Chapter Text
Eine Woche war vergangen.
Sieben Tage, die sich wie sieben Jahre angefühlt hatten. Jede Stunde dehnte sich aus zu einer quälenden Ewigkeit, gefüllt mit mechanischen Routinen und hohlen Ritualen, die Lloyd durch die Bewegungen seines königlichen Lebens trugen ohne ihm auch nur einen Moment echter Substanz zu geben.
Lloyd erwachte in seinem großen Himmelbett, starrte an die goldverzierten Deckenmalereien, die Szenen aus Ninjagos glorreicherer Vergangenheit darstellten. Seine Augen brannten in ihren Höhlen, trocken und gereizt von zu wenig Schlaf und zu vielen unterdrückten Tränen. Die Schwellung unter seinen Lidern hatte sich in den vergangenen Tagen nicht zurückgebildet - im Gegenteil, die dunklen Halbmonde hatten sich vertieft, hatten sich in permanente Schatten verwandelt, die selbst das sorgfältigste Make-up nicht vollständig verbergen konnte.
Zwei königliche Diener hatten ihm beim Ankleiden geholfen, hatten das zeremonielle Gewand über seinen Körper gezogen mit den geübten, unpersönlichen Bewegungen. Das tiefgrüne Samt legte sich schwer um seine Schultern, die goldenen Stickereien glänzten im Morgenlicht. Jeder Knopf wurde geschlossen, jede Falte geglättet, jede Naht perfekt ausgerichtet. Seine goldblonden Haare waren mit militärischer Präzision gebürstet worden, jede Locke lag exakt dort, wo das königliche Protokoll es vorschrieb. Das Ergebnis war makellos - ein junger Prinz, der aussah wie aus einem Gemälde herausgetreten, jede Linie und Kontur perfekt komponiert.
Nur die Augen verrieten die Wahrheit. Die geschwollenen Lider, die violetten Schatten darunter, die roten Äderchen in den Augäpfeln, die glasige Qualität der grünen Iris - sie alle erzählten eine Geschichte von schlaflosen Nächten, von Mahlzeiten, die unberührt zurückgingen, von einem Schmerz, der sich nicht durch königliche Gewänder verkleiden ließ.
König Garmadon hatte ihn am Morgen zum Frühstück erwartet, doch Lloyd hatte die Einladung abgelehnt. Der Gedanke an Nahrung ließ seinen Magen rebellieren, ließ eine Welle der Übelkeit durch seinen Körper rollen. Stattdessen hatte er schwarzen Tee getrunken, drei Tassen nacheinander, ließ das heiße Getränk seine ausgetrocknete Kehle hinabrinnen in der Hoffnung, dass das Koffein ihm wenigstens die Illusion von Wachheit verleihen würde.
Der Thronsaal erhob sich vor ihm in seiner gewohnten Pracht, doch die vertraute Umgebung bot keinen Trost mehr. Die hohen Gewölbe, die prächtigen Wandteppiche, die goldverzierten Säulen - alles fühlte sich an wie eine Kulisse in einem Theater, in dem Lloyd eine Rolle spielte, die er nicht verstand.
Auf der anderen Seite des Raumes, exakt an jener Stelle, wo Kai, Cole, Zane, Jay und Nya sieben Tage zuvor in ihrer letzten Formation gestanden hatten, warteten fünf neue Gestalten in perfekter militärischer Aufstellung.
Sie trugen die offizielle Uniform der königlichen Leibgarde - grün-goldene Tuniken aus schwerem Stoff, darüber Brustpanzer aus goldenem Stahl, die das Morgenlicht reflektierten und kleine Lichtflecken an die Wände warfen. Die Rangabzeichen auf ihrer Brust identifizierten sie als Elite-Leibwächter, speziell ausgebildet für den Personenschutz höchster Priorität. Doch was sie von gewöhnlichen Gardisten unterschied, waren die farbigen Bänder, die um ihre linken Oberarme gebunden waren.
Der erste stand am linken Ende der Reihe, das türkisfarbene Band um seinen Arm gebunden mit militärischer Präzision. Er war wie der Rest in seinen Dreißigern, hochgewachsen und breitschultrig. Die Schultern waren quadratisch und breit, die Arme muskulös, doch nicht übertrieben - die funktionale Kraft eines Soldaten, nicht die dekorative Masse eines Kraftsportlers. Sein Gesicht war kantig geschnitten mit einem ausgeprägten Kiefer und hohen Wangenknochen. Bernsteinfarbene Augen starrten geradeaus, fixierten einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand mit der starren Konzentration eines Mannes, der gelernt hatte, dass Augenkontakt mit Vorgesetzten ein Privileg war, das man sich verdienen musste. Eine kleine Narbe durchzog seine linke Augenbraue - eine feine, weiße Linie, die die dunkle Haarpracht teilte. Die kurz geschnittenen schwarzen Haare waren so akkurat frisiert, dass kein einziges Haar aus der Reihe tanzte - jede Strähne lag perfekt an, gehalten von einem unsichtbaren Regiment aus Disziplin und Pomade.
Neben ihm stand die Frau mit dem orangefarbenen Band. Sie war muskulös gebaut, ihr Körper zeugte von Jahren harten Trainings in den Kasernen der königlichen Garde. Die dunklen Haare waren zu einem strengen Dutt gebunden, so fest gezogen, dass es schmerzhaft aussah. Ihr Gesicht war oval und ebenmäßig mit einer geraden Nase und vollen Lippen. Dunkelbraune Augen ruhten in einem Gesicht, das jede Spur von Weichheit verloren hatte. Wo Coles Augen Wärme ausgestrahlt hatten - jene tiefe, väterliche Güte, die jeden in seiner Nähe beruhigt hatte - zeigten ihre Iris nur kalte, berechnende Wachsamkeit.
Der mittlere der Fünf trug das pinkfarbene Band um seinen Oberarm. Seine schlanke, athletische Statur unterschied sich von den massiveren Gestalten zu beiden Seiten. Sein Gesicht war länglich mit hohen, ausgeprägten Wangenknochen. Aschblondes Haar war militärisch geschnitten, die Seiten so präzise rasiert, dass man die exakten Konturen seines Schädels erkennen konnte. Hellblaue Augen blickten nach vorn mit der Ausdruckslosigkeit von gefrorenem Wasser. Seine Lippen waren zu einer dünnen, farblosen Linie zusammengepresst, die weder Lächeln noch Stirnrunzeln zuließ, als hätten seine Gesichtsmuskeln das Konzept von Emotionen längst vergessen.
Der letzte Mann - markiert durch ein lilafarbenes Band - war deutlich kleiner als seine männliche Kollegen. Sein Körperbau war kompakt und drahtig, jeder Muskel schien unter der Uniform angespannt zu sein wie eine Feder unter Druck. Das Gesicht war schmal mit einer spitzen Nase und schmalen Lippen, die Augen dunkelbraun und ausdruckslos. Sein rotbräunliches Haar war ordentlich zurückgekämmt, jede Strähne in ihrer zugewiesenen Position fixiert. Die Ähnlichkeit mit Jay endete bei der Haarfarbe - wo Jays Augen vor Lebendigkeit und mal übertriebener Energie gesprüht hatten, zeigten die Augen dieses Mannes nur Effizienz. Eine Reihe von Sommersprossen überzog seine Nase und Wangen - das einzige Detail, das seiner ansonsten militärischen Erscheinung einen Hauch von Menschlichkeit verlieh.
Am rechten Ende der Formation stand die zweite Frau, gekennzeichnet durch ein gelbes Band um ihren Arm. Ihr dunkles Haar war zu einem praktischen Pferdeschwanz gebunden, der steif und unbeweglich von ihrem Hinterkopf abstand wie ein gefrorener Wasserfall. Ihre Statur war zierlich, beinahe fragil wirkend im Vergleich zu den bulligen Gestalten ihrer anderen Kollegen, doch die Art, wie sie sich hielt - Rücken kerzengerade, Schultern zurückgezogen, Kinn erhoben - sprach von eiserner Disziplin. Ihre Hände lagen flach an ihren Seiten an, die Finger gestreckt und aneinandergepresst in der offiziellen Haltung, die in den Ausbildungshandbüchern der Garde vorgeschrieben war.
König Garmadon räusperte sich, die fünf Leibwächter reagierten augenblicklich. Ihre Füße schnappten zusammen mit einem synchronisierten Klacken der Stiefelabsätze, ihre rechten Hände schossen zu ihren Stirnen in einem knackigen militärischen Gruß. Die Bewegung war so perfekt koordiniert, dass sie wie eine einzige Entität handelten anstatt fünf separate Individuen.
"Leibwächter", König Garmadons Stimme trug die formelle Autorität eines Monarchen, der seine Truppen inspizierte, "Rührt euch."
Die fünf Hände senkten sich synchron, kehrten zur Parade-Rest-Position zurück. Keine der fünf Gestalten zeigte auch nur den geringsten Hauch von Anspannung oder Nervosität. Sie standen dort wie Statuen, wie Monumente aus Fleisch und Knochen, die in die Form perfekter Soldaten gemeißelt worden waren.
"Mein Sohn", Garmadon drehte sich zu Lloyd, seine Hand drückte sanft auf die Schulter des Prinzen, "darf ich dir deine neue persönliche Leibgarde vorstellen. Sie wurden aus den besten Einheiten der königlichen Garde rekrutiert, jeder von ihnen ein Spezialist in seinem Bereich. Sie wurden über die vergangene Woche intensiv geschult in den besonderen Anforderungen des Personenschutzes."
Lloyd nickte mechanisch, sein Gesicht blieb eine Maske aus königlicher Höflichkeit. Seine grünen Augen wanderten langsam über die Reihe der Leibwächter, nahmen jedes Detail auf ohne wirklich etwas zu sehen, ohne wirklich zu registrieren.
Garmadon deutete auf den ersten Mann. "Dies ist Leibwächter Türkis. Er wird als Teamleader fungieren, koordiniert die Sicherheitsmaßnahmen und dient als dein Hauptansprechpartner."
Türkis trat einen Schritt vor, seine Bewegung war präzise wie ein Uhrwerk. Seine rechte Hand legte sich flach auf seine Brust über dem Herzen in einer formellen Geste des Respekts. "Eure Hoheit", die Worte kamen in einem tiefen Bariton, jede Silbe artikuliert mit militärischer Klarheit. Kein Lächeln, kein Augenkontakt über das absolute Minimum hinaus. Die Hand kehrte zur Seite zurück, der Leibwächter trat zurück in die Formation.
Garmadons Hand bewegte sich zur nächsten Person in der Reihe, die Frau mit dem orangefarbenen Band. "Leibwächterin Orange. Sie ist spezialisiert auf Nahkampf und physische Intervention. Ihre Kraft übertrifft die meisten männlichen Gardisten."
Orange löste sich aus der Formation. Die rechte Faust legte sich über ihr Herz, die Knöchel drückten gegen den goldenen Brustpanzer mit einer Kraft, die das Metall leicht nachgeben ließ. "Eure Hoheit", die Worte kamen in einem tiefen Alt, jede Silbe ausgesprochen mit der gleichen emotionslosen Präzision, mit der sie vermutlich ihre Waffen putzte.
"Leibwächter Pink. Er verfügt über fortgeschrittene technische Kenntnisse und ist verantwortlich für die Überwachung von Sicherheitssystemen, Kommunikationsgeräten und die Analyse potentieller Bedrohungen."
Pink vollzog die gleiche rituelle Bewegung - einen Schritt nach vorn, die Faust aufs Herz, die Verbeugung. "Eure Hoheit." Die Stimme war monoton, flach, ohne jede musikalische Qualität. Wo Zanes Worte trotz ihrer maschinellen Herkunft eine gewisse Wärme getragen hatten, eine echte Sorge um Lloyds Wohlergehen, klangen Pinks Worte wie aus einem Lehrbuch verlesen.
"Leibwächter Lila", Garmadon zeigte auf den kleineren Mann mit dem rotbraunen Haar. "Seine Spezialität liegt in Aufklärung und Informationsbeschaffung. Er koordiniert mit den Geheimdiensten des Palastes und identifiziert potentielle Risiken, bevor sie zu akuten Bedrohungen werden."
Lila absolvierte die gleiche Prozedur. Schritt vor. Faust aufs Herz. "Eure Hoheit." Die Stimme war höher als die seiner Kollegen, doch trug die gleiche leblose Qualität. Keine Spur von Jays ansteckender Energie, von seinem nervösen Geplapper, das jeden Raum mit Leben gefüllt hatte. Keine Andeutung der Verspieltheit, der Wärme, des leicht chaotischen Charmes, der Jay so besonders gemacht hatte. Nur ein weiteres Zahnrad in der gut geölten Maschine der königlichen Sicherheit.
"Und schließlich", Garmadon deutete auf die letzte Gestalt in der Reihe, "Leibwächterin Gelb. Sie ist ausgebildet in fortgeschrittener Erster Hilfe, Notfallmedizin und mechanischen Systemen. Sie wird für deine gesundheitliche Überwachung und technische Unterstützung verantwortlich sein."
Die Frau mit dem gelben Band bewegte sich aus der Formation. Ihr Pferdeschwanz schwang nicht bei der Bewegung - er stand so steif vom Kopf ab, als wäre jedes einzelne Haar mit unsichtbarem Draht fixiert. Die Faust legte sich aufs Herz. "Eure Hoheit."
König Garmadon wandte sich an Lloyd, seine Hand lag noch immer auf der Schulter seines Sohnes. "Diese fünf Leibwächter werden dich ab heute begleiten. Sie sind hochqualifiziert, absolut loyal dem Königshaus gegenüber, haben die härteste Ausbildung durchlaufen, die das Königreich zu bieten hat. Jeder von ihnen hat in Kampfsituationen gedient, hat sich in kritischen Momenten bewährt. Ihre Codenamen dienen dazu, ihre wahren Identitäten zu schützen - eine Sicherheitsmaßnahme, die verhindert, dass potentielle Feinde ihre Familien als Druckmittel verwenden können."
Lloyd nickte, seine Kehle fühlte sich zu eng an für Worte. Die fünf Gestalten vor ihm verschwammen leicht, sein Blick verlor den Fokus. Er zwang seine Augen, sich zu schärfen, zwang seinen Verstand zur Aufmerksamkeit.
"Leibwächter Türkis", Garmadons Stimme holte Lloyd zurück in den Moment, "bitte erläutere dem Prinzen die Sicherheitsprotokolle."
