Chapter 1: Introduction
Chapter Text
Da hab‘ ich viele blasse Leichen
Beschworen mit Wortesmacht;
Die wollen nun nicht mehr weichen
Zurück in die alte Nacht.
Heinrich Heine - Da hab’ ich viele blasse Leichen (1821)
Dieses Jahr hat mich das Whump-Fieber auch gepackt und mir die ideale Bühne für kleinere und größere Geschichten gegeben, die sich in der hintersten Ecke der Fantasie versteckt haben.
Das Whump-Aufgebot in dieser Sammlung umfasst Drabbles, Double-Drabbles, Triple-Drabbles, Kurzgeschichten, aber auch zusammenhängende Geschichten über verschiedene Prompts hinweg.
Nachfolgend findet ihr die Prompt-Übersicht, die nach und nach mit der Verlinkung zum veröffentlichten Beitrag und dem Hinweis zu zusammengehörenden Geschichten ergänzt wird.
Bitte beachtet neben den Tags der Story auch die gesonderten CWs bei einigen Beiträgen. Habe ich keine extra erwähnt, ist es in der Regel vorrangig Emotional Whump. Sollte euch mal irgendwo einer fehlen oder ihr vorab sichergehen wollt, kontaktiert mich gern. Zudem tauchen in dieser Liste auch am jeweiligen Prompt neben der Verlinkung auch eine Zusammenfassung und Hinweise zu CW/TW auf, um euch das Navigieren zu erleichtern.
Vor allem aber: viel Spaß beim Lesen und passt auf euch auf!
Whumptober 2025 - Prompt Liste
No. 1: “Please don’t cry” Lamb to Slaughter | Ceremony | Beg for Forgiveness (Teil 1 von Wake me up when September ends)
Summary & Content Warnings/Trigger Warnings
Er hat Adams SMS zu spät gesehen. Diese leere SMS, ihr Zeichen, dass etwas nicht in Ordnung ist und man den anderen braucht. Wie oft hat Leo ähnliche Nachrichten an Adam geschickt, wenn die Jungen in ihrem Jahrgang vor der Toilettentür lauerten, um ihn zu verprügeln. Oder als letztens an ihrem Baumhaus die Leiter umgefallen ist und Leo oben festsaß. Adam ist immer da gewesen, ungeachtet der Konsequenzen für ihn. Wenn Leo ihn braucht, ist er da.
CW/TW: MCD, Mord an einem Minderjährigen, Canon-Typical Violence, Trauer
Summary & Content Warnings/Trigger Warnings
"Boris" Roland packte ihm Arm, die Augen wild und mit einer beängstigten Entschlossenheit. "Du stellst dich. Zusammen schaffen wir das hier nicht."
CW/TW: Keine gesonderten CW & TWs
Summary & Content Warnings/Trigger Warnings
"Ich werde bald für eine Weile dich nicht mehr besuchen kommen, Adam." Warmes Porzellan wird ihm in die Hände geschoben und in Boris' Blick liegt so viel Sorge und Traurigkeit, dass Adam schwer schlucken muss. "Verreist du?", fragt er mit bebender Stimme und nimmt hastig einen Schluck. Die heiße Milch verbrennt leicht seinen Gaumen. "So ähnlich", seufzt sein Onkel und spült den Topf unter fließendem Wasser aus. CW/TW:Canon-Typical Violence, Gewalt gegen ein Kind, der Schrank, Boris, Kälte der Erde-Reference
No. 4: “Don’t be scared, I’ve done this before.” Non-Human Whumper | Iron Rod | Loss of Powers (Teil 1 von Rabenschwarze Nacht)
Summary & Content Warnings/Trigger Warnings
„Ich weiß, du kennst mich nicht, aber wenn du einen Platz zum Schlafen brauchst, frische Kleidung und was zu essen — ich mache ein ziemlich geiles Curry. Was meinst du?" Jonas hält ihm die perfekt manikürte Hand hin. Wahrscheinlich ist es eine blöde Idee, einem Fremden zu vertrauen, aber Jonas sieht so ehrlich und aufrichtig aus, dass Adam alle guten Ratschläge in den Wind schlägt. Non-con sex, Sex mit einem Minderjährigen, Rape, non-con drug use, Adam ist obdachlos, Explizite Beschreibung einer Vergewaltigung unter K.O.- Tropfen
No. 5: “My panic’s at the ceiling, but I’m face down on the carpet.” Quivering | Dream Journal | Phobia(Teil 2 von Rabenschwarze Nacht)
Summary & Content Warnings/Trigger Warnings
Sein ganzer Körper zittert erbarmungslos, als er auf das Wohnhaus aus seinen Albträumen zugeht. Nicht nur einmal hat er sich auf dem Weg hierher in einen Mülleimer übergeben müssen, weil alles in ihm schreit, dass das eine dumme Idee ist. CW/TW:Thematisierung von Prostitution und Gewalt, dub-con/non-con Oralverkehr
No. 6: “No grave can hold my body down.” Caught in a Net | Medical Restraints | Pinned to the Wall (Teil 2 von Wake me up when September ends)
Summary & Content Warnings/Trigger Warnings
Da ist eine Spur gewesen. Endlich nach Jahren ein erster Anhaltspunkt und er ist ihr wie ein blutiger Anfänger kopflos gefolgt. Hungrig nach Rache, die ihn die letzten fünfzehn Jahre innerlich ausgehöhlt hat. Sein ganzes Leben hat er dieser Jagd verschrieben und nun ist seine eigene Falle über ihn zugeschnappt. CW/TW: Körperliche Gewalt, Gefesselt, Mordversuch durch Erwürgen, Tod einer Person (nicht MCD)
Summary & keine Content Warnings/Trigger Warnings notwendig
Ich wollte [ein trauriges Schnauben] ich weiß gar nicht, was ich wollte. Deine Stimme hören wahrscheinlich. Einfach ein Lebenszeichen von dir, ein einfaches Es geht mir gut. Ich brauch' das einfach, ein blödes Hey Leo, mach dir keine Sorgen, mir geht es gut.
Summary & Content Warnings/Trigger Warnings
Sein Lächeln ist warm und wie für ein Kind, als Adam sich zu ihm lehnt und seine Hand auf Leos legt. Eine Geste, die er seit der Sache mit seinem Vater öfters macht, als würde er Leo versichern wollen, dass er da ist. Die Haut ist angenehm kühl auf seiner und hinterlässt eine wohlige Gänsehaut auf Leos Arm.
Vielleicht sollte er Adam seine Teetasse zuschieben, falls ihm kalt ist. Esther hat mal wieder vergessen, ihm eine mitzubringen. Keine Ahnung, welchen Streit die beiden wieder miteinander haben. Solange sie sich nicht anschreien, kann Leo noch zufrieden sein und Adam seine Tasse zu schieben.
CW/TW Dissoziation, Realitätsverlust, Schwere psychische Erkrankung, Trauma, Trauer/Verlust, Past MCD
No. 9: “We’ll make it alright to come undone.” Touch | Flashbacks | Scalding Alternativer Prompt: “If all my days are numbered, why do I keep counting?”
Summary & Content Warnings/Trigger Warnings
Roland kann den Mann in Weiß vor sich nur anstarren. So ein junger Typ, jünger als Adam und will schon Herr über Leben und Tod sein. Ein Quacksalber, der sich etwas auf seine Titel einbildet und dem er seine gekünstelte Betroffenheit nicht abkauft. Hat selbst noch gar nichts vom Leben gesehen und will ihm nun verkünden, dass sein Leben in absehbarer Zeit vorbei ist.
CW/TWAndrohung/Vorsatz von Gewalt, Implizite Homophobie, Suizidgedanken
No. 10: “There’s nothing you can ever say, nothing you can ever do.” Without Consent | Secrets | Lips Sewn Shut (Teil 3 von Rabenschwarze Nacht)
Summary & Content Warnings/Trigger Warnings
"Ein Wasser wäre super", ruft Vincent ihm nach und lehnt sich auf dem Sofa zurück. "Warum muss es eigentlich ein Geheimnis bleiben, dass ich hier bin? Eifersüchtiger Freund?"
Ein Schwall Wasser landet neben dem Glas, dass Adam gerade befüllen will. Fuck, schießt es ihm durch den Kopf. Er hätte wissen müssen, dass Vincent diese Bemerkung nicht ohne Weiteres fallen lassen wird. Zumal die Frage berechtigt ist. Normalerweise sollte der Besuch eines Uni-Freundes kein Grund für Geheimniskrämerei sein.
Nur ist nichts in Adams Leben je normalerweise gewesen.
CW/TW:Gewalt/Missbrauch, Einsperrung/Isolation, Beschreibung Häuslicher Gewalt, Sexuelle Ausbeutung/Zwangsprostitution, Nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen, Zwanghafte Verabreichung von Substanzen, Gewaltakt während des Sex, Panikattacken, PTB
No. 11: “Can you get through all the pain inside you?” Hidden Injury | Laceration | Forced Reveal
No. 12: “It’ll be for nothing.” Cardiac Arrest | Sacred Place | Withholding Medical Treatment
No. 13: “How dull is it to pause, to make an end, to rust unburnished.” Never Enough | Insignia | Forced Retirement
No. 14: “In the end, it’s worthwhile.” Ignoring an Illness | Body Bag | Wounded Caretaker
No. 15: “You can take a break, if you just tell me that it hurts.” Failed Rescue Attempt | Body Part in the Mail | Live-Streamed Torture
No. 16: “I’ve had the rug pulled beneath my feet.” Repressed Trauma | Permanent Marker | Disorientation
No. 17: “Tell me there’s a hope for me.” Internal Bleeding | Coma | Redemption
No. 18: “As the world caves in.” Dystopia | Ruins | Environmental Whump
No. 19: “You’re on your own, lost in the wild.” Dehumanisation | Living Weapon | On Patrol
No. 20: "That's New." Symptomatic | Fancy Event | Resignation
No. 21: “Sold my soul, broke my bones.” Kneeling | Makeshift Splint | Brainwashed
No. 22: “All the battles I want to win, nothing matters but giving in.” Self-Sacrifice | Collar | Hunted for Sport
No. 23: “How’d I get to this place?” Intubation | ICU | Choking
No. 24: “I must confess that I feel like a monster.” Came Back Wrong | Painful Transformation | Amnesia
No. 25: “Have you earned your stripes?” Lost Faith | Collision Course | Left to Die
No. 26: “Nothing like a relapse to rehash the kid who was scared.” Relapse | Drawn Curtains | Power Cut
No. 27: “Would you even want me, looking like a zombie?” Surgical Scars | X-Ray | Bedside Vigil
No. 28: “I could always see straight through you.” Backstabbing | Constellation | Creative Restraints
No. 29: “I hope you see the sun someday in the darkness.” Fainting | Broken Dishes | Last one Standing
No. 30: “I’m putting my trust in an entire half-empty glass.” Burn it Down | Mirror | Confrontation
No. 31: “Even with the smallest cuts. You can still lose so much blood.” Bleeding Out | Gunshot Wound | Rescued by the Enemy
Alternatives List:
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"A smile so bright, he’s the devil in disguise.”
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“I hear you’re alive, how disappointing.”
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Concussion
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Viral
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Suicide
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Immortality
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Jealousy
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Organ Theft
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Ziptie
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Deal with the Devil
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Yearning
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Innocent Bystander
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Unreality
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Soulless
Link zum offiziellen Tumblr-Post: Hier entlang
Chapter 2: No. 1: “Please don’t cry” Lamb to Slaughter | Ceremony | Beg for Forgiveness
Summary:
Er hat Adams SMS zu spät gesehen. Diese leere SMS, ihr Zeichen, dass etwas nicht in Ordnung ist und man den anderen braucht. Wie oft hat Leo ähnliche Nachrichten an Adam geschickt, wenn die Jungen in ihrem Jahrgang vor der Toilettentür lauerten, um ihn zu verprügeln. Oder als letztens an ihrem Baumhaus die Leiter umgefallen ist und Leo oben festsaß. Adam ist immer da gewesen, ungeachtet der Konsequenzen für ihn. Wenn Leo ihn braucht, ist er da.
Notes:
Ergänzende Content Warnings findet ihr in den End Notes.
(See the end of the chapter for more notes.)
Chapter Text
No. 1: “Please don’t cry” Lamb to Slaughter | Ceremony | Beg for Forgiveness
Wake me up when September ends
Leo weiß, dass er zu spät ist, als er mit quietschender Fahrradbremse auf dem Schotter in der Einfahrt der Schürks zum Stehen kommt.
So viele Menschen tummeln sich selten auf dem Grundstück, vor allen keine Männer und Frauen in rot-gelben Uniformen, die mit ernster Miene miteinander sprechen. Zwei Rettungswagen und ein Polizeiauto blockieren den Weg vor der offenen Garage, die Hecktüren weit geöffnet, dass Leo die Apparaturen im Inneren sehen kann.
Saurer Speichel sammelt sich in Leos Mund, seine Hände werden kalt und schwitzig um die Griffe des Lenkers. In seinen Ohren schwillt ein heller, metallischer Ton an, der seinen ganzen Kopf auszufüllen scheint und ihn taub werden lässt.
Er hat Adams SMS zu spät gesehen. Diese leere SMS, ihr Zeichen, dass etwas nicht in Ordnung ist und man den anderen braucht. Wie oft hat Leo ähnliche Nachrichten an Adam geschickt, wenn die Jungen in ihrem Jahrgang vor der Toilettentür lauerten, um ihn zu verprügeln. Oder als letztens an ihrem Baumhaus die Leiter umgefallen ist und Leo oben festsaß. Adam ist immer da gewesen, ungeachtet der Konsequenzen für ihn. Wenn Leo ihn braucht, ist er da.
Adam hingegen hat nie von ihrem Zeichen Gebrauch gemacht. Vermutlich, weil er wusste, dass Leo in den Situationen, wo er Hilfe bräuchte, eh nichts tun könnte. Doch heute hat er die leere SMS geschickt und Leo hat sie nicht gesehen, weil er mit Lisa aus der Parallelklasse im Kino gewesen ist. Wie aufgeregt er gewesen ist, als er Adam davon erzählt hat, dass sich wirklich ein Mädchen mit ihm verabreden wollte. Zwar hat Adam sich eher verhalten für ihn gefreut, aber sich trotzdem bis ins Detail erzählen lassen, was Leo für das Treffen plant und mit ihm überlegt, ob Lisa einen Kuss erwartet.
Es ist auch alles gut gelaufen, bis sie Hand in Hand aus dem Kino getreten sind und Leo die SMS auf seinem Handy entdeckt hat. Was er als Erklärung gestammelt hat, bevor er sich auf sein Rad geschwungen hat, weiß er nicht mehr, nur dass er so schnell wie möglich zu Adam muss.
Und jetzt ist er zu spät. Hat sein Vater sich an ihm ausgetobt? Adam hat die letzten Tage wieder vermehrt blaue Flecken und Abschürfungen gehabt, die er sorgsam unter langen Shirts versteckte. Auch die Augenringe schienen Leo tiefer, als würde Adam die Nächte durchmachen und nicht schlafen.
Einmal ist er sogar neben Leo im Geschichtsunterricht eingeschlafen. Er ist einfach zusammengesackt, den Kopf auf seinem Arm und ein erschöpftes Seufzen auf seinen Lippen. Der alte Blasberg ist fast aus seinem schlechtsitzenden Anzug gefahren und hat ihn zum Schulleiter geschleift. Die nächsten Tage ist Adam nicht zur Schule gekommen und als er wieder zum Unterricht auftauchte, schimmerte das Veilchen an seinem Auge schon grün und gelb.
Die Hilflosigkeit, die ihn packt, macht Leo wütend. Sieht keiner außer ihm, wie Adam jeden Tag in die Hölle zurückkehrt? Dass er in seinem Elternhaus nicht sicher ist, auch wenn der Schein trügt? Hört keiner die stummen Hilfeschreie, die Adam nicht über die Lippen kommen, aber doch so laut sind, dass man sie kaum ignorieren kann?
Hinter Leo hupt es und erschrocken strauchelt er zur Seite, damit der schwarze BMW an ihm vorbeikommt. In Leos Adern gefriert das Blut, als sein Blick den weißen Schriftzug auf der schwarzen Karosserie streift. Bestattungsunternehmen.
Sein Rad fällt mit einem dumpfen Geräusch ins Gras. Der Ton in seinen Ohren schwillt zu einem Crescendo an und dann ist da plötzlich nur Stille, als die Männer in den schwarzen Anzügen die Garage betreten.
Er taumelt vorwärts, rutscht mit den Füßen auf dem Schotter immer wieder weg. Seine Sicht ist verschwommen, dunkle Punkte flackern immer wieder vor seinen Augen auf, als er sich an den Rettungswagen vorbei kämpft und endlich freie Sicht hat.
Da liegt eine Person auf dem staubigen Betonboden, über die sich die Männer in Schwarz und einer in der rot-gelben Uniform beugen. Ein junger Mensch, mit denselben ausgetretenen Turnschuhen wie Leo sie kennt. Lange Beine in einer fleckigen Jeans, das weiße Shirt grau vom Schmutz. Und Blut, zu viel Blut, das in einer großen Lache sich um die Person ausbreitet.
"Adam", keucht Leo und will auf seinen Freund zu stürmen, als ihn eine große Hand am Oberarm zurückhält.
"Wer bist du denn?", fragt die freundliche Stimme und Leos unsteter Blick ruckt zu dem Sanitäter, der ihn zur Seite zieht. Die braunen Augen sind sanft, kleine Fältchen zeichnen sich an den Augenwinkeln ab, obwohl er Leo ernst ansieht. Leo will ihm antworten, doch kein Laut kommt über seine Lippen.
Er dreht den Kopf zurück zu dem Punkt, wo Adam auf dem Boden liegt, und sieht zu seinem Entsetzen wie einer der Männer den Kop schüttelt. So wie man es in Filmen sieht, wenn sie zeigen wollen, dass der Mensch tot ist.
"Leo!"
Eine Frau reißt sich von einer jungen Streifenpolizistin mit langen dunklen Haaren los und eilt schwankend auf ihn zu. Leo hat Adams Mutter nur wenige Male gesehen, wenn ihr Mann nicht da war und es für Adam und ihn sicher gewesen ist, ins Haus zu kommen. Sie wirkte auf ihn immer bemüht, den Schein einer heilen Familie zu wahren, den Adams Vater aller Welt mitteilen wollte und doch hat Leo unter der dicken Schicht Make-up die blauen Flecke in ihrem Gesicht gesehen. Wie gern hat er sie dafür hassen wollen, dass sie ihrem eigenen Kind nicht half, aber am Ende ist sie vermutlich nicht besser dran.
Ihr Gesicht ist unnatürlich blass, als sie vor ihm zum Stehen kommt, die Augäpfel blutrot unterlaufen. Ihre Hand zittert als sie sich eine Strähne ihres blonden Haares nach hinten streicht. Ob sie merkt, dass Blut, Adams Blut, an ihnen klebt?
"Adam, er…Roland, sie suchen ihn", stottert sie, ehe ihre Stimme mit einem Schluchzen bricht.
Leo befürchtet, dass jeden Moment seine Beine nachgeben. Hat es der alte Schürk also endlich geschafft seinen Sohn zu töten, was ihm so viele Male nicht gelungen ist. Adams Glück ist abgelaufen, seine Leben aufgebraucht und Leo ist zu spät gewesen, um es zu verhindern.
Der Schrei, der sich aus seiner Kehle löst, klingt wie der eines verwundeten Tieres und fremd in seinen Ohren. Er braucht einen Moment und den entsetzten Gesichtsausdruck von Adams Mutter, um zu begreifen, dass der von ihm kommt. Das Letzte, was er sieht, bevor er über den akkurat geschnittenen Rasen in Richtung Wald stürmt, sind die Tränen in den Augen, die so sehr Adams ähneln und ihn nie wieder ansehen werden.
Im Wald wird es mit jeder verstreichenden Minute dunkler und dunkler und die Tiere der Nacht erwachen. Der Ruf eines Käuzchens dringt durch die Stille und am Boden rascheln Eichhörnchen auf der Suche nach Nahrung.
Wo Leo früher die Schönheit der Natur genießen konnte und sein kleines Refugium hoch oben in den Baumkronen liebt, fühlt sich das alles wie aus einem anderen Leben an. Das Holz unter ihm ist hart und ein Splitter hat sich durch den Stoff seiner Jeans in sein Bein gebohrt, doch alles in Leo ist taub und dieser kleine Schmerz nichts zudem, der sein Herz in Beschlag hat.
Er weiß nicht, wie lange er schon hier am Boden des Baumhauses liegt und die tanzenden Schatten an der Wand anstarrt, die auch immer mehr mit der Dunkelheit verblenden. Wie aus der Ferne hat er gehört, wie ein Auto nach dem anderen das Grundstück der Schürks verließen.
Wo bringen sie Adams Körper hin? In den ganzen Sonntagabendkrimis, die seine Eltern so gern gucken, untersucht bei Mord doch ein Rechtsmediziner die Leiche. Würden sie Adam aufschneiden, wo doch klar sein dürfte, wie er gestorben ist? Die Bilder, die sich vor seine Augen schieben, lassen Leo noch mehr frösteln und sich enger zusammenrollen. Er will Adam nicht auf einer sterilen Liege in einem Raum mit diesen furchtbaren grünen Fliesen wissen.
Am liebsten wäre es ihm, wenn Adam jetzt hier neben ihm wäre, wo er den tiefen Atemzügen lauschen könnte, wie er es immer getan hat, wenn sein bester Freund an seine Seite gelehnt eingeschlafen war. Sein Herz ist voll Stolz fast übergelaufen, dass Adam sich in seiner Nähe so sicher fühlt, dass er sich für ein paar Minuten oder manchmal auch Stunden so verletzlich machte.
Nun würde er nie mehr Adam im Schlaf betrachten können und dabei diese wohlige Wärme in seinem Bauch spüren können. Hoffentlich ist das alles nur ein furchtbarer Albtraum, aus dem er bald erwachen würde.
"Leo?" Wie durch Watte dringt sein Name zu ihm durch. "Leo? Wo bist du?"
Das Rascheln der Blätter auf dem Waldboden ist lauter geworden und passt nicht mehr zu den kleinen Tieren, die ihm sonst hier Gesellschaft leisten. Da sind Menschen, die nach ihm suchen.
Adam ist nie so laut hier gewesen. Oft hat er sich einen Spaß daraus gemacht, sich so leise wie möglich anzuschleichen. Und er ist gut gewesen, nur hat Leo immer schon gespürt, dass Adam in der Nähe ist. Er kann es nicht beschreiben. Da ist ein Kribbeln im Bauch, ein beschleunigter Herzschlag und meist taucht kurz darauf Adams Kopf an der Kante des Baumhauses auf.
