurz nach elf. „Was meinst du, ist es schon zu spät?“
Er griff nach ihrem Arm und schaute ebenfalls nach der Zeit – seine eigene Armbanduhr war mal wieder zu Hause liegen geblieben. „Möglicherweise.“
„Aber das hält dich nicht ab, oder?“, schlussfolgerte Hermine aus seinem Tonfall.
Horatio lachte kurz auf. „Niemals! Dich etwa?“
Sie grinste. „Nein.“
Daraufhin blieben sie stehen und er zog sie in seine Arme. Diese Nähe, die anfangs extrem befremdlich und unangenehm gewesen war, war einfach normal geworden in den fast zwei Jahren, die sie nun schon das Liebespaar mimten. Hermine kannte seinen Geruch so gut wie den von Lucius (auch wenn sie letzteren mehr genoss) und sie war ihm dankbar dafür, dass dieses Arrangement so problemlos funktionierte. Es war, als hätte sie ihren Platz im kosmischen Gefüge gefunden.
Sie ließ sich von seiner Apparation mitreißen und blinzelte mehrmals, als das hell erleuchtete Anwesen der Malfoys vor ihren Augen auftauchte. „Scheint ja doch noch nicht so spät zu sein“, stellte sie fest und ging ihm vorweg auf die Eingangstür zu.
„Dachte ich mir“, sagte er und klopfte über ihre Schulter hinweg.
Kurz darauf schwang die Tür auf und Narcissa strahlte ihn an; sie blickte direkt durch Hermine hindurch.
„Guten Abend, schöne Frau“, schmeichelte Horatio und ergriff die Hand, die sie ihm entgegenstreckte.
„Lasst euch nicht stören“, murmelte Hermine, schob sich an Narcissa vorbei und lief schneller als gewöhnlich durch die Flure. In den vergangenen Jahren hatte sie wider Erwarten jeden Winkel des Anwesens kennengelernt. Es gab nur einen Ort, an dem sie Lucius um diese Uhrzeit finden würde: die kleine Bibliothek, sein Arbeitszimmer. Sie kannte es in- und auswendig, würde den Weg dorthin blind finden. Mehr Zeit hatte sie nur in einem anderen Zimmer verbracht: in seinem Schlafzimmer.
In seinem Arbeitszimmer hatten sie geredet. Und gestritten. Stundenlang weil immer noch niemand sie so sehr reizen konnte wie Lucius. Mit dem Schreibtisch zwischen ihnen, um sich besser … konzentrieren zu können. Sie hatten geredet und gestritten und Hermine hatte mehr als einmal beschlossen, dass sie niemals wiederkommen würde, weil sie so fassungslos gewesen war darüber, was für ein Mensch er war und wie sein Leben funktionierte, dass er kein Teil ihres Lebens sein sollte.
Aber sie war jedes Mal wiedergekommen. Und kein einziges Mal hatte er es ihr verweigert. Der Kamin hatte ihr immer offen gestanden, außer es waren Gäste im Haus gewesen, denen sie nicht hatte begegnen dürfen.
Irgendwann waren die Streitereien weniger geworden, weil sie angefangen hatte, sein Leben und ihn zu verstehen – und er ihr Leben und sie. Nein, sie waren nicht füreinander geschaffen; sie hatten lange um die gemeinsame Basis kämpfen müssen, die ihre Auren ihnen gezeigt hatten. Aber offensichtlich hatte es sich gelohnt, denn irgendwann waren aus den Streitereien Diskussionen geworden. Anregende Diskussionen, die mehr als einmal ihr Ende in besagtem Schlafzimmer gefunden hatten. Gut, manchmal auch im Arbeitszimmer. Von da an hatte Hermine nur noch selten daran gedacht, nicht mehr wiederzukommen. Meistens wenn sie allein zu einem Geburtstag, einer Hochzeit oder zur Weihnachtsfeier der Weasleys gehen musste. Wenn alle sie mitleidig angeguckt hatten, weil sie immer noch niemanden gefunden hatte.
Und dann hatte Horatio ein zweites Mal unangemeldet vor ihrer Tür gestanden. Sie waren einander sporadisch in Malfoy Manor über den Weg gelaufen, aber viel geredet hatten sie nie. Ihre Zeit mit Lucius war beschränkt genug, sie hatte sie nicht noch mehr einschränken wollen. Er hatte ihr erzählt, dass seine Scheinfreundin sich einige Monate vorher echt verliebt hatte und dass seine Freunde und seine Familie schon wieder anfingen, ihn so anzusehen. Hermine hatte genau gewusst, was er mit so meinte.
Trotzdem hatte sie sich ein paar Wochen Zeit gelassen, um eine Entscheidung zu treffen. Obwohl es sich anbot. Obwohl er sympathisch war. Sie tat sich neuerdings schwer damit, Entscheidungen zu treffen. Eine massive Fehlentscheidung prägte offensichtlich fürs Leben.
Aber letztendlich hatte sie sich für die nächste große Lüge entschieden. Nur dass es dieses Mal eine gewesen war, die sie Frieden hatte schließen lassen mit der Entscheidung für Lucius. Sie konnte endlich über Lucius sprechen. Sie musste nur behaupten, dass es um Horatio ging.
Seitdem war alles ein bisschen einfacher geworden. Nicht unbedingt die Sehnsucht, die Lucius und sie immer noch empfanden, wenn sie voneinander getrennt waren. Aber alles andere drum herum. Und um die Sehnsucht kümmerte sie sich in jeder freien Minute. Selbst wenn es wirklich nur Minuten waren nach ihrem Schichtende und vor seinem Arbeitsbeginn – sie nutzte sie. Für einen schnellen Kuss und eine lindernde Umarmung, bevor sie nach Hause ging.