Türkis trat wieder vor, diesmal blieb er stehen, seine Haltung veränderte sich minimal von Parade-Rest zu einer informelleren - doch noch immer vollkommen professionellen - Stellung. "Eure Hoheit", begann er mit der gleichen emotionslosen Stimme, "ab sofort gelten folgende Richtlinien für Eure Sicherheit. Erstens: Ihr werden zu keinem Zeitpunkt ohne mindestens zwei Leibwächter das Palastgelände verlassen. Zweitens: Alle Eure Bewegungen außerhalb Eurer persönlichen Gemächer müssen uns mindestens dreißig Minuten im Voraus kommuniziert werden, damit wir die Route sichern können. Drittens: Bei offiziellen Anlässen werden wir in unmittelbarer Nähe positioniert sein, unsere Aufstellung wird basierend auf der Bedrohungsanalyse des jeweiligen Events bestimmt."
Er machte eine Pause, nicht um Atem zu holen, sondern um seine Worte zu strukturieren. "Viertens: Jegliche spontane Abweichungen von Eurem Tagesplan müssen uns unverzüglich mitgeteilt werden. Fünftens: In Situationen erhöhter Gefahr haben unsere Sicherheitsanweisungen Vorrang über Euren persönlichen Wünsche. Sechstens: Wir werden monatliche Sicherheitsbriefings durchführen, in denen potentielle Bedrohungen besprochen und Notfallpläne aktualisiert werden."
Jede Regel wurde mit der gleichen monotonen Präzision vorgetragen, als würde er aus einem Handbuch vorlesen. Keine Verhandlung, keine Flexibilität, keine Rücksicht auf persönliche Präferenzen. Dies waren Befehle, verpackt in höfliche Formulierungen.
"Verstanden, Eure Hoheit?"
Lloyd öffnete seinen Mund, seine Lippen formten das Wort "Ja", doch kein Ton kam heraus. Er räusperte sich, zwang die Worte über seine trockenen Lippen. "Verstanden."
Türkis nickte einmal, knapp und effizient. "Ausgezeichnet, Eure Hoheit." Er trat zurück in die Formation, nahm seinen Platz am linken Ende wieder ein.
König Garmadon legte beide Hände auf Lloyds Schultern, drehte seinen Sohn sanft zu sich. "Lloyd", seine Stimme war leiser nun, durchdrungen von väterlicher Sorge, "ich weiß, dass dies eine Umstellung für dich ist. Doch ich versichere dir - diese fünf sind die Besten ihres Fachs. Deine Sicherheit könnte nicht in besseren Händen sein."
Lloyd hob seinen Blick, seine geröteten grünen Augen trafen die dunklen seines Vaters. Für einen Herzschlag öffnete er seinen Mund, die Worte lagen auf seiner Zunge - *Doch ich will nicht die Besten ihres Fachs, ich will meine Freunde zurück. Ich will Kai, der mich mit seinem schelmischen Grinsen aufzieht. Ich will Cole, dessen tiefe Stimme mich beruhigt, wenn Alpträume mich wecken. Ich will Zane, dessen sachliche Beobachtungen mich zum Lachen bringen. Ich will Jay, dessen alberne Witze selbst die dunkelsten Tage erhellen. Ich will Nya, deren große Schwester-Beschützerinstinkt mich das Gefühl gibt, dass ich nicht allein bin.*
Doch die Worte blieben ungesprochen. Stattdessen nickte er nur, presste seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. "Danke, Vater."
Garmadon seufzte leise, seine Daumen strichen über Lloyds Schultern in einer tröstenden Geste. "Möchtest du ein paar Minuten mit deiner neuen Leibgarde verbringen? Dich mit ihnen vertraut machen?"
*Nein*, schrie jede Faser in Lloyds Körper. *Nein, ich möchte mich in meine Gemächer zurückziehen und die Welt aussperren. Ich möchte mich unter meinen Bettdecken verkriechen und so tun, als wäre das alles nur ein Albtraum, aus dem ich bald erwachen werde.*
"Ja", sagte er stattdessen, die Lüge kam mühelos über seine Lippen. "Das wäre angebracht."
Garmadon nickte zufrieden, seine Hände lösten sich von Lloyds Schultern. "Sehr gut. Ich werde euch dann allein lassen." Er wandte sich an die fünf Leibwächter. "Macht den Prinzen mit euren Fähigkeiten vertraut. Beantwortet alle Fragen, die er haben könnte."
Die fünf schlugen ihre Fersen zusammen, die rechten Hände schossen zu den Stirnen. "Ja, Eure Majestät!", kam der synchronisierte Ruf, fünf Stimmen zu einer verschmolzen.
Garmadon verließ den Raum. Die Stille, die folgte, war erdrückend. Lloyd stand da, seine Hände hingen nutzlos an seinen Seiten, sein perfekt gepflegtes Äußeres im krassen Kontrast zu dem Chaos in seinem Inneren. Die fünf Leibwächter standen in ihrer Formation, warteten.
Niemand sprach.
Die Sekunden dehnten sich zu Minuten. Das einzige Geräusch im Raum war Lloyds eigener Atem - flach und unregelmäßig - und das ferne Ticken einer Uhr. Draußen vor den Fenstern sangen Vögel ihre Morgenlieder, doch die fröhlichen Melodien schienen nicht in diesen Raum eindringen zu können, prallten ab an einer unsichtbaren Barriere aus Professionalität und emotionaler Distanz.
Lloyd zwang sich, einen Schritt auf die Formation zuzugehen. Seine Beine fühlten sich schwer an, als hätte jemand Gewichte an seine Knöchel gebunden. Ein weiterer Schritt. Noch einer. Er kam zum Stehen etwa drei Meter von Türkis entfernt.
"Ich...", er räusperte sich erneut. "Ich schätze eure Bereitschaft, diese Position anzunehmen."
Türkis' Augen fixierten einen Punkt knapp über Lloyds Schulter. "Wir erfüllen unsere Pflicht, Eure Hoheit. Dank ist nicht erforderlich."
Lloyd nickte mechanisch, suchte nach weiteren Worten, nach irgendwelchen Worten, die diesen Moment weniger unerträglich machen würden. "Habt ihr... habt ihr Familien? Menschen, die sich Sorgen machen, dass ihr diese gefährliche Position angenommen habt?"
Es war Orange, die antwortete, ihre Stimme so emotionslos wie Türkis'. "Unsere persönlichen Umstände sind irrelevant für unsere Pflichterfüllung, Eure Hoheit. Sie müssen sich keine Gedanken über solche Dinge machen."
*Doch genau das ist das Problem*, dachte Lloyd verzweifelt. *Ihr seid keine Menschen für mich, ihr seid Funktionen. Ihr seid nicht Jay, der mir stundenlang von seiner neuesten Erfindung erzählt. Ihr seid nicht Cole, der mich fragt, wie mein Tag war, weil es ihn wirklich interessiert. Ihr seid Codenamen und Protokolle und professionelle Distanz.*
"Ich verstehe", sagte er laut, doch er verstand überhaupt nichts. "Dann... dann sollten wir vielleicht über den Tagesablauf sprechen?"
Diesmal übernahm Pink. Die rechte Hand hob sich, die Finger streckten sich in einer formellen Geste, die den Beginn seines Berichts ankündigte.
"Eure Hoheit", die monotone Stimme begann ohne jede Vorbereitung, ohne Höflichkeitsfloskel, direkt in die sachliche Aufzählung eintauchend, "Euer Tagesablauf für heute, den dreizehnten Oktober, gestaltet sich wie folgt."
Er zählte an seinen Fingern ab, jeder Punkt präzise artikuliert wie Zahlen in einer mathematischen Gleichung. "Um acht Uhr dreißig beginnt Euer Bildungsunterricht im Studierzimmer. Die erste Unterrichtsstunde umfasst politische Geschichte von Ninjago, gefolgt von diplomatischem Protokoll um neun Uhr fünfzehn. Um zehn Uhr findet eine Lektion in Staatsphilosophie statt, die um zehn Uhr fünfundvierzig von fortgeschrittener Mathematik und Wirtschaftslehre abgelöst wird."
Die Worte kamen in einem gleichmäßigen, unveränderlichen Rhythmus, als würde Pink eine Einkaufsliste verlesen anstatt Lloyds Leben für den Tag zu strukturieren. Keine Spur von Anteilnahme, kein Hinweis darauf, dass er verstand, wie erdrückend ein solcher Stundenplan sein konnte. Kai hätte in diesem Moment einen aufmunternden Kommentar gemacht, hätte vielleicht gescherzt, dass Lloyd heimlich ein Nickerchen machen sollte. Cole hätte seine große Hand auf Lloyds Schulter gelegt und ihm versichert, dass der Tag schnell vorbeigehen würde. Zane hätte hilfreiche Lernstrategien angeboten, basierend auf wissenschaftlichen Studien über optimale Informationsaufnahme.
Doch Pink fuhr einfach fort, unbeirrt von Lloyds leerem Blick. "Um elf Uhr dreißig kehrt Ihr in Eure Gemächer zurück, um sich auf das Mittagessen vorzubereiten. Die Diener werden Euch bei einem eventuellen Kleidungswechsel assistieren. Das Mittagsmahl beginnt um zwölf Uhr im großen Speisesaal. Seine Majestät König Garmadon wird anwesend sein. Um vierzehn Uhr habt Ihr ein Meeting mit dem Rat bezüglich der Herbsternte und der Verteilung von Ressourcen an die nördlichen Provinzen. Dieses Meeting ist im Ratsaal anberaumt und wird voraussichtlich neunzig Minuten dauern."
Lloyds Kopf begann zu schmerzen. Die Herbsternte. Ressourcenverteilung. Wichtige Themen, gewiss, Angelegenheiten, die Tausende von Leben betrafen. Doch in diesem Moment fühlten sie sich an wie bedeutungslose Worte, wie Konzepte aus einer anderen Welt.
"Um fünfzehn Uhr dreißig folgt ein Briefing mit den Gesandten aus den westlichen Handelsstädten. Ihr werdet Berichte über die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Regionen präsentieren und eventuell um zusätzliche Mittel für Infrastrukturprojekte bitten. Dieses Treffen findet im diplomatischen Konferenzzimmer statt und sollte etwa sechzig Minuten in Anspruch nehmen."
Lloyd fragte sich, ob Pink jemals Pausen machte zum Atmen. Die Informationen flossen aus ihm heraus wie Wasser aus einem geöffneten Hahn - konstant, gleichmäßig, ohne Unterbrechung oder Variation in Tempo oder Tonlage.
"Um sechzehn Uhr dreißig ist eine kurze Pause vorgesehen, in der Ihr in Eure Gemächer zurückkehren könnt. Um siebzehn Uhr beginnt ein weiteres Meeting mit dem königlichen Architekten bezüglich der geplanten Renovierungen des südlichen Palastflügels. Dieses Gespräch ist auf fünfundvierzig Minuten angesetzt. Eure Anwesenheit wird als Beobachter erwartet, aktive Teilnahme ist optional."
"Das Abendessen ist um achtzehn Uhr im großen Speisesaal anberaumt", Pink fuhr unbeirrt fort, "Neben Seiner Majestät werden auch mehrere höherrangige Hofbeamte anwesend sein. Das Mahl wird voraussichtlich neunzig Minuten dauern, inklusive der üblichen höflichen Konversation."
Neunzig Minuten höflicher Konversation. Neunzig Minuten, in denen Lloyd ein Lächeln aufsetzen, nicken, zustimmen und sich an Diskussionen beteiligen müsste, als wäre seine Welt nicht gerade in Stücke zerbrochen. Neunzig Minuten, in denen er so tun müsste, als wäre alles in Ordnung, als hätte er nicht das Gefühl, innerlich zu verbluten.
"Um neunzehn Uhr dreißig beginnt der Klavierunterricht im Musiksalon", Pink sprach weiter, unermüdlich in seiner Aufzählung. "Die Unterrichtsstunde dauert sechzig Minuten. Euer Maestro hat das Programm für diese Woche an uns übermittelt - Fortsetzung der Chopin-Études und Einführung in ein neues Stück von Debussy."
Das Klavier. Einst hatte Lloyd die wöchentlichen Lektionen genossen, hatte die Art geliebt, wie die Musik ihm erlaubte, Emotionen auszudrücken, die er nicht in Worte fassen konnte. Doch jetzt fühlte sich auch das an wie eine weitere Pflicht, eine weitere Box, die er abhaken musste auf der endlosen Liste dessen, was von ihm erwartet wurde.
"Nach dem Klavierunterricht", Pink neigte seinen Kopf leicht, "um zwanzig Uhr dreißig, habt Ihr bis zweiundzwanzig Uhr freie Zeit zur eigenen Verfügung. Ihr können diese Zeit nutzen, wie Ihr es für angemessen halten - Lektüre, Korrespondenzen, Meditation oder Ruhe. Um zweiundzwanzig Uhr solltet Ihr Euch zur Nachtruhe begeben. Die Diener werden um einundzwanzig Uhr fünfundvierzig erscheinen, um Euch bei den Vorbereitungen zu unterstützen."
Pinks hellblauen Augen senkten sich, trafen für einen flüchtigen Moment Lloyds grüne, bevor sie wieder zu jenem neutralen Punkt über seiner Schulter wanderten. "Gibt es Fragen zu Eurem Tagesablauf, Eure Hoheit? Benötigt Ihr Klarstellungen zu einem der genannten Termine?"
Lloyd starrte den Mann vor sich an. Die perfekte Haltung, die emotionslose Stimme, die absolute Professionalität - alles war makellos. Doch es war auch vollkommen, erschreckend leer. Pink hatte ihm gerade seinen gesamten Tag präsentiert, hatte jeden einzelnen Moment seiner Zeit akkurat aufgelistet, doch es fühlte sich an, als hätte er über das Leben einer völlig fremden Person gesprochen.
"Nein", Lloyds Stimme klang hohl in seinen eigenen Ohren. "Keine Fragen."
Pink nickte einmal, knapp und effizient. "Ausgezeichnet, Eure Hoheit." Er bewegte sich zurück in die Formation, nahm seinen Platz in der Mitte wieder ein, als wäre nichts geschehen.
Die fünf Leibwächter standen dort, warteten auf weitere Instruktionen. Lloyd betrachtete sie - diese fünf perfekten Soldaten mit ihren farbigen Bändern, die wie schlechte Imitationen seiner verlorenen Familie wirkten.