Neue Tränen quellen aus seinen Augen, als ihm bewusstwird, dass er dieses Kribbeln nun nie wieder spüren wird. Adam wird nicht mehr mit diesem müden, aber weichen Grinsen ins Baumhaus klettern und sich neben Leo fallen lassen und, wenn es ganz harter Tag war, mit dem Kopf an Leos Schulter für ein paar Minuten einschlafen.
Die Leiter knarzt und Caro taucht vor ihm auf, die Sorgen tief in ihr Gesicht geschnitten.
"Ich habe ihn!", ruft sie über ihre Schulter zu jemanden am Boden, ehe sie sich zu ihm ins Innere hievt, die Hände nach ihm ausstreckt und ihm mit einem erleichterten Seufzen an ihre Schulter zieht.
"Fuck, Leo. Wir haben uns solche Sorgen gemacht", flüstert sie und Leo hört die unterrückten Tränen in ihrer Stimme.
"Adam", schluchzt er und kann doch nicht weitersprechen, da der Schmerz in seiner Brust zu eisern, zu alles umfassend ist und ihm die Luft abdrückt.
"Ich weiß, Leo. Die Polizei war bei uns und hat erzählt, was passiert ist. Gott, Leo." Sie presst ihn fester gegen sich, ihre braunen Locken kitzeln Leos Nase.
In dem Moment bricht alles aus ihm heraus, ein verzweifeltes Wimmern, ein heiserer Schrei und immer wieder die Frage nach dem Warum. Wie kann man sein Kind so sehr hassen, dass man seinen Tod in Kauf nimmt? Wie kann dieses Monster noch leben, während Adam, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte, jetzt irgendwo in einer Kühlkammer liegt?
"Bitte", schluchzt Caro, ihre tränennasse Wange schmiegt sich an Leos. "Bitte hör auf zu weinen."
Der Wald liegt fast schon pechschwarz da, als Leo endlich der Bitte seiner Schwester folgen kann und die Tränen versiegen. Erschöpft, körperlich wie mental, folgt er ihr die Leiter hinunter zu ihren Eltern. Wenigstens muss er im Dunkeln nicht die Tränen und die Trauer in ihren Augen sehen. Er befürchtet, dass er nicht auch dafür noch die Kraft findet.
In den warmen Armen seiner Mutter ist die Welt wenigstens für einen Moment in Ordnung. Tröstend legt sich auch die schwere Hand seines Vaters auf seinen Kopf, fährt ihm über die zerzausten Haare. Seine Eltern sind ihn suchen gekommen, weil sie sich Sorgen gemacht haben. Adams Eltern ist ihr Sohn egal gewesen und nun hat er für ihre Gleichgültigkeit bezahlt.
Adams Beerdigung findet keine zwei Wochen später statt. Fast scheint es Leo, als wolle man das schnell über die Bühne bringen. Wie ein lästiger Verwaltungsakt, der alle nur nervt und Zeit kostet.
Als vor einigen Jahren seine Oma verstorben ist, hat es viel länger gedauert, bis sie an den Ort ihrer letzten Ruhe überführt worden ist. Und anders als Adam ist seine Oma nach einem langen und erfüllten Leben friedlich eingeschlafen und nicht vom eigenen Vater zu Tode geprügelt worden.
Die Trauergemeinde, die sich an der Grabstelle in der hintersten Ecke des Friedhofes versammelt hat, ist klein und besteht nur aus Adams Mutter, dem Trauerredner und Leo. Wenn Adam noch weitere Verwandte gehabt hat, scheinen diese nicht zu so einer Beerdigung kommen zu wollen und schämen sich vermutlich überhaupt irgendwie damit in Verbindung zu stehen.
Leos Eltern haben ihn begleiten wollen, doch er hat abgelehnt. Diesen Gang muss er allein gehen, auch wenn er ihm alles an Kraft kostet und Kraft etwas ist, was er seit Adams Tod nicht mehr hat.
Oft liegt er den ganzen Tag im Bett, starrt an die Wand und wird das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmt an der ganzen Geschichte. Er hat im Internet gelesen, dass Opfer von Gewalttaten nicht so schnell beerdigt wurden, das Verfahren sich ziehen können, vor allem bei Kindern und Jugendlichen.
Warum ist Adams Fall dann eine Ausnahme? Ist er das überhaupt?
Seine Eltern haben ihm erklärt, dass seine Reaktionen und Gefühle normal sind. Das Trauer in Phasen verläuft und Leo gerade einfach leugnen will, dass Adams Tod Wirklichkeit ist.
Leo hat ihnen geglaubt, am Anfang zumindest, bis mehr und mehr Fragen aufgekommen sind, die alle keinen Sinn ergeben.
Auch jetzt, wo Leo am offenen Grab steht, und auf den schmucklosen Sarg blickt, in dem sein Freund liegen soll, beschleicht ihn der Gedanke, dass etwas nicht stimmt. Ist Adam der Welt und vor allem seiner Mutter wirklich so egal, dass er nicht mal ein liebevolles Begräbnis bekommt?
Die halbherzige Rede des Trauerredners über Adams viel zu kurzes und doch schönes Leben — was für eine Lüge — bekommt er nur mit einem halben Ohr mit. Er starrt zu Adams Mutter, die mit verschlossener Miene und abwesenden Blick auf den Sarg starrt. Keine einzige Träne hängt an ihren Wimpern, nicht mal ein feuchter Schimmer ist in ihnen zu sehen.
Leo hasst sich in diesem Augenblick für den Wunsch, dass sie in diesem trostlosen Kasten liegen würde und nicht Adam. Dann wäre sein bester Freund bei ihm und er könnte auf ihn aufpassen, dass sein Vater ihm nichts mehr anhaben kann. Er hat den Fahndungsaufruf in den Lokalnachrichten gesehen und dass er wegen Mord an seinem Sohn gesucht wird. Bis jetzt fehlt jede Spur von ihm und mit jedem Tag wird es unwahrscheinlicher, dass man ihn fasst.
Vermutlich ist Adams Beerdigung deswegen so schnell über die Bühne gebracht worden. Die Behörden stellen sich sowieso auf ein bald stillgelegtes Verfahren ein, das sie alle Jubeljahre mal hervorholen würden.
Bis vor Kurzem hat er sich nicht viele Gedanken über die Zukunft nach der Schule gemacht. Zwar haben Adam und er überlegt, wo sie gemeinsam zum Studieren hinkönnten, aber es hat immer mehr das Wo als das Was im Raum gestanden. Leo hat Lehrer werden wollen, um einen Unterschied zu denen zu machen, die bei ihm weggesehen haben. Adam hat aus ähnlichen Gründen Polizist werden wollen und Leo ihn dafür still bewundert, weil es ein so viel mutigerer Jobwunsch ist als seiner.
Jetzt scheinen ihm diese Zukunftsträume wie eine Ewigkeit her und der Lehrberuf wie eine naive Idee. Er will immer noch einen Unterschied machen, aber nicht für sich, sondern für Adam. Für Kinder wie ihn, die unter ihren Eltern leiden, die misshandelt werden und denen doch keiner glaubt. Er will als Polizist den Verantwortlichen ihre gerechte Strafe zu kommen lassen und ihren Opfern Frieden geben.
Und wenn sie bis zu seinem Abschluss Roland nicht zur Strecke gebracht haben, wird Leo das übernehmen und seinen Freund rächen, schwört er sich, als er neben den weißen Lilien eine Hand voll Erde auf den Sargdeckel wirft.
Wird fortgesetzt...
Notes:
Content Warnings
- Mord an einem Minderjährigen (MCD)
Chapter 3: No. 2: “You’ve got a lot of nerve to dredge up all my fears.” Prophecy | Sewer | Taking Accountability
Summary:
"Boris" Roland packte ihm Arm, die Augen wild und mit einer beängstigten Entschlossenheit. "Du stellst dich. Zusammen schaffen wir das hier nicht."
Notes:
Ich danke euch für das so positive Feedback zum Auftakt! Das hat mich sehr happy gemacht.
Heute gibt es ein Triple-Drabble, das ganz ohne Warnungen auskommt.Viel Spaß damit!
Kleine Anmerkung: Im ersten Kapitel findet ihr jetzt auch zu jedem geposteten Prompt die Zusammenfassung und gesonderte CW und TW, falls ihr später eine Story wieder finden wollt.
Chapter Text
No. 2: “You’ve got a lot of nerve to dredge up all my fears.” Prophecy | Sewer | Taking Accountability
Das Blaulicht schnitt durch die Bäume, kam immer näher, kesselte sie ein, machte die weitere Flucht unmöglich. Sie saßen in der Falle und bald schon hinter Gittern. Aus dieser Schlinge konnten sie nicht ihren Hals ziehen, dieses Mal saß sie zu fest. Lange war es gut gegangen, ihr immer riskanteres Spiel mit dem Feuer.
"Boris" Roland packte ihm Arm, die Augen wild und mit einer beängstigten Entschlossenheit. "Du stellst dich. Zusammen schaffen wir das hier nicht."
Er wollte widersprechen. Wenn sie sie erwischten, dann gemeinsam. So wie Roland es versprochen hat. Der fletscht nun die Zähne, sein Gesicht eine gehässige Grimasse und Boris realisierte, dass er schon viel früher in die Fall gegangen war, als er den Pakt mit dem Teufel besiegelte.
"Du stellst dich und wenn deine Zeit rum ist, kriegst du die Hälfte. Ich verwahre sie gut."
Boris entriss ihm seinen Arm, wollte nach dem Beutel mit den 1,2 Millionen greifen. Wenn sie das nicht zusammen durchzogen, würde er halt alleine fliehen — mit seinem Anteil. Sollten sie Roland hinter Gitter bringen, er wäre längst über die Grenze und den Weg über Frankreich nach Algerien.
"Denk an Adam", sagte Roland leise und Boris erstarrte. "Der Junge braucht mich und du bist sein Pate. Der General schützt den König und seinen Sohn, du erinnerst dich?"
Langsam ließ Boris seinen Arm sinken, die Augen geweitet und auf Roland gerichtet, der zufrieden grinste, ehe er sich mit einem Ruck umwandte und ins dichte Unterholz verschwand.
Wie fest gewachsen blickte er ihm nach, unfähig einen Schritt zu gehen. Die Erinnerung an Adam und was Boris nicht nur Roland, sondern vor allem sich selbst geschworen hatte, ließ ihn sich der Polizei entgegenstellen.
Adam brauchte Roland und eine gesicherte Zukunft, um es einiges Tages einmal besser zu haben.
Die klickenden Handschellen waren fast tröstlich.
Chapter 4: No. 3: “I look in people’s windows, transfixed by rose golden glows.” Isolation | Candlelight | Found Family
Summary:
"Ich werde bald für eine Weile dich nicht mehr besuchen kommen, Adam." Warmes Porzellan wird ihm in die Hände geschoben und in Boris' Blick liegt so viel Sorge und Traurigkeit, dass Adam schwer schlucken muss.
"Verreist du?", fragt er mit bebender Stimme und nimmt hastig einen Schluck. Die heiße Milch verbrennt leicht seinen Gaumen.
"So ähnlich", seufzt sein Onkel und spült den Topf unter fließendem Wasser aus.
Notes:
Heute etwas, das schon länger gesimmert hat und sich für den Whumptober dann perfekt angeboten hat!
Viel Spaß heute noch mal mit Boris und Adam. In meinem HC war Boris nicht immer so abgebrüht gegenüber Adam, aber wie er selbst sagt, der Knast macht Dinge mit einem.Vielen Dank für Eure Kommentare & Klicks <3
Summary & Content Warnings/Trigger Warnings
Canon-Typical Violence, Gewalt gegen ein Kind, der Schrank, Boris, Kälte der Erde-Reference
Chapter Text
No. 3: “I look in people’s windows, transfixed by rose golden glows.” Isolation | Candlelight | Found Family
Da hilft auch kein Kako
"Nein, Papa! Bitte nicht!"
Adam versucht sich mit Schreien und Strampeln aus dem festen Griff seines Vaters zu befreien. Wie ein Schraubstock halten die Pranken ihn gefangen und ersticken mit jeder weiteren Sekunde Adams Befreiungsversuche im Keim.
Sein Vater ist zu stark und egal wie schnell Adam vor ihm hat fortlaufen wollen, es ist unmöglich gewesen. Bis zur Grundstücksgrenze ist er gekommen. Dort wo das quietschende Gartentor den Zugang zur Freiheit versperrt. Er hat das Tor nicht aufbekommen, da haben sich die Hände seines Vaters um seinen Arm geschlossen und zurück zum Haus gezerrt.
Für einen Moment hat er sich wieder losreißen können. Sein Fluchtversuch wäre vermutlich auch geglückt, wenn die Angst ihm nicht ein Bein gestellt und ihn auf dem nassen Rasen hätte straucheln lassen. Sein Vater ist direkt hinter ihm gewesen, hat ihn zu Boden gepresst, ihn bewegungsunfähig gemacht. Das Gesicht ist puterrot angelaufen, aus den Augen stoben eiskalte Blitze, die Adam auch manchmal nachts in seinen Träumen verfolgen und ihn schreiend aufwachen lassen.
Doch niemand hört seine Schreie. Seit sie in diesem neuen Haus wohnen, dass wie eins dieser Krematorien aussieht, die er mal auf einem Friedhof gesehen hat, gibt es keine Nachbarn mehr, die ihn hören. Hier verhallen seine Schreie ungehört im Wald. Vielleicht schrecken sie Tiere auf, doch die flüchten sich nur tiefer ins Dickicht und würden ihm nicht helfen.
Da ist es in dem großen Wohnblock mit den vielen Nachbarn anders gewesen. Oft haben die Nachbarn haben angefangen Fragen zu stellen und Adam ist zwar erst neun, aber er hat schon verstanden, dass sein Vater mit seinen Ausreden am Ende war. Niemand glaubt mehr, dass Adam sich die Geschichten nur ausdenkt. Nicht, wenn er mit Schrammen und sichtbaren Blutergüssen im Hof spielt.
Einmal hat er sich getraut bei der netten alten Frau Wenzel zu klingeln, die ihm manchmal heimlich Schokolade im Hausflur zusteckt. Er weiß, dass sie eine Enkelin hat, die sie nicht mehr so oft besuchen kommt, weil sie schon groß ist und etwas mit Medizin studiert. Ob sie ihm helfen kann und die Polizei rufen kann, damit sie seinen Papa holen, hat er mit aufgeregt pochenden Herzen gefragt, als er auf der altmodischen Couch mit bestickten Überwürfen saß.
Erschrocken hat sie ihn angesehen und ihn eindringlich gemustert. Adams linkes Auge war geschwollen gewesen, die Abdrücke von drei Fingern deutlich auf seiner Wange sichtbar.
Am Ende hat sie nicht die Polizei gerufen, da sein Vater ihn dort fand und ihr ein Märchen auftischte, dass Adam sich in der Schule gerauft hat und nun Lügen herumerzählt.
Adam hat an Frau Wenzels skeptischen Blick sehen können, dass sie seinem Vater keinen Glauben schenkt. Auch, wenn sie ihm in diesem Augenblick nicht hat helfen können, wusste Adam, dass sie es beim nächsten Mal tun würde.
Nur ist die Chance für ein nächstes Mal gekommen.
Am nächsten Tag stand ein Möbelwagen vor der Tür und brachte sie und ihre wenigen Besitztümer hierher.
Adam fürchtet sich vor dem Haus, der Stille, die es umgibt und ihn verschluckt. Der angrenzende Wald malt in der Nacht gespenstische Schatten an seine Decke, auch wenn Adam weiß, dass er sich draußen vor nichts fürchten muss.
Das Einzige, wovor er sich wirklich fürchten muss, schläft im Zimmer am Ende des Gangs.
Er weiß nicht mal, was den Zorn seines Vaters an diesem Tag heraufbeschworen hat.
Onkel Boris ist zu Besuch gekommen und hat mit Adam im Garten Fußball gespielt, während seine Eltern für Besorgungen fortgefahren sind. Sonst ließen sie ihn allein, eingesperrt in seinem Zimmer.
Seit sie in dem neuen Haus wohnen, kommt Onkel Boris nicht mehr so oft vorbei. Adam hat seinen Vater mal sagen hören, dass er Boris nicht in dieser Gegend sehen wollte. Die Nachbarn würden sonst die Polizei rufen, wenn jemand so zwielichtiges hier ein- und ausging und dass es Rolands Ruf schaden würde.
Adam hat das nicht verstanden. Sein Onkel Boris ist nicht zwielichtig. Er lacht viel mit Adam, spielt mit ihm und konnte früher so tolle Geschichten von Räubern erzählen, die mutig und selbstbewusst sind und sich nichts gefallen lassen.
So wollte Adam auch immer werden. Dann würde sein Vater ihn nicht mehr schlagen und in den neuen Schrank sperren, der seit kurzem in seinem Zimmer steht und viel zu klein für einen Jungen ist, der in letzter Zeit viel zu schnell gewachsen ist.
Sein Vater zerrt ihn in die Richtung seines Zimmers. Adam hat das Schreien aufgegeben. Es hört ihn eh keiner und auch Onkel Boris, der ihnen folgt, kann ihm nicht helfen.
"Roland, lass den Jungen. Wir haben doch nur gespielt."
Doch Boris Worte bewirken nur, dass sein Vater sich noch mehr aufregt und der Griff um Adams Arm fester wird.
"Ich habe dir einen Auftrag gegeben, Boris. Und was machst du? Spielst mit ihm? Soll er seine so verweichlichte Schwuchtel werden wie du?"
Spucketropfen treffen auf Adam und er zieht den Kopf ein. Er weiß, was ihm blüht und mittlerweile freut er sich auf den Schutz, den ihm sein Gefängnis aus Holz bietet. Wenigstens wäre er da vor den Schlägen sicher, auch wenn ihn die Wände früher oder später zu erdrücken drohen würden.
Adams letzter Blick, bevor die Schranktür sich schließt und ihn in Dunkelheit sperrt, trifft auf den von Boris, der blass und mit zusammen gepressten Lippen auf Adam schaut.
Er hört ihre Stimmen noch vor dem Schrank, leise und gedämpft, aber Adam kann sie dennoch verstehen.
"Wenn du was für ihn tun willst, Boris, dann weißt du, was du zu tun hast. Sie werden bald wissen, dass du mit drinsteckst. Adam braucht aber seinen Vater. Du verstehst?"
Dann fällt die Tür seines Zimmers ins Schloss und Adam ist allein.
Adam muss eingenickt sein, denn durch die Ritzen seines Schrankgefängnisses dringt kein Sonnenlicht mehr.
Orientierungslos blinzelt er in die Dunkelheit, als das metallische Geräusch, dass ihn aufgeschreckt hat, erneut ertönt. Der Schlüssel des Schranks wird gedreht und die Tür springt auf.
Gegen das Licht der Dämmerung zeichnet sich eine große Gestalt ab, zu groß für seinen Vater oder seine Mutter.
"Keine Angst, Adam, Du kannst rauskommen."
Adams Herz macht einen Hüpfer und er möchte vor Erleichterung weinen. Onkel Boris.
Starke Hände, die ihn viel sanfter als sein Vater packen, ziehen ihm aus dem Schrank und an die breite Brust. Erleichtert lässt Adam seinen Kopf dagegen sinken und schlingt die Arme um Onkel Boris' Hals. Hier ist er sicher. Bei Onkel Boris ist er immer sicher.
Onkel Boris hat ihn aus seinem Gefängnis befreit. Vielleicht würde er Adam ganz mitnehmen? Weg von diesem Ort voller Schrecken. Weg von seinem Vater und seiner Mutter, die ihn sicherlich nicht vermissen würden.
"Wo sind Mama und Papa?", flüstert Adam, aus Angst, dass sie vielleicht nur im Nachbarzimmer sind und ihn gleich wieder in den Schrank stecken würden.
Auch seine Mutter sperrt ihn manchmal dort ein. Vor allem dann, wenn sein Vater nach Hause kommt und diesen beißenden Geruch nach abgestandenen Bier und altem Fett an sich kleben hat. Dann ist er meist besonders wütend auf Adam und der Schrank sein Schutz vor dem Monster davor, dass mit seinen Fäusten das Holz zu zerbersten versucht.
Nur bezahlt seine Mutter einen hohen Preis für diesen Schutzversuch, wie Adam ihrem geschundenen Gesicht entnehmen kann, wenn sie Kakao für ihn kocht.
Er schmiegt sein Gesicht fester an Boris' Schulter und seine Hände krallen sich in den dünnen Stoff des Hemdes.
"Ruhig, mein Junge. Es ist alles gut. Die beiden sind noch mal los. Dein Papa hatte sein Geld vergessen." Er seufzt leise und fährt tröstend in kleinen Kreisen über Adams Schulterblatt.
"Komm, ich mache dir einen Kakao", raunt er mit sanfter Stimme Adam zu, klopft ihm auf den Rücken und schiebt ihn vorsichtig hinaus in die Küche.
Durch die geöffnete Terrassentür ein lauer Abendwind und bauscht die Vorhänge auf. Der dunkle Wald an der Grundstücksgrenze wirkt bedrohlich vor den sich am nachtblauen Himmel auftürmenden Gewitterwolken.
Boris Griffe nach Milchtopf, Kakao und Milchpackung wirken routiniert, als würde er das nicht zum ersten Mal in dieser Küche machen. Früher, in der alten Wohnung, hat er das öfters für Adam gemacht. Dann hat er neben ihm auf der Arbeitsplatte gesessen, ein in ein Küchenhandtuch gewickelte Kühlpad gegen eine Stelle auf seinem Körper pressend und sich vorgestellt, wie es wäre bei Onkel Boris zu leben. Der würde ihn nicht zu Spielen zwingen, die er nicht wollte und die ihm wehtaten.
Der Duft nach warmer Schokolade beruhigt Adam und seine Atemzüge werden spürbar tiefer. Wenigstens muss dieses Mal keine Wunde verarztet werden, für die er sich morgen in der Schule würde rechtfertigen. Er ist eh schon der Komische, der Neue, der allen Angst macht.
"Ich werde bald für eine Weile dich nicht mehr besuchen kommen, Adam." Warmes Porzellan wird ihm in die Hände geschoben und in Boris' Blick liegt so viel Sorge und Traurigkeit, dass Adam schwer schlucken muss.
"Verreist du?", fragt er mit bebender Stimme und nimmt hastig einen Schluck. Die heiße Milch verbrennt leicht seinen Gaumen.
"So ähnlich", seufzt sein Onkel und spült den Topf unter fließendem Wasser aus.
"Kannst du mich mitnehmen?" Adam schämt sich für das Wackeln seiner Stimme unter dem Hoffnungsschimmer, welcher seine Brust durchfährt.