Jetzt hatten sie hoffentlich ein bisschen mehr als ein paar Minuten. Es war zwar schon spät, aber es war Samstag. Sie hatten morgen beide frei. Und Hermine musste etwas loswerden.
Sie klopfte zweimal und öffnete die Tür, ohne auf eine Aufforderung zu warten. Er saß hinter seinem Schreibtisch und zog die Augenbrauen in die Stirn, als er sie erkannte. „Warst du nicht vorhin erst hier?“
Seine dunkle Stimme jagte ihr eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Ihre Aura dehnte sich unwillkürlich aus und berührte seine. Als hätte er ihr niemals beigebracht, wie man sie kontrollieren konnte. Wärme strich über sie wie eine Sommerbrise. Trotzdem blieb sie bei der Tür stehen. „Soll ich wieder gehen?“
Er stand auf, umrundete den Schreibtisch, stieg die drei Stufen zu ihr hinauf und stützte sich mit den Händen zu beiden Seiten ihres Kopfes an der Tür ab. Er beugte sich zu ihr und sein Mund war nur Zentimeter von ihrem entfernt, als er raunte: „Versuch's doch!“
Hermines Knie wurden weich und sie schlang die Arme um seinen Hals, um nicht den Halt zu verlieren. Er küsste sie, zärtlich und länger, als sie es erwartet hatte. Sie bog sich ihm entgegen, ihre Haut kribbelte, ihr Herz schlug schneller. Als er den Kuss beendete, leckte sie sich über die Lippen. „Lucius, ich … ich glaube, ich liebe dich.“
Er zog eine Augenbraue hoch. „Ach wirklich?“
Sie nickte. „Ja. Nicht nur mit meiner Aura. Auch mit … meinem Herzen. Und meiner Seele. Und meinem ganzen Körper.“
„Besonders mit dem“, sagte er und lächelte dreckig.
Sie stahl sich einen schnellen Kuss von ihm, um ihm dieses Lächeln aus dem Gesicht zu wischen. Ernst sah sie ihn an. „Ich hätte damals nicht gedacht, dass das jemals passieren würde. Du und ich … das ist absurd. Ich dachte, wir würden für immer gegen unseren Willen den Auren ausgeliefert sein. Aber es ist passiert. Ich liebe dich. Merlin stehe mir bei …“
Lucius nahm eine Hand von der Tür und griff nach einer Strähne ihrer Haare, wickelte sie sich um den Finger. Eine Falte stand zwischen seinen Augenbrauen und weil das Licht hinter ihm war, sahen seine Augen fast schwarz aus, als er sie wieder ansah und sagte: „Ich hoffe, er steht uns beiden bei.“
Sie seufzte und ließ ihren Kopf gegen seine Brust sinken.
Lucius stellte sich aufrecht hin und zog sie in seine Arme. „Bereust du es, an diesem Abend wieder hergekommen zu sein?“
Jetzt vibrierte seine Stimme in ihrem Körper. „Nein. Bereust du es, mich wieder eingeladen zu haben?“
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände. „Nein“, sagte er und küsste sie auf die Stirn und dieser Kuss durchfuhr Hermine wie ein Stromstoß. Sie und ihre Aura und ihr Herz und ihre Seele und sie konnte sich nicht erinnern, dass sich irgendwann zuvor jemals etwas so gut gefühlt hatte.
jacqui (Guest) on Chapter 1 Sun 21 Nov 2021 08:30PM UTC
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CharlotteRhea on Chapter 1 Sun 21 Nov 2021 08:33PM UTC
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EstelleRaven on Chapter 1 Mon 22 Nov 2021 09:14PM UTC
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Lissi (Guest) on Chapter 1 Thu 01 Jun 2023 05:54AM UTC
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Mi806051 on Chapter 1 Sun 06 Oct 2024 03:47AM UTC
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Mi806051 on Chapter 1 Mon 07 Oct 2024 07:36PM UTC
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Lissi (Guest) on Chapter 3 Thu 01 Jun 2023 11:31AM UTC
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claudilla on Chapter 9 Thu 02 Dec 2021 02:08AM UTC
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Lissi (Guest) on Chapter 9 Fri 02 Jun 2023 05:10AM UTC
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CharlotteRhea on Chapter 9 Fri 02 Jun 2023 04:55PM UTC
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claudilla on Chapter 10 Thu 02 Dec 2021 02:30AM UTC
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CharlotteRhea on Chapter 10 Thu 02 Dec 2021 02:57PM UTC
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claudilla on Chapter 13 Thu 02 Dec 2021 06:33AM UTC
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CharlotteRhea on Chapter 13 Thu 02 Dec 2021 02:59PM UTC
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Lissi (Guest) on Chapter 13 Fri 02 Jun 2023 06:34AM UTC
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CharlotteRhea on Chapter 13 Fri 02 Jun 2023 04:56PM UTC
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Lissi (Guest) on Chapter 14 Fri 02 Jun 2023 07:01AM UTC
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CharlotteRhea on Chapter 14 Fri 02 Jun 2023 04:56PM UTC
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Lissi (Guest) on Chapter 15 Fri 02 Jun 2023 07:12AM UTC
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CharlotteRhea on Chapter 15 Fri 02 Jun 2023 04:58PM UTC
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Lissi (Guest) on Chapter 15 Fri 02 Jun 2023 09:41PM UTC
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CharlotteRhea on Chapter 15 Sat 03 Jun 2023 12:21AM UTC
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