"Dann sollte ich mich wohl auf den Bildungsunterricht vorbereiten", überlegte er. "Es ist bald acht Uhr dreißig."
"Korrekt, Eure Hoheit", bestätigte Pink mit der Begeisterung eines Grabsteins. "Ihr habt noch sieben Minuten bis zum offiziellen Beginn. Leibwächterin Gelb und ich werden Euch zu den Studienräumen begleiten. Die Route wurde bereits gesichert."
Lloyd drehte sich um, seine Füße trugen ihn in Richtung der Türen des Thronsaals. Er hörte die synchronisierten Schritte hinter sich - Gelb und Pink, die ihrer Ankündigung folgend seine Eskorte bildeten. Ihre Schritte waren synchronisiert, ihre Atmung kontrolliert, ihre Präsenz gleichzeitig allgegenwärtig und unsichtbar.
Diener, die ihnen begegneten, traten respektvoll zur Seite, pressten sich gegen die Wände, um der Formation Platz zu machen. Sie verbeugten sich, murmelten "Eure Hoheit", doch Lloyd registrierte sie kaum. Sein Blick war starr nach vorn gerichtet, fixiert auf einen Punkt in der Ferne, den er nicht wirklich sah.
Ein junger Gardist stand an einer Kreuzung, hielt Wache über einen der Seiteneingänge. Seine Augen weiteten sich, als er den Prinzen erkannte, sein Mund öffnete sich zu einem freundlichen Gruß. "Guten Morgen, Eure Hoh—"
"Keine Interaktion", schnitt Pink scharf ab, seine Hand hob sich in einer abweisenden Geste. "Seine Hoheit ist auf dem Weg zu einem termingebundenen Engagement. Bitte haltet angemessenen Abstand."
Der junge Gardist schloss seinen Mund, seine Wangen färbten sich rot vor Verlegenheit. Er verneigte sich hastig, wich mehrere Schritte zurück. Lloyd wollte etwas sagen, wollte sich entschuldigen für die Unhöflichkeit seiner Leibwächter, wollte dem jungen Mann versichern, dass er nichts falsch gemacht hatte. Doch die Worte blieben in seiner Kehle stecken, gefangen hinter einer Mauer aus Müdigkeit und Resignation.
Der Bildungsunterricht begann pünktlich um acht Uhr dreißig. Lloyd saß an dem schweren Eichentisch im Studierzimmer, umgeben von aufgeschlagenen Büchern und historischen Karten. Sein Tutor sprach über die politischen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts, über Bündnisse und Verträge und diplomatische Krisen, die längst Geschichte waren. Die Worte erreichten Lloyds Ohren, doch sie drangen nicht in sein Bewusstsein ein. Sie prallten ab an der Oberfläche seiner Aufmerksamkeit, hinterließen keine bleibenden Eindrücke.
Pink und Gelb standen an den Seiten der Tür, Statuen aus Fleisch und Uniform. Ihre Augen wanderten konstant über den Raum, suchten nach Bedrohungen in einem Studierzimmer voller Bücher und Tintenfässer. Niemand sprach sie an. Niemand beachtete sie, außer Lloyd, dessen Blick immer wieder zu den farbigen Bändern an ihren Armen wanderte - pink und gelb, so falsch im Vergleich zu den Farben, die seine Freunde getragen hatten.
Die zweite Unterrichtsstunde - diplomatisches Protokoll - verging in ähnlichem Nebel. Lloyd nickte an den richtigen Stellen, murmelte Bestätigungen, wenn sein Lehrer eine direkte Antwort erwartete. Seine Hand kritzelte Notizen auf Pergament, doch als er später auf die Seiten blickte, ergaben die Worte keinen Sinn. Sie waren nur Linien und Buchstaben, angeordnet in Mustern, die keine Bedeutung trugen.
Die Staatsphilosophie um zehn Uhr war eine Folter besonderer Art. Der Lehrer diskutierte die Pflichten eines Herrschers, die Balance zwischen persönlichen Wünschen und dem Wohl des Volkes, die Opfer, die Führung erforderte. Jedes Wort fühlte sich an wie ein Vorwurf, wie eine Anklage gegen die Entscheidungen, die Lloyd getroffen hatte. *Ein guter Herrscher stellt das Wohl seiner Untertanen über sein eigenes Glück*, erklärte der Lehrer mit dozierender Stimme. Lloyd starrte auf die Tischplatte und fragte sich, ob er jemals ein guter Herrscher sein könnte, wenn er nicht einmal in der Lage war, seine eigenen Freundschaften zu bewahren.
Die Mathematik und Wirtschaftslehre um zehn Uhr fünfundvierzig bot keinen Trost. Zahlen tanzten über die Seiten seiner Bücher, Gleichungen und Formeln, die Lloyd normalerweise mit Leichtigkeit gelöst hätte. Doch heute weigerte sich sein Verstand zu kooperieren. Die Zahlen verschwammen, verwandelten sich in bedeutungslose Symbole. Sein Lehrer korrigierte seine Berechnungen dreimal, die Geduld in seiner Stimme wurde mit jeder Korrektur dünner.
Um elf Uhr dreißig kehrte Lloyd in seine Gemächer zurück. Die Diener warteten bereits, ihre Hände voll mit frischen Gewändern für das Mittagessen. Ihre Finger arbeiteten schnell und effizient, knöpften jeden Knopf, strichen jede Falte glatt. Lloyd ließ es über sich ergehen wie eine Puppe, die man anzieht.
Das Mittagessen im großen Speisesaal war eine Prüfung in königlicher Selbstbeherrschung. König Garmadon saß am Kopf des langen Tisches, Lloyd zu seiner Rechten. Der König erzählte von seinen eigenen Meetings an diesem Morgen, von Berichten aus den Provinzen, von Plänen für das kommende Frühjahr. Seine Stimme war warm, versuchte Lloyd in die Konversation einzubeziehen, suchte nach Reaktionen in dem blassen Gesicht seines Sohnes.
Lloyd aß mechanisch. Jeder Bissen war eine bewusste Anstrengung - kauen, schlucken, wiederholen. Er nickte an den passenden Stellen, murmelte kurze Antworten auf direkte Fragen. Garmadon beobachtete ihn mit sorgenvollen Augen, doch er drängte nicht, ließ seinem Sohn den Raum für Schweigen.
Das Meeting um vierzehn Uhr im Ratsaal zog sich wie Kaugummi. Ältere Herren in prächtigen Gewändern diskutierten die Herbsternte - welche Provinzen Überschüsse hatten, welche Unterstützung brauchten, wie die Ressourcen am gerechtesten verteilt werden könnten. Sie zeigten Karten und Tabellen, sprachen über Tonnen Getreide und Hektar Land. Lloyd saß auf seinem Stuhl, die Hände ordentlich auf dem Tisch gefaltet, und ließ die Zahlen über sich hinwegwaschen wie Regen über Stein.
Türkis und Orange standen hinter seinem Stuhl, ihre Präsenz konstant und erdrückend. Lloyd konnte ihre Blicke im Nacken fühlen, konnte die Art erahnen, wie ihre Augen jeden im Raum taxierten, jede Bewegung als potentielle Bedrohung analysierten. Es war eine andere Art der Wachsamkeit als jene, die Kai und Cole gezeigt hatten. Jene war persönlich gewesen, geboren aus echter Sorge. Diese hier war rein professionell.
Das Briefing mit den Gesandten um fünfzehn Uhr dreißig verlief ähnlich. Männer in teuren Gewändern präsentierten ihre Anliegen, baten um Gelder für neue Straßen, für die Reparatur von Brücken, für die Erweiterung von Hafenanlagen. Sie sprachen mit Leidenschaft über die Bedürfnisse ihrer Städte, über die Menschen, die von diesen Infrastrukturprojekten profitieren würden.
Die kurze Pause um sechzehn Uhr dreißig war keine wirkliche Pause. Lloyd kehrte in seine Gemächer zurück, doch Lila folgte ihm, positionierte sich diskret in der Ecke des Raumes. Lloyd versuchte, auf seinem Bett zu liegen, die Augen für nur einen Moment zu schließen, doch die Anwesenheit des Leibwächters machte echte Entspannung unmöglich. Er fühlte sich beobachtet, studiert, analysiert. Nach zehn Minuten gab er auf, stand auf, ließ sich von Lila zum nächsten Meeting eskortieren.
Das Treffen mit dem königlichen Architekten um siebzehn Uhr war das erträglichste der Meetings. Der Architekt zeigte Pläne und Skizzen, sprach über strukturelle Verbesserungen und ästhetische Überlegungen. Es gab keine Entscheidungen zu treffen, keine Verantwortung zu übernehmen - nur zuzuhören und gelegentlich interessiert auszusehen. Lloyd gelang zumindest das Letztere einigermaßen überzeugend.
Das Abendessen um achtzehn Uhr war schlimmer als das Mittagsmahl. Die höherrangigen Hofbeamten füllten die Plätze am langen Tisch, ihre Stimmen hallten durch den Speisesaal. Sie diskutierten Politik und Handel, tauschten Neuigkeiten und Klatsch aus, lachten über Witze, die Lloyd nicht verstand. Er saß zwischen ihnen wie ein Geist, anwesend in Körper doch abwesend im Geist. Die neunzig Minuten fühlten sich an wie neunzig Jahre.
Der Klavierunterricht um neunzehn Uhr dreißig sollte ein Zufluchtsort sein, eine Stunde, in der Lloyd sich in der Musik verlieren konnte. Doch seine Finger stolperten über die Tasten, trafen falsche Noten, verfehlten die Akkorde. Der Maestro korrigierte ihn geduldig, doch auch seine Geduld hatte Grenzen. Nach vierzig Minuten voller Fehler und Neustarts seufzte der ältere Mann schwer.
"Vielleicht sollten wir für heute aufhören, Eure Hoheit", schlug er vor, die Enttäuschung in seiner Stimme kaum verhüllt. "Ihr scheint nicht ganz bei der Sache zu sein. Wir werden die Lektion nächste Woche fortsetzen."
Lloyd nickte dankbar, froh über die vorzeitige Befreiung. Er kehrte in seine Gemächer zurück, die Füße schleppten sich über den Boden, jeder Schritt eine bewusste Anstrengung.
Es war erst zwanzig Uhr zehn. Er hatte noch fast zwei Stunden bis zur vorgeschriebenen Schlafenszeit.
Lloyd saß an seinem Schreibtisch, starrte auf ein leeres Stück Pergament vor sich. Die Feder lag in seiner Hand, die Spitze schwebte über dem weißen Papier wie ein Vogel, der nicht landen wollte. Er sollte Korrespondenzen schreiben - Dankesbriefe an die Gesandten für ihre Zeit und ihre detaillierten Präsentationen, Bestätigungen an den Architekten bezüglich der besprochenen Renovierungen, höfliche Notizen an verschiedene Adlige, die ihm Glückwünsche zu irgendeinem Anlass geschickt hatten.
Die Worte wollten nicht kommen. Seine Hand bewegte sich nicht, die Feder blieb regungslos in der Luft. Gelegentlich tropfte ein Klecks schwarzer Tinte auf die weiße Fläche, breitete sich aus in unregelmäßigen Mustern, hinterließ dunkle Flecken auf der makellosen Oberfläche.
Sein Blick wanderte zur Seite, fiel auf einen kleinen Haufen Briefe auf der Ecke seines Schreibtisches. Sie lagen dort seit Tagen, ungeöffnet, die Siegel intakt. Er erkannte die Handschrift auf den Umschlägen - Kais energische Schreibweise mit den übertriebenen Buchstaben, Coles ordentliche, gleichmäßige Lettern, Zanes präzise Schrift, die aussah wie gedruckt, Jays chaotische Kritzelei mit Tintenflecken und Korrekturen, Nyas elegante Kalligraphie.
Seine Freunde hatten geschrieben. Hatten versucht, die Kluft zu überbrücken, die er zwischen ihnen errichtet hatte. Hatten ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihre Hoffnungen auf Papier gebannt und ihm zugeschickt.
Und Lloyd hatte die Briefe nicht gelesen. Die bloße Vorstellung, ihre Worte zu lesen, ihre Stimmen in seinem Kopf zu hören, war unerträglich. Es würde alles wieder real machen, würde den Schmerz verstärken, würde die Wunde aufreißen, die er so verzweifelt zu ignorieren suchte.
Seine Augen begannen zu brennen. Ein Stechen baute sich hinter seinen Lidern auf, Tränen sammelten sich, drohten überzulaufen. Lloyd wandte hastig den Blick ab, fixierte seine Aufmerksamkeit auf die leere Wand gegenüber. Er zwang die Feuchtigkeit zurück, blinzelte schnell, bis die Tränen zurückwichen.
Nicht jetzt. Nicht hier, wo Lila vor seiner Tür stand, wo Diener jeden Moment hereinkommen könnten, wo Schwäche etwas war, das man verstecken musste. Lloyd legte die Feder nieder, stand auf vom Schreibtisch. Seine Beine trugen ihn mechanisch zum Bett, seine Hände begannen, die Knöpfe seines Gewands zu öffnen. Die Diener würden bald kommen, um ihm beim Umziehen zu helfen, doch er wollte ihnen zuvorkommen, wollte diesen einen Moment der Privatsphäre bewahren.
Das Nachtgewand aus weicher Seide glitt über seine Haut, kühl und unpersönlich. Er kroch unter die schweren Decken seines Himmelbetts, zog sie bis zum Kinn hoch, rollte sich auf die Seite. Die Vorhänge des Betts hingen offen, gewährten einen Blick auf die dunklen Fenster seiner Gemächer, durch die das schwache Licht des Mondes sickerte. Irgendwo da draußen lebten Kai, Cole, Zane, Jay und Nya ihr eigenes Leben. Ohne ihn. Wie er es gewollt hatte. Wie er darum gebeten hatte.
Er fragte sich, ob das Gefühl der Einsamkeit jemals vergehen würde, oder ob dies seine neue Normalität war - umgeben von Menschen, und doch vollkommen allein. Lloyd schloss seine Augen und wartete auf einen Schlaf, von dem er wusste, dass er nicht kommen würde.
Etwas kitzelte seine Nase. Ein leichtes, persistentes Gefühl, das sich nicht ignorieren ließ. Lloyd verzog sein Gesicht, schob die Empfindung von sich, doch sie kehrte zurück. Wieder. Und wieder.