Seufzend schüttelt Boris den Kopf, die Hände in das Küchentuch gekrallt, mit dem er sie sich abgetrocknet hat.
Adams Herz wird schwer. Onkel Boris ist sein einziger Lichtblick in dieser dunklen Welt. Er will hier nicht alleine bleiben.
"Und wann kommst du wieder?", nuschelt er, die Antwort schon klar und deutlich auf dem Gesicht seines Onkels zu erkennen.
"Das weiß ich nicht, aber wir werden uns wiedersehen."
In all den Jahren nach Boris' Verschwinden hat Adam sich nach der einzigen Vaterfigur gesehnt, die ihn je aufrichtig geliebt hat. Für die er nicht nur ein Nichtsnutz war, dessen eigenen Willen man brechen musste. Sein Onkel war sein sicherer Hafen gewesen, wo ihm nichts passieren konnte.
Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, denkt Adam sich, als sie die bulligen Typen ihn in der Kapelle auf den Boden pinnen und das gealterte Gesicht seines Onkels über ihm auftaucht.
Die Zeit verändert Menschen. Adam ist älter geworden, hat sich von Roland freigeschwommen, seine Seele und Leo aufs Spiel gesetzt, um der Drecksau die Stirn zu bieten. Das bezahlt er nun teuer, da auch sein Onkel Boris sich verändert hat.
"Der Knast macht was mit einem", hat er beim Mittagessen gesagt und Adam hat es über die Freude des Wiedersehens nicht sehen wollen. Wenn Boris hier ist, kann Adam nichts passieren. Dann ist er trotz aller Umstände in Sicherheit.
Wie sehr er sich doch geirrt hat, erkennt Adam als die Knochen in seiner Hand brechen.
Sein Onkel ist nicht mehr der Zufluchtsort seiner Kindheit und hier hilft auch kein Kakao.
Chapter 5: No. 4: “Don’t be scared, I’ve done this before.” Non-Human Whumper | Iron Rod | Loss of Powers
Summary:
„Ich weiß, du kennst mich nicht, aber wenn du einen Platz zum Schlafen brauchst, frische Kleidung und was zu essen — ich mache ein ziemlich geiles Curry. Was meinst du?" Jonas hält ihm die perfekt manikürte Hand hin.
Wahrscheinlich ist es eine blöde Idee, einem Fremden zu vertrauen, aber Jonas sieht so ehrlich und aufrichtig aus, dass Adam alle guten Ratschläge in den Wind schlägt.
Notes:
Heute kann ich gar nicht genug CW/TWs aussprechen, wie sie auch über AO3 bereits getaggt sind. Zusätzlich findet ihr nachfolgend noch mal welche die Spoiler enthalten können, ich euch aber ans Herz legen möchte.
Mein tiefster Dank geht an MiaColada für das Beta-Lesen, Mut zu sprechen und Weiterspinnen der Idee!
Summary & Content Warnings/Trigger Warnings
Non-con sex, Sex mit einem Minderjährigen, Rape, non-con drug use, Adam ist obdachlos, Explizite Beschreibung einer Vergewaltigung unter K.O.- Tropfen
Chapter Text
No. 4: “Don’t be scared, I’ve done this before.” Non-Human Whumper | Iron Rod | Loss of Powers
Rabenschwarze Nacht (I)
Das Schlimmste sind die Nächte. Wenn sich der dunkelblaue Vorhang über die Stadt legt und die Lichter in den Häusern wie warme, einladende Augen auf die trostlosen Seelen auf den Straßen blicken, dann beginnt für Adam das Warten auf den nächsten Tag.
Mittlerweile kennt er die Ecken Berlins, die er meiden sollte, die Reviere anderer, die nicht bereitwillig teilen, auch nicht mit jungen Menschen. Das war eine der ersten Lektionen gewesen, die er auf der Straße gelernt hat und die eigentlich nur das bestätigt, was er schon von seinem Vater gelernt hat: Dir hilft niemand, du bist auf dich gestellt.
Eine nette Frau am Bahnhof Friedrichstraße hat ihn die ersten Tage unter ihre Fittiche genommen und ihm die ungeschriebenen Gesetze der Straße näher gebracht. Für Frauen und so junge Menschen wie ihm ist das Leben auf der Straße noch um einiges gefährlicher, wenn es auch für niemanden einfach ist. Sie hat mit ihm das wenig erbettelte Geld geteilt, damit er sich etwas zu essen kaufen konnte und hat ihn die Adressen von Unterkünften gegegeben, wo er Hilfe bekommen kann.
Doch als sie in der ersten Unterkunft nach Adams Namen gefragt haben, hat er Panik bekommen. Was, wenn sie seine Mutter kontaktieren würden? Wenn er so die Spur liefern würde, nach der sie suchten? Sicherlich hat sie die Polizei eingeschalten, nachdem er verschwunden ist. Er ist noch keine achtzehn, noch drei Monate und dann würde er sich ein neues Leben aufbauen können. Dann würden sie ihn alle mal am Arsch lecken können. Mit achtzehn kann er selbst entscheiden, ob er seinen Aufenthaltsort preisgeben will, und so lange versteckt er sich in den Berliner Nächten.
Von einer anonymen Hilfsstelle hat er warme Sachen und einen Schlafsack bekommen, den er hütet wie einst die Schätze in Leo und seinem Baumhaus. Seine Flucht aus Saarbrücken war so überstürzt gewesen, dass er sich keinen Plan gemacht hat, wie er die Monate bis zu seinem Geburtstag überhaupt überleben sollte. Das Wenige an Bargeld, das er aus dem Tresor seiner Eltern geklaut hat, ist für die Fahrkarte und die erste Woche in Berlin draufgegangen. Irgendwie hat er es sich einfacher vorgestellt, eine leichte Arbeit zu finden, die ihm wenigstens ein kleines Zimmer in einer WG finanzierte.
Eine Weile ist es auch gut gegangen. Er ist ja geübt darin, die Unterschrift seiner Mutter zu fälschen, um sie unter Verträge zu setzen und sich so ein Stück mehr Freiheit zu erkaufen.
Doch dann flog er. Erst aus der Arbeit, wo sie ihn doch nicht gebrauchen konnten, dann aus dem WG-Zimmer, weil er sich einmal zu oft mit dem Junkie von einem Mitbewohner gestritten hat. Der Aufprall ist hart und Adam ist zu kraftlos, sich erneut aufzurichten.
Es grenzt an bittere Ironie, dass das Training seines Vaters sich nun doch auszahlt, wenn auch anders als die Drecksau es beabsichtigt hat. Er ist an Hunger, Kälte und Schlafentzug gewöhnt. Nächte im Schrank, im Hundezwinger im Garten oder ausgesetzt im Wald haben ihn hier darauf vorbereitet. Nur, so scheint es Adam, ist das Training nicht hart genug gewesen. Er hat immer gewusst, dass sein Vater ihn irgendwann wieder ins Haus oder aus dem Schrank lassen würde. Die Nacht hat ein Ende, egal wie lang und düster sie auch ist.
Diese Berliner Nächte scheinen allerdings kein Ende nehmen zu wollen, auch wenn jedes Mal die Sonne wieder aufgeht und die Kreaturen der Nacht verdrängt werden. Sein Vater hat recht gehabt. Er ist ein schwächliches Weichei, das nicht mal eine harte Hand erziehen kann und nun spürt er die Konsequenzen.
Erschöpft von drei Tagen ohne Essen und nur wenig Wasser lässt er sich vor dem Eingang zum S-Bahnhof nieder, von dem er sicher weiß, dass er keinem anderen gehört. Mehrmals hat er den Fehler gemacht und an Orten um Geld oder etwas zu essen betteln wollen, die jemand anderes als Revier auserkoren hat.
Hier dürfte er sicher sein. Es ist keine zu belebte Gegend mit vielen Passanten, aber vielleicht hat er Glück und die Menschen sind spendabler, wenn sie nicht zu oft mit dem Anblick von Berlins anderer Gesellschaft konfrontiert sind.
Es landen auch schnell ein paar Cent-Stücke in dem abgegriffenen Pappbecher, den er immer bei sich trägt, und hastig klaubt er die Münzen zusammen, bevor sie ihm jemand wieder nehmen kann. Er ist müde. Die letzte Nacht hat er keine zwei Stunden geschlafen und heute ist er auch damit beschäftigt gewesen, durch die Straßen zu streifen, in der Hoffnung, dass jemand genug Mitleid mit ihm hat und ihm eine warme Mahlzeit ausgibt. Ein gefüllter Magen ließe ihn vielleicht besser schlafen, wenn er denn einen sicheren Platz findet.
Bis dahin kann er kurz die Augen schließen und etwas dösen. Manche Menschen geben eher etwas, wenn sie das Gefühl haben, nicht gesehen und so auch nicht verurteilt zu werden, weil sie nur 10 Cent in den Becher werfen. Selbst die helfen Adam aber schon.
Er muss wirklich eingeschlafen sein, denn eine warme Hand an seinem Oberarm lässt ihn den Kopf hochreißen. Vor ihm hockt ein junger Mann, älter als Adam, aber noch keine Dreißig. Das Lächeln auf dem gepflegten Gesicht ist offen und freundlich. Ein dezenter Duft nach Aftershave steigt Adam in die Nase und erinnert ihn mit der würzigen Note an einen Wald nach Regen.
Sein Herz wird bei der Erkenntnis schwer, als sich Bilder von Leo vor seine Augen schieben. Auch an ihm hat so ein Duft gehangen, der für Adam mehr nach Zuhause und Geborgenheit roch als jeder Lufterfrischer, den seine Mutter verwendet hat.
Vielleicht lässt genau das Adam zutraulich werden, dieses so schmerzlich vermisste Gefühl von Geborgenheit. Mit den dunklen Haaren und den hellen Augen kann er sich auch eine ältere Version von Leo einbilden, der vor ihm hockt und ihm eine Wasserflasche hinhält. Auch wenn der Leo in Adams Erinnerung sich nie in so einen feinen Anzug zwingen würde. Gut stehen würde er ihm allerdings.
"Hey, ich bin Jonas." Er stellt die Flasche vor Adam ab. Der Deckel ist noch verschlossen, wie Adam mit einem schnellen Blick feststellt. Geöffnete Flaschen nimmt er nicht an. Das hat ihm die Frau an der Friedrichstraße als Erstes mitgegeben.
Gierig dreht er sie auf, leert sie fast in seinem Zug, sodass einige Tropfen auf seinem T-Shirt landen.
"Geht es dir gut?", fragt Jonas und lacht verschämt auf. "Blöde Frage, tut mir leid, aber kann ich dir helfen?"
Adam runzelt die Stirn. Niemand hilft ohne Grund, vor allem nicht in Berlin. "Warum?"
"Was warum?" Jonas blinzelt verwirrt, streicht sich verlegen über den Nacken, dass die goldene Uhr an seinem Handgelenk aufblitzt.
"Warum wollen Sie mir helfen?" Das Sprechen fällt ihm schwer. Es ist eine Weile her, dass er seine Stimme benutzt hat. Meistens kommt er nicht mal dazu, seine Bitte zu formulieren, da schütteln die Menschen schon ablehnend oder mit falschen Bedauern den Kopf. Also bleibt Adam meistens stumm.
"Oh." Jonas sieht ihn überrascht an, dann lächelt er sanftmütig. "Du erinnerst mich an meinen kleinen Bruder. Der ist vor einigen Jahren von Zuhause abgehauen und wir haben seitdem nichts mehr von ihm gehört." Ein trauriges Seufzen entweicht ihm und er wendet den Blick von Adam ab. "Ich hoffe seitdem jeden Tag, dass es ihm gut geht und er nette Menschen getroffen hat, die ihm geholfen haben. Und das würde ich gerne auch tun."
Mitleid, das kennt Adam. Die meisten haben Mitleid mit ihm, aber helfen kann ihm keiner. Alle würden ihn nur zu einer Hilfsstelle bringen oder zur Polizei, wenn Adam sich verplappert und ihnen verrät, dass er erst siebzehn ist.
"Ich weiß, du kennst mich nicht, aber wenn du einen Platz zum Schlafen brauchst, frische Kleidung und was zu essen — ich mache ein ziemlich geiles Curry. Was meinst du?" Jonas hält ihm die perfekt manikürte Hand hin.
Wahrscheinlich ist es eine blöde Idee, einem Fremden zu vertrauen, aber Jonas sieht so ehrlich und aufrichtig aus, dass Adam alle guten Ratschläge in den Wind schlägt. Auch Leos Hilfe hat er damals misstraut und am Ende ist der Junge mit der braunen Zottelmähne das Beste, was ihm in seinem bisherigen, mickrigen Leben passieren konnte.
Vielleicht meint das Schicksal es wieder einmal gut mit ihm und hat ihm Jonas geschickt.
Zögerlich nickt er und Jonas Lächeln wird breiter.
"Ich wohne auch nicht weit von hier. Gleich da vorne." Er zeigt auf ein Eckhaus im Jugendstil.
Es ist wirklich nicht weit. Wenn Adam also etwas komisch vorkommt, wäre er schnell wieder hier und könnte mit der nächsten S-Bahn verschwinden.
Etwas steif klaubt er seine Sachen zusammen und folgt Jonas, der ihn um einige Zentimeter überragt. Das weiße Hemd unter dem dunkelblauen Sakko umschmeichelt eine trainierte Brust, an der Adams Blick für einen Augenblick hängen bleibt.
Dass männliche Körper Adam mehr interessieren als weibliche, hat er schon in Saarbrücken gemerkt, auch wenn dort nach seinem Verschwinden nie die Gelegenheit war, das näher zu erkunden, geschweige auszuleben. Mit Leo hätte er es sich vorstellen können. Hat er auch verschämt, wenn er mal wieder eine Nacht im Schrank eingesperrt verbracht hat und ihn der Gedanke an seinen besten Freund getröstet hat. Hier hat sein Vater auch nicht die Erektion gesehen, die sich in seiner Hose abgezeichnet hat.
Jonas ist attraktiv, wenn auch nicht Adams Typ, wenn er denn einen hat. Zu viele Muskeln, zu glatt, zu perfekt, nicht Leo.
Aber zu einer warmen Mahlzeit, einer Dusche und einer Nacht in einer Wohnung sagt Adam nicht nein.
Die warme Dusche, unter die ihn Jonas gescheucht hat, sobald sie die Wohnung betreten haben, hat den Schmutz von seiner Haut und die erste Kälte aus seinen Knochen vertrieben. Das kleine Badezimmer ist in der Wolke aus Wasserdampf kaum mehr zu sehen gewesen, als Adam nach Ewigkeiten aus der Duschkabine steigt und sich in eins der flauschigen Handtücher wickelt, die Jonas ihm zusammen mit frischer Kleidung bereitgelegt hat.
In der Waschmaschine rumpeln gerade seine Klamotten, die Jonas später noch in den Trockner stecken würde, damit sie bis zum Morgen sauber und noch ein klein wenig warm sind, und Adam wenigstens für ein paar Tage fühlen lassen, als wäre ihm sein Leben nie entglitten.
Jonas' Curry ist wirklich so gut wie er versprochen hat und wärmt Adam zusätzlich von Innen. Nach dem Essen fühlt Adam sich matt und noch erschöpfter als vor einer Stunde, aber auch zum ersten Mal etwas glücklicher und nicht so gehetzt. Jonas ist nett, witzig und erzählt von seinem Beruf als Makler bei einer Immobilienfirma und seinen Kollegen, als wäre es eine Folge von The Office, was Adam zum Lachen bringt.
Im Gegenzug erzählt Adam von Saarbrücken, von Leo, vom Baumhaus und wie er sich von Berlin die große Freiheit erhofft hat und jetzt in einem noch größeren Gefängnis sitzt, als in seinem Elternhaus.
Jonas hört ihm zu, stellt interessierte Nachfragen, vor allem nach Leo – Du warst wohl sehr in ihn verliebt, was? – und hat sogar Tipps, wo Adam Hilfe bekommen kann, ohne dass man gleich seine Mutter verständigt.
Als Adam mehrmals hintereinander gähnt und seine Augen drohen ihm am Tisch zuzufallen, kocht Jonas ihm noch einen Tee, der zwar etwas eigenartig schmeckt, aber Adams Körper sich so herrlich schwer und müde anfühlen lässt. Er kann sich kaum auf seinen Füßen halten, so dass Jonas ihn auf dem Weg ins Gästezimmer stützen muss. Eigentlich sind die ganzen Muskeln doch praktisch, findet Adam, als er sich gegen Jonas Seite fallen lässt, der ihn sanft auffängt und vorsichtig auf dem weichen Bett ablegt. Wenn Leo — doch weiter kommt er nicht, da fordert die Müdigkeit ihren Tribut und kaum, dass sein Kopf das Kissen berührt, sinkt Adam in einen tiefen Schlaf. Das Letzte, was er spürt, ist wie eine große Hand über seinen Kopf, seine Wange und seinen Hals streichelt.
Er weiß nicht, wie lange er geschlafen hat, doch vor dem Fenster scheint es noch tiefe Nacht zu sein, als er von einem kalten Lufthauch aus dem Schlaf gerissen wird. Die Decke muss ihm runtergerutscht sein, denkt er schlaftrunken, will nach ihr greifen und spürt, dass seine Arme ihm nicht nur kaum gehorchen, sondern wie etwas schwer auf ihm lastet und tief in die Matratze drückt. Panisch zappelt Adam, versucht, was auch immer sich da auf ihn gelegt hat, abzuschütteln und sich darunter zu befreien. Doch er hört nur ein heiseres Lachen, während warmer Atem, der nach Alkohol riecht, sein Gesicht streift.
"Halt still, Kleiner. Sonst tue ich dir noch weh."
Kein Gewicht drückt ihn nieder, sondern Jonas, wie Adam mit Entsetzen registriert, als seine Augen sich endlich an das schummrige Licht im Zimmer gewöhnt haben. Nackt und mit praller Erektion zwischen den Beinen sitzt er auf Adam und betrachtet ihn mit hungrigen Blick.
Forsche, unkoordinierte Hände fahren über seinen Oberkörper, unter sein T-Shirt und zerren es ihm soweit über den Kopf, dass sein Gesicht zwar wieder frei ist, aber seine Hände darin verknotet bleiben.
"So ist gut", säuselt Jonas, der sich ein wenig aufrichtet, um Adam die Jogginghose von den Hüften zu streifen, so dass sie in seinen Kniekehlen bauscht, er aber sonst kaum Bewegungsfreiheit hat, sich mit einem gezielten Tritt Jonas vom Leib zu schaffen. Sein ganzer Körper fühlt sich eigenartig matt an, als hätte er keine Kontrolle darüber.
Der Tee, schießt es Adam durch den Kopf. Da ist was im Tee gewesen.
Er sitzt in der Falle. Mal wieder in seinem Leben, nur dieses Mal ist er naiv und ausgehungert nach Geborgenheit selbst hineingetapst. Sein Vater würde schallend über seine Dummheit lachen, wie es Jonas gerade tat, als er seine Hüfte gegen Adams rollen ließ, sein Penis heiß und hart gegen Adams.
Die noch vor wenigen Stunden sanften Hände kratzen nun über seine Haut, bohren sich an seiner Hüfte in sein Fleisch, als Jonas sich zwischen seine Beine drängt, so gut er kann und seinen Schwanz durch Adams Ritze gleiten lässt.
Ein Wimmern entkommt ihm, das Jonas ihm mit einem harten Kuss von den Lippen schluckt, die Zunge drängt unnachgiebig in seinen Mund und wie der Penis zwischen seinen Beinen immer wieder gegen sein Poloch stößt.
"Keine Angst, ich weiß wie das geht", raunt er zwischen zwei Küssen, die nach Alkohol schmecken und Adams Magen vor Übelkeit in einen glühenden Ball verwandelt.
Tränen brennen in Adams Augen. Es ist sein erster Kuss, sein erstes Mal, so hat er es nicht gewollt. Natürlich hat Adam sich verschämt über Sex zwischen zwei Männer belesen und es hat ihm die Schamesröte in die Wange schießen lassen, wenn er sich das mit Leo vorgestellt hat. Leo in seiner Fantasie ist so viel zärtlicher gewesen, so voller Liebe und Sanftheit.
Jonas ist nicht sanft, als er Adams Beine auseinander presst und sich dazwischen drängt. Jonas nimmt auch kein Gleitgel, wie es auf den ganzen Seiten stand, um das Eindringen zu erleichtern. Der Schmerz zerreißt Adam fast in der Mitte, sein Schrei wird von Jonas' Hand auf seinem Mund erstickt, als er in ihn eindringt.
"Du fühlst dich fantastisch an", stöhnt er an Adams Ohr. "Das hast du mit deinem süßen Leo wohl nicht gemacht. Eine Jungfrau habe ich lange nicht mehr gehabt."
Adam will nicht an Leo denken, nicht bei etwas, was in einem anderen Leben ein besonderer Moment zwischen ihnen hätte sein sollen. Er dreht den Kopf, will seine Tränen im Kissen verstecken, doch Jonas dreht mit eisernem Griff sein Gesicht zurück.
"Sieh mich an Kleiner, während ich es dir besorge."
Er zieht das Tempo an, treibt sich in Adam, hart und unnachgiebig. Seine Hände drücken ihn an seiner Kehle in die Matratze, Jonas’ viel zu laute Stöhnen und das obszöne Klatschen von feuchter Haut sind die einzigen Geräuschen der sonstigen Stille der Nacht. Er kriegt kaum Luft, Schmerz raubt ihm die Sinne und lässt seinen Körper in Flammen stehen.
Adam muss für einen Augenblick das Bewusstsein verloren haben, denn er kommt erst wieder zu sich, als das Stöhnen einem heiseren Schrei weichz und sich etwas warm und feucht über seine Brust legt. Träge öffnet er die Augen, sieht noch wie Jonas die letzten Tropfen aus seinem Schwanz pumpt und das Sperma mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen auf Adams Oberkörper verteilt.
Das Brennen zwischen seinen Beinen gleicht einem Höllenfeuer. Noch immer kann er sich kaum rühren, nicht nur weil Jonas ihn betäubt hat, sondern weil jede kleine Bewegung einen Schmerz durch seinen Körper jagt, der alle Schläge seines Vaters in den Schatten stellt.
Wie seinem Vater hat Adam Jonas vertraut, der ihm etwas Wärme und Geborgenheit in dieser kalten Welt versprochen hat. Wie töricht und dumm von ihm. Wie grausam muss ein Mensch sein,einen anderen unter Drogen zu setzen und die Situation auszunutzen? Er hätte wissen müssen, dass niemand etwas aus reiner Gütigkeit tat. Hatte ihn das sein Vater nicht zur Genüge gelehrt?
Vertraue niemals der Hand, die dich zärtlich streichelt.