"Komm schon, Prinzessin", eine vertraute Stimme durchdrang den Nebel seines Bewusstseins, warm und neckend, durchsetzt mit kaum verhaltenem Humor. "Die Sonne ist schon seit einer Stunde auf. Zeit, dass du dich auch der Welt zeigst."
Lloyds Augenbrauen zuckten, seine Lider flatterten. Die Stimme war so vertraut, so unmöglich vertraut. Sein Verstand klammerte sich an die letzten Reste des Schlafs, weigerte sich aufzuwachen, doch die neckende Stimme ließ nicht nach.
"Ich weiß, dass du wach bist. Ich kann sehen, wie sich deine Augenlider bewegen. Also hör auf so zu tun, als würdest du schlafen, und öffne diese müden grünen Augen."
Lloyd gab nach. Seine Lider hoben sich langsam, blinzelten gegen das helle Morgenlicht, das durch die Fenster seiner Gemächer strömte. Die Welt war verschwommen, unscharf an den Rändern. Er blinzelte mehrmals, zwang seine Augen zu fokussieren.
Eine Gestalt lehnte sich über sein Bett. Bernsteinfarbene Augen funkelten vor Belustigung. Ein schiefes Grinsen zog sich über vertraute Züge. Schwarze Haare fielen unordentlich über die Stirn.
"Kai?", das Wort kam als ungläubiges Flüstern, so leise, dass Lloyd sich nicht sicher war, ob er es überhaupt ausgesprochen hatte oder nur gedacht. Seine Hand hob sich, die Finger streckten sich aus, berührten zögernd die Wange der Gestalt vor ihm, als müsse er überprüfen, ob diese Person real war oder nur eine weitere Täuschung seines erschöpften Verstandes.
Die Haut unter seinen Fingerspitzen war warm. Fest. Echt. Kai lachte, das tiefe, freudige Geräusch füllte den Raum. "Wen hast du denn erwartet? Den königlichen Hofnarren?"
"Aber... aber du...", Lloyds Stimme versagte unter der Wucht der Emotion, die in ihm hochstieg. "Du solltest nicht hier sein. Ich habe... ich habe euch alle..."
"Weggeschickt?", Kai hob eine Augenbraue, sein Grinsen wurde breiter. "Ja, das hast du. Und es war die dümmste Entscheidung, die du je getroffen hast. Aber zum Glück für dich sind wir zu stur, um einfach zu verschwinden, nur weil du es so willst."
Lloyd setzte sich auf, die Decken rutschten von seinen Schultern. Sein Herz hämmerte in seiner Brust, schlug so heftig, dass er fürchtete, es könnte aus seinen Rippen brechen. "Ich verstehe nicht. Wie bist du hier? Vater hat gesagt—"
"Dein Vater hat eine Menge gesagt", unterbrach Kai sanft, doch bestimmt. "Aber weißt du was? Wir haben auch eine Menge zu sagen."
Tränen schossen in Lloyds Augen, diesmal nicht aus Trauer, sondern aus purer, ungefilterter Erleichterung. Seine Arme schossen nach vorn, schlangen sich um Kais Hals, zogen ihn in eine verzweifelte Umarmung.
"Kai", schluchzte er in die Schulter seines Leibwächters - nein, seines Freundes, seines Bruders. "Ich habe einen so schrecklichen Fehler gemacht. Ich dachte, ich würde euch beschützen, euch befreien, aber ich habe nur alles noch schlimmer gemacht. Ich bin so leid, so unendlich leid—"
"Schon gut", Kais Arme legten sich fest um Lloyds zitternden Körper, hielten ihn zusammen, als er auseinanderzufallen drohte. "Wir sind hier jetzt. Alles wird gut. Wir lassen dich nie wieder los, verstanden? Nie wieder."
Lloyd klammerte sich an Kai, seine Finger gruben sich in den Stoff von dessen Hemd. Die Umarmung dauerte lange - Minuten vielleicht, die sich wie Stunden anfühlten, gefüllt mit all den unausgesprochenen Worten, all den unterdrückten Emotionen der vergangenen Woche.
Als sie sich schließlich lösten, wischte Kai mit seinem Daumen die Tränenspuren von Lloyds Wangen. "So, und jetzt zieh dich an. Die anderen warten."
"Die anderen?", Lloyds Augen weiteten sich vor Hoffnung. "Du meinst... sie sind alle hier?"
"Natürlich sind sie hier", Kai rollte mit den Augen, doch sein Lächeln war warm. "Glaubst du, wir würden dich ohne komplette Formation retten kommen? Was für Leibwächter wären wir denn dann?"
Lloyd sprang aus dem Bett mit einer Energie, die er seit Tagen nicht mehr gefühlt hatte. Seine Hände griffen nach dem ersten besten Gewand, das er finden konnte, zogen es hastig über seinen Körper. Die Knöpfe waren schief geschlossen, die Falten unordentlich, doch es war ihm gleichgültig. Nichts davon hatte Bedeutung. Das Einzige, was zählte, war seine Freunde zu sehen, sie in die Arme zu schließen, ihnen zu sagen, wie leid ihm alles tat.
Kai führte ihn aus den Gemächern hinaus in die breiten Gänge des Palastes. Die Morgensonne strömte durch die hohen Fenster, tauchte alles in goldenes Licht. Diener, denen sie begegneten, lächelten und verbeugten sich. Gardisten grüßten respektvoll. Alles war normal, friedlich, als wäre die vergangene Woche nur ein böser Traum gewesen.
Sie erreichten einen der privaten Salons im Ostflügel. Kai öffnete die Tür mit einer theatralischen Geste, deutete Lloyd hinein. "Nach dir, Eure Hoheit."
Lloyd durchquerte die Schwelle. Der Salon war erfüllt von Morgenlicht, das durch die großen Fenster flutete. Und dort, verteilt im Raum, standen seine Freunde.
Cole lehnte gegen die Wand, die Arme verschränkt, doch sein Gesicht zeigte ein breites Lächeln. Zane stand aufrecht, die Hände ordentlich vor seinem Körper gefaltet, seine optischen Sensoren leuchteten warm. Jay saß auf der Armlehne eines Sessels, die Beine baumelnd, die Augen glänzten vor kaum verhaltener Aufregung. Und Nya stand in der Mitte des Raumes, die Hände nervös vor ihrer Brust verschränkt, die Lippen zu einem zögerlichen Lächeln geformt.
"Ihr seid alle hier", Lloyd brachte die Worte kaum heraus. "Ihr seid wirklich alle hier."
"Wo sollten wir sonst sein?", Cole stieß sich von der Wand ab, seine tiefe Stimme trug diese vertraute, beruhigende Qualität. "An deiner Seite. Wo wir hingehören."
Jay sprang von der Armlehne herunter, seine Energie kehrte in einem Strudel zurück. "Wir haben eine ganze Woche damit verbracht, einen Plan auszuarbeiten. Okay, hauptsächlich hat Zane den Plan ausgearbeitet, weil er der Einzige ist, der komplexe Strategien entwickeln kann, ohne zwischendurch abgelenkt zu werden. Aber wir haben alle mitgeholfen!"
"Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass wir dich einfach aufgeben würden, betrug null Komma null Prozent", fügte Zane hinzu, eine schwache Andeutung von Humor in seiner ansonsten sachlichen Stimme. "Unsere Bindung basiert nicht auf offiziellen Positionen oder königlichen Dekreten. Sie basiert auf Freundschaft, Familie, Loyalität."
Nya machte einen Schritt nach vorn. Ihre blauen Augen waren feucht. "Lloyd, ich muss mich entschuldigen. Für alles, was ich gesagt habe. Die Art, wie ich es ausgedrückt habe - das war falsch. Ich habe dich verletzt, habe dir das Gefühl gegeben, dass du eine Last bist, ein Problem, das gelöst werden muss. Aber das bist du nicht. Du bist unser Bruder. Und nichts - nichts in dieser Welt - wird das jemals ändern."
Lloyd bewegte sich auf sie zu, seine Schritte beschleunigten sich, bis er rannte. Seine Arme öffneten sich, umfingen Nya in einer Umarmung, die alle Worte ersetzte, die er nicht aussprechen konnte. Sie hielt ihn fest, ihre eigenen Arme schlangen sich um seinen Rücken, drückten ihn an sich.
"Du hattest recht mit allem, was du gesagt hast", flüsterte Lloyd in ihr Haar. "Ich war rücksichtslos, selbstsüchtig, habe nie darüber nachgedacht, wie meine Handlungen euch betreffen."
"Und wir hätten ehrlicher mit dir sein sollen", Nyas Stimme zitterte. "Hätten dir früher sagen sollen, wie wir uns fühlen, anstatt alles in uns aufzustauen, bis es explodiert."
Als sie sich lösten, waren Coles massive Arme bereits dort, zogen Lloyd in die nächste Umarmung. Dann Zane mit seiner präzisen, aber herzlichen Geste. Jay mit seiner überschwänglichen Energie, die Lloyd beinahe von den Füßen riss. Und Kai, der zurückgekehrt war, um sich der Gruppe anzuschließen, legte seine Hand auf Lloyds Schulter mit jenem vertrauten, beschützenden Griff.
"So", Kai grinste, "jetzt, wo wir das geklärt haben - was hältst du davon, wenn wir alle zusammen frühstücken gehen? Ich verhungere hier."
Lloyd lachte, ein Laut, der aus der Tiefe seines Herzens kam, ungefiltert und echt. "Das klingt perfekt."
Sie bewegten sich gemeinsam aus dem Salon hinaus, eine geschlossene Gruppe. Lloyd ging in der Mitte, umgeben von seinen Freunden, seiner Familie. Die Gespräche begannen zu fließen - Jay erzählte eine übertriebene Geschichte über seine neue Erfindung, Cole neckte ihn wegen der technischen Unmöglichkeiten, Zane korrigierte sachlich die physikalischen Fehler, Nya und Kai lachten über die Interaktion. Diener lächelten, als sie die Gruppe sahen, einige murmelten Kommentare über die Freude, die Leibgarde wieder vereint zu sehen. Gardisten grüßten militärisch, doch ihre Augen zeigten Wärme.
Der Speisesaal lag nur noch wenige Meter entfernt. Lloyd konnte bereits das Aroma von frisch gebackenem Brot riechen, hörte das leise Klappern von Geschirr. Sein Herz fühlte sich leichter an, als hätte jemand ein Gewicht von seiner Brust genommen, das er so lange getragen hatte, dass er vergessen hatte, wie es war, frei zu atmen.
Kai erreichte die Tür zuerst, seine Hand legte sich auf den goldenen Griff. Er drehte sich zu Lloyd um, das Grinsen auf seinem Gesicht war breit und echt. "Nach dir, mein Prinz."
Doch hinter der Schwelle lag nicht der vertraute Speisesaal mit seinem langen Tisch und den gedeckten Plätzen. Der Raum war dunkel, beleuchtet nur von flackernden Fackeln an den Wänden. Die Luft war kalt, feucht, roch nach Verfall und Angst. Und in der Mitte des Raumes, gefesselt an fünf Stühle, saßen seine Freunde.
Lloyd blinzelte, sein Verstand weigerte sich zu verstehen, was er sah. Das konnte nicht sein. Das ergab keinen Sinn. Seine Freunde waren hier, standen neben ihm, waren doch gerade erst—
Er drehte sich um. Die Gänge hinter ihm waren verschwunden. Die hohen Fenster, das Morgenlicht, die lächelnden Diener - alles fort. Nur Dunkelheit blieb, eine undurchdringliche Schwärze, die sich in alle Richtungen erstreckte.
"Lloyd?", Kais Stimme kam von vorn, aus dem dunklen Raum. Doch es war nicht die neckende, warme Stimme von vor Momenten. Diese Stimme klang schwach, erschöpft, durchdrungen von Schmerz. "Lloyd, hilf uns. Bitte."
Seine Füße bewegten sich gegen seinen Willen nach vorn, trugen ihn in den Raum hinein. Die Tür schlug hinter ihm zu. Die Fackeln flackerten stärker, enthüllten das volle Ausmaß der Szene vor ihm.
Kai, Cole, Zane, Jay und Nya saßen in der gleichen Formation wie damals, als er das erste Video gesehen hatte. Schwere Eisenketten umschlossen ihre Handgelenke und Knöchel. Doch diesmal waren ihre Augen offen, starrten Lloyd direkt an, flehten um Hilfe, um Rettung.
"Na sieh mal einer an", Lady Aspheera erschien aus den Schatten, die schwarze Krait um ihren Hals geschlungen. Ihre blutroten Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln. "Der kleine Prinz ist endlich zu uns gekommen. Genau rechtzeitig für das Finale."
"Nein", Lloyd schüttelte den Kopf, seine Hände hoben sich vor sein Gesicht, als könnte er damit die Szene ausblenden. "Das ist nicht real. Das ist schon passiert. Morro hat sie gerettet. Sie sind frei. Sie sind—"
"Tot", vollendete Aspheera den Satz mit sadistischer Freude. "Oder werden es bald sein."
Ihre Hand glitt zu der Schlange um ihren Hals, streichelte liebevoll über die glatten Schuppen. Sie bewegte sich zu Kai, die Schlange hob neugierig ihren dreieckigen Kopf. Der Feuermeister zerrte an seinen Ketten, die Muskeln in seinen Armen spannten sich an, doch das Metall gab nicht nach.
"Lloyd", Kais bernsteinfarbene Augen trafen die grünen seines Prinzen, und in ihnen lag keine Wärme mehr, nur Angst und etwas Dunkleres. "Ich habe gelogen. Die ganze Zeit. Ich bin nicht tapfer. Ich habe nie gewusst, was ich tat. Jedes Mal, wenn du in Gefahr warst, hatte ich Todesangst. Ich habe nur so getan, als wäre ich mutig, aber in Wahrheit bin ich ein Feigling."
"Kai, nein—", Lloyd streckte seine Hand aus, doch seine Füße schienen am Boden festgewachsen, unfähig sich zu bewegen.
"Ich konnte nachts nicht schlafen, weil ich ständig dachte, ich würde versagen", Kais Stimme brach. "Und jetzt siehst du es. Ich versage. Ich kann dich nicht beschützen. Ich konnte es nie."