"Bist ein geiler Fick, Kleiner", lacht Jonas und rollt sich von ihm. Adam hört das metallische Klirren einer Gürtelschnalle, das ihn zusammenzucken lässt. Ein Bündel Geldscheine landet auf seiner klebrigen Brust. "Kannste richtig Geld mit machen, wenn du so brav für was zu essen die Beine breit machst."
Adam riecht den Schweiß auf Jonas' Haut, die Fahne in seinem Atem, als er sich zu Adam hinunterbeugt und Adam muss das Curry runterschlucken, das bereits gefährlich in seinem Hals steckt, als er ihn sanft küsst, was so sehr im Kontrast zu dem Gewaltakt steht, den er gerade an ihm begangen hat.
Eine Hand landet zwischen seinen Beinen, streichelt mit seinen weichen Fingern fast schon liebevoll über seinen Penis, der unter der Berührung verräterisch zuckt. Jonas' Lachen ist kehlig an seinem Ohr.
"Beim nächsten Mal zeige ich dir, wie du auch dabei Spaß haben kannst, weil so bist du keine Beute und wir Männer lieben doch, wenn wir was jagen können."
Mit den Worten zieht er seine Hand fort und tätschelt Adams Wange.
"Deine Sachen liegen im Bad. Bei Sonnenaufgang bist du weg, aber du darfst gern jederzeit wiederkommen, solange du deine wunderschöne Klappe hierüber hältst."
Das dröhnende Lachen kann Adam noch hören, als die Tür hinter Jonas ins Schloss fällt und ihn mit all dem Schmerz zurücklässt.
Der Himmel färbt sich vor dem Fenster in ein zartes graublau, als Adams Körper ihm endlich wieder gehorcht. An Schlaf ist nicht zu denken gewesen, obwohl sein Geist nach Ruhe und kurzzeitigem Vergessen schrie. Doch wenn er nur für Sekunden die Augen schloss, sah er Jonas wieder über sich, roch den herben Duft seines Parfüms, schmeckte den schalen Geschmack von Alkohol auf seinen Lippen und die Übelkeit kroch erneut brennend seine Kehle empor. Gut, dass er dank seines Vaters ein Meister darin war, sie runterschlucken. Immer und immer wieder.
Jedes Knarren der Dielen, jedes zu laute Geräusch auf der Straße ließen ihn zusammenfahren und sich kraftlos in das Laken unter sich krallen. Die Angst, dass Jonas nochmal zu ihm kommen würde, schnürte ihm die Kehle zu. Er wollte hier raus. Rennen soweit ihn seine Beine trugen. Am besten zurück zu Leo, dessen Schutz er nie hätte verlassen dürfen. Leo hätte ihn vor Jonas beschützt, hätte sich dem Monster mutig in den Weg gestellt, so wie er es bei seinem Vater getan hat, nur damit Adam nichts passierte.
Nur ist Leo nicht hier und Adam selbst schuld an dem, was ihm passiert ist. Das würde sicherlich auch Leo so sehen. Vielleicht fände er Adam sogar abstoßend, dass er sich nicht mehr gewehrt und es über sich hat ergehen lassen.
Braucht er immer jemanden, der die Dinge für ihn regelt? Ist er so schwach, dass er sich nicht alleine beschützen kann?
Damit muss Schluss sein, denkt sich Adam und wischt im Bad Jonas’ Spuren und die aufkommenden Tränen fort. Er muss lernen alleine stark zu sein und für sich einzustehen. Sein Leben ist kein fucking Märchen, in dem ein Prinz in strahlender Rüstung kommen und ihn retten wird.
Die Sonne kriecht hinter den Häusern langsam höher, als Adam mit seinen Sachen unterm Arm und den knisternden Geldscheinen in der Hosentasche auf den S-Bahnhof zu wankt.
Auch diese Nacht hat ein Ende, so lang und düster sie auch gewesen ist, entlässt Adam in einen neuen Albtraum.
Wird fortgesetzt…
Chapter 6: No. 5: “My panic’s at the ceiling, but I’m face down on the carpet.” Quivering | Dream Journal | Phobia
Summary:
Sein ganzer Körper zittert erbarmungslos, als er auf das Wohnhaus aus seinen Albträumen zugeht. Nicht nur einmal hat er sich auf dem Weg hierher in einen Mülleimer übergeben müssen, weil alles in ihm schreit, dass das eine dumme Idee ist.
Notes:
Nach dem harten Tobak von gestern geht es heute in dem gleichen AU weiter. Zwar ist es nicht so explicit und düster wie das gestrige, aber dennoch möchte ich auf die folgenden CW/TWs hinweisen.
Ich danke allen, die das gestige Kapitel kommentiert haben. Ich antworte euch noch, aber mein tiefer Dank, dass ihr euch auf diese Reise mit mir begeben habt.
Zu Teil 1: Teil 1
Content Warnings/Trigger Warnings
Thematisierung von Prostitution und Gewalt, dub-con/non-con Oralverkehr
Chapter Text
No. 5: “My panic’s at the ceiling, but I’m face down on the carpet.” Quivering | Dream Journal | Phobia
Rabenschwarze Nacht (II)
Das Zittern will einfach nicht aufhören.
Es beginnt auf den Marmorstufen mit dem samtroten Teppich im Treppenhaus, verfolgt ihn durch die Straßen des erwachenden Berlins, bis in das kleine Zimmer im Regenbogenkiez, wo er sich mit dem Geld von Jonas einmietet. Unter der Dusche schrubbt er erneut die Spuren fort, die er immer noch auf seinem Körper spürt, bis seine Haut feuerrot ist und in Flammen zu stehen scheint.
Die Kälte der letzten Wochen weicht langsam aus seinen Knochen, doch das Zittern, das nichts mit den Überresten des Lebens auf der Straße zu tun, bleibt.
Nur widerwillig schlüpft er in die Sachen, die nach Jonas' Weichspüler riechen und ihm erneut die Übelkeit die Kehle emporkriechen lässt. Mit wackeligen Beinen stürzt er in das kleine Bad, auf die zum Teil zersprungenen Fließen und er erbricht sich, bis nichts mehr als Gallenflüssigkeit seinen Magen verlässt und sein Körper mit einem Schaudern erschöpft auf dem Rand der Toilette zusammenbricht.
Auf seiner Stirn steht kalter Schweiß, den er sich matt am Ärmel seines Pullovers abwischt, ehe er sich aufrappelt und zurück ins Zimmer schlurft. Mit der zweifelhaften Ruhe drängen sich die Schmerzen seines Körpers weiter in sein Bewusstsein. Er ist von seinem Vater vieles gewohnt gewesen. Tritte in die Rippen, den Unterleib, gegen den Kopf. Sicherlich gibt es keinen Zentimeter seines Oberkörpers, dem nicht mit Schlägen zugesetzt worden ist. Er kennt die Narben auf seinem Rücken, einige noch aus seiner Kindheit, die zwar nicht so wulstig wie die neusten, aber sich dennoch silberfein über die blasse Haut spannen. Aber nichts steht in irgendeinem Vergleich zu dem brennenden Schmerz, der bei jeder Bewegung seinen Unterkörper durchfährt. Er traut sich kaum einen Muskel anzuspannen, sich auf den Boden zu setzen, um sich wie einst im Baumhaus so klein wie möglich zu machen.
Wie gern wäre er jetzt dort. Egal wie schlimm sein Vater ihm zugesetzt und wie sehr alles in ihm protestiert hat, ins Baumhaus hat sich immer flüchten können. Dort ist er sicher gewesen, vor allem, wenn Leo zu ihn in den kleinen Verschlag gekrochen ist und seine Arme tröstend um ihn gelegt hat.
Leo.
Ein erstickter Laut dringt aus seiner Kehle, als vor seinen Augen das Bild des Jungen mit den waldgrünen Augen und der Zottelmähne auftaucht. Das sanfte, fast schüchterne Lächeln, das für Adam reserviert gewesen ist und das diese süßen Grübchen an seinen Wangen hervorgebracht hat. Nicht nur einmal hat es Adam in den Finger gejuckt diese kleinen Kuhlen nachzufahren, vielleicht sogar zu küssen. In den Schranknächten hat er davon geträumt mutig genug zu sein und Leo einfach am nächsten Morgen zu küssen und endlich zu wissen, wie sich das anfühlt. Nicht nur das Küssen allein, sondern auch wie sich Leos Lippen auf seinen anfühlen. Die Mädchen in ihrem Jahrgang haben davon geschwärmt, wie toll Küsse schmecken und Adam ist sich sicher gewesen, dass vor allem Leos süß wie die Schokolade sein müssen, die er manchmal mit ihm teilt.
Herausgefunden hat er es nie und jetzt haftet seinem ersten Kuss der fahle Beigeschmack von Rotwein, Curry und Zwang bei. Das Zittern wird mit der Erinnerung an Jonas' Körper über ihm, auf ihm, in ihm wieder stärker und er krümmt sich fester zusammen, auch wenn das eine neue Welle an Schmerz durch seinen Körper jagt.
Das hat nichts mit den Geschichten zu tun, die ihm Jugendzeitschriften über das erste Mal erzählen. Wie schön diese Erfahrung ist, ungeachtet ob alles glatt läuft. Adam hat diese Ammenmärchen geglaubt und schlägt nun hart in der Realität auf. Hat er nicht schon als Kind gelernt, dass Schönheit und Liebe etwas für andere ist und nicht für ihn? Leo ist die einzige Ausnahme gewesen und selbst die hat er mit seiner Dunkelheit befleckt, bis fast nichts mehr von ihm übrigblieb.
Vorsichtig hebt er seinen matten Kopf und schaut aus dem Fenster auf den strahlend blauen Himmel mit den Federwölkchen. Ironisch wie die Sonne alles in Wärme und Licht taucht, wo doch unter ihr Kreaturen der Finsternis durch die Straßen wandeln und ihr wahres Gesicht hinter einer Maske verstecken. Jonas würde sich sicherlich nicht vor seinen Kollegen anmerken lassen, was er in der Nacht getan hat. Vielleicht würde er sogar von Adam erzählen und es als einen One-Night-Stand abtun, der zwar Spaß gemacht, aber nie etwas Ernstes werden könnte. Seine Kollegen würden lachen, ihn als Aufreißer bezeichnen und mit ihrem Tag weitermachen. Keiner würde nach Adam und seiner Seite der Geschichte fragen. Und selbst wenn, würden sie ihm am Ende nicht glauben. Für sie wäre er nur ein Junge von der Straße, der sich für Essen und Geld hat ficken lassen.
Leo würde ihm glauben, auch wenn sie seit drei Monaten nicht mehr gesprochen haben. So wie er es immer getan hat; gerade dann, wenn andere es nicht konnten. Die Lehrer haben nicht hören wollen, dass Adam Malte aus ihrer Klasse nur einen Nierenschlag verpasst hat, weil er Leo schikaniert und eine Kostprobe seiner eigenen Medizin verdient hat. Selbst Leos Bestätigung seiner Geschichte haben sie einfach weggewischt und es so aussehen lassen, als würde Adam Leo dazu zwingen für ihn auszusagen.
Sie haben es besser gewusst, aber gebracht hat es ihnen nichts. Würde es wahrscheinlich auch jetzt nicht, denn wer würde Adam schon die Sache mit Jonas glauben. Er konnte es ja selbst nicht fassen, was da passiert ist. Die Geschehnisse der letzten Stunden sind schwammig in seinem Kopf, kaum zu greifen und rutschen immer wieder aus seinem Bewusstsein. Schwach erinnert er sich an das Abendessen, das Curry, das ihm immer wieder hochsteigt. Hat er irgendwas vielleicht gesagt, dass Jonas als Ermutigung aufgefasst hat? Irgendein unbeholftes Zeichen von Adam, eine Einladung zum Sex? Jonas wird ihn doch nicht unter dem Vorwand…
Sein Blick wandert hinüber zum Bett, auf dem die grünen und gelbe Scheine wie eine Patchworkdecke ausgebreitet sind. Andererseits hat Jonas ihm Geld gegeben und das nicht gerade mal wenig. Hat er das am Ende geplant? Ist er nur zu Adam so nett gewesen, um…um ja was? Einen Jungen von der Straße zu vergewaltigen?
Bedacht keine unnötige Bewegung zu machen rappelt er sich auf und tritt an das schmale Bett.
Über 2000 Euro sind auf der Bettdecke mit den Stockflecken ausgebreitet. Genug, um einen Monat nicht auf der Straße leben zu müssen, den Komfort eines Zimmers zu haben, das zwar an allen Ecken und Ende schimmelt, aber sich wenigstens abschließen lässt. Mit zitternden Händen fährt er über die knisternden Geldscheine. Jonas' Worte kommen ihm in den Sinn, dumpf und wie durch Watte, aber sie sind da.
Kannste richtig Geld mit machen, wenn du so brav für was zu essen die Beine breit machst.
Er zuckt zurück, als hätte er sich verbrannt. Natürlich hat er von Prostitution gehört. Von Frauen, die für Geld Sex anbieten. Leo und er haben sogar mal welche gesehen und einen verschämten Blick auf die aufreizend gekleideten Frauen am Saarbrücker Bahnhof geworfen. Auch hier in Berlin hat er die anderen auf der Straße darüber reden hören, dass es immer noch die Prostitution gibt, um von diesem Elend in ein anderes zu stürzen.
Aber er ist ein Junge und keine Frau. Wie soll er da überhaupt mit Sex Geld verdienen können? Oder gibt es noch mehr Arschlöcher wie Jonas da draußen? Und wenn ja, wie findet er die? Die laufen doch nicht mit großen Leuchtstinkern auf der Stirn durch die Straßen, dass Adam sie einfach ansprechen kann. Zumal er Jonas als vertrauenswürdig eingeschätzt hat und ganz sicher nicht als jemanden, der Minderjährige betäubt und zum Sex zwingt.
Bist ein geiler Fick.
Adams Blick verfinstert sich und er vergräbt seine bebenden Hände in der Bauchtasche seines Hoodies.
Ist es das jetzt? Ist das die Lösung, um nicht länger auf der Straße zu leben? Seinen Körper für Sex verkaufen und sich wieder einmal den Arschlöchern der Welt da draußen unterzuordnen? Wie soll er das Leo erklären, sollte er jemals genug Mut aufbringen ihm wieder unter die Augen zu treten. Er kann sich noch gut an den angewiderten Ausdruck auf Leos Gesicht erinnern, als sie die Frauen dort am Bahnhof gesehen haben. Unter keinen Umständen möchte Adam der Grund für diesen Blick sein.
Es muss einen anderen Weg geben und erst einmal hat Adam Zeit diesen zu finden.
Es gibt keinen anderen Weg, wie Adam einige Wochen später verbittert feststellt. Er kriegt keinen vernünftigen Job, der ihm genug Geld für eine eigene Wohnung bringt, wenn er nicht offiziell gemeldet ist. Und ohne Geld kriegt er keine Wohnung, schon gar nicht als Minderjähriger. Es ist ein Teufelskreis, in dem er sich wie ein Kreisel wild zu drehen scheint.
Rainer, der Besitzer der kleinen Kneipe die Straße runter lässt ihn gelegentlich kellnern. Schwarz unter der Hand, weil er Adam die Versicherung der Volljährigkeit nicht abkauft, aber ein gutes Herz hat. Der Lohn und das, was er als Trinkgeld zugesteckt bekommt, reicht aus, dass er das Geld von Jonas nicht zu oft anrühren muss. Nur auf Dauer reicht es nicht.
In Rainers Bar kommt er das erste Mal mit dem schwulen Straßenstrich in Kontakt. Hier bahnen sich die die meisten Kontakte an, einige Gesichter erkennt Adam nach einer Woche schon wieder, weil sie sich regelmäßig auf den roten Ledersofas räkeln und immer einem anderen Mann an ihrer Seite Avancen machen. Meistens verschwinden sie recht schnell wieder, nur um kurz darauf wieder dort zu sitzen, der nächste Typ schon neben ihnen. Auch wenn Rainer nichts mit den Geschäften, die in seiner Bar angebahnt werden, zu tun hat, so sagt er auch nichts dagegen.
"Besser sie tun es hier, wo man notfalls eingreifen kann", hat Rainer mit einem Achselzucken auf Adams stumme Frage geantwortet und weiter die Gläser poliert. Er ist ein trainierter Mann, die dunklen Shirts spannen um seine tätowierten Oberarme. Seine Augen sind ein sanfter Kontrast zu dem eher harten Auftreten.
Was genau Rainer damit meint, hat Adam eines Abends auf dem Weg zurück in seine Pension beobachten können. Auf dem Spielplatz an der Ecke hat er Simon entdeckt, einen der Stammgäste aus Rainers Bar, die sich dort regelmäßig mit Freiern treffen. Mehrmals schon hat den jungen Mann, der nicht viel älter als er sein konnte, ansprechen wollen. Wie er hier gelandet ist, ob es Alternativen gibt oder Rainers Bar schon das Beste ist, wie man die Situationen sicherer machen kann. Nur getraut hat er sich noch nicht.
Er hält inne, als er Simons aufgebrachte Stimme zu ihm herüber weht. Ein bulliger Typ mit viel zu feinem Anzug für diese Gegend packt ihn an dem Armen. Adam hat auch ihn schon öfters hier gesehen und wenn er Rainers gebrummten Worten glaubt, einer der Zuhälter hier, die den Straßenstrich kontrollieren. Der Mann löst ein unangenehmes Zittern in Adam aus und die wenigen noch intakten Alarmglocken läuten in ihm Sturm. Etwas an ihm erinnert Adam ungut an seinen Vater. Vielleicht die stramme Körperhaltung, der kalte Blick, mit dem er seine Umgebung scannt und die Aura der Macht, die er verströmt und Adams Fluchtinstinkt triggern.
Sein Atem stockt für einen Moment, als er mit der Faust nach Simon ausholt und der junge Mann wie ein nasser Sack zu Boden sinkt und bewusstlos liegen bleibt. Adam sollte helfen, die Polizei rufen, die doch hier im Kiez Patrouille fährt und sie herbringen, damit sie Simon helfen. Doch noch ehe er sich aus seiner Erstarrung lösen kann, hat der Mann Simon über seine Schulter gehievt und in ein wartendes Auto verfrachtet.
Nach diesem Vorfall ist Simon eine Weile nicht in Rainers Bar mehr aufgetaucht und als er es wieder tut, zieren sein sonst so hübsches Gesicht immer noch blaue Flecken und er bewegt sich bedachter.
Nein, seinen Körper auf der Straße verkaufen und an Typen wie Simons Zuhälter geraten, ist keine Option, aber was bleibt Adam für eine Wahl? Ob Jonas…? Immerhin hat er doch gesagt, dass Adam wiederkommen kann. Und ist das nicht das geringere Übel? Er kennt Jonas, weiß, dass zu viel für ihm auch auf dem Spiel steht, als dass er Adam etwas Grausameres antut und er verhältnismäßig sicher bei ihm ist.
Zumindest hofft er das.
Sein ganzer Körper zittert erbarmungslos, als er auf das Wohnhaus aus seinen Albträumen zugeht. Nicht nur einmal hat er sich auf dem Weg hierher in einen Mülleimer übergeben müssen, weil alles in ihm schreit, dass das eine dumme Idee ist.
Mittlerweile hat er doch genug Geld für das Bahnticket nach Saarbrücken. Es wäre ganz einfach und er schon morgen zurück bei Leo. Sicherlich würden sie einen Weg finden, gemeinsam, so wie sie es immer getan haben. Doch dann blitzen Leos vor Angst geweitete Augen vor ihm auf, wie ein Echo hört er das leise Klonk des zu Boden fallenden Spatens. Leo ist nicht mehr er selbst gewesen, nach diesem Vorfall in der Garage. Und jedes Mal, wenn er Adam gesehen hat, ist da wieder diese Panik in seinem Gesicht, als wäre Adam die wandelnde Erinnerung an das, was er getan hat. Wahrscheinlich ist dem auch so und Adam hat doch nie mehr gewollt, als dass es Leo gut geht und er sicher vor all dem ist, was Adam umgibt und zu Boden zieht.
Und deswegen würde es auch gar nichts bringen, wenn er nach Saarbrücken zurückkehrt. Für Leo ist sein Verschwinden vermutlich eine Erlösung gewesen und eine Rückkehr würde alles nur schlimmer machen. Zumal da noch sein Vater ist und Adam nicht weiß, ob er bereits aus dem Koma erwacht ist, in das er kurz nach der Garage gefallen war.
Nein, Umkehren ist keine Option. Jetzt nicht und vermutlich nie.
Er drückt mit steifen Fingern auf die Klingeln. Zum Glück hat er sich beim Verlassen der Wohnung den Namen auf dem Klingelschild gemerkt. Ein Blick hinauf zu den hell erleuchteten Fenster versichert ihm, dass Jonas da ist.
Es knackt in der Gegensprechanlage und kurz schnürt der verzerrte Klang ihm die Kehle zu. Schmerzhaft ballt er seine Hand zu einer Faust, presst sie gegen den Putz neben dem Klingelbrett.
"Hier ist Adam", presst er keuchend hervor und für einige Sekunden ist es still. Fast glaubt, hofft sogar, dass Jonas ihm nicht öffnet und sein Angebot nicht ernst gemeint hat.
Doch dann ertönt ein heiseres Lachen und der Summer der Tür.
"Komm rauf Kleiner."
Jonas lehnt mit verschränkten Armen in der Wohnungstür, als Adam mit zögerlichen Schritten den letzten Treppenabsatz erklimmt. Das weiße Hemd hat er bis zu den Ellenbogen hochgeschoben und entblößt leicht gebräunte Haut. Der edel wirkende Gürtel der schwarzen Stoffhose ist offen und durch den dünnen Stoff zeichnet sich eine Erektion ab. Das Lächeln auf seinem Gesicht ist süffisant und ein wenig triumphierend, als würde Adams Anblick ihn nicht überraschen.
Wahrscheinlich tut es das auch nicht. Er hat ihm eine beachtliche Summe Geld überlassen und die Falle gespannt, in die Adam sich nun bereitwillig begibt.
"Schön dich zu sehen, Kleiner. Wusste doch, dass wir uns wiedersehen werden."
Am liebsten würde Adam ihm auf die wahrscheinlich sündhaft teure Fußmatte kotzen bei seinen Worten, doch er presst die Lippen zusammen und schluckt die aufsteigende Übelkeit runter.
"Du hast gesagt, ich kann wiederkommen." Er weiß selbst nicht, wohin er mit der Aussage will. Vor allem will er sich nicht so offensichtlich zum Sex anbieten, eigentlich will er es gar nicht, aber einfach so wird ihm Jonas kein Geld geben.
Mit einer einladenden Geste lässt Jonas ihn eintreten. Als Adam an ihm vorbeigeht, legt sich mit festen Druck eine Hand an seinen Hintern und Finger bohren sich durch die Jeans in sein Fleisch. Ein Schaudern wie nach einem Eimer eiskalten Wasser rinselt Adams Rücken hinab und kämpft mühsam den Drang herunter Jonas' Hand fortzuschlagen.
"Kannst es gar nicht erwarten, mich dort wieder zu spüren, was?", raunt Jonas dicht an seinem Ohr und der warme Atem streift Adams Wange. Wenigstens riecht er nicht nach Alkohol, wie Adam feststellt und er nimmt einen kontrollierten Atemzug. Seiner Stimme traut er nicht, so nickt er nur und zum Glück kauft er ihm die Lüge ab.
"Ein wenig wirst du warten müssen. Erstmal reden wir darüber, warum du hier bist", schnurrt Jonas und lässt seine Hand hinten ins Adams Bund gleiten, streift nur mit der Fingerspitze Adams Spalte und quittiert das unwillkürliche Anspannen seines Hinters mit einem dunklen Lachen.
"Ins Wohnzimmer mit dir", knurrt er und stößt Adam vor, der mit wackeligen Beinen der Aufforderung folgt.
Auf dem Fernsehbildschirm ist das Standbild eines Pornos zu sehen, als Adam mit Jonas an seiner Seite eintritt. Ein Mann, ungefähr in Jonas Alter nimmt einen deutlich Jüngeren von hinten, der über eine Sofalehne gebeugt ist. Das Gesicht des Jungen ist mehr von Schmerz als von Lust verzerrt, während der Ältere die Augen geschlossen den Kopf in den Nacken geworfen hat. Die Arme des Jüngeren sind auf den Rücken gebunden.
Heiße Galle kriecht in Adams Kehle, brennt sich ätzend in seine Schleimhäute. Der Junge sieht aus wie er.
Ein frivoles Grinsen legt sich über Jonas' Gesicht, als er den Fernseher abschaltet. "Konnte ja nicht wissen, dass sich heute eine bessere Alternative sich mir bieten wird."
Breitbeinig lässt er sich auf die Couch fallen, eine Hand lässig an der versteckten Erregung und sieht Adam wie ein lauerndes Raubtier an.
"Also, was willst du genau von mir, Kleiner? Du bist ganz bestimmt nicht hier, weil du Sehnsucht nach meinem Schwanz hattest."
Kaum merklich schüttelt Adam den Kopf. Nein, Sehnsucht ist es nicht, die ihn hergetrieben hat, eher die Not und die fehlende Alternativen.
"I-ich brauche Geld", beginnt er stotternd. Jonas' Augen verdunkeln sich und wandern langsam an Adam hinab. Er ignoriert das Zittern, das seinen Körper wieder erfasst und stellt sich aufrechter hin. "Da-dafür mache ich auch was d-du willst."
Es kommt nicht so souverän rüber, wie er es im Bad seines Pensionzimmers geübt hat, doch es scheint seine Wirkung nicht zu verfehlen.
"Was ich will, so?", wiederholt Jonas mit gefährlich leiser Stimme. Adam schluckt schwer und nickt. Jetzt ist es raus, es gibt kein zurück mehr. Nicht, wenn er Jonas' Geld will.
Eine ganze Weile schweigt Jonas, mustert ihn nachdenklich und Adam wird mit jeder Minute nervöser. Eigentlich hat er erwartet, vom anderen sofort ins Bett gezerrt zu werden. Vielleicht auch hier im Wohnzimmer auf der Couch oder auf dem Boden. So wie der Typ in dem Porno, Adam ist es egal, so lange er danach das Geld bekommt.
Als die Stille unerträglich zu werden droht, winkt Jonas ihn zu sich und deutet mit einem Schnipsen auf den Platz zwischen seinen Beinen.
Adams Beine fühlen sich an wie Gummi und drohen unter ihm nachzugeben. Das hat er nicht bedacht und könnte sich für seine erneute Naivität eine Ohrfeige verpassen. Jonas wird sich nicht mit einem schnellen Fick zufrieden geben wie beim letzten Mal. Da gehört viel mehr dazu, wie er es aus den überhörten Gesprächen der Stricher in Rainers Bar weiß. Oralsex, einem anderen den Schwanz lutschen und sich fast bis zur Bewusstlosigkeit in den Hals ficken lassen. So hat Simon es einem Freier mal angeboten und es klingen lassen, als gäbe es nichts Erstrebenwerteres.
Dabei kann Adam sich wirklich nicht vorstellen, Jonas' Schwanz, der ihm vom letzten Mal als groß und breit in Erinnerung geblieben ist, in seinem Mund zu haben.
Dennoch lässt er sich zwischen seinen Beinen nieder und sieht zu dem Mann über ihm auf. Das Lächeln auf dessen Lippen gleicht dem eines gutmütigen Onkels, der die Versuche seines Lieblingsneffens belohnt. Saurer Speichel sammelt sich in Adams Mund und er würgt ihn hastig herunter, als Jonas seine Hand an Adams Wange legt.
"Ich mache dir ein viel besseres Angebot, Kleiner. Oh, keine Sorge", fügt er hinzu, als Adam sich versteift und zurückweichen will. Sanft fährt mit seinen Daumen Kreise auf seiner Haut. "Ich werde dich gleich ficken und du bekommst auch dein Geld, aber ich weiß, wie du noch mehr Kohle machen kannst."
"Ich kenne einige Leute, die auf Sex mit Minderjährigen stehen. Vor allem auf Sex mit minderjährigen Jungen. Nur sind die nicht so einfach zu finden und in einschlägigen Bordellen wird man nur fündig, wenn man auf Titten steht." Er packt Adams Kinn, drückt sein Gesicht nach oben, so dass Adam ihn ansehen muss.
"Du könntest mehr als das verdienen, was ich dir gezahlt habe. Du bist ihnen ein wenig gefällig, machst die Beine breit, den Mund brav auf und schon brauchst du dir keine Sorgen mehr machen, wie du deine nächste Mahlzeit bezahlt bekommst. Klingt das nicht fantastisch?"
Am liebsten will Adam ihm widersprechen. Das klingt alles andere als fantastisch. Fremde Männer, die er nicht kennt und die ihn ficken? Ist es nicht das, was er mit der Entscheidung für Jonas, verhindern wollte?
Seine Kehle ist staubtrocken und auch verzweifelt Speichelschlucken kann das Gefühl nicht verdrängen. Das läuft hier nicht, wie er es sich gedacht hat. Ein paar Mal sich von Jonas ficken lassen, ja, das kriegt er hin. Mit genug Zeit dazwischen kann er sich einreden, dass es nur eine Affäre ist, eine Liebschaft — auch wenn das alles hier nichts mit Liebe zu tun hat.
Der Griff an seinem Kinn lockert sich und Adam erkennt, dass das Angebot nicht mehr lange steht, wenn er nicht reagiert.
Er senkt den Blick, so dass er auf Jonas' Schritt fällt, wo die Erektion ein Stück zurückgegangen ist, aber sich immer noch deutlich abzeichnet. Jeder Atemzug ist eine Qual, ein Anatmen gegen die Enge in seinem Brustkorb, die immer weiter zunimmt.
"Wa-was bekommst du dafür?", bringt er leise hervor, seine Stimme schwer von der Resignation. Das ist schon ein Zugeständnis an Jonas' Vorschlag. Jetzt noch einen Rückzieher machen, wird er nicht können, ohne dass ihm alles wegbricht.
Nachdenklich runzelt der Mann vor ihm die Stirn, betrachtet ihn wie ein Gemälde, das sich ihm nicht erschließt.
"Ich bekomme gar nichts dafür, Kleiner." Jonas klingt beinahe zärtlich und überrascht will Adam ein Stück zurückweichen. "Wobei das stimmt nicht ganz. Ich will kein Geld von dir, das hole ich mir auf anderem Weg, aber…" Ein lüsternes Grinsen legt sich auf seine Lippen, als seine Augen über Adams Gesicht und Körper wandern. "Aber ich habe dich exklusiv für mich. Wann immer ich will, ficke ich dich. Und alle Schweinereien, auf die dein süßes Köpfchen kommt, sobald du erst ein paar Schwänze hattest, wirst du zuerst mit mir ausprobieren."
Adam müssen die Zweifel deutlich anzumerken sein, denn Jonas lacht heiser auf. "Oh glaub mir Kleiner, du wirst auf Ideen kommen und ich kann es gar nicht erwarten. Aber erstmal musst du noch einige Dinge lernen."
Er will das alles nicht. Will nicht Jonas' Hand in seinem Nacken, die ihn näher an seinen Schritt ziehen, wo er mit der freien Hand seinen Schwanz aus der Hose holt. Will nicht, dass bald ein Fremder über seinen Körper bestimmt. Er hat das alles schon mal durchgemacht. Sein Vater ist auch der Meinung gewesen, dass er bestimmen kann, was Adam seinem Körper abverlangt. Nur, dass der körperliche Drill weitaus besser zu ertragen war als das, was Jonas von ihm verlangt.
Das Zittern seines Körpers, das ihn schon den ganzen Tag begleitet, wird wieder stärker, als Jonas mit ein paar kräftigen Drehungen seines Handgelenks wieder zur vollen Erektion bringt.
"Keine Sorge, mein Kleiner", keucht Jonas, als er seine Schwanzspitze an Adams Lippen entlang gleiten lässt. "Ich werde natürlich für dich und deine Sicherheit sorgen. Bei mir kann dir nichts passieren."
Mit den letzten Worten zwingt er Adams Mund auf und rammt seinen Schwanz mit einer kräftigen Bewegung in seinen Rachen, dass ihm die Tränen kommen. Nach Luft ringend krallt er sich in Jonas' Oberschenkel, der mit einem rauen Lachen den Stoß wiederholt, nun beide Hände in Adams Nacken verschränkt, jede Fluchtmöglichkeit abgeschnitten.
Vielleicht würde Jonas ihn schützen, denkt Adam, als er die Augen schließt und verzweifelt versucht durch die Nase zu atmen und Jonas' Geruch auszublenden. Nur würde der Preis für diese Sicherheit viel höher sein als alles Geld auf der Welt.
Wird fortgesetzt…
Chapter 7: No. 6: “No grave can hold my body down.” Caught in a Net | Medical Restraints | Pinned to the Wall
Summary:
Da ist eine Spur gewesen. Endlich nach Jahren ein erster Anhaltspunkt und er ist ihr wie ein blutiger Anfänger kopflos gefolgt. Hungrig nach Rache, die ihn die letzten fünfzehn Jahre innerlich ausgehöhlt hat. Sein ganzes Leben hat er dieser Jagd verschrieben und nun ist seine eigene Falle über ihn zugeschnappt.
Notes:
Heute knüpft an den ersten Prompt an und wer sich damals einen Aluhut gebastelt hat, möchte den vielleicht noch mal rausholen ;)
Ich danke euch jedenfalls für die letzten beiden Tage und so generell für den Zuspruch zu diesem Whump-Abenteuer <3
Nachfolgend wie immer die CW/TWs, falls ihr sie braucht und möchtet. Ansonsten viel Spaß <3
Content Warnings/Trigger Warnings
Körperliche Gewalt, Gefesselt, Mordversuch durch Erwürgen, Tod einer Person (nicht MCD)
Chapter Text
No. 6: “No grave can hold my body down.” Caught in a Net | Medical Restraints | Pinned to the Wall
Wake me up when September ends (II)
Sein Plan ist gewaltig schief gegangen.
Eiserne Fesseln schneiden in sein Handgelenk, pressen auf den aufgeregt rasenden Puls. Der metallische Geschmack von Blut in seinem Mund und der Geruch in seiner Nase lassen ihn keuchend würgen und nach Luft ringen, die er nur schwer bekommt. Es rasselt in seiner Lunge, jeder Atemzug sendet einen glühenden Schmerz durch seinen Körper.
Fuck, denkt er in das wattige Gefühl, das sich in seinem Kopf wieder auszubreiten und ihn zurück in den Nebel zu ziehen droht. Fuck.
Nur mit Mühe kann er seine Augen öffnen, das linke Auge ist geschwollen und sein Sichtfeld auf einen kleinen Punkt vor ihm beschränkt. Sein Schädel droht fast zu zerbersten, als langsam mehr Licht durch die Schwellungen dringt. Verschwommen kann er seine Umgebung ausmachen. Eine heruntergekommene Lagerhalle, die Decke zur Hälfte eingestürzt, überall Schutt und altes Baugeröll und in der Mitte ein tiefer Graben. Von irgendwo hört er das unablässige Tropfen von Wasser in einen Metallbehälter.
Leo blinzelt, versucht den Nebel in seinem Kopf beiseitezuschieben. Sein Gewicht, mit dem er an den Fesseln hängt, zieht ihn Richtung Boden, lässt seine Schulter schmerzhaft überdehnen.
Wie ist er hier gelandet? Was ist schiefgelaufen?
Da ist eine Spur gewesen. Endlich nach Jahren ein erster Anhaltspunkt und er ist ihr wie ein blutiger Anfänger kopflos gefolgt. Hungrig nach Rache, die ihn die letzten fünfzehn Jahre innerlich ausgehöhlt hat. Sein ganzes Leben hat er dieser Jagd verschrieben und nun ist seine eigene Falle über ihn zugeschnappt.
Jahrelang hat er auf diesen Moment gewartet, sich auf jede Spur gestürzt, sei sie auch noch so klein und kalt, um das Monster zur Strecke zu bringen, dass seinen besten Freund auf dem Gewissen hat. Das Loch in seiner Brust ist nie verheilt. Wie ein Gift, das Wunden nicht schließen lässt, ist der Gedanke an Roland Schürk dort hineingetropft und hat ihn angetrieben. Mit Bestnoten durch das Polizeistudium, die Bewertungen seiner Praxisanleiter tadellos und mit den besten Empfehlungen für eine Karriere beim Mord, wo er nun endlich an der Stelle ist, um seine Suche zu verschärfen.
Oft hat er nur im Geheimen agieren können, hat sich in Archive geschlichen, um nach Anhaltspunkten zu suchen. Sich Informationen und Einsicht in Akten besorgt, in dem er Gefälligkeiten einholte. Mal ein Schweigen über eine gemeinsame Nacht, um den Ruf des angesehenen Kollegen nicht zu ruinieren und seine Ehe nicht zu gefährden. Mal eine Hand wäscht die andere. Den Kollegen decken, der Rauschmittel aus der Asservatenkammer hat verschwinden lassen, und im Gegenzug bekam er Zugang zur Ermittlungsakte Roland Schürk.
Viel hat er nicht gefunden, das meiste ist klassifiziert und die genannten Ermittler nichts als Pseudonyme. Etwas stinkt an dem Fall Roland Schürk bis zum Himmeln. Warum hatte man Adams Fall so schnell als einen Cold Case zu den Akten gelegt und warum hat in fünfzehn Jahren es niemand für nötig gesehen, den Fall neu aufzurollen? Da sind doch Hinweise gewesen, den man hätte nachgehen müssen. Einbrüche, Raubüberfälle, Waffenbesitz. Leo hat gar nicht so tief in Schürks Vergangenheit graben müssen, um Ansätze für weitere Ermittlungen zu finden.
Ein Name ist immer wieder in den Akten aufgetaucht. Schürks Komplize Boris Barns sitzt in der Lerchesflur und niemand scheint ihn zum Mord an Adam und der Flucht seines alten Kumpanen befragt zu haben.
Ein alter, gebrochener Mann hat Leo im Besucherraum gegenübergesessen. Die grauen Augen trüb hinter dem billigen Brillengestell. Er wisse nicht, wohin Roland verschwunden ist. Seit dem Tag seiner Verhaftung hat er seinen Freund nicht mehr gesehen. Ja, von Adam hat er gehört und es hat ihm das Herz gebrochen. Zwar sei er nicht Adams richtiger Onkel gewesen, doch er hatte so etwas wie Verantwortung für ihn gespürt und hätte ihn vor Roland schützen müssen. Nur aus dem Gefängnis ging das nicht und die Schuldgefühle zerfressen ihn.
Leo glaubt ihm. Sieht die Aufrichtigkeit in dem müden Gesicht, die Tränen in den Augenwinkeln und er resigniert. Barns ist nur ein Spiegel seines eigenen Schmerzes und keine Hilfe. Seine Warnung, dass Roland eines Tages zurückkommen wird, um sich das Geld zu beschaffen, dass sie damals gemeinsam gestohlen haben, hängt Leo trotzdem nach. Wer seinen eigenen Sohn tötet, kennt keine Skrupel.
Wenn das Geld aus dem letzten Bankraub noch da ist, wäre es die perfekte Honigfliegenfalle. Männer wie Schürk wähnen sich schlauer und gerissener als alle anderen. Sie sehen sich als perfekte Strategen, den Verfolgern immer einen Schritt voraus. Das Mastermind, das keine Fehler macht.
Doch das perfekte Verbrechen gibt es nicht. Roland Schürk wird einen Fehler machen, seine Deckung aufgeben, um an das Geld zu kommen, und dann ist Leo und schnappt zu.
Bis dahin schien sein Plan auch perfekt, nur ist er keine Spur besser als Schürk gewesen in seiner Arroganz, ihn allein schnappen zu können.
Er hat gelauert, auf ein Zeichen, ein Flüstern, dass man Adams Vater in Saarbrücken gesehen hat. Mit Adams Mutter spricht er fast noch regelmäßiger als mit seiner eigenen Familie. Nie über Adam, weil er ihren leeren Blick bei der Erinnerung an ihren Sohn nicht ertragen kann, immer nur über Anzeichen, ob ihr Mann zurück in Saarbrücken ist.
Früher ist Geduld nie Leos Stärke gewesen, doch über die Jahre des Ausharrens und Warten hat er diese Fähigkeit bis zur Perfektion getrieben. Und sie wird auch belohnt. An einem kalten Apriltag ruft Heide Schürk ihn an.
Ein Mann sei durch ihren Garten geschlichen und im Wald verschwunden. Es ist derselbe Weg, den auch immer Roland genommen hat und der, so vermutet sie zum alten Fischbachbad führt, das seit den 70er brachliegt und in dem Adams Vater wohl, als Kind oft gewesen ist.
Lange zögert Leo nicht. Er kennt den Weg zu diesem Ort, ein beliebtes Ausflugsziel für Lost Places. Seine Schwester hat ihn dort mal mit hingenommen und Leo fragt sich, wie er Spuren vom Schürk hat übersehen können.
Die wilde Minze hat ihm eine gute Deckung gegeben, als er sich der vermummten Person langsam nähert, die unter einem alten, knorrigen Baum ein Loch auszuheben scheint. Fast ist er schon bei ihm, kann die Körperhaltung erkennen, das Militärische, was Adams Vater ausgestrahlt hat. Doch dann, ein unbedachter Schritt, das Knacken von trockenem Holz und der Mann vor ihm fährt alarmiert herum. Einen Moment lang stehen sie sich gegenüber, Auge in Auge, mit der Bestie, die er so lange nun jagt. Leo will zum Angriff ansetzen, seine Waffe zücken, ihn endlich in Ketten legen, nur der Schürk ist schneller.
Mit einem Satz ist er bei Leo, den Spaten erhoben und ehe Leo reagieren kann, geht er zu Boden und Dunkelheit umfängt ihn.
Wie er von dort in diese Lagerhalle gekommen ist, weiß Leo nicht. Im näheren Umkreis ist dort kein Gebäude wie dieses, obwohl es ihm Saarland von Industriebrachen nur so wimmelt. Sie müssen ein Stück außerhalb sein, doch eigentlich ist es auch egal. Keiner weiß wo Leo hin ist und wenn Heide Schürk nicht Alarm geschlagen hat, wird ihn keiner suchen kommen.
Er ist gefangen, in diesem Netz, dass er selbst gespannt hat.
Schritte nähern sich. Schlurfend und mit schweren Sohlen und Leo dreht vorsichtig den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kommt.
Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, der Rücken gerade als würde er zum Appell antreten, bleibt er vor Leo stehen. Die Augen dunkle Löcher in dem verhassten Gesicht, das ihn seit jenem Tag in seinen Träumen verfolgt.
"Leo Hölzer, Sie sind wach. Wie schön." Ein haifischartiges Lächeln zieht sich über sein Gesicht. "Schlafende Beute ist keine Beute. Das ist ein Ehrenkodex unter uns Jägern."
Sein Lachen ist kehlig, jagt Leo einen Angstschauer über den Rücken und lässt ihn an seinen Fesseln zerren. Er will Roland Schürk das Grinsen ist aus dem Gesicht prügeln, ihn seinen eigenen Hass spüren lassen, der Leo über die Jahre geformt hat, bevor er vermutlich verliert.
Das hier wird nicht gut ausgehen, die Illusion macht er sich. Schon Adam hat sich nicht gegen seinen Vater wehren können und dabei ist Adam der Stärkste gewesen, den er je gekannt hat. Eiserner Körper, wacher Geist und das Herz am rechten Fleck, auch wenn sein Vater es ihm woanders hin prügeln wollte. Adam hat seine Kraft für das Gute genutzt, zum Beschützen von Schwächeren. Sicherlich wäre aus ihm ein guter Polizist geworden, wenn das Monster vor ihm, ihn nicht viel zu früh aus dem Leben genommen hätte.
"Sie widern mich an", spuckt er Roland vor die Füße und das gehässige Lachen donnert noch mehr von den Wänden.
Adams Vater tritt näher zu ihm, die kalten Augen starr auf ihn gerichtet. Langsam löst er seine Arme hinter dem Rücken, in seinen Händen liegt Leos Dienstwaffe. Beinahe zärtlich fährt er mit den Fingern über das schwarze Gehäuse. Leo sieht es in seinem Blick, das gefährliche Blitzen, eine dunkle Vorahnung, dass es seine Waffe sein wird, die ihn richtet.
Er leckt sich über die aufgeplatzte Unterlippe, der stechende Schmerz erdet ihn für einen Moment, bis ein gezielter Faustschlag in den Magen ihn erstickt keuchen lässt.
Rolands Lippen kräuseln sich gehässig. "Sie sind der Kleine, dem mein Adam früher schöne Augen gemacht hat. Leo Hölzer, der Junge mit dem Baumhaus." Es folgt ein weiterer Schlag, dieses Mal ins Gesicht. "Der Junge, wegen dem Adam sterben musste."
Es ist, als würde mit einem Mal sämtliche Luft, die Leos verletzte Lunge noch aufnehmen konnte, mit einem Mal aus ihm weichen und ihn kraftlos in die Ketten sacken lassen. Adam hat wegen ihm sterben müssen? Wegen ihrer Freundschaft?
"Tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht, von was ich rede. Adam ist doch ganz vernarrt in Sie gewesen, hat sogar ein Foto von Ihnen unter seinem Kissen gehabt und wohl gedacht, dass ich das nicht bemerke."
Eine feste Hand legt sich um Leos Kehle und drückt seinen Kopf nach oben, so dass er in das vor Hass verzerrte Gesicht von Adams Mörder blicken muss. Die dunklen Augen scheinen was in Leos zu suchen und seine Mundwinkel heben sich zu einem spöttischen Lächeln.
"Oder vielleicht haben Sie es auch gar nicht gewusst, dass mein Sohn abnormale Gedanken über Sie hatte und er ist ganz umsonst gestorben?" Sein Griff wird fester und Leo hat Mühe sich auf das Gesicht vor ihm zu konzentrieren. Drei bis fünf Minuten dauert es jemanden zu erwürgen. Deutlich länger als es in Krimis gezeigt wird und etwas, was Mörder unterschätzen. Doch nicht Roland Schürk. Der weiß, wie lange der Todeskampf dauert, hat er ihn doch bei seinem eigenen Sohn verfolgt.
"Wobei, umsonst ist er nicht gestorben. Diesen Nichtsnutz hätte ich eh nicht gebrauchen können. Zu weich und wenn er nicht Ihren Schwanz gelutscht hätte, dann den eines anderen. Er wäre sicherlich gerührt, wenn er wüsste, dass Sie wenigstens versucht haben ihn zu rächen. Das ist es doch, was Ihr stümperhafter Versuch sein soll, oder?" Er grinste gehässig, die Finger mit den spitzen Fingernägeln bohren sich immer tiefer in die dünne Haut unter seinem Kinn, doch mit jedem weiteren angestrengten Atemzug, merkt Leo immer weniger vom Schmerz.
"Keine Sorge, bald sind Sie wieder mit ihm vereint."
Vielleicht ist es gut, wenn der Schürk ihn doch nicht mit seiner eigenen Waffe erschießt. Ein letzter Rest Würde, bevor er endlich Adam wiedersieht.
Leo schließt die Augen. Der alte Schürk soll nicht das Letzte sein, was er auf dieser Welt sieht. Lieber erinnert er sich an Adams warmes Lächeln, das so anders als das seines Vaters ist. Wie die wasserblauen Augen geleuchtet haben, wenn Leo seine Schokolade mit ihm geteilt hat, oder sie einfach still nebeneinander im Baumhaus gesessen haben. Für einen friedlichen Moment lang hat es nur sie und ihre Träume einer besseren Zukunft gegeben.
Ob das Jenseits wie das Baumhaus sein würde? Vielleicht sitzt Adam schon dort, baumelt mit den Füßen und wartet darauf, dass Leo endlich zu ihm kommt. Und hat er seinen besten Freund nicht schon viel zu lange warten lassen?
Ich habe es versucht Adam, ich habe versucht dich zu rächen. Ich wollte, dass er hinter Gittern verrottet, für das, was er dir angetan hat. Verzeih mir, dass ich versagt habe.
Eine Träne rollt ihm unter den geschlossenen Augenlidern hervor. Er sieht Adam vor sich, die Hand tröstend ausgestreckt und Leo muss nur nach ihm greifen.
Endlich.
Ein Schuss hallt von den Wänden, der brutale Griff um seinen Hals löst sich und mit einem Japsen dringt wieder Luft in seine Lungen. Ist das der Tod? Die Erlösung seiner Qual?
Ein zweiter Schuss ertönt und Leo versucht verzweifelt seine Augen zu öffnen. Die Ränder seines Sichtfeldes sind ausgefranzt und schwarze Flecken blitzen immer wieder auf, doch er sieht den Körper vor sich auf dem staubigen Hallenboden. Eine dunkelrote Pfütze breitet sich um den reglosen Körper aus, die Gliedmaßen im merkwürdigen Winkeln abgespreizt.
Leo versucht den Kopf zu heben. Haben ihn die Kollegen doch gefunden? Hat Heide Schürk Alarm geschlagen und ihm das Leben gerettet?
Eine große, schlanke Person schiebt sich zögernd in sein Sichtfeld. Lange Beine stecken in einer schwarzen Jeans und klobigen Wanderstiefeln, die mit Blutspritzern besprenkelt sind. Die feingliedrige Hand mit langen Fingern wird zitternd nach ihm ausgestreckt, bis die Ketten über seinem Kopf rasseln und von seinen Handgelenken gelöst werden.
Keiner der Kollegen, wie Leo anhand der zivilen Klamotten feststellt, doch definitiv jemand, der weiß, dass er Leo langsam helfen muss, die Arme sinken zu lassen, um schlimmere Verletzungen zu vermeiden. Die Hand führt ihn, bis Leo erschöpft und nach Luft ringend auf die Knie sackt. Die Person folgt ihm, stützt ihn, zieht ihn enger an sich, als sie neben ihm auf den Boden sinkt.
Die Umarmung fühlt sich sicher an, der Duft, der von dem Fremden ausgeht, riecht vertraut nach Wald und einer Spur Schießpulver. Angestrengt versucht Leo über seine keuchenden Atemzüge nach den Geräuschen des SEK zu lauschen. Müssten sie nicht längst hier sein und den Tatort sichern? Prüfen, dass sein Angreifer tot ist? Ob Leo noch lebt?
Doch er hört nichts, bis auf den schweren Atem des Mannes, der ihn fest umklammert hat und nun behutsam ein Stück von sich schiebt.
Und plötzlich ist da dieses Kribbeln wie das Flügelschlagen tausender Schmetterlinge, dass er vor so vielen Jahren im Baumhaus begraben hat, wie den Menschen, der dieses Gefühl in ihm auslöste. Seine Atmung wird ruhiger, auch wenn die Enge in seiner Kehle noch jeden Atemzug zu einem Kampf macht. Er ist in Sicherheit in diesen Armen, die ihn zwar etwas auf Abstand schieben, aber nicht loslassen.
Ihm nur zu bekannte blaue Augen in einem blassen Gesicht, umrahmt von wasserstoffblonden Locken, sehen ihn besorgt an. Da sind tiefe Schatten in den Zügen, die dort früher nicht gewesen sind und Leo befürchtet, dass er doch gestorben und dies das Jenseits ist.
Denn vor ihm hockt Adam. Älter und größer als in Leos Erinnerungen und vor allem lebendig, was nicht sein kann. Er hat am Grab seines besten Freundes gestanden, Blumen und Erde auf den schmucklosen Sarg geworfen. Adam ist tot und doch kniet er jetzt vor ihm, Tränen in den Augen und die Hände umklammern Leos Kopf.
"Adam?", wispert Leo und über das zaghafte Nicken des Mannes stürmen nun auch endlich die Kollegen des SEKs das Gebäude.
Wird fortgesetzt…
Chapter 8: No. 7: “Tell me that you’re okay, and I’m fine.” Trapped with the Enemy | Elevator | Pushed Beyond Breaking Point
Summary:
Ich wollte [ein trauriges Schnauben] ich weiß gar nicht, was ich wollte. Deine Stimme hören wahrscheinlich. Einfach ein Lebenszeichen von dir, ein einfaches Es geht mir gut. Ich brauch' das einfach, ein blödes Hey Leo, mach dir keine Sorgen, mir geht es gut.
Notes:
Der heutige Prompt kommt etwas Experimenteller daher. Nicht vom Thema, aber von der Entstehung.
Es ist eine Mailbox-Nachricht und tatsächlich habe ich den Text als Audio eingesprochen und dann transkribiert, um es ein wenig authentischer vom Fluss zu machen. Hier und da wurde etwas nachgebessert, weil Wörter falsch erkannt wurden.Der Beitrag kann auch gut ergänzend zu meiner Story Nachrichten ins Nichts gelesen werden.
Der Beitrag kommt auch ohne ergänzende CWs/TWs aus.
Viel Spaß beim Lesen!
Chapter Text
No. 7: “Tell me that you’re okay, and I’m fine.” Trapped with the Enemy | Elevator | Pushed Beyond Breaking Point
[Sie haben eine neue Nachricht]
Hi Adam, ich versuch es mal wieder, aber ja…es geht wie immer nur deine Mailbox ran.
Du bist [lacht verzweifelt auf] immer nur dieses bescheuerte Freizeichenlied. Zahlst du dafür eigentlich immer noch im Abo oder… ist ja auch egal.
Ich war bei deinem Vater. Die Ärzte und Schwestern sagen, dass sie nicht wissen, wann er aufwacht. Ob er überhaupt aufwacht, aber das weißt du vielleicht alles ja schon und bist deswegen weg.
Ich fühle mich schlecht, wenn ich bei ihm bin. Ich fühl mich aber auch schlecht, wenn ich nicht da bin. Einer muss ihn doch im Auge behalten, muss doch aufpassen, ob er aufwacht und dann da sein, falls er sich erinnert. Ob er weiß, was passiert ist? Weißt du noch was passiert ist, weil du warst mit einmal weg und ich allein und…ich hab keine Ahnung, was passiert ist. Einen Tag versuche ich dir zu helfen, endlich einmal mutig zu sein und nicht weg zu sehen und dann verschwindest du. Lässt mich einfach mit der ganzen Scheiße alleine… aber ich ich wollte gar nicht Vorwürfe machen.
Ich wollte [ein trauriges Schnauben] ich weiß gar nicht, was ich wollte. Deine Stimme hören wahrscheinlich. Einfach ein Lebenszeichen von dir, ein einfaches Es geht mir gut. Ich brauch' das einfach, ein blödes Hey Leo, mach dir keine Sorgen, mir geht es gut.
Das Warten auf irgendein Zeichen von dir, dieses nicht wissen…das ist unerträglich, Adam. Fuck, ich will dir doch keine Vorwürfe machen. Du hattest jedes Recht wegzugehen, aber [ein Schluchzen] warum hast du mich nicht mitgenommen? Warum nicht? War ich dir so egal?
Ich bin oft am alten Angelplatz in der Hoffnung, dass du dich durchs Gebüsch schlägst dort auftauchst und [ein Wimmer, ein Hochziehen der Nase] mich mitnimmst dorthin, wo du als Nächstes hingehst.
[Sekunden der Stille, nur Rauschen von Wind übers Mikrofon]
Ich hoffe einfach, dass das du noch lebst und dass ich diese Nachrichten gerade nicht an eine Person im Jenseits schicke.
Könntest du dich, wenn du das hörst, bitte melden? Könntest du einfach nur ein Zeichen geben, ein einfaches Mir geht's gut Leo ? Bitte? Ich lass' dich dann noch bestimmt in Ruhe und pass' weiter auf deinen Vater auf.
Ich bin hier, ich kümmere mich, aber bitte, bitte, brich' das Schweigen.
[Ende der Nachricht]
Chapter 9: No. 8: “Oh horror, oh horror, what did you see?” Self-Inflicted Injury | Held at Gunpoint | Dissociation
Summary:
Sein Lächeln ist warm und wie für ein Kind, als Adam sich zu ihm lehnt und seine Hand auf Leos legt. Eine Geste, die er seit der Sache mit seinem Vater öfters macht, als würde er Leo versichern wollen, dass er da ist. Die Haut ist angenehm kühl auf seiner und hinterlässt eine wohlige Gänsehaut auf Leos Arm.
Vielleicht sollte er Adam seine Teetasse zuschieben, falls ihm kalt ist. Esther hat mal wieder vergessen, ihm eine mitzubringen. Keine Ahnung, welchen Streit die beiden wieder miteinander haben. Solange sie sich nicht anschreien, kann Leo noch zufrieden sein und Adam seine Tasse zu schieben.
Notes:
Ja...ähm, nun. Es besteht die Möglichkeit, dass ich das hier irgendwann im Sommer geschrieben habe und dabei mir selbst mehrfach das Herz gebrochen habe.
Um zu arge Spoiler zu vermeiden, packe ich Erklärungen heute mal in die End Notes. Die CWs und TWs gibt es dennoch hier und mit Hinweis, dass sie Spoiler enthalten!Content Warnings/Trigger Warnings
Dissoziation, Realitätsverlust, Schwere psychische Erkrankung, Trauma, Trauer/Verlust, Past MCD
Wünscht man eigentlich viel Spaß beim Whumpen?
(See the end of the chapter for more notes.)
Chapter Text
No. 8: “Oh horror, oh horror, what did you see?” Self-Inflicted Injury | Held at Gunpoint | Dissociation
„Hat sich die KTU schon gemeldet wegen der Fingerabdrücke?”
Leo sieht von seinen Unterlagen fragend zu Esther, die ihm mit müdem Blick gegenübersitzt. In letzter Zeit wirkt sie immer so erschöpft, als bekäme sie zu wenig Schlaf und Ruhe. Dabei ist Esther doch sonst diejenige, die auf eine gute Work-Life-Balance achtet und ihnen allen damit auf die Nerven geht. Wenn sie nun aussieht, als würde sie gleich am Tisch zusammenbrechen vor Müdigkeit, sollte er ihr vielleicht Zwangsurlaub verordnen. Ihr und Pia, deren Augen feuerrot unterlaufen sind und die seinem Blick immer wieder ausweichen.
Sie alle könnten wahrscheinlich Urlaub gebrauchen. Die letzten Wochen sind anstrengend gewesen. Erst die Sache mit Adam und seinem Vater, dann der Fall mit dem Fußballfan, der vor allem bei Esther viel Staub aufgewirbelt hat. Sein Team braucht eine Pause und er auch, wenn er endlich mal den permanenten Kopfschmerz loswerden will.
Esther seufzt leise, ehe sie spricht. Ihre Stimme dabei ohne jede Spur der Souveränität, die sie sonst hat. „Wir haben noch nichts gehört. Es staut sich da etwas. Sobald wir was haben, klemmen Pia und ich uns dahinter.“
Leo nickt zufrieden. Ja, die KTU ist chronisch unterbesetzt. Druck auf die Kollegen auszuüben, bringt nichts, wie er selbst lernen musste.
„In Ordnung. Dann fahren Adam und ich noch mal zur Mutter des Opfers. Vielleicht ist ihr noch etwas eingefallen, was uns weiterhelfen kann.“
Adam neben ihm rutscht auf seinem Stuhl ein Stück nach vorne, Leo kann seine Präsenz förmlich spüren und es lässt ihn leichter atmen. Während sie alle von den letzten Wochen gezeichnet sind und die Erschöpfung tief unter den Augen tragen, sieht Adam recht frisch und erholt aus. So erholt, wie Leo ihn noch nie gesehen hat. Die dunklen Schatten sind verschwunden, sein Blick klar und seine Wangen sogar rosig.
Sein Lächeln ist warm und wie für ein Kind, als Adam sich zu ihm lehnt und seine Hand auf Leos legt. Eine Geste, die er seit der Sache mit seinem Vater öfters macht, als würde er Leo versichern wollen, dass er da ist. Die Haut ist angenehm kühl auf seiner und hinterlässt eine wohlige Gänsehaut auf Leos Arm.
Vielleicht sollte er Adam seine Teetasse zuschieben, falls ihm kalt ist. Esther hat mal wieder vergessen, ihm eine mitzubringen. Keine Ahnung, welchen Streit die beiden wieder miteinander haben. Solange sie sich nicht anschreien, kann Leo noch zufrieden sein und Adam seine Tasse zu schieben.
Pia entfährt ein erstickter Laut und sie presst schnell ihre Hand gegen ihren Mund. Nachdenklich legt Leo die Stirn in Falten. Was ist mit ihr? Nimmt der Fall sie so sehr mit?
„Alles okay Pia?“, fragt er sanft und streckt die Hand nach ihr aus. Mit einem trockenen Schluchzen ergreift sie sie.
„Ja alles okay, Leo.“ Sie drückt seine Hand fest. „Mach dir keine Sorgen."
Fragend schaut er zu Esther, die noch blasser wirkt. Als sich ihre Blicke treffen, lächelt sie verkrampft.
„Vielleicht gehen Pia und ich noch mal direkt bei der KTU vorbei und schauen, wie weit sie sind. Was meinst du Leo?“
„Gute Idee. Adam und ich machen uns auch gleich auf den Weg.“
Esther nickt schmallippig und erhebt sich etwas steif vom Stuhl. Pia tut es ihr gleich.
Etwas zögerlich bleibt sie vor ihm und Adam stehen. Das Blau ihrer Augen wirkt unnatürlich hell mit dem rot gefärbten Weiß.
„Ist wirklich alles okay, Pia? Du kannst dir auch eine Pause nehmen, wenn du sie brauchst.“
Eine Träne rinnt ihr über die Wange, die sie hastig wegwischt. Das Lächeln, das sie versucht, ist wackelig und bricht nach nur wenigen Sekunden zusammen.
„Schon gut Leo, wir sind bald wieder da. Versprochen.“
Und dann umarmt sie ihn, wie sie es seit neustem immer tut, wenn sie sich voneinander verabschieden. Auch Esther streicht ihm sanft über die Schulter und verspricht, dass sie bald wieder da sind.
Nur Adam ignorieren sie, der den beiden betreten nachsieht, bis die Tür hinter ihnen zufällt.
„Habt ihr euch gestritten?“, fragt er seinen Partner, der langsam auf ihn zukommt. „Irgendwas war komisch mit den beiden, oder?”
Adam schüttelt den Kopf, ehe er ihn behutsam in den Arm nimmt. „Es ist alles okay, Leo.”
Sein Atem kitzelt an Leos Wange. Er riecht nach wilder Minze, wie die in der Nähe ihres Baumhauses. Nach frischer Luft und dem würzigen Geruch des Waldes nach Regen.
Sein Herzschlag wird merklich ruhiger in Adams Umarmung und er schließt mit einem glücklichen Seufzen die Augen.
Wenn Adam da ist, ist wirklich alles okay.
Und vielleicht bringt Esther Adam nächstes Mal auch einen Tee mit.
Die Tür ist kaum hinter Pia ins Schloss gefallen, da bricht ein lautes Schluchzen aus ihrer Kehle. Mit einem Seufzen ist Esther an ihrer Seite, fängt sie auf und hält sie, während sie ein Weinkrampf schüttelt.
Ihre Augen brennen auch, nur hilft es ihnen nicht, wenn auch sie die Fassung jetzt verliert. Pia setzen diese Besuche mit jedem Mal mehr zu und Esther weiß nicht, wie lange sie noch zu zweit hierherkommen würden.
Doktor Mertens tritt auf sie zu. Das ernste Gesicht ist Esther mittlerweile vertraut wie das eines Familienmitglieds. Pia und sie kommen seit dem Vorfall mit dem alten Schürk und Adam regelmäßig hierher, manchmal jede Woche, manchmal jede zweite. Die Ärzte und Pflegekräfte kennen sie, grüßen sie so fröhlich, wie man es in der Umgebung nicht erwarten würde.
Vielleicht wird es sie eines Tages nicht mehr so zerreißen, wenn sie Leo besuchen. Dann wäre es vielleicht so, als würde man einen erkrankten Freund sehen, der bald wieder auf den Beinen ist.
Nur wird Leo nie wieder auf die Beine kommen.
Sie haben an dem Tag nicht nur Adam verloren, sondern auch Leo, den der Schock über den Tod seines besten Freundes ebenso aus dem Leben gerissen hat.
Maladaptives Tagträumen in Kombination mit einer dissoziativen Identitätsstörung nach einem traumatischen Erlebnis hatte Doktor Mertens ihnen Leos Flucht in die Scheinwelt erklärt. In dieser ist Adam nicht tot und er durchlebt normale Alltagssituationen. Wie gerade, als er mit ihnen über einen Fall gesprochen hat, den es gar nicht gibt, weil er sich so Esther und Pia in seiner Welt erklären kann.
„Frau Baumann, Frau Heinrich”, grüßt der Arzt sie mit einem Nicken. Pia zieht ihre Nase hoch und wischt sich mit dem Ärmel ihres Pullovers die Tränen aus dem Gesicht.
„Wie geht es ihm?” Esthers Stimme zittert bei der Frage und sie spürt, wie sich Pias Hand sanft in ihre schiebt.
Der Arzt seufzt schwer und weist auf eine Sitzgruppe gegenüber Leos Zimmer.
„Ihm geht es so weit gut. Wir haben versucht, ihn mit Medikamenten aus den Phasen herauszuholen.” Er versieht einen kurzen Augenblick lang das Gesicht. „Die Realität und der Schmerz über den Verlust seines Freundes sind fast zu viel für ihn gewesen.”
Esther krallt schmerzhaft die Finger in ihren Oberschenkel. Neben ihr stößt Pia ein Wimmern aus, lässt sich gegen Esthers Schulter fallen, die tröstend den Arm um sie legt.
„Wir müssen geduldig sein und darauf vertrauen, dass er mit der Zeit von allein den Weg zurück in die Realität findet. Aber erstmal, wirkt er glücklich, solange sein Adam bei ihm ist.”
Er nickt zu dem kleinen Fenster, durch das man in den Raum blicken kann. Leo steht hinter seinem Stuhl, die Augen geschlossen und leicht nach vorne gelehnt. Er lächelt glücklich und gelöst, als läge er in den Armen der Person, die er liebt.
Ja, denkt Esther und blinzelt die brennenden Tränen weg. Solange Adam bei ihm ist, ist Leo glücklich. Und das muss ihnen als Trost reichen.
Notes:
Es passt ganz lose in den Prompt Dissociation, weil ich Leo hier eine stark stilisierte Form einer dissoziativen Identitätsstörung sowie Maladaptiven Tagträumen zuschreibe. Für medizinische Korrektheit übernehme ich keine Garantie.
Chapter 10: Alternativer Prompt: “If all my days are numbered, why do I keep counting?”
Summary:
Roland kann den Mann in Weiß vor sich nur anstarren. So ein junger Typ, jünger als Adam und will schon Herr über Leben und Tod sein. Ein Quacksalber, der sich etwas auf seine Titel einbildet und dem er seine gekünstelte Betroffenheit nicht abkauft. Hat selbst noch gar nichts vom Leben gesehen und will ihm nun verkünden, dass sein Leben in absehbarer Zeit vorbei ist.
Notes:
Heute muss ich das erste Mal einen Alternativprompt ziehen. Zwar würde der Prompt sehr gut auf Adam und Leo passen, nur hatte ich das Gefühl nichts Neues erzählen zu können.
Eigentlich würde nur eine CW/TW hier reichen: Es ist Roland. Allerdings ergänze ich wie gewohnt noch ein paar ergänzende.
Content Warnings/Trigger Warnings
Androhung/Vorsatz von Gewalt, Implizite Homophobie, Suizidgedanken
Einen whumpigen Donnerstag euch!
Chapter Text
-
No. 9:
“We’ll make it alright to come undone.” Touch | Flashbacks | Scalding
Alternativer Prompt: “If all my days are numbered, why do I keep counting?”