Aspheeras Hand lenkte die Krait zu Kais Hals. Die Schlange schlängelte sich über ihre Finger, ihre Zunge züngelte in Vorfreude. "Was für rührende letzte Worte", säuselte sie.
"NEIN!", Lloyd schrie, sein Körper warf sich nach vorn, doch eine unsichtbare Kraft hielt ihn zurück, ließ ihn nur zusehen, wie die Reißzähne der Schlange sich in Kais Haut bohrten.
Kai keuchte auf, sein Körper verkrampfte sich in den Ketten. Die bernsteinfarbenen Augen rollten nach hinten, Schaum bildete sich an seinen Mundwinkeln. Seine Lippen bewegten sich, formten Worte, die Lloyd nicht hören konnte. Dann erschlaffte sein Körper, der Kopf fiel nach vorn auf die Brust.
"Einer weg", Aspheera zählte fröhlich. "Noch vier übrig."
Sie glitt zu Cole weiter. Der massive Mann zog an seinen Fesseln, die Ketten ächzten unter der Kraft, doch selbst seine neu erworbene Elementarkraft reichte nicht aus. Die Steine um ihn herum glühten orangefarben, doch dann erloschen sie, als wäre die Verbindung zur Erde durchtrennt worden.
"Meine Kräfte...", Cole starrte auf seine Hände in ungläubigem Entsetzen. "Sie sind weg. Ich kann nichts fühlen. Die Erde antwortet nicht mehr."
Die Schlange strich über seine Schulter, ihr Körper schlängelte sich um seinen Hals wie eine lebendige Kette. Cole schloss die Augen, Tränen rannen über seine Wangen. "Lloyd, es tut mir leid. Ich kann nicht—"
Die Reißzähne schlugen zu. Coles massiver Körper zitterte ein letztes Mal, dann war Stille.
Zane saß regungslos auf seinem Stuhl, doch seine leuchtenden Augen zeigten Panik - eine Emotion, die Lloyd nie zuvor in dem Nindroid gesehen hatte. "Meine Systeme werden gehackt", berichtete er mit mechanischer Präzision, selbst in diesem Moment unfähig, seine analytische Natur abzulegen. "Jemand hat Zugriff auf meine Kernfunktionen. Ich... ich kann mich nicht dagegen wehren."
Seine Augen flackerten, das Leuchten wurde schwächer. "Lloyd, bitte erinnere dich an uns. An die guten Zeiten. Nicht an—" Seine Stimme schnitt ab, die Augen erloschen vollständig, sein Körper sackte in sich zusammen wie eine Marionette mit durchtrennten Fäden.
"Nein, nein, nein", Lloyd hörte sich selbst murmeln, ein manisches Gebet, das nichts änderte. "Das kann nicht passieren. Das darf nicht passieren."
Jay war der Nächste. Der kleinere Mann schluchzte bereits, bevor Aspheera ihn auch nur erreichte. "Bitte", die Worte sprudelten aus ihm heraus in einem verzweifelten Strom. "Ich will nicht sterben. Ich bin noch nicht... es gibt so viel, das ich noch tun wollte. Nya und ich wollten heiraten. Wir hatten Pläne. Ich wollte alt werden mit ihr, wollte Kinder haben, wollte meinen Enkeln von unseren Abenteuern erzählen."
Tränen und Rotz liefen über sein Gesicht, seine Stimme stieg zu einem hysterischen Kreischen an. "Ich will leben! Bitte, Lloyd, tu etwas! Du hast all diese Kräfte, all diese Macht - BENUTZE SIE! Rette uns! Ich flehe dich an, ich—"
Die Schlange biss zu, und Jays Flehen verwandelte sich in ein gurgelndes Röcheln. Sein Körper zuckte in den letzten Sekunden seines Lebens, dann war er still.
Nur noch Nya blieb. Sie saß am Ende der Reihe, ihr Gesicht eine Maske aus kalter Wut. Keine Tränen, kein Flehen.
"Das ist alles deine Schuld", ihre Worte schnitten tiefer als jede Klinge es hätte können. "Jeder einzelne Tod. Kai, Cole, Zane, Jay - sie sind wegen dir gestorben. Weil du zu schwach warst. Zu selbstsüchtig. Zu verdammt unfähig, die richtigen Entscheidungen zu treffen."
"Nya, bitte...", Lloyd Stimme war kaum mehr als ein Wimmern.
"Du hättest uns nie zu deinen Leibwächtern machen sollen", fuhr sie unbarmherzig fort. "Du hättest uns wegschicken sollen, bevor es zu spät war. Aber nein, du brauchtest uns. Du konntest nicht allein sein. Und jetzt sind sie tot. Und das Blut klebt an deinen Händen, Lloyd."
Die Schlange bewegte sich zu ihr, doch Nya wich nicht zurück, hielt Lloyds Blick gefangen bis zum Ende. "Ich hoffe, du kannst damit leben", waren ihre letzten Worte, bevor das Gift ihre Adern füllte.
Lloyd sank auf die Knie. Um ihn herum lagen die leblosen Körper seiner Familie, seiner Freunde, der Menschen, die er mehr geliebt hatte als sein eigenes Leben. Aspheera stand inmitten der Leichen, triumphierend, die Schlange zufrieden um ihren Hals gerollt.
"Und nun bist du allein", verkündete sie. "Genau wie es sein sollte. Das ist dein Vermächtnis, Lloyd Garmadon."
Lloyd öffnete seinen Mund zu einem Schrei—
—und erwachte.
Lloyd saß aufrecht in seinem Bett, ein erstickter Schrei hing in seiner Kehle gefangen. Schweiß bedeckte jeden Zentimeter seiner Haut, durchnässte sein Nachthemd, ließ den Stoff an seinem zitternden Körper kleben. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen, schlug so wild und unregelmäßig, dass er fürchtete, es würde einfach aufhören.
Seine Hände flogen zu seinem Gesicht, die Finger tasteten über seine Wangen, seinen Mund, seine Augen — überprüften, ob er real war, ob dies hier real war. Die Gemächer um ihn herum materialisierten sich langsam aus der Dunkelheit. Die vertrauten Möbel. Die schweren Vorhänge seines Himmelbetts. Das schwache Licht des Mondes, das durch die Fenster sickerte.
Ein Albtraum. Es war nur ein Albtraum gewesen.
Doch die Erleichterung, die diese Erkenntnis hätte bringen sollen, kam nicht. Stattdessen blieb nur der nagende Schmerz der Wahrheit, die in dem Alptraum gelauert hatte — in der realen Welt waren seine Freunde zwar nicht tot, doch sie waren fort. Nicht wegen Aspheeras Gift, nicht wegen einer tödlichen Bedrohung, sondern wegen ihm. Wegen seiner Entscheidung. Wegen der Worte, die er gesprochen hatte, die Entfernung, die er erschaffen hatte.
Lloyd zog seine Knie an die Brust, schlang seine Arme um seine Beine, machte sich so klein wie möglich. Die Tränen kamen heiß und reichlich, strömten über seine Wangen, tropften auf das durchnässte Leinen seines Nachthemds in der Frage, ob die Alpträume jemals endeten, oder ob manche Träume nur Vorschatten dessen waren, was noch kommen würde.
Die nächsten Tage vergingen in einem grauen Nebel aus Pflichten und mechanischen Routinen. Lloyd erhob sich jeden Morgen, ließ sich von stummen Dienern ankleiden, nahm an Meetings teil, bei denen die Worte durch sein Bewusstsein glitten ohne Spuren zu hinterlassen. Die neuen Leibwächter standen an den vorgeschriebenen Positionen, sprachen nur wenn nötig, erfüllten ihre Aufgaben mit tadelloser Präzision. Doch jedes Mal, wenn Lloyd die Abzeichen an ihren Rüstungen sah, erinnerte ihn das schmerzhafte Echo daran, wen sie ersetzt hatten.
König Garmadon beobachtete seinen Sohn mit zunehmender Besorgnis. Die dunklen Schatten unter Lloyds Augen vertieften sich mit jedem Tag. Die Mahlzeiten kehrten kaum angerührt zurück in die Küchen. Die Antworten auf Fragen wurden einsilbiger, die Lächeln seltener und gezwungener.
Am vierzehnten Tag nach der Entlassung der Leibgarde beschloss Garmadon zu handeln. Eine Einladung war eingetroffen - die jährliche Herbstgala im Anwesen der Familie Borg, einem der einflussreichsten Technikunternehmen des Königreichs. Normalerweise hätte Garmadon diese gesellschaftliche Verpflichtung allein wahrgenommen, doch diesmal sah er darin eine Gelegenheit. Lloyd brauchte eine Ablenkung, eine Veränderung der Umgebung, irgendetwas, das ihn aus dem Käfig seiner eigenen Gedanken befreien könnte.
"Die Limousine wartet, mein Sohn", verkündete Garmadon am Abend der Gala, als er in Lloyds Gemächern erschien.
Lloyd saß am Fenster, starrte hinaus in die beginnende Dämmerung. "Ich bin nicht in der Stimmung für gesellschaftliche Anlässe, Vater", seine Stimme klang müde, ausgelaugt.
"Ich weiß", Garmadon legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes. "Doch manchmal ist es gerade dann wichtig, hinauszugehen, wenn wir uns am liebsten verstecken würden. Die Familie Borg erwartet uns beide. Es wäre eine schwere Beleidigung, sollten wir fernbleiben."
Lloyd schloss die Augen, atmete tief durch. Die Vorstellung, in einen Raum voller lachender, plaudernder Menschen zu gehen, war beinahe unerträglich. Doch die Pflicht rief, wie sie es immer tat. Mit einem resignierten Nicken erhob er sich vom Fenstersitz.
Die königliche Limousine stand im Innenhof. Türkis und Orange nahmen ihre Positionen auf den Vordersitzen ein, ihre Haltungen militärisch korrekt. Pink, Lila und Gelb würden in einer zweiten Limousine folgen.
Für mehrere Minuten herrschte Schweigen. Garmadon betrachtete seinen Sohn. Lloyd saß zusammengesunken auf der gegenüberliegenden Bank, die Hände im Schoß gefaltet, den Blick auf einen Punkt am Boden gerichtet. Die goldblonden Locken waren perfekt frisiert, das Gewand tadellos - doch die Augen, diese einst so lebendigen grünen Augen, zeigten eine Leere, die Garmadon das Herz brach.
"Lloyd", begann der König vorsichtig, seine Stimme nahm den sanfteren Ton eines Vaters an, nicht die Autorität eines Monarchen. "Wir müssen reden."
"Über was gibt es zu reden?", kam die hohle Antwort.
"Schau dich an, mein Sohn", Garmadon lehnte sich nach vorn, die Hände auf seine Knie gestützt. "Du isst nicht mehr. Du schläfst nicht mehr. Die Lehrer berichten mir, dass deine Konzentration völlig verschwunden ist.
Lloyd hob endlich seinen Kopf, seine Augen trafen die seines Vaters. "Was erwartest du von mir? Dass ich so tue, als wäre alles in Ordnung? Dass ich lächle und nicke und so tue, als hätte ich nicht gerade die wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren?"
"Du hast sie nicht verloren", widersprach Garmadon eindringlich. "Sie leben noch. Sie denken an dich, sorgen sich um dich—"
"Sie hassen mich", unterbrach Lloyd bitter. "Und sie haben jedes Recht dazu. Ich habe ihre Freundschaft genommen, ihre Jahre des Dienstes, ihre Loyalität - und habe sie weggeworfen, als wären sie wertlos."
"Sie hassen dich nicht", Garmadons Stimme wurde fester. "Ich habe mit jedem von ihnen gesprochen. Kai war wütend, ja - doch seine Wut richtet sich gegen mich, nicht gegen dich. Er glaubt, ich hätte dich zu dieser Entscheidung gedrängt. Cole ist besorgt, fragt jeden Tag nach deinem Wohlergehen. Zane hat eine komplette Analyse deiner emotionalen Muster erstellt und mir mehrere Empfehlungen für Interventionen gegeben. Jay hat mir drei Briefe geschrieben, in denen er mich anfleht, euch wieder zusammenzubringen. Und Nya—"
Garmadon zögerte, seine Stimme wurde weicher. "Nya weint sich jede Nacht in den Schlaf, laut den Berichten. Sie gibt sich selbst die Schuld für alles, glaubt, dass ihre Worte diese ganze Situation ausgelöst haben."
Lloyd wandte den Blick ab, doch nicht bevor Garmadon die frischen Tränen sah, die sich in den Augenwinkeln seines Sohnes sammelten. "Das sollte sie nicht", flüsterte er. "Ich habe ihnen ihr Leben zurückgegeben. Sie sollte frei sein, von der Last meiner Existenz."
Garmadon seufzte tief. "Lloyd, ich habe einen Fehler gemacht. Ich dachte, ich würde die richtige Entscheidung treffen, würde deinem Wunsch folgen, ihnen ein Leben ohne ständige Angst ermöglichen. Doch ich habe nicht verstanden - oder wollte nicht verstehen - dass ihre 'Last', wie du es nennst, nicht wirklich eine Last für sie war. Es war ihre Wahl. Ihre bewusste, freiwillige Entscheidung, an deiner Seite zu stehen."
Die Limousine schaukelte über eine besonders unebene Stelle in der Straße, ließ beide Insassen leicht zur Seite schwanken. Garmadon fing sich, die Hände griffen nach den Haltegriffen an der Decke. Lloyd ließ sich einfach mit der Bewegung im Gurt rollen, als hätte er die Energie verloren, sich selbst zu stabilisieren.
"Ich kann die Entscheidung rückgängig machen", bot Garmadon an. "Ich kann ein neues Dekret erlassen. Morgen könnten sie wieder an deiner Seite sein. Die neuen Leibwächter können in andere Positionen versetzt werden. Niemand muss entlassen werden, niemand muss gedemütigt werden. Es wäre eine einfache Umstrukturierung."
Lloyds Kopf schnellte hoch, Hoffnung flackerte für einen Herzschlag in seinen Augen auf. Doch dann erlosch das Licht ebenso schnell, wie es erschienen war. "Nein", das Wort kam fest. "Was geschehen ist, ist geschehen. Ich kann nicht ständig meine Meinung ändern, kann nicht heute eine Entscheidung treffen und sie morgen revidieren, nur weil sie sich schwieriger anfühlt, als ich erwartet hatte. Das wäre schwach. Das wäre kindisch."
"Das wäre menschlich", korrigierte Garmadon sanft. "Menschen machen Fehler, Lloyd. Selbst Prinzen. Selbst Könige. Die wahre Stärke liegt nicht darin, stur an falschen Entscheidungen festzuhalten, sondern darin, sie zu erkennen und zu korrigieren."
Lloyd schüttelte den Kopf, die goldblonden Locken bewegten sich bei der Geste. "Nya hatte recht mit allem, was sie sagte. Ich bin rücksichtslos, stürze mich in Gefahren ohne an die Konsequenzen zu denken, ohne daran zu denken, wie es die Menschen beeinflusst, die sich um mich sorgen. Sie verdienen ein Leben ohne diese ständige Sorge."
"Und du verdienst ein Leben ohne diese ständige Einsamkeit", konterte Garmadon. "Schau, was diese Trennung mit dir macht. Du bist ein Schatten deiner selbst geworden. Die Freude ist aus deinen Augen verschwunden, das Lachen verstummt. Ist das wirklich besser? Ist das wirklich die Lösung?"
"Es wird besser werden", behauptete Lloyd mit einer Überzeugung, die er nicht fühlte. "Mit der Zeit werde ich mich an die neuen Leibwächter gewöhnen. Sie werden lernen, meine Gewohnheiten zu verstehen. Es wird nicht dasselbe sein, doch es wird funktionieren."
Garmadon öffnete seinen Mund zu einer weiteren Erwiderung, doch in diesem Moment verlangsamte sich die Limousine. Stimmen drangen von außen herein - die gedämpften Rufe von Türkis, der mit anderen Gardisten sprach.
"Wir sind angekommen", stellte Garmadon fest, seine Stimme nahm wieder den formelleren Ton an, den er in der Öffentlichkeit verwendete. "Dieses Gespräch ist noch nicht beendet, Lloyd. Wir werden es später fortsetzen."
Lloyd nickte mechanisch, seine Hände glätteten automatisch die Falten in seinem Gewand. Die Tür der Limousine schwang auf, enthüllte die imposante Fassade des Borg-Anwesens.
Türkis stand neben der geöffneten Tür, seine Hand ausgestreckt in der formellen Geste eines Leibwächters, der seinen König beim Aussteigen assistieren wollte. Garmadon akzeptierte die angebotene Hilfestellung, seine eigene Hand legte sich auf die des Leibwächters, nutzte den zusätzlichen Halt, um mit königlicher Würde aus der schwankenden Limousine zu steigen.
Orange erschien auf der anderen Seite, bot dem Prinzen die gleiche Unterstützung. Lloyd ignorierte die ausgestreckte Hand und stieg selbst aus dem Gefährt. Orange zog ihre ignorierte Hand zurück, kehrte ohne Kommentar in ihre Wachposition zurück. Lloyds Blick wanderte nach oben - immer weiter nach oben - bis sein Nacken schmerzte von der Anstrengung.
Das Borg-Hochhaus erhob sich vor ihnen wie ein Monument menschlicher Ingenieurskunst und technologischen Fortschritts. Die Struktur ragte in den Abendhimmel empor, ihre Spitze durchstieß die tief hängenden Wolken und verschwand in der Dämmerung. Es war das höchste Gebäude in ganz Ninjago, ein architektonisches Wunderwerk, dessen Konstruktion erst vor wenigen Monaten abgeschlossen worden war. Die Fassade bestand aus glattem, reflektierendem Glas, das in geometrischen Mustern angeordnet war und das Licht der untergehenden Sonne in tausend verschiedene Richtungen brach. Goldene und silberne Akzente zogen sich über die Außenwände, bildeten kunstvolle Linien, die das Auge nach oben führten, immer höher, bis der Betrachter beinahe schwindelig wurde von der schieren Größe des Bauwerks.
Am Fuß dieses architektonischen Kolosses wartete ein Empfangskomitee. Ein breiter grüner Teppich erstreckte sich vom Haupteingang bis zu der Stelle, wo die königliche Limousine zum Stehen gekommen war. Zu beiden Seiten des Teppichs hatten sich Reihen von Bediensteten des Borg-Konzerns aufgestellt, ihre Haltungen waren respektvoll, ihre Gesichter zeigten professionelle Freundlichkeit.
An der Spitze dieses Empfangskomitees saß eine Gestalt in einem hochmodernen Rollstuhl. Dr. Cyrus Borg war ein Mann mittleren Alters, deren Körper von einer geburtsbedingten Bewährung beeinträchtigt war, dessen Geist jedoch zu den brillantesten des gesamten Königreichs zählte. Der Rollstuhl unter ihm war sein Meisterwerk der Ingenieurskunst - konstruiert aus leichtem, doch unglaublich stabilem Metall, ausgestattet mit einem eigenen Antriebssystem, das so leise arbeitete, dass man es kaum hörte, und versehen mit unzähligen kleinen technischen Raffinessen, die das Leben seines Benutzers erleichterten.
Dr. Borg trug einen schwarzen Rollkragenpullover unter seinem makellosen grauen Anzug. Sein Gesicht war gezeichnet von Lachfalten um die Augen und tieferen Linien auf der Stirn - Spuren jahrelanger Konzentration auf komplexe Probleme. Die schwarzen Haare waren ordentlich zurückgekämmt, hinter einer grauen Brille funkelten helle, wache Augen voller Neugierde und Intelligenz.
Neben ihm stand seine Ehefrau, Miss Dr. Borg, die königliche Palastärztin, deren medizinische Fähigkeiten in Ninjago City bekannt und respektiert waren. Sie trug ein elegantes Abendkleid in tiefem Violett, das ihre schlanke Figur vorteilhaft umschmeichelte. Ihre dunklen Haare waren zu einem kunstvollen Knoten hochgesteckt, durchzogen mit silbernen Nadeln, die im Licht funkelten. Ihr Gesicht zeigte die sanften Züge einer Frau, die ihr Leben dem Heilen und Helfen gewidmet hatte.
Die dritte Gestalt in der Begrüßungsformation war ihre Tochter - obwohl das Wort 'Tochter' in diesem Fall eine weitreichendere Bedeutung trug, die über biologische Bande hinausging. Pixal stand aufrecht neben dem Rollstuhl ihres Vaters, ihre Haltung zeigte jene perfekte Ausrichtung, die nur ein mechanisches Wesen erreichen konnte. Jeder Winkel ihres Körpers war präzise kalkuliert, ihre Wirbelsäule bildete eine absolut gerade Linie vom Scheitel bis zur Hüfte, ihre Schultern waren exakt horizontal ausgerichtet.
Das silberne Haar der jungen Androidin war zu einem kunstvollen Hochzopf gebunden. Ein akkurat geschnittener Pony rahmte ihre Stirn ein, die einzelnen Strähnen fielen in gleichmäßigen Linien über ihre Augenbrauen. Zu beiden Seiten ihres Gesichts hatten sich mehrere feinere Strähnen gelöst - oder waren bewusst so arrangiert worden - und umspielten ihre Wangen in sanften Bögen, verliehen ihrer ansonsten so perfekten Erscheinung einen Hauch von Natürlichkeit.
Ihre Augen leuchteten in einem hellen, fast ätherischen Grün, das von innen heraus zu strahlen schien. Die Iris glühte mit einer sanften Lumineszenz, die nichts Hartes oder Mechanisches an sich hatte, sondern eine beinahe beruhigende Qualität ausstrahlte. Diese Augen waren eines von Dr. Borgs Meisterwerken - sie konnten nicht nur sehen, sondern analysierten, scannten, erfassten Details, die menschlichen Augen entgehen würden, und das alles, ohne dass ein Beobachter das Gefühl hatte, von einer Maschine taxiert zu werden.
Anstelle eines traditionellen Abendkleides, trug Pixal einen eleganten Jumpsuit in einem tiefen Lila, das fast an die Farbe reifer Auberginen erinnerte. Das Kleidungsstück war ärmellos geschnitten, ließ ihre Arme vollständig frei und enthüllte die glatte, metallische Oberfläche ihrer künstlichen Haut. Die rechte Schulter wurde von einem breiten Stoffband bedeckt, das über ihre Brust verlief und auf der linken Seite befestigt war, die linke Schulter jedoch lag vollkommen frei und zeigte ohne Scham oder Verlegenheit die weiße, leicht schimmernde Metalllegierung, aus der ihr Körper konstruiert war.
In ihren Händen ruhte ein flaches, rechteckiges Tablet. Ihre schlanken Finger glitten mit müheloser Geschwindigkeit über die Oberfläche, tippten Notizen ein, riefen Listen auf, koordinierten Details mit einer Effizienz, die beeindruckend war. Das Tablet war ihr ständiger Begleiter, ihr Organisationswerkzeug, das digitale Gehirn, das ihr half, die unzähligen Aufgaben zu verwalten, die mit einer Veranstaltung dieser Größenordnung einhergingen.
Im normalen Alltag diente Pixal als persönliche Assistentin von König Garmadon im Palast von Ninjago City. Sie verwaltete den königlichen Terminkalender, koordinierte Meetings zwischen verschiedenen Abteilungen der Regierung, bereitete Briefings vor, archivierte wichtige Dokumente, und fungierte als Bindeglied zwischen dem König und den unzähligen Personen, die seine Aufmerksamkeit benötigten. Ihre mechanische Natur - die Fähigkeit, nie zu ermüden, nie abgelenkt zu werden, nie einen Termin zu vergessen - machte sie zur idealen Person für diese Position.
Dr. Borg bewegte seinen Rollstuhl mit einer sanften Bewegung seiner Hand über die integrierten Steuerungen vorwärts. Das leise Surren der elektrischen Motoren war kaum hörbar, untermalt vom Rauschen des Windes und den gedämpften Gesprächen der versammelten Gäste in der Nähe.
"König Garmadon", Dr. Borgs Stimme trug die warme, einladende Qualität eines Gastgebers, der sich aufrichtig über den Besuch seiner Gäste freute. Seine Hand hob sich in einer Geste des Willkommens. "Es ist mir eine außerordentliche Ehre, Euch und den Kronprinzen heute Abend in unserem bescheidenen Anwesen begrüßen zu dürfen."
König Garmadon bewegte sich die wenigen Schritte über den Teppich, seine Hand streckte sich aus und umfasste die von Dr. Borg in einem festen Händedruck. "Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, alter Freund", erwiderte er mit aufrichtiger Herzlichkeit. "Dein Anwesen mag vieles sein, doch 'bescheiden' gehört definitiv nicht zu den passenden Beschreibungen."
Seine freie Hand deutete auf die imposante Struktur über ihnen. "Jedes Mal, wenn ich dieses architektonische Wunderwerk sehe, bin ich aufs Neue beeindruckt von dem, was der menschliche Erfindungsgeist erschaffen kann."
Dr. Borg lachte. "Ihr seid zu gütig. Doch die wahre Schönheit dieses Gebäudes liegt nicht in seiner Höhe, sondern in seiner Funktion. Jedes Stockwerk dient einem Zweck, jede technische Innovation wurde entwickelt, um das Leben der Menschen zu verbessern."
Seine Augen wanderten zu Lloyd, der einige Schritte hinter seinem Vater stand. "Prinz Lloyd", Dr. Borg neigte seinen Kopf in einer respektvollen Verbeugung, so weit seine sitzende Position es erlaubte, "wie schön, Euch wiederzusehen. Ihr seid gewachsen seit unserem letzten Treffen - sowohl an Statur als auch, wie ich höre, an Weisheit und Verantwortung."
Lloyd zwang seine Lippen zu einem Lächeln. "Dr. Borg", seine Stimme klang flach, automatisch, wie ein Schauspieler, der seine Zeilen rezitierte. "Ich danke Euch für die Einladung."
Miss Dr. Borg löste sich von ihrer Position neben Dr. Borg, ihre Schritte trugen sie zu Lloyd. Ihre scharfen medizinischen Augen studierten sein Gesicht mit der Gründlichkeit einer Ärztin, die jahrelange Erfahrung darin hatte, Symptome zu erkennen, die andere übersahen. Die Art, wie ihre Augenbrauen sich minimal zusammenzogen, die subtile Vertiefung der Falte zwischen ihren Brauen, verriet, dass ihr Lloyds Zustand nicht entgangen war.
"Eure Hoheit", ihre Stimme trug die professionelle Wärme einer Heilerin, die gleichzeitig Distanz wahrte und Fürsorge ausstrahlte. "Ich hoffe, Ihr habt die Medikamente eingenommen, die ich Euch verschrieben habe? Die Kopfschmerzen sollten nachgelassen haben, falls Ihr den Anweisungen gefolgt seid."
"Ich... ja", Lloyd nickte mechanisch, doch beide wussten, dass er log. Die Tabletten lagen unberührt in seinem Nachtschrank, vergessen zwischen all den anderen Dingen, die er nicht mehr zu tun schien.
Pixals leuchtende grüne Augen hoben sich von ihrem Tablet, ihr Blick glitt über König Garmadon. "Eure Majestät", ihre Stimme hatte eine melodische Qualität, synthetisiert und doch angenehm für das menschliche Ohr. "Es ist schön, Euch außerhalb des Palastes zu sehen." Ihre leuchtenden grünen Augen wanderten zu Lloyd, die Sensoren registrierten jedes Detail seines Erscheinungsbildes, analysierten seine Körperhaltung, seine Gesichtszüge, die physiologischen Anzeichen von Stress und Erschöpfung. "Prinz Lloyd", fügte sie hinzu, ihr Ton nahm eine sanftere Note an.
"Es ist schön, dich zu sehen, Pixal", die Worte kamen leise, doch diesmal trugen sie eine Wärme in sich, die seine vorherigen höflichen Floskeln vermissen ließen. Lloyds grüne Augen leuchteten für einen Herzschlag heller auf, als er die Androidin ansah - eine Spur echten Lebens kehrte in sein Gesicht zurück. Von allen Menschen, die ihm heute begegnet waren, war Pixal vielleicht die Einzige, deren Anwesenheit ihm keinen Schmerz bereitete, keine schmerzhafte Erinnerung an das hervorrief, was er verloren hatte.
Pixals leuchtende grüne Iris schimmerten sanfter, ihre Lippen formten ein Lächeln. "Die Freude ist ganz meinerseits, Prinz Lloyd", erwiderte sie warm.