"...Metastasen. Sie haben bereits die Lunge gestreut, und ich bedaure, Herr Schürk. Es sieht nicht gut aus." Der Mann hinter dem Schreibtisch in diesem steril weißen Zimmer schiebt seine rahmenlose Brille auf der Nase höher.
"Ihre Prognosen hätten deutlich besser ausgesehen, wenn das Karzinom sofort entdeckt worden wäre. Bedauerlicherweise", er seufzt. "Bedauerlicherweise haben die Kollegen keine Checkups in die Richtung durchgeführt, während sie im Koma lagen."
Roland kann den Mann in Weiß vor sich nur anstarren. So ein junger Typ, jünger als Adam und will schon Herr über Leben und Tod sein. Ein Quacksalber, der sich etwas auf seine Titel einbildet und dem er seine gekünstelte Betroffenheit nicht abkauft. Hat selbst noch gar nichts vom Leben gesehen und will ihm nun verkünden, dass sein Leben in absehbarer Zeit vorbei ist.
Der Mann räuspert sich, schiebt nervös seine Akte auf dem Tisch von einer Seite auf die andere.
Sein Schweigen macht ihn nervös. Andere Patienten reagieren wahrscheinlich emotionaler auf die Eröffnung, dass ihre Tage gezählt sind. Ungläubiger, verzweifelter. Doch er ist nicht wie diese Schwächlinge, die ihren Gefühlen nachgeben. Er hat fünfzehn Jahre Koma überstanden, weil er stark ist und einen eisernen Lebenswillen hat. So die Worte noch vor einem Jahr von den behandelnden Ärzten, die ihn als medizinisches Wunder gefeiert und seinen Fall auf Konferenzen breitgetreten haben. Niemand würde ein Koma wie dieses ohne weitere Einschränkungen überstehen und so rasche Genesungsfortschritte machen.
Hätten diese Götter in Weiß mal besser genauer hingeschaut und sich nicht auf ihre Genialität einen runtergeholt.
Die Augen des Arztes weiten sich überrascht, als Roland sich ohne ein weiteres Wort erhebt.
"Herr Schürk, haben Sie verstanden, was ich Ihnen mitgeteilt habe?", fragt er und kann die Unsicherheit in seiner Stimme nur schwer verbergen. Erbärmlicher Wicht.
"Ich habe Sie sehr gut verstanden. Es ist alles gesagt." Die ihm verbleibende Zeit würde er sicherlich nicht wieder an ein Krankenhausbett gefesselt verbringen. Oh nein, er würde selbst bestimmen, wann es Zeit wäre für ihn. Zu seinen Bedingungen und nicht zu denen irgendwelcher Ärzte und Maschinen.
Ohne auf die gestammelten Worte des Arztes über Therapiemaßnahmen und der Wichtigkeit schnellen Handelns zu achten, verlässt er das Sprechzimmer. Ganz sicher würde er nicht um sein Leben betteln. Ein Schürk fleht und bettelt nicht. Ein Schürk bestimmt den Weg und wenn es das Letzte ist, was er tut.
Eisig schlägt ihm die Februarluft entgegen, als er das Krankenhaus verlässt, und lässt ihn husten. Die nicht enden wollenden Hustenanfälle haben ihn erst hierhergetrieben. Weil Heide sich Sorgen mache, um seine Gesundheit und dass er das doch abklären lassen solle.
Was für ein verlogener Blödsinn. Sie macht sich keine Sorgen um ihn. Vielmehr um sich selbst und ihren missratenen Sohn, der sich seit Monaten nicht mehr bei ihnen blicken lässt. Seit dem Einbruch vor einigen Wochen ist sie noch ängstlicher und nervöser als sowieso schon. Seine Anwesenheit macht sie unruhig. Er kann es sehen, fast auch schon riechen. Immer wieder sucht sie Vorwände, um das Haus und ihn zu verlassen. Schiebt ein Treffen mit Adam vor und erzählt ihm anschließend Geschichten, wie beschäftigt ihr Sohn doch sei und dass er ihn grüßen ließe.
Für wie dämlich muss sie ihn halten, dass er ihr das glaubt?
Adam schert sich einen Dreck um sie und wenn es diese Treffen wirklich gibt, dann nur, damit Adam sich in Sicherheit wiegen kann, denn Angst ist es, dass ihn auf Abstand hält. Angst darüber, dass Roland die Wahrheit über den Tag herausfindet, an dem er ins Koma gefallen ist. Garagenbrand, das er nicht lache. Wie unfähig müssen die Ermittler gewesen sein, die Lüge nicht zu erkennen?
Ihm wäre das nicht passiert. Er hat Adam schon immer am besten gekannt und genau gewusst, wann er gelogen hat. Wenn er eine Gruppenarbeit in der Schule als Grund für seine Verspätung vorgeschoben hat und dabei Laub und Tannennadeln an seinen Turnschuhen klebten. Wie seine Augen verräterisch zu glänzen begannen, wenn er von dem Jungen erzählte, mit dem er den Vortrag in Geschichte halten musste und nur kläglich seine Freude darüber überspielen konnte.
Es war nicht schwierig gewesen, diesen Jungen ausfindig zu machen und Jahre später mit dem Polizisten in Verbindung zu bringen, der ihn im Wald vor dem Verrückten gerettet hat.
Leo Hölzer.
Schon damals ist er immer in Adams Nähe herumschlawänzelt. Ist am Rande ihres Grundstücks aufgetaucht, meist kläglich versteckt hinter Bäumen und Sträuchern. Er hat ihn trotzdem gesehen. Er ist Jäger gewesen, sich versteckende Beute erspähen ist ein leichtes für ihn gewesen. Der Junge ist der Grund für Adams klägliche Leistungen im Training gewesen. Mit dem Kopf nicht bei der Sache, sondern immer irgendwo anders und Roland wusste wo. Unter Adams Kopfkissen hat er einen zerknitterten Zeitungsartikel gefunden, über den Vorlesewettbewerb der Schulen. Und dort auf dem kleinen schwarz-weißen Bild ist dieser Leo zu sehen gewesen.
Er hat den Artikel entsorgt und Adam bei nächster Gelegenheit spüren lassen, was er von diesen Abnormalitäten hielt.
Nur gebracht hat es nichts, wenn er sich an die vertrauten Blicke und Gesten der beiden damals im Wald erinnert. Es ist nicht schwer zu erraten, dass Leo Hölzer etwas über den wahren Grund seines Komas weiß, wenn er nicht sogar mit Adam unter einer Decke steckt. Er hat es in seinen Augen gesehen, die Furcht, als er ihren Kolleginnen von seinen Vermutungen erzählte.
Grimmig ballt er die Fäuste und geht gezielten Schrittes auf den Taxistand zu.
Fünfzehn Jahre hat er verloren und kaum, dass er sein Leben wieder hat, soll es vorbei sein? Egal wie oft sie ihm versichern wollen, dass das damals ein Unfall gewesen ist, er wird es nicht glauben und Adam mit dieser Lüge davonkommen lassen. Er wird dafür sorgen, dass Adam seine Strafe bekommt und Leo Hölzer gleich mit. Er wird sie lehren, was es heißt, sich mit ihm anzulegen.
Und wenn es das Letzte ist, was er tun wird.
Chapter 11: No. 10: “There’s nothing you can ever say, nothing you can ever do.” Without Consent | Secrets | Lips Sewn Shut
Summary:
"Ein Wasser wäre super", ruft Vincent ihm nach und lehnt sich auf dem Sofa zurück. "Warum muss es eigentlich ein Geheimnis bleiben, dass ich hier bin? Eifersüchtiger Freund?"
Ein Schwall Wasser landet neben dem Glas, dass Adam gerade befüllen will. Fuck, schießt es ihm durch den Kopf. Er hätte wissen müssen, dass Vincent diese Bemerkung nicht ohne Weiteres fallen lassen wird. Zumal die Frage berechtigt ist. Normalerweise sollte der Besuch eines Uni-Freundes kein Grund für Geheimniskrämerei sein.
Nur ist nichts in Adams Leben je normalerweise gewesen.
Notes:
Die Rabenschwarze Nacht geht in den dritten Teil und ich habe euch ja ein kleines Licht in der Dunkelheit für Adam versprochen.
Hier ist es nun. Genießt es, so lange es leuchtet ....Die ersten beiden Teile findet ihr hier:
Teil 1
Teil 2Content Warnings/Trigger Warnings
Gewalt/Missbrauch, Einsperrung/Isolation, Beschreibung Häuslicher Gewalt, Sexuelle Ausbeutung/Zwangsprostitution, Nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen, Zwanghafte Verabreichung von Substanzen, Gewaltakt während des Sex, Panikattacken, PTB
Chapter Text
No. 10: “There’s nothing you can ever say, nothing you can ever do.” Without Consent | Secrets | Lips Sewn Shut
Rabenschwarze Nacht (III)
"Das muss unser Geheimnis bleiben", beschwört Adam eindringlich den Mann, den er gerade in die Wohnung lässt und mit einem letzten prüfenden Blick ins Treppenhaus, die Tür schließt.
Auch nach drei Jahren fällt es ihm noch schwer die Wohnung als seins zu bezeichnen, obwohl Jonas ihn als Mieter in den Vertrag aufgenommen hat, sobald er achtzehn geworden ist. Er taucht gar nicht selbst darin auf, nur die Miete und Nebenkosten fließen von einem Konto, das nicht Adam gehört und auf das er auch keinen Zugriff hat.
Das Geld, das er "verdient", liegt bar in einer Kassette im Sideboard im Wohnzimmer, den Schlüssel dazu hat er aber nicht. Wenn er Geld braucht, muss er Jonas anrufen, damit er vorbeikommt und ihm die Kassette aufschließt. Wenigstens stellt er dann keine Fragen, wofür Adam das Geld will, da ihm allein schon Adams Bitten Genugtuung verschafft.
Adam weiß, dass er selbst Schuld ist, dass Jonas ihm Zugriff auf sein Geld verwehrt. Wenige Wochen nach dem Beginn ihre Arrangements und dem Einzug in diese Wohnung hat er den Fehler gemacht und auf Jonas Laptop nach Zugverbindungen nach Saarbrücken zu suchen. Zwar hat er den Tab geschlossen, nur die Verlaufsdaten nicht gelöscht.
Jonas' Zorn hat ihn tagelang bewegungsunfähig gemacht. Jeder Schritt hat geschmerzt, seine Kehle ist wund gewesen und die Schürfwunden an seinen Handgelenken hat mit langen Ärmeln zu verdecken versucht. Hätte er den törichten Gedanken gehabt, flüchten zu wollen, hätte ihn neben den körperlichen Hindernissen die verschlossene Wohnungstür aufgehalten.
Eine Woche lang hat Jonas ihn von der Welt abgeschirmt, ihn mit Essen versorgt und Adam ist ihm sogar dankbar dafür gewesen, blieben ihm doch die anderen Männer erspart, die es geil fanden, sich an einem minderjährigen Jungen zu vergehen. Jonas hat nicht zu viel versprochen, diese Männer zahlten dafür gut, dass sie Adam nach ihrem Willen benutzen konnten. Die ersten Male ist Adam noch panisch geworden, hat versucht sich zu wehren und hat sie damit noch weiter angestachelt, ihn zu unterwerfen.
Nur einmal hat Jonas eingegriffen, der immer im Nachbarzimmer wartet, um am Ende das Geld zu kassieren und nach Adam zu sehen. Einer der Kerle hat ihn zu fest gewürgt, während er in einem hämmernden Stakkato in ihn stieß. Angelockt von den Geräuschen hat Jonas das kleine Schlafzimmer betreten, dass nur für diese Treffen eingerichtet ist und den Mann von Adam gezerrt, als er kaum noch bei Sinnen war, die Augen schon nach innen verdreht und am Rand der Bewusstlosigkeit. In dem Augenblick hat er gedacht, dass es das jetzt war. Dass er jetzt hier sterben würde und Leo nie wiedersehen würde.
Jonas hat den Mistkerl bezahlen lassen und vor die Tür gesetzt, ehe er zu Adams ins Bett gekrochen ist und ihn gehalten, gestreichelt hat, bis er wieder zu Atem kam. Für einen tröstlichen Augenblick hat Adam sich der Illusion der Zärtlichkeit hingegeben und die flehenden Worte und Entschuldigungen von Jonas glauben wollen, die er Adam ins Ohr flüsterte. Nie wieder würde so jemand ihn anfassen. Von jetzt an würde er besser auf seinen Kleinen aufpassen. Er soll es doch gut bei ihm haben.
Erst viel später hat er die Manipulation in der Situation erkannt. Er ist an den süßen Worten kleben geblieben, hat geglaubt, dass Jonas ihn nicht nur als bequeme Sexoption und Geldquelle sieht, sondern hinter seinem Verhalten so etwas wie Zuneigung steckt. Er hat es sogar zu gelassen, dass Jonas sich nach einiger Zeit des sanften Streichelns in Adam schob, seine sowieso schon wunde Stelle erneut weitete, reizte und sich nach nur wenigen verzweifelten Stößen in Adam ergoss.
"Du bist so schön, Kleiner. Da kann ich nicht anders", hat er zu seiner Entschuldigung in Adams Ohr gekeucht und seine Hand um Adams Schwanz geschlossen. "Und dir gefällt es doch auch."
Und er muss recht haben, wenn Adams Glied von seinen Bewegungen anschwillt und er sogar so etwas wie Lust empfindet. Das ist doch der sichere Beweis, dass er Gefallen daran gefunden hat, oder? Sonst würde er sich nicht unter Jonas' Berührung winden und sich über seine Hand ergießen.
Mittlerweile weiß er, dass seine körperlichen Reaktionen selten etwas mit wahrer Lust zu tun haben. Schon gar nicht, seit Jonas ihm vor den Besuchen der Kerle eine der bunten Tabletten auf die Zunge legt, damit er entspannter und gefügiger ist. Wenigstens bekommt Adam so weniger von dem mit, was mit ihm gemacht wird. Und seit dem Vorfall mit dem Würgen ist Jonas auch bei jeder Session mit im Zimmer, um sicherzugehen, dass ihm nichts passiert. Adam vertraut ihm, dass er notfalls für ihn entscheidet und ihn schützt,so wie er es zu Beginn ihres Arrangements versprochen hat.
Seine Kunden, wie Jonas sie mit einem dreckigen Grinsen nennt, scheint es zu gefallen, auch wenn Adam längst nicht mehr ihre Fantasien eines Minderjährigen erfüllen kann. Der Reiz des Exklusiven, den sie mit dieser Wohnung und Adam bekommen, scheint ihnen zu genügen. Er hat einen festen Stamm, die regelmäßig von Jonas in die Wohnung geleitet werden und manchmal sind auch neue Gesichter dabei, aber sonst führt Adam ein bequemes Leben.
Ein zu bequemes Leben wie er findet und die Verhandlungen mit Jonas, dass er wenigstens tagsüber etwas für sich machen darf, hat er auf seinem Körper sehen können. Die Abdrücke der Hände an seinen Hüften und auf seinem Hintern sind wochenlang nicht blasser geworden, aber wenigstens durfte er sein Abitur nachholen und sogar ein Studium anfangen. Immer unter Jonas strengen Blick und der Versicherung, dass er nach den Vorlesungen direkt nach Hause kommt und niemand anderen als ihn trifft.
Und Adam hält sich daran, oder besser: Er hat versucht sich dranzuhalten. Hat jeden weggestoßen, der ihm zu nahe kommen wollte. Selbst obligatorische Gruppenarbeiten hat er vermeiden können mit einem Wechsel der Prüfungsleistungen. Zu sehr fürchtet er sich vor Jonas' Zorn, wenn er mitbekommen sollte, dass Adam andere Leute in sein Leben ließ. Die bunten Tabletten sind nämlich nur für die Sessions und nicht, wenn Jonas sich an ihm bedient. Dann soll er bei vollen Bewusstsein sein, da Jonas nicht auf eine bewegungslose Puppe in seinem Bett steht. Meist kann er am Sex mit Jonas auch Gefallen finden, vor allem wenn er sanft zu ihm ist und Adam sich einreden kann, dass es so unter Liebenden sein würde.
Die ersten Male hat er dabei noch an Leo gedacht, doch diese Gedanken schnell in die hinterste Ecke seiner Erinnerungen verbannt. Nichts von all dem würde mit Leo je so sein. Schon allein nicht, weil Leo sich nie mit jemanden wie ihm einlassen würde. Einer männlichen Hure, die für Schutz und Geld die Beine breit macht und dabei auch noch Spaß hat. Zumindest ist es das, was Jonas ihm immer wieder vor Augen ruft, wenn Adam sich mal wieder aus ihrem Arrangement befreien will. Er kann jederzeit gehen, hat Jonas mit süffisanten Lächeln gesagt, aber er würde jeden Euro zurückzahlen müssen, den Jonas für ihn ausgegeben hat. So wem er auch wolle? Seiner Mutter? Seinem süßen Leo, der ganz sicher nicht so eine Hure wollen wird?
Die Hiebe sitzen, treffen tief den wunden Punkt in Adam, dass ihm ein besseres Leben gar nicht mehr zu steht und er nur darauf warten kann, dass Jonas irgendwann das Interesse an ihm verliert. Oder er für die anderen Männer uninteressant wird. Wenn er Jonas kein Geld mehr einbringt, würde er gehen dürfen. Nur so lange muss Adam durchhalten und nach Jonas' Regeln spielen. Er konnte nichts tun, außer den Kopf unten zu behalten, bis es vorbei ist. So wie er es schon früher bei seinem Vater getan hat.
Doch jetzt ist er unvorsichtig geworden und hat die wichtigste Regel gebrochen, in dem er den Mann mit den dunklen Locken in die Wohnung lässt.
Vincent ist anders als die anderen, die versucht haben ihm näher zu kommen und an seinen Mauern abgeprallt sind. Geduldig hat er ausgeharrt, immer wieder einen neuen Anlauf genommen und ihn damit so sehr an Leo erinnert, dass Adam am Ende nicht anders konnte, als nachzugeben.
Die Nähe, die nichts anderes von ihm als Freundschaft will, tut Adam gut und zeigt ihm, wie kaputt er wirklich seit seiner Flucht aus Saarbrücken ist. Es hat Wochen gedauert, bis er hinter Vincents großzügiger Art, Umarmungen und Essen zu verteilen, keine Hintergedanken mehr vermutet hat, dass er die Gefallen erwidern muss, auf die einzige Weise, die er kennt.
Er will die Vergleiche nicht machen, was an Vincent ihn an Leo erinnert, denn die Erinnerungen an seine Jugendliebe und wie sanft er sich in sein Herz geschlichen hat, lösen zu viel Schmerz aus. Besser nicht erinnern, nicht an das Schlechte und auch nicht an das Gute, um nicht in der Traurigkeit aufzugehen.
Vincent akzeptiert ohne viele Fragen, dass Adam nicht so bereitwillig über persönliche Dinge spricht und lieber Vincents Geschichten lauscht, wenn er von seinen Mitbewohnern oder der letzten wilden Partynacht erzählt. Auch kann er seine Panik kaschieren, wenn sein neuer Freund ihm von einem One-Night-Stand erzählt, der etwas zu wild verlaufen ist. Schnell erkennt er jedoch, dass es für andere Menschen Sex was ganz Normales ist und nichts wofür man sich schämen muss. Nur je länger er Zeit mit Vincent verbringt und ihn in sein Herz lässt, desto mehr muss Adam sein Geheimnis wahren, dass er für Geld mit Männern schläft. Da hat er nach Jahren wieder so etwas wie einen Freund in seinem Leben, dass er das nicht riskieren kann. Wie bestimmt auch Leo würde Vincent ihn verstoßen, sobald er von Adams dunkler Seite erführe.
Ihn also zu sich nach Hause einzuladen, ist ein Spiel mit dem Feuer. Zwar ist Jonas das Wochenende auf Dienstreise und nicht vor Sonntagabend zurück, doch da ist immer noch das Zimmer, dessen Tür besser verschlossen bleibt, damit die Geister darin nicht nach draußen kommen.
"Schöne Wohnung", bemerkt Vincent anerkennend als er sich im Wohnzimmer mit der offenen Küche umsieht. Adam verschweigt, dass die Einrichtung Jonas ausgesucht hat und dass sie, wenn es nach Adam gehen würde, weniger protzig und mehr heimelig wirken würde. Fundstücke von Flohmärkten oder Haushaltsauflösungen, zum Beispiel. Möbelstücke mit Geschichte, die aber nicht seine eigene waren. Ein bisschen wie Leos Jugendzimmer, in dem er sich immer so wohl und geborgen gefühlt hat wie in ihrem Baumhaus.
Die grünen Polster sind der einzige Kompromisse, die Jonas seinen Wünschen gemacht hat. Allerdings nur, weil Adam schlau genug gewesen ist zu verschweigen, dass das Waldgrün der Kissen und Decken ihn an Leos Augen und die Nachmittage im Baumhaus erinnern.
"Ich hätte nur einen anderen Stil erwartet." Vincent lächelt ihn entschuldigend an, ehe er sich auf das breite Sofa fallen lässt und die Beine elegant übereinander schlägt.
Adam versteckt seine zitternden Hände in der Bauchtasche seines Hoodies. Er fühlt sich mit einem Mal nackt vor seinem neuen Freund und die ersten Zweifel, ob es nicht aus anderen Gründen nicht so klug gewesen ist, Vincent in seine Wohnung zu lassen. Sein messerscharfer Verstand und analystische Beobachtungsgabe sind Adam schon bei ihrem ersten Gespräch aufgefallen, nur hat er gehofft, dass er besser im Täuschen.
"Möchtest du etwas trinken?", presst Adam hervor und wendet sich der Küchenzeile zu, um Vincents stechenden Blick zu entgehen.
"Ein Wasser wäre super", ruft Vincent ihm nach und lehnt sich auf dem Sofa zurück. "Warum muss es eigentlich ein Geheimnis bleiben, dass ich hier bin? Eifersüchtiger Freund?"
Ein Schwall Wasser landet neben dem Glas, dass Adam gerade befüllen will. Fuck, schießt es ihm durch den Kopf. Er hätte wissen müssen, dass Vincent diese Bemerkung nicht ohne Weiteres fallen lassen wird. Zumal die Frage berechtigt ist. Normalerweise sollte der Besuch eines Uni-Freundes kein Grund für Geheimniskrämerei sein.
Nur ist nichts in Adams Leben je normalerweise gewesen.