"Dann lasst uns nicht länger im Freien verweilen", Dr. Borg deutete mit einer einladenden Geste zum Haupteingang des Hochhauses, sein Rollstuhl drehte sich geschmeidig in die angezeigte Richtung. "Die Gala hat bereits begonnen, und ich bin sicher, die anderen Gäste würden sich freuen, Eure Anwesenheit zu genießen."
Die massiven Glastüren des Haupteingangs öffneten sich automatisch bei ihrer Annäherung, glitten lautlos in unsichtbare Wandtaschen und gewährten Zutritt zu einer Welt, die Lloyd den Atem raubte. Der Empfangsbereich erstreckte sich über mehrere Stockwerke in die Höhe, eine atemberaubende Kathedrale der modernen Architektur und technischen Innovation. Die Wände bestanden aus poliertem Silber und makellosen Glasflächen, die das Licht in tausend verschiedene Richtungen reflektierten und ein schimmerndes, fast überirdisches Ambiente schufen.
Über ihnen schwebten filigrane Konstruktionen aus Metall und Kristall - mobile Kunstwerke, die sich langsam im sanften Luftzug der Klimaanlage drehten und tanzende Lichtmuster auf die Böden und Wände warfen. Holografische Displays schwebten an strategischen Punkten im Raum, zeigten Informationen über die verschiedenen Projekte des Borg-Konzerns - Prototypen für umweltfreundliche Energiesysteme, Designs für verbesserte medizinische Geräte, Konzepte für Transportmittel der Zukunft. Die Bilder wechselten in sanften Übergängen, begleitet von leisem, harmonischem Summen, das mehr Musik war als mechanisches Geräusch.
Entlang der Wände verliefen transparente Röhren, durch die leuchtende Flüssigkeiten in verschiedenen Farben flossen - blau, grün, gold - ein Kühlsystem, wie Pixal später erklären würde, das gleichzeitig funktional und ästhetisch ansprechend gestaltet war. Die Flüssigkeiten bewegten sich in hypnotischen Mustern, stiegen auf, sanken hinab, teilten sich in kleinere Ströme und vereinigten sich wieder zu größeren Flüssen aus Licht und Farbe.
Lloyd konnte nicht verhindern, dass seine Augen sich weiteten, dass sein Kopf sich nach allen Seiten drehte, dass seine Lippen sich zu einem ungläubigen Staunen öffneten. Die schiere Schönheit und Komplexität dessen, was ihn umgab, durchbrach für einen Moment den grauen Nebel, der seine Gedanken seit Tagen gefangen gehalten hatte. Hier war etwas, das größer war als sein eigener Schmerz, das ihn zwang, außerhalb seiner selbst zu blicken und die Wunder zu sehen, die Menschen erschaffen konnten, wenn sie ihrer Kreativität freien Lauf ließen.
"Beeindruckend, nicht wahr?", Dr. Borg hatte seinen Rollstuhl gedreht, beobachtete Lloyds Reaktion mit einem zufriedenen Lächeln, das die Falten um seine Augen vertiefte. Die Art, wie der junge Prinz sein Umfeld aufsog, mit dieser kindlichen Ehrfurcht, die so selten geworden war in einer Welt voller Zynismus und Pflichterfüllung - das war der Lohn für all die Jahre harter Arbeit, die in dieses Gebäude geflossen waren.
"Es ist... überwältigend", gab Lloyd zu, die erste echte Emotion schwang in seiner Stimme mit seit Stunden, vielleicht seit Tagen. Seine Finger hoben sich, als wollten sie nach einem der schwebenden Hologramme greifen, zogen sich dann aber zurück, unsicher, ob eine Berührung erlaubt war.
"Das ist die Absicht", Dr. Borg nickte anerkennend. "Technologie sollte nicht nur funktional sein, sie sollte auch inspirieren. Sie sollte uns daran erinnern, dass wir mehr sind als nur Fleisch und Knochen - wir sind Träumer, Schöpfer, Visionäre. Jedes Element in diesem Raum erfüllt einen Zweck, doch gleichzeitig erzählt es eine Geschichte über das, was die Menschheit erreichen kann, wenn Wissenschaft und Kunst zusammenkommen."
Der Gedanke an Träume und Visionen ließ etwas in Lloyds Brust zusammenziehen. Einst hatte er selbst Träume gehabt - nicht nur die königlichen Pflichten und Verantwortlichkeiten, die seit seiner Geburt auf ihm lasteten, sondern echte, persönliche Träume. Eine Zukunft, in der er von Menschen umgeben war, die er liebte, die ihn liebten. Eine Zukunft voller Lachen und gemeinsamer Abenteuer. Eine Zukunft, die er mit eigenen Händen zerstört hatte.
Lloyd zwang die aufsteigenden Emotionen zurück hinunter, verschloss sie hinter der mittlerweile so vertrauten Maske aus höflicher Neutralität. Niemand sollte sehen, wie sehr ihn Dr. Borgs Worte getroffen hatten, niemand sollte die Wunde erkennen, die noch immer offen und blutend in seinem Herzen klaffte. Türkis und Orange bildeten die vordere Formation, Pink, Lila und Gelb die hintere. Ihre Schritte waren synchronisiert, ihre Augen bewegten sich konstant über die Umgebung, suchten nach potentiellen Bedrohungen selbst hier, im Haus eines der treuesten Verbündeten der Krone.
"Die Aufzüge befinden sich auf der anderen Seite der Eingangshalle", Pixal deutete mit ihrer freien Hand auf zwei massive, silberne Türen auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes. "Die Gala findet auf der obersten Etage statt - dem siebenundachtzigsten Stockwerk. Von dort aus hat man einen unvergleichlichen Ausblick über ganz Ninjago City."
Als sie die Aufzüge erreichten, drückte Pixal einen subtil in die Wand eingelassenen Knopf. Ein leises, melodisches Ping ertönte, und die linke der beiden silbernen Türen glitt auf, enthüllte eine Kabine, deren Inneres aus dem gleichen reflektierenden Material bestand wie die Außenwände des Gebäudes.
Die Familie Borg, Garmadon und Lloyd begaben sich in die offenen Aufzugkabine. Das Innere war geräumiger als Lloyd erwartet hatte, ein perfektes Quadrat von etwa vier Metern Seitenlänge. Die Wände bestanden aus dem gleichen verspiegelten Material wie das Äußere des Gebäudes, reflektierten die Gesichter der Insassen in leicht verzerrten, künstlerischen Winkeln. Dr. Borg räusperte sich zu den zehn Leibwächtern, die ihre Positionen um die königliche Delegation herum eingenommen hatten. Seine Hand hob sich in einer höflichen, aber bestimmten Geste, die um Aufmerksamkeit bat ohne zu fordern.
"Ich muss darauf hinweisen", begann er mit der sachlichen Stimme eines Ingenieurs, der technische Limitationen erklärte, "dass dieser Aufzug eine Gewichtsgrenze von achthundert Kilogramm hat. Mit König Garmadon, Prinz Lloyd, meiner Familie und mir sind wir bereits an der oberen Grenze dessen, was die Motoren sicher tragen können. Die zusätzliche Last von zehn vollgerüsteten Leibwächtern würde diese Grenze bei Weitem überschreiten."
Die Gardisten von König Garmadon reagierten augenblicklich. Ihre jahrelange Ausbildung hatte sie gelehrt, Befehle ohne Diskussion zu befolgen, technische Einschränkungen zu respektieren, pragmatische Lösungen zu finden. Der Anführer der Wachformation nickte knapp, seine Hand hob sich in einer schnellen Geste zu seinen Kollegen. Die fünf Männer drehten sich synchron um, ihre Stiefel klapperten auf dem polierten Boden, bewegten sich mit zielstrebigen Schritten zur weiteren Aufzugtür, die bereits mit einem melodischen Ping ihre Ankunft ankündigte.
Lloyds neue Leibgarde jedoch zögerte. Türkis' bernsteinfarbene Augen verengten sich, seine Kiefer spannten sich an in einer Bewegung, die Unbehagen verriet.
"Mit allem gebührenden Respekt, Dr. Borg", Türkis' Stimme behielt ihren professionellen Ton bei, doch darunter schwang eine Note des Unwillens, "unsere primäre Direktive erlaubt es uns nicht, Seine Hoheit aus unserem unmittelbaren Sichtfeld zu entlassen. Nicht einmal für die Dauer einer Aufzugfahrt."
Dr. Borg seufzte leise, doch sein Lächeln blieb geduldig, verständnisvoll. Er hatte mit dieser Reaktion gerechnet - neue Leibwächter waren immer übereifriger, klammerten sich strenger an die Regeln, hatten noch nicht die Erfahrung entwickelt, die es ihnen erlaubte, Situationen nuanciert zu bewerten. "Ich verstehe eure Bedenken vollkommen", erwiderte er mit ruhiger Autorität. "Doch lasst mich euch versichern - der Prinz ist in bester Gesellschaft."
Seine Hand deutete auf die Kabine hinter sich, auf die glänzenden Wände und die komplexe Technologie, die in jedem Zentimeter dieses Aufzugs verbaut war. "Darüber hinaus ist dieser Aufzug mit den modernsten Sicherheitssystemen ausgestattet, die die Wissenschaft zu bieten hat. Redundante Stahlseile - vier separate Kabel, jedes einzelne stark genug, um die gesamte Last allein zu tragen. Automatische Notbremsen, die bei der geringsten Abweichung von der normalen Geschwindigkeit aktivieren. Stabilisatoren, die jede Schwankung ausgleichen und die Kabine in perfekter Balance halten."
Dr. Borgs Stimme nahm einen beruhigenden Tonfall an, jedes Wort sorgfältig gewählt, um die Ängste der nervösen Leibwächter zu zerstreuen. "Selbst im absolut unwahrscheinlichen Fall eines technischen Defekts - und ich betone das Wort 'unwahrscheinlich' mit allem Nachdruck, den ich aufbringen kann - würde dieser Aufzug nicht abstürzen. Die Sicherheitsmechanismen würden greifen, die Notbremsen würden aktivieren, und die Kabine würde kontrolliert zum nächstgelegenen Stockwerk absteigen. Dort könnten die Passagiere sicher aussteigen und über die Notfalltreppen weitergehen."
Er legte seine Hand auf sein Herz, eine Geste aufrichtiger Zusicherung. "Ich garantiere persönlich für die Sicherheit des Prinzen. Mein gesamter Ruf, mein Lebenswerk, meine Integrität als Ingenieur - all das steht hinter dieser Garantie. Falls ihr Lloyd nicht vertraut in meine Obhut zu geben, dann vertraut wenigstens der Technologie, die ich geschaffen habe."
Lloyd beobachtete den Austausch mit einer Mischung aus Resignation und innerlicher Erschöpfung. Seine Gedanken wanderten unwillkürlich zurück zu Kai, Cole, Zane, Jay und Nya - wie sie reagiert hätten in einer solchen Situation. Kai hätte wahrscheinlich ein lockeres Grinsen aufgesetzt und einen sarkastischen Witz über die Gewichtsverteilung gemacht. Cole hätte die Situation mit einem Schulterzucken akzeptiert, sein Vertrauen in die Kompetenz anderer war immer groß gewesen. Zane hätte eine detaillierte Analyse der Sicherheitssysteme durchgeführt und seine Zustimmung basierend auf statistischen Wahrscheinlichkeiten gegeben. Jay hätte nervös geplaudert über alles und nichts. Und Nya hätte einfach gewusst, dass Lloyd sicher war, hätte nicht diese starre Anhänglichkeit an Regeln gezeigt, die jede Flexibilität ausschloss.
Doch diese fünf standen nicht hier. Stattdessen standen Türkis, Orange, Pink, Lila und Gelb vor ihm - kompetent, professionell, doch Fremde, die nur Vorschriften kannten, keine Intuition.
König Garmadon nickte den fünf unsicheren Leibwächter zu, eine einzige, langsame Bewegung seines Kopfes, die gleichzeitig Erlaubnis und Befehl war. Die fünf Leibwächter tauschten Blicke aus. Man konnte die innere Debatte sehen, die in jedem von ihnen tobte - Pflicht gegen königlichen Befehl, Protokoll gegen praktische Vernunft. Schließlich gab Türkis nach, seine Schultern senkten sich minimal in einer Geste der Kapitulation.
"Wie Ihr wünscht", seine rechte Faust legte sich über sein Herz in der formellen Geste des Gehorsams. Die anderen vier wiederholten die Bewegung synchron. Dann drehten sie sich als Formation um und bewegten sich zum zweiten Aufzug, ihre Schritte waren langsamer, widerwilliger als die von Garmadons Gardisten Minuten zuvor.
Pixals schlanke Finger glitten über ein holografisches Bedienfeld, das sich an der Wand materialisierte sobald sich die Türen schlossen. Die leuchtenden grünen Ziffern ordneten sich in vertikalen Kolonnen - 1, 2, 3, 4... ihre Fingerspitze berührte die höchste Ziffer 87.
Ein sanftes Summen erfüllte die Kabine, kaum lauter als ein entferntes Bienenschwärmen. Die Fahrt begann so geschmeidig, so sanft, dass Lloyd für einen Moment nicht sicher war, ob sie sich überhaupt bewegten. Kein Ruckeln, kein Ziehen im Magen, keine der üblichen Empfindungen, die mit Aufzügen einhergingen. Es war, als würde die Kabine schweben anstatt an Seilen zu hängen.
"Magnetische Antriebssysteme", erklärte Dr. Borg mit hörbarem Stolz in seiner Stimme, als er Lloyds fragenden Blick bemerkte. "Eine meiner neueren Entwicklungen. Anstatt die Kabine mit Motoren nach oben zu ziehen, nutzen wir elektromagnetische Felder entlang des gesamten Schachtes. Die Fahrt ist dadurch nicht nur sanfter, sondern auch energieeffizienter."
Lloyds Aufmerksamkeit wanderte zu den Wänden, oder vielmehr zu dem, was sich hinter ihnen befand. Die Lichter von Ninjago City streckten sich aus unter ihnen wie ein endloser Teppich aus funkelnden Sternen. Straßenlaternen zeichneten geometrische Muster auf die Dunkelheit, markierten die Hauptverkehrsstraßen und kleinen Gassen gleichermaßen. Fenster in tausenden von Gebäuden leuchteten in warmen, goldenen Tönen - jedes ein kleines Universum, in dem Menschen ihre Abende verbrachten, aßen, lachten, lebten. Der Fluss, der sich durch das Herz der Stadt schlängelte, reflektierte das Mondlicht in silbernen Streifen.
Je höher sie stiegen, desto weiter dehnte sich die Aussicht aus. Die Stadt schien sich endlos in alle Richtungen zu erstrecken, bis zu den dunklen Konturen der Berge am Horizont, die sich als schwarze Silhouetten gegen den sternenübersäten Himmel abzeichneten. Wolken trieben in mittlerer Höhe vorbei, beleuchteten von unten durch das Licht der Stadt, nahmen eine gespenstische, orange-rosa Färbung an.
Irgendwo da unten waren seine Freunde. Kai, Cole, Zane, Jay, Nya - sie lebten ihr Leben, gingen ihren neuen Aufgaben nach, die König Garmadon ihnen zugewiesen hatte. Lloyd fragte sich, was sie wohl gerade taten. Saßen sie zusammen, lachten über Geschichten aus vergangenen Tagen? Oder waren sie in ihren eigenen Gemächern, allein mit ihren Gedanken, genauso einsam wie er? Vermissten sie ihn? Dachten sie an ihn, so wie er konstant an sie dachte? Oder hatten sie bereits begonnen, weiterzumachen, ihn hinter sich zu lassen, so wie er es beabsichtigt hatte? Die Aussicht vor ihm verschwamm leicht, als Feuchtigkeit sich in seinen Augen sammelte, die er hastig wegblinzelte.
"Wunderschön, nicht wahr?", Miss Dr. Borgs Stimme durchbrach Lloyds Gedanken sanft. Ihre Hand legte sich leicht auf seinen Arm, nicht besitzergreifend, sondern tröstend. "Ich komme jeden Abend hier hoch, wenn die Arbeit erledigt ist. Es hilft mir, Perspektive zu gewinnen. All die kleinen Probleme, die im Moment so überwältigend erscheinen, werden von hier oben aus gesehen... kleiner. Handhabbar."
Lloyd zwang sich zu einem schwachen Lächeln, wandte seinen Blick von der Aussicht ab und sah die Ärztin an. "Manche Probleme werden nicht kleiner, egal aus welcher Höhe man sie betrachtet."
Sie musterte sein Gesicht mit dem geschulten Blick einer Heilerin. "Nein", gab sie nach einem Moment zu, ihre Stimme wurde sanfter, vertraulicher. "Manche tragen wir mit uns, egal wie weit oder wie hoch wir fliehen."
Bevor Lloyd antworten konnte, verkündete ein sanftes Ping das Erreichen ihres Ziels. Die Zahl 87 leuchtete grün auf dem Display, und die Türen glitten auf.
Das erste, was Lloyd wahrnahm, war Musik. Nicht die leise, gedämpfte Art klassischer Hintergrundmusik, die man bei königlichen Empfängen erwartete, sondern lebendige, moderne Klänge - eine Jazz-Combo spielte irgendwo im Raum, die Saxophonnoten tanzten durch die Luft, vermischten sich mit dem tiefen Rhythmus des Kontrabasses und dem hellen Glitzern der Becken.
Das zweite war das Licht. Ein kühles, sauberes Strahlen, das aus unsichtbaren Quellen in den Wänden und der Decke selbst zu kommen schien, erhellte die Etage. LED-Streifen waren kunstvolle in architektonische Elemente integriert, warfen sanfte, diffuse Strahlen über die Menge, ohne je zu blenden. An strategischen Punkten im Raum schwebten kristallene Installationen - moderne Interpretationen klassischer Kronleuchter - deren facettierte Oberflächen das Licht brachen und in Regenbogenfarben über die Gesichter der Gäste warfen.
Dr. Borg manövrierte seinen Rollstuhl aus der Kabine heraus in den Galerieraum. "Willkommen auf Ebene siebenundachtzig", verkündete er mit stolzer Geste, seine Arme breiteten sich aus, um den gesamten Raum zu umfassen. "Dem Höhepunkt meines Lebenswerks - in mehrfacher Hinsicht."
Die Außenwände des Raumes bestanden vollständig aus Glas, boten einen ungehinderten Panoramablick über Ninjago City, die sich in alle Richtungen erstreckte. Von hier oben, aus dieser Höhe, war die Stadt nicht länger eine Ansammlung von Straßen und Gebäuden - sie war ein lebendiges Kunstwerk, ein Organismus aus Licht und Bewegung, der atmete und schlug wie ein Herz.
Hunderte von Augenpaaren drehten sich zum Aufzug, die Gespräche verstummten, beobachteten, wie die königliche Familie den Raum betrat. Dann begann der Applaus - höflich, respektvoll, die Art von ritualisiertem Beifall, die bei solchen Anlässen erwartet wurde. Die Gäste verneigten sich oder knicksten, je nach Geschlecht und gesellschaftlicher Stellung.
Lloyd zwang seine Lippen zu einem Lächeln, hob seine Hand in einer königlichen Geste der Anerkennung. Türkis und Orange nahmen ihre Plätze zu Lloyds Linken und Rechten ein, sobald sie aus dem zweiten Aufzug kamen, ihre Körper bildeten eine lebendige Barriere zwischen dem Prinzen und der Masse der Gäste. Pink, Lila und Gelb verteilten sich in einem präzisen Dreieck um die Formation herum, ihre Augen scannten konstant die Menge nach potentiellen Bedrohungen.
König Garmadon bewegte sich mit der mühelosen Selbstsicherheit eines Mannes, der sein ganzes Leben in solchen sozialen Situationen verbracht hatte, in die Menge hinein. Sein charmantes Lächeln, seine offene Körpersprache, die Art, wie er jedem Gesprächspartner seine volle Aufmerksamkeit schenkte - all das waren Fähigkeiten, die er über Jahrzehnte perfektioniert hatte.
Lloyd blieb an der Seite seines Vaters, suchte die vertraute Nähe wie ein Schiff, das sich an einem Leuchtturm orientiert. Er nickte höflich, lächelte mechanisch, murmelte angemessene Antworten auf die Fragen, die an ihn gerichtet wurden. Nach etwa zwanzig Minuten legte Garmadon seine Hand sanft auf Lloyds Schulter, eine väterliche Geste, die gleichzeitig Trost und Ermutigung bot. "Mein Sohn", seine Stimme war leise genug, dass nur Lloyd ihn hören konnte, "du musst nicht die ganze Zeit an meiner Seite bleiben. Warum schaust du dich nicht ein wenig um? Dieses Gebäude ist voller faszinierender Technologie. Dr. Borg hat mir erzählt, dass es auf dieser Ebene mehrere interaktive Displays gibt, die seine neuesten Erfindungen präsentieren."
Lloyd öffnete seinen Mund zu einem Protest - die Vorstellung, allein durch diese Menge zu navigieren, ohne die Anker-Präsenz seines Vaters, erfüllte ihn mit einer vagen Unruhe. Doch Garmadons Augen waren freundlich, ermutigend, sagten ohne Worte: *Du brauchst einen Moment für dich. Nimm ihn dir.*
"Vielleicht hole ich mir etwas zu essen", entschied Lloyd nach kurzem Zögern. Sein Blick wanderte über die Menge hinweg zu einer langen Reihe von Tischen an der gegenüberliegenden Seite des Raumes, wo ein beeindruckendes Buffet aufgebaut war. Silberne Platten reflektierten das Licht, türmten sich mit Köstlichkeiten aus allen Regionen Ninjagos.
Garmadon nickte zustimmend. "Eine ausgezeichnete Idee. Ich empfehle die glasierten Enten-Häppchen - eine Delikatesse."
Lloyd löste sich von seinem Vater, seine Füße trugen ihn durch die Menge. Türkis und Orange bewegten sich mit ihm, ihre Präsenz wie zwei Schatten, die ihn nicht verlassen konnten. Die Menschen wichen höflich zur Seite, bildeten eine natürliche Gasse, die es der königlichen Formation erlaubte, sich ungehindert zu bewegen.
Die Tische des Buffets erstreckten sich über eine beeindruckende Länge - mindestens fünfzehn Meter reiner kulinarischer Überfluss. Kristallschalen enthielten exotische Früchte aus den südlichen Provinzen. Goldene Platten präsentierten kunstvolle Arrangements aus Meeresfrüchten, die heute Morgen noch in den Gewässern vor der Küste geschwommen hatten. Warme Speisen dampften in eleganten Schalen - Reisgerichte mit Safran und Kardamom, Lammbraten in Kräuterkruste, Gemüse in Butter geschwenkt bis es glänzte wie Edelsteine.
Lloyd griff nach einem Teller, begann mechanisch, kleine Portionen verschiedener Speisen aufzunehmen. Seine Hand bewegte sich von Platte zu Platte, wählte dies und jenes, doch sein Geist registrierte kaum, was er nahm. Alles schmeckte nach Nichts in seinem Mund, seit Tagen schon, doch die gesellschaftliche Erwartung verlangte, dass er zumindest so tat, als würde er essen.
Eine Stimme erhob sich aus der Menge hinter ihm - hell, lebhaft, durchsetzt mit jenem nervösen Lachen, das Lloyd so vertraut war, dass sein Herz für einen Moment aussetzte. "Nein, nein, das verstehst du nicht! Die Berechnung war theoretisch korrekt, doch ich hatte nicht bedacht, dass Metallermüdung bei zyklischer Belastung exponentiell zunimmt, nicht linear! Es war ein ehrlicher Fehler!"
Lloyd erstarrte. Der Teller in seiner Hand begann zu zittern, die Speisen darauf drohten zu verrutschen. Diese Stimme. Er kannte diese Stimme. Hätte sie aus tausend anderen herausgehört, hätte sie im lautesten Chaos identifizieren können.
Seine Füße drehten sich gegen seinen bewussten Willen, sein Körper orientierte sich in die Richtung, aus der die vertraute Stimme gekommen war. Seine Augen suchten die Menge ab, glitten über Dutzende von Gesichtern, bis sie an einer Gruppe von vier Männern hängen blieben, die etwa zehn Meter entfernt standen.
Kai, Cole, Zane, Jay standen zusammen in einer lockeren Formation, Weingläser in den Händen, die Körpersprache entspannt und ungezwungen - so anders als die militärische Steifheit, die Lloyd von ihnen gewohnt war. Jeder trug einen maßgeschneiderten Anzug.
Kai in einem tiefrotem, die Jacke saß perfekt auf seinen breiten Schultern, das Hemd darunter war in einem dunkleren Burgunderrot gehalten. Seine braunen Haare waren mit mehr Sorgfalt frisiert als Lloyd sie je gesehen hatte, gekämmt und mit Gel fixiert, doch eine rebellische Strähne fiel ihm trotzdem in die Stirn. Seine bernsteinfarbenen Augen funkelten vor der vertrauten Lebendigkeit, die Lloyd so vermisst hatte.
Cole stand neben ihm in klassischem Schwarz - doch dieser Anzug war nichts wie die schwarzen Uniformen seiner Leibwächterzeit. Der Stoff schimmerte subtil im Licht, enthüllte eine feine Textur, die nur bei bestimmten Winkeln sichtbar wurde. Sein weißes Hemd kontrastierte scharf gegen die dunkle Jacke, eine silberne Krawatte hing locker um seinen Hals. Er lehnte sich leicht nach hinten, die Arme vor der Brust verschränkt, doch das Lächeln auf seinem Gesicht war warm, echt.
Zanes Anzug war strahlend weiß - so weiß, dass er beinahe zu leuchten schien im Kontrast zu den dunkleren Farben um ihn herum. Die graue Hose darunter bot eine subtile Abstufung, verhinderte, dass das Weiß zu überwältigend wirkte. Seine platinblonden Haare waren ordentlich frisiert, seine blauen Augen zeigten jene spezielle Wärme, die er nur im Kreise von Freunden zeigte.
Und Jay - der kleinere Mann in einem Anzug aus lebendigem Blau, nicht das dunkle Marineblau formeller Anlässe, sondern ein helleres, energischeres Blau, das seine Persönlichkeit widerspiegelte. Seine rotbraunen Haare waren weniger ordentlich als die seiner Gefährten, einzelne Locken standen in verschiedene Richtungen ab, verliehen ihm ein leicht chaotisches, aber charmantes Aussehen. Er gestikulierte lebhaft mit seinem Weinglas, erzählte offensichtlich eine Geschichte, die seine Zuhörer zum Lachen brachte.
Lloyds Finger verloren ihren Griff um den Teller. Das Porzellan fiel, drehte sich in der Luft, krachte auf den harten Boden. Das Geräusch des Aufpralls war wie ein Gewehrschuss in der relativen Stille des Raumes - Kristall, das zerbarst, Essen, das über den polierten Boden spritzte, Scherben, die in alle Richtungen sprangen.
Jedes Gespräch in einem Umkreis von zwanzig Metern verstummte. Köpfe drehten sich, Augen richteten sich auf den Prinzen, der mitten in einem Chaos aus zerbrochenen Porzellan und verschüttetem Essen stand. Diener eilten herbei mit Besen und Schaufeln, ihre Bewegungen effizient und unaufdringlich, begannen die Unordnung zu beseitigen.
"Eure Hoheit", Türkis' Hand legte sich auf Lloyds Ellbogen, seine Stimme trug eine Note der Besorgnis, die seine professionelle Fassade nicht ganz verbergen konnte. "Ist alles in Ordnung? Seid Ihr unwohl?"
Doch Lloyd hörte ihn nicht. Seine Augen waren fixiert auf die vier Männer, die sich nun ebenfalls umgedreht hatten, angezogen vom Lärm. Vier Gesichter, die er so gut kannte wie sein eigenes. Vier Paar Augen, die ihn nun anstarrten über die Distanz hinweg, die sie trennte.
Jays Mund klappte auf, formte seinen Namen, doch kein Ton kam heraus. Kais Weinglas rutschte in seinen Fingern, hätte beinahe den gleichen Weg wie Lloyds Teller genommen, wäre nicht Coles Hand nach vorn geschossen und hätte es im letzten Moment aufgefangen. Zanes optische Sensoren leuchteten heller, fokussierten sich mit der Intensität eines Scheinwerfers.
Zeit schien stillzustehen. Der Raum, die Musik, die plaudernden Gäste - alles verschwamm zu einem bedeutungslosen Hintergrund. Es gab nur noch diese vier Gestalten und die endlose Distanz zwischen ihnen, die gleichzeitig zehn Meter und tausend Kilometer zu sein schien.