"Hey, ist alles okay?", erklingt Vincents sanfte Stimme plötzlich dicht hinter ihm und zögerlich streichen Fingerspitzen über seinen Arm, als würden sie nach Erlaubnis fragen, ihn berühren zu dürfen. Adams Zunge liegt mit einem Mal pelzig und trocken in seinem Mund und er spürt am verräterisch rasenden Herzschlag, dass sich eine Panikattacke nähert. Wie hat er auch nur so dumm sein können Vincent hierher einzuladen? Ihn hinter seine Mauer zu lassen und zu riskieren, dass seine Geheimnisse entdeckt werden, die er so gut die letzten Jahre vor der Welt versteckt hat.
Vielleicht, weil er will, dass sie ans Licht kommen und Vincent ihn nicht verstößt, sondern ihm einen Ausweg zeigt. Dass da wieder jemand ist, der ihm hilft und es dieses Mal auch ehrlich mit ihm meint. Von Vincent geht keine Gefahr aus, auch wenn Adam allen Grund hat, seinem Bauchgefühl nicht mehr zu vertrauen. Wenn er aber nicht mal mehr an Vincents Aufrichtigkeit glauben kann, dann ist er auf dieser Welt verloren.
"Adam? Hey, ganz ruhig." Eine warme Hand presst sich versichernd auf seinen Rücken, fährt in kräftigen Kreisen über den Pullover. Er hat gar nicht gemerkt, wie seine Atmung immer hektischer geworden ist.
"Komm, atme mit mir." Betont lange Atemzüge, geflüsterte Worte, die kaum durch das Ringen seiner Ohren mehr zu ihm durchdringen. Sanfter Druck an seiner Schulter, bis er nachgibt und sich von an den festen Körper hinter sich schmiegt, der ihn auch noch stützt, als die Welle an Panik abebbt.
"Ich habe recht, oder?", flüstert Vincent und lässt seine Stirn gegen Adams Nacken fallen. "Eifersüchtiger Freund? Was ist los? Brauchst du Hilfe?"
Ja, will Adam schreien. Ja,bitte hol mich hier raus, doch kein Laut kommt über seine Lippen. Was soll es bringen, wenn Vincent ihm hier raushilft? Nirgends wird er vor Jonas sicher sein. Er wird ihn finden und vermutlich wird Adam dieses Mal seine Rache nicht überleben.
Er merkt nicht mal, wie er seine Finger in Vincents Arm krallt, der ihn umschlungen hält. Er spürt nur das Seufzen an seinem Nacken.
"Weißt du, es gibt Hilfseinrichtungen mit denen du reden kannst, falls du Angst hast, dich aus der Beziehung zu lösen. Ich—" Vincent schluckt schwer, sein Griff verstärkt sich um Adams Mitte. "Ich weiß wie das ist, wenn man in so einer Beziehung feststeckt. Und du erinnerst mich an mich selbst." Zum Ende wird seine Stimme immer leiser.
"Du verstehst nicht", krächzt Adam. "Er bringt mich um, wenn er hiervon erfährt. Wenn er erfährt, dass ich weg will."
Das Zittern seiner Hände hat sich auf den gesamten Körper ausgeweitet. Allein, dass er sich in Vincents Umarmung sicher fühlt, hält ihm davon ab ihn aus der Wohnung zu schmeißen, weil er der Wahrheit zu nah kommt und den längst erloschenen Funken Hoffnung wieder auflodern lässt.
"Scheiße", flüstert Vincent und zieht ihn fester an sich. "Scheiße Adam, du musst hier weg."
Ein Wimmern entkommt ihm, als die Flamme größer wird, sein Inneres erfasst und die Schreie lauter werden, die er die letzten Jahre niedergekämpft hat. Die Schreie, die ihn auffordern zu rennen, über seinen Schatten zu springen und Jonas und all die anderen Männer anzuzeigen. Ungeachtet, welche Konsequenzen es hat.
"Vince?", schluchzt er, löst sich, nur um sich umzudrehen und sich in Vincents Arme zu drängen. Dies ist seine Chance. Wie oft will er noch darauf vertrauen, dass jemand kommt und ihn rettet? Der rettende Anker liegt zum Greifen nah, Vincent hat ihn ausgeworfen und wartet darauf ihn an sichere Ufer zu ziehen. Alles, was Adam nur tun muss, ist ins kalte Wasser zu springen und sich freischwimmen, wenn er nicht darauf warten will, dass es irgendwann von alleine vorbei sein wird.
"Hilf mir."
Wird fortgesetzt…
Chapter 12: No. 11: “Can you get through all the pain inside you?” Hidden Injury | Laceration | Forced Reveal
Summary:
"Vince?", fragt er kaum leise und Vincent kann die Tränen in seiner Stimme hören.
Wortlos und mit einem vom Herz fallenden Stein schlägt er die Decke zurück. Wenigstens diese Angst scheint für diese Nacht gebannt, wenn Adam mit einem erleichternden Seufzen zu ihm ins Bett krabbelt und die viel zu dünnen Arme sich schutzsuchend um ihn legen. Nur zu gern gewährt Vincent ihm diese Nähe, hat er sie doch genauso sehr gebraucht.
"Ich…ich habe Angst, Vince." Die Worte sind kaum zu hören, obwohl Adams Atem ihn direkt unter seinem Ohr kitzelt. "Was, wenn…" Er stockt, seine Stirn presst sich heiß gegen Vincents Schulter. "Was, wenn die mir auch noch was angehangen haben? Ich schaffe das nicht."
Notes:
Wir sind schon bei Teil 4 angekommen und ich bin so geflasht, wie gut die Reihe bei euch ankommt. Das bedeutet mir so viel, das glaubt ihr gar nicht und ich bin euch sehr dankbar.
Habe ich euch geraten, euch am Licht zu erfreuen, dass Adam da getroffen hat? Nun ja, wo Licht ist, ist auch Schatten.
Planmäßig kommt auf alle Fälle noch ein Teil, vielleicht auch weitere, aber da ist aktuell nichts geplottet.Die bisherigen Teile findet ihr hier:
Teil 1
Teil 2
Teil 3Hier könnt ihr auch das Titel gebende Lied hören, dass für mich die Stimmung der Reihe transportiert:
Rabenschwarze NachtWie immer, einige Anmerkungen, falls ihr nicht komplett unvorbereitet reingehen wollt.
Content Warnings/Trigger Warnings
Thematisierung Folgen des Missbrauchs, Victim Blaming, Trauma, Krankheit
Habt ein schönes Wochenende <3
Chapter Text
No. 11: “Can you get through all the pain inside you?” Hidden Injury | Laceration | Forced Reveal
Rabenschwarze Nacht (IV)
Das Aufheulen des Sturms, der die Regentropfen gegen die Fensterscheibe peitschen lässt, reißt Vincent jäh aus dem Schlaf. Benommen, der Kopf schwer und matt, linst er zu den roten Ziffern auf seinem Wecker, die ihm grell entgegen leuchten. Kurz vor drei Uhr und die Welt scheint draußen unterzugehen.
Etwas unkoordiniert schiebt er seine Hand unter der warmen Decke hervor, um nach dem Wasserglas auf seinem Nachtschrank zu tasten. Seine Finger stoßen gegen das kühle Kristall, das ein Stück über das Holz rutscht, bis es gänzlich aus seiner Reichweite ist.
Mit einem dunklen Grollen richtet Vincent sich auf. Die kühle Luft im Zimmer ist empfindlich auf seiner Haut und lässt ihn erschaudern. Das Wasser hingegen ist angenehm kalt in seiner trockenen Kehle, auch wenn es ihn bedauerlicherweise etwas wacher macht als er sich um diese Uhrzeit wünschen würde.
Gähnend lässt er seinen Blick durchs Zimmer wandern, über die Schatten der Nacht und bleibt schließlich am schmalen Lichtstreif unter der Tür hängen. Seufzend umfasst er das Glas fester, trinkt den letzten Schluck, ehe er die Decke von seinen Beinen strampelt.
Der Holzboden unter seinen Füßen ist eisig, als er durch sein Zimmer tapst und leise die Tür öffnet. Aus der Küche dringt Licht und nach fast einem Jahr des Zusammenlebens weiß Vincent, dass Adam wohl diese Nacht nicht mit Schlaf gesegnet ist. Er bezweifelt auch, dass es am Gewitter draußen liegt, dass sich mit einem noch weit entfernten Donnergrollen ankündigt. In solchen Nächten würde Adam seine Nähe suchen und zu ihm ins Bett kriechen, wenn die Chancen gutstanden, dass ihn das wieder in den Schlaf hilft.
Der Weg dahin, dass Adam Nähe und Hilfe zulässt, ist lang und steinig und sie gerade erstmal losgelaufen. Lange Zeit hat sein mittlerweile Mitbewohner es nicht mal ertragen im selben Raum wie Vincent zu sein, geschweige zu schlafen. Erst nach und nach hat Adam ihm den Grund verraten und Vincents Hass auf den Mann, der ihm das angetan und ihm die Sicherheit des Schlafes geraubt hat, wächst ins Unermessliche. Gerade, nachdem letzte Woche der Prozess gegen Jonas begonnen und Adam aufs Neue durch die Hölle geschickt hat.
Schlimm genug, dass Adam damals den Horror der letzten Jahre bei der Polizei zu Protokoll geben und die Fragen ertragen musste, warum er sich nicht früher aus der Beziehung befreit hat. In Adams Augen hat er die Zweifel gesehen, die die Polizisten in ihm auslösten, dass seine Entscheidung richtig war.
Es scheint Vincent eh immer noch unwirklich, dass Adam so schnell eingewilligt hat, ihn zu einem Beratungstermin des Weißen Rings zu begleiten, die ihm schnelle Hilfe versprachen. Erstmal würde er bei Vincent in Sicherheit sein, da Jonas ihn nicht kannte und sie weitestgehend Adams Spuren verwischen konnten. Zumindest, bis der Beschluss des Kontaktverbotes bewilligt ist, doch dafür musste Adam der Polizei seine Geschichte glaubhaft machen. Als wäre die Panik in Adams Augen bei der bloßen Erwähnung des Namens seines Peinigers nicht schon Beweis genug.
Adam hat sich gefügt, hat jedes Gespräch über eine mögliche Drogenabhängigkeit stoisch über sich ergehen lassen, jede Untersuchung, die die Verletzungen durch gewaltsame sexuelle Akte bestätigt. Nur dem Test auf Krankheiten, den ihn die Beratungsstelle ans Herz gelegt hat, hat er sich verweigert. Zu Anfang war es Vincent unbegreiflich gewesen, wie Adam nicht wissen wollen konnte, ob die Schweine ihn mit etwas angesteckt haben, doch je mehr er Adam kennenlernte, desto besser verstand er ihn. Das Nichtwissen schützt ihn, vor dem kompletten Fallout. Mit den Verletzungen auf seiner Seele würde er klarkommen. Das kennt er von früher, darin hat er Übung. Nur, was es für ihn bedeutet, wenn er sich eine Krankheit eingefangen hat, dem kann und will er sich nicht stellen und lässt sich und Vincent in der Angst der Ungewissheit.
Dabei sind die Zeichen da, dass etwas nicht stimmt, und sie scheinen in der stürmischen Nacht noch deutlicher, wie Vincent mit Schrecken feststellt, als er leise in die Küche tritt.
Adam sitzt über seinen Büchern gebeugt am Küchentisch, das blaue Licht des Laptopbildschirms lässt sein Gesicht noch gräulicher und die Ringe unter seinen Augen noch tiefer wirken. Es sollte Vincent nicht wundern, dass sein Freund eine schlaflose Nacht nutzt, um in seiner Hausarbeit weiterzukommen. Die Flucht in Arbeit hat sich als Adams liebste Bewältigungsstrategie herausgestellt, was seiner akademischen Laufbahn gut, aber seiner körperlichen Verfassung schlecht bekommt.
Unter dem Kragen des übergroßen weißen Shirts, dass Adam zum Schlafen trägt, sticht das Schlüsselbein scharfkantig hervor. Die Wangen sind eingefallen, was vermutlich an der Appetitlosigkeit liegt, die ihn seit einiger Zeit in Kombination mit einer nicht abklingen wollenden Entzündung in der Mundhöhle plagt. Selbst die Brühen, die Vincent ihm kocht, um wenigstens etwas in seinen Mitbewohner zu bekommen, trinkt Adam nur widerwillig und mit schmerzverzerrtem Gesicht. Kein Wunder, dass er über wässrigen Stuhlgang klagt, wobei das Klagen in Adams Fall störrisches Schweigen ist.
Vermutlich sollte ihn die Schlaflosigkeit seines Mitbewohners nicht wundern. Mit dem Prozessauftakt gegen Jonas hat er die Erlebnisse der letzten Jahre von Neuem durchleben müssen und auch wenn er seine Aussage ohne Anwesenheit des Angeklagten hat machen können, wurde der Schorf auf der Wunde damit brutal runtergekratzt und das rohe Fleisch freigelegt. Zumindest hofft Vincent, dass das der Grund ist und nicht ein anderer, der auf einem Flyer in seiner Schreibtischschublade steht.
Es ist an der Zeit, dass Adam sich der Wahrheit stellt, ob es nur die mentale Erschöpfung ist, oder ob doch ein viel ernsterer Grund hinter seinem rapiden Gewichtsverlust der letzten Monate steckt. Für Vincent, aber vor allem für sich, sonst war der ganze Kampf der letzten Monate völlig umsonst.
"Hey", flüstert er in die Stille der Nacht und über das leise Klicken der Tasten hinweg. Müde hebt Adam den Kopf, ein schwaches Lächeln hängt an seinen Mundwinkel und erreicht die traurigen Augen nicht.
"Hey. Habe ich dich geweckt?"
Kopf schüttelnd tritt Vincent an den Wasserhahn und füllt sein Glas. "Nein, eher das Unwetter da draußen." Er nickt zum Fenster, hinter dem die rabenschwarze Nacht von Blitzen erhellt wird.
"Oh", macht Adam, der seinem Nicken gefolgt ist. "Habe ich gar nicht bemerkt."
Ja, auch das wundert Vincent nicht. Die ständige Erschöpfung durch zu wenig Schlaf und Essen mergelt ihn aus und ist besorgniserregend.
"Kannst du nicht schlafen?", fragt er nach dem Offensichtlichen und nippt an seinem Wasser, ohne Adam aus den Augen zu lassen.
Adam zuckt mit den Schultern. "Ich habe etwas geschlafen und dann so furchtbar geschwitzt, dass ich nicht wieder einschlafen konnte. Dachte, ich nutze das dann sinnvoll."
Ein weiterer Haken auf Vincents Liste, der die Angst in ihm schürt.
"Adam", seufzt er und sieht, wie der Angesprochene ahnt, was Vincent als Nächstes sagen wird und fährt seine Mauer hoch. Der Kiefer angespannt, eisiges Funkeln in den Augen.
"Lass es, Vince. Mir geht's gut."
Nein, will Vincent schreien. Scheiße nein, dir gehts nicht gut. Du weißt es und ignorierst es. Doch er weiß, dass er so nicht weiterkommt.
Betont ruhig stellt er sein Glas auf der Arbeitsplatte neben der Spüle ab und taxiert Adam.
"Hör auf es auf die leichte Schulter zu nehmen, Adam. Du bist so oft krank in den letzten Monaten, isst nicht und nimmst immer weiter ab. Ich mache mir Sorgen um dich."
"Dann mach' es doch einfach nicht", schnarrt Adam, schlägt geräuschvoll Vincents alten Laptop vor sich zu und erhebt sich. Hinter seinen Augen tobt ein alles vernichtender Sturm, der sich mit rasender Geschwindigkeit Vincent nähert. Die Mauer wird unüberwindbar, Vincent ist es falsch angegangen und wird nun die Trümmer aufsammeln müssen.
"Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß und spiele hier nicht den Samariter."
Das Zuschlagen von Adams Zimmertür lässt die Tassen im Schrank hinter Vincent klirren.
Das Gewitter hat sich verzogen, doch zurück in den Schlaf hat Vincent trotzdem nicht gefunden. Mittlerweile zeigt sein Wecker halb fünf und die Zeit, die ihm für einen halbwegs erholsamen Schlaf verbleibt, zerrinnt zwischen seinen Fingern.
Adams Worte haben ihn getroffen, auch wenn er weiß, dass dieses Beißen eine Schutzreaktion ist und Adam es nicht so meint. In dem Augenblick ist Vincent die Bedrohung gewesen, der Adam in eine Ecke treibt. Ihm ist bewusst gewesen, dass er riskant gehandelt und jeden Vertrauensfortschritt zunichte gemacht hat, doch Sorgen macht er sich nun mal und kann sie nicht so einfach ausstellen. Zwar kennen sie sich noch nicht so lange, doch da war von Anfang an etwas zwischen ihnen, dass Vincent entdecken wollte. Ein tiefes Verständnis, ein Verstehen ohne Worte, wie es nur bei zwei Menschen mit demselben Trauma auftritt.
Sein Ex mag nicht annähernd sadistisch gewesen sein wie Adams, wenn man ihn überhaupt Ex nennen wollte, aber die Hilflosigkeit in einer Beziehung ist Vincent nur allzu vertraut. Vielleicht hat er das bei ihrem Kennenlernen gespürt. Dass da eine ähnlich verzweifelte Seele ist, die verzweifelt nach Hilfe schrie und Vincent hat sie gehört.
Zu der Angst, was Adams Gesundheitszustand noch bedeuten konnte, legt sich nun auch noch die Sorge um ihre Freundschaft schwer auf seinen Magen und zeigt ihm, wie fragil das Gerüst ist, auf dass sie ihre Freundschaft gebaut haben. Trauma verbindet, aber es sollte nicht das alleinige Fundament sein.
Ein zaghaftes Klopfen lässt ihn aufhorchen, als sich auch schon die Tür einen Spalt breit öffnet und er im schummrigen Licht des anbrechenden Morgens Adams Silhouette ausmachen kann, wie er dort klein und mit eingezogenem Kopf steht.
"Vince?", fragt er kaum leise und Vincent kann die Tränen in seiner Stimme hören.
Wortlos und mit einem vom Herz fallenden Stein schlägt er die Decke zurück. Wenigstens diese Angst scheint für diese Nacht gebannt, wenn Adam mit einem erleichternden Seufzen zu ihm ins Bett krabbelt und die viel zu dünnen Arme sich schutzsuchend um ihn legen. Nur zu gern gewährt Vincent ihm diese Nähe, hat er sie doch genauso sehr gebraucht.
"Ich…ich habe Angst, Vince." Die Worte sind kaum zu hören, obwohl Adams Atem ihn direkt unter seinem Ohr kitzelt. "Was, wenn…" Er stockt, seine Stirn presst sich heiß gegen Vincents Schulter. "Was, wenn die mir auch noch was angehangen haben? Ich schaffe das nicht."
Eine eiserne Faust legt sich um Vincents Herz und drückt es gewaltsam zusammen bei der Verzweiflung, die in Adams Worten deutlich zu hören ist. Ja, was wenn es nichts Harmloses ist und sie sich umsonst sorgen? Was wenn der Kampf, der ihnen bevorsteht größer ist, als sie ertragen können?
Er schließt den Augen, drängt die brennenden Tränen zurück und küsst mit bebenden Lippen Adams Scheitel.
"Dann bin ich trotzdem für dich da."
Keine Woche später sitzen sie wieder in diesem Sprechzimmer, mit der geschmacklosen Kunst an den gelb getünchten Wänden. Ein Anruf am Morgen, dass Adam umgehend in der Praxis vorstellig werden soll.
"Herr Schürk", beginnt die Ärztin mit dem strengen Zopf vor ihnen und sieht eindringlich von Adam zu ihm. "Ihre Laborergebnisse sind leider besorgniserregend, so dass ich Sie um diesen schnellen Termin bitten musste."
Neben ihm wippt Adams Knie nervös auf und ab. Die langen Finger mit den abgeknabberten Fingernägeln nesteln an einem Faden der Seitennaht. Adams Gesicht ist eine steinerne Maske, doch Vincent hat in den letzten Monaten gelernt, die kleinen Zeichen in seiner Mimik zu lesen. Der sich anspannende Kiefernmuskel, wenn Adam gegen seine Gefühle ankämpft, um ihnen nicht zu unterliegen. Der leere Blick in seinen Augen, wenn er sich in seinen Gedanken verliert und weit weg zu sein scheint. Vincent weiß noch nicht, ob er sich dann zu seinem Leo zurück träumt, oder ob er wieder in dieser leblosen Wohnung ist, wo das Arschloch ihn festgehalten hat. Egal in welchem Strudel der Erinnerung Adam zu ertrinken droht, Vincent kann nicht viel ausrichten, als ihn in diesen Momenten zu halten und wenigstens ein Rettungsanker zu sein.
Wie auch jetzt. Vorsichtig schiebt er seine Hand über Adams, der aus seinen Gedanken aufzuschrecken scheint, aber dann mit einem dankbaren leisen Seufzen seine Handfläche so dreht, dass er seine Finger mit Vincents verschränken kann. Er drückt einmal versichernd zu. Was auch sie gleich erfahren würden, Adam soll wissen, dass er damit nicht allein ist.
Die Ärztin räuspert sich und raschelt mit den Blättern auf ihrem Tisch.
"Wir haben eine Reihe von Tests gemacht, auch um Krankheiten auszuschließen, die Ihren Symptomen ähneln. Eigentlich reine Routine, dass wir bei jemanden, der—" Sie stockt kurz, leckt sich verlegen über die Unterlippe, ehe sie weiterspricht. "Bei jemanden, der ein so aktiv Sexualkontakte in der Vergangenheit pflegte wie Sie."
Adams Hand in seiner krampft sich mit einem Mal zusammen, umklammern seine fast schraubstockartig und Vincent kann es ihm nicht verübeln. Bei der Ärztin klingt es, als hätte Adam freiwillig mit den ganzen Männern geschlafen und als wäre es seine Schuld, dass Jonas Verhütung missbilligte.
Heißer Zorn lodert in seiner Brust auf. Nicht nur auf Jonas, sondern auch auf die Ärztin vor sich, die ihren anklagenden Gesichtsausdruck schwer verbergen kann. Und auch ein Stück weit auf sich, weil er Adam zu dieser Ärztin geraten, da er selbst gelegentlich Patient hier ist und bis jetzt immer gute Erfahrungen gemacht. Allerdings haben sich seine Anliegen immer auf grippale Infekte beschränkt und nicht auf lebensverändernde Diagnosen, so wie er sie zwischen ihren Worten wittert.
Und auch Adam sieht er an seinem kreidebleichen Gesicht an, dass er im Grunde schon weiß, welche Bombe gleich vor ihren Füßen gezündet wird.
"Ich mache es kurz, Herr Schürk."
Sie verschränkt die Hände auf der Tischplatte vor sich und ihr Blick bohrt sich in Adams.
"Ihre Werte deuten leider auf eine Infektion mit dem HI-Virus hin. Sie sind HIV-positiv."
Wird fortgesetzt…
